1. Marcel Reich-Ranicki an Peter Rühmkorf
Hamburg, 9. Juni 1967
Mein Lieber,
aus Anlaß des bevorstehenden fünfzigsten Geburtstags von Heinrich Böll – am 21. Dezember 1967 – bereitet der Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln, ein Sammelwerk vor, dessen Titel lauten soll: IN SACHEN BÖLL – ANSICHTEN UND EINSICHTEN. Da der außergewöhnliche Erfolg Bölls – die Gesamtauflage seiner Bücher beträgt in deutscher Sprache über 4 Millionen und zusammen mit den Übersetzungen 7 Millionen Exemplare – ein Phänomen ist, dessen Ursachen und Wirkungen weit über das Literarische hinausgehen, werden zur Mitarbeit neben Schriftstellern, Philologen und Kritikern auch Soziologen, Philosophen, Historiker, Psychologen, Theologen und politische Publizisten eingeladen.
Als Herausgeber des geplanten Bandes hoffe ich sehr, daß Sie diese Bitte um einen Beitrag nicht abschlagen werden. Um Mißverständnissen vorzubeugen, möchte ich sogleich betonen, daß es sich nicht etwa um eine Festschrift handelt. Und nicht Lobreden, Gratulationen oder Grußbotschaften sollen hier gesammelt werden, sondern Reflexionen, Stellungnahmen oder Untersuchungen, in denen selbstverständlich auch für kritische Äußerungen Platz ist.
Die Form des Beitrags, die von der wissenschaftlichen Abhandlung bis zur Glosse reichen kann, bleibt ganz und gar Ihnen überlassen. Dasselbe gilt für das Thema: Es kann sich auf einen bestimmten zeitgeschichtlichen, moralischen, künstlerischen oder religiösen Aspekt des Böllschen Werkes beziehen oder nur auf ein bestimmtes Buch oder auch auf eine seiner kleinen epischen oder essayistischen Arbeiten. Was die Länge betrifft, so haben wir an einen Umfang von etwa 4 bis 15 Maschinenseiten gedacht. Das Honorar beträgt für das 1. bis 20. Tausend des Buches DM 50,–– (fünfzig) für die Manuskriptseite (30 Zeilen). Als Ablieferungstermin wurde der 5. September festgesetzt.
Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie bei diesem editorischen Unternehmen mitwirken könnten. Und ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie die Güte hätten, mich möglichst bald wissen zu lassen, ob ich mit einem Beitrag von Ihnen rechnen darf.
Mit bestem Gruß
Ihr Marcel Reich
Maschinenschriftlich auf Kopfbogen Marcel Reich-Ranicki, 1 S. A4
Ein Sammelwerk: In Sachen Böll – Ansichten und Aussichten, hg. von Marcel Reich-Ranicki, Köln 1968; ein Text von Peter Rühmkorf ist nicht enthalten.
2. Marcel Reich-Ranicki an Peter Rühmkorf
Frankfurt am Main, 5. August 1974 R.-R. / Kz
Mein Lieber,
Sie erhalten gleichzeitig:
1. Joachim Ringelnatz »Kuttel-Daddeldu« für die »Frankfurter Anthologie«.
2. »Denkspiele. Polnische Aphorismen«
3. Ablichtungen aller bisher erschienenen Beiträge in unserer »Frankfurter Anthologie«.
Gleichzeitig reserviere ich für Sie für die »Frankfurter Anthologie« den Gedichtband »Gegen die symmetrische Welt« von Volker Braun (bei Suhrkamp).
Ich erinnere Sie an die Dimensionen: Gedichte für »Frankfurter Anthologie« bis zu 30 Zeilen, Kommentar bis zu 60 Maschinenzeilen.
Artikel über »Polnische Aphorismen«: Umfang ganz und gar von Ihnen abhängig, aber mehr als 6 Maschinenseiten (mit 30 Zeilen) werden Sie doch dafür nicht brauchen?
Lassen Sie bald von sich hören.
Sehr herzlich
Ihr Marcel Reich
Maschinenschriftlich auf Kopfbogen FAZ, 1 S. A4
Kz: Kürzel von Monika Kunz, vgl. Brief 4
Kuttel-Daddeldu: Joachim Ringelnatz, Kuttel Daddeldu oder das schlüpfrige Leid; Erstveröffentlichung München 1923
Denkspiele. Polnische Aphorismen: Antoni Marianowicz, Ryszard Marek Groński, Denkspiele. Polnische Aphorismen des 20. Jahrhunderts, Frankfurt a. M. 1974; Peter Rühmkorf hat keine Rezension dieses Buches verfaßt.
Gegen die symmetrische Welt: Der Gedichtband von Volker Braun erschien 1974 in Halle an der Saale und Frankfurt a. M., vgl. Brief 14.
Marcel Reich: Auf den diktierten Briefen unterzeichnete Marcel Reich-Ranicki in der Regel handschriftlich mit »Marcel Reich« über einem maschinenschriftlichen »Marcel Reich-Ranicki«.
3. Peter Rühmkorf an Marcel Reich-Ranicki
Hamburg, den 8. August, 74
Lieber Herr Ranicki,
Hier anbei der Ringel. Ihre übrigen Interpreten haben sich, scheint mir, so furchtbar viel Mühe nicht gemacht. Auch zeigen sie zu wenig Temperament und Subjektivität, harmonische oder verkantete, egal. Das Gedicht hab ich aus dem Buch herausgetrennt, schicken Sie mir die Seite doch gelegentlich wieder zu. Falls meine Laudatio zu lang ist, können wir kürzen, d. h. ich. Ein Verlust wär’s auf jeden Fall. Bitte mir meine Schreibeigentümlichkeiten belassen zu wollen! Nur unterlaufene Rechtschreibefehler korrigieren. »aufgetriebne«, »wechseltierig«, »gekuckt« »organiert« pp sind keine. Auch die doppelsinnige Überschrift bitte nicht verändern. –
Wann ich zu den Aphos komme, weiß ich noch nicht. Schöne schlagende Meteoriten dabei – aber: wie will man die besprechen?? Herzlich Ihr
Peter Rühmkorf
P. S. – pss
Habe eben den Schluß nochmal umgeschrieben, was bei meinen Bohrtiefen wieder einen ganzen Tag gedauert hat. Ich befürchte, die Länge müßte doch in Kauf genommen werden. In jederlei Sinn. So viel Spaß mir diese Art Arbeit macht, so viel Zeit kostet sie mich. Normalerweise laß ich Texte erst über Funk laufen, um wenigstens einigermaßen zum Äquivalent zu kommen. Ich möchte deswegen anregen, in diesem Ausnahmefall wie Rezension zu bezahlen. Es würde der weiteren Zusammenarbeit ein gutes Fundament einziehen helfen. Die Gerechtigkeit gegenüber den Kollegen bliebe in jedem Fall gewahrt, weil ich nie was hinwichse, immer Grundlagenforschung mitliefre. – Nochmals
herzlich
P. R.
Maschinenschriftlich, 2 S. A4
der Ringel: vgl. In flagranti gefaßt. Über Ringelnatz’ Gedicht »Vorm Brunnen in Wimpfen«, in: FAZ, 7. 9. 1974 (Frankfurter Anthologie). Vgl. auch Strömungslehre, S. 167ff.
4. Marcel Reich-Ranicki an Peter Rühmkorf
Frankfurt am Main, 23. August 1974 R.-R. / M. K.
Mein sehr lieber Herr Rühmkorf,
mehrfach habe ich versucht, Sie telefonisch zu erreichen, allein vergeblich. Für Ihre Ringelnatz-Interpretation danke ich bestens. Sie ist vorzüglich und wird, obwohl etwas lang, ungekürzt bei uns kommen.
Was das Finanzielle betrifft: Sie können sicher sein, daß ich Sie so gut behandeln werde, wie Sie es verdienen – und ich meine das nicht etwa ironisch.
Was macht der Artikel über die polnischen Aphorismen? Enttäuschen Sie mich nicht. Liefern sie etwas Schönes darüber, ob nun kurz oder lang.
Bei de Gruyter ist ein Buch von Walter Pape erschienen mit dem Titel: »Joachim Ringelnatz. Parodie und Selbstparodie in Leben und Werk«. Das ist natürlich ein sehr ernstes, wissenschaftliches Werk, 450 Seiten umfassend, doch davon sind etwa 150 Seiten eine Ringelnatz-Bibliographie sowie ein Verzeichnis seiner Briefe. Wäre das etwas für Sie? Es müßte nicht unbedingt eine ausführliche Auseinandersetzung mit dieser Monographie sein. Sie könnten ja einige Bemerkungen über das Buch mit Darlegungen über Ringelnatz verbinden.
Nächster Vorschlag: Wie stehen Sie zu Ihrem Hamburger Kollegen Matthias Claudius? Bei Vandenhoeck & Ruprecht ist ein Buch von Annelen Kranefuss »Die Gedichte des Wandsbecker Boten« erschienen (rund 230 Seiten). Auch hier geht es mir weniger um dieses Buch als um Claudius. Sie könnten vielleicht das Buch als Vorwand oder Aufhänger verwenden, um etwas über die Lyrik des M. C. zu sagen.
Lassen Sie bitte rasch von sich hören, denn beide Bücher reserviere ich vorerst für Sie.
In alter Herzlichkeit Ihr
Marcel Reich
Maschinenschriftlich auf Kopfbogen FAZ, 1 S. A4
M. K.: Kürzel von Monika Kunz, langjähriger Mitarbeiterin von Marcel Reich-Ranicki bei der FAZ
5. Peter Rühmkorf an Marcel Reich-Ranicki
Hamburg, den 26. August, 74
Lieber Herr Ranick...