Aphorismen und kleine Prosa
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Aphorismen und kleine Prosa

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

Brillante Aphorismen und Kurzprosa in der Tradition von Lichtenberg und Karl Kraus.In den vom Autor selbst so genannten "Hinterkopfgeschichten" bietet Rainer Malkowski knappen Beobachtungen und Momentaufnahmen durch seine Kunst der sprachlichen Verdichtung einen weiten Hallraum der Reflexion. Neben diesen bereits im Jahr 2000 unter dem Titel "Im Dunkeln wird man schneller betrunken" veröffentlichten Prosatexten enthält der Band unter der Überschrift "Nach der Erfindung des Spiegels" auch Texte aus dem Nachlass. Malkowskis tiefenscharfe Beobachtungen und Gedanken eröffnen einen Horizont von den kleinsten bis zu den letzten Dingen. In seinem Gedankenreichtum, in seiner Lust an Sprachspiel und Sprachwitz erweist sich der Lyriker auch als großer Aphoristiker.

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Information

Verlag
Wallstein
Jahr
2013
ISBN
9783835324466

Im Dunkeln wird man
schneller betrunken

HINTERKOPFGESCHICHTEN

Himmelskunde

Lange wußte ich nicht, wo der Schöpfer wohnt. Bis ich nach Parsberg kam. In großen, altmodischen Buchstaben, die aussehen wie das Gebäck, das man »Russisch Brot« nennt, steht das Wort da an einem stillen, unscheinbaren Haus. Ich habe nicht geklopft. Denn wie verwirrt wäre ich gewesen, wenn mir ein alter Mann mit weißem Vollbart geöffnet hätte – und wie niedergeschlagen, auch diese Möglichkeit zog ich in Betracht, wäre die Tür verschlossen geblieben.
Hätte die Lehre von der Dreifaltigkeit entwickelt werden können ohne die Erfahrung der Persönlichkeitsspaltung? Daß einer viele sein kann, bis hin zur krankhaften Ausprägung, wird man früh gewußt haben.
Der Sohn der Freunde interessierte sich schon als Kind für die Sterne. Als Gymnasiast war er ein Kenner des Universums und hatte zugleich, wie er mir kurz vor dem Abitur sagte, Angst vor dem Leben. Dem entsprach seine Schrift: steil, hoch hinausfliehend, die Buchstaben so dicht zusammendrängend, daß die Wörter nur eine schmale Basis hatten. Sie faßten wenig Grund. Das Wunder, das ihn berührt hatte, war nicht irdisch. Es wuchs mit der Entfernung, war ein Weit Draußen, eine Größe über allem Menschenmaß. Und dennoch war es eine der Kunstleistungen des menschlichen Gehirns, mit der er es zu fassen suchte: die Zahl. Aber Forschernaturen wie die seine sind nicht irritierbar durch Ironie, dürfen es wohl nicht sein.
Eine Zeitlang meint man, man sei auf der Welt, um einen bestimmten Hintern zu küssen. Das ist in Ordnung, solange es dauert.
Ich verneige mich vor Kopernikus, denn er hat »was rausgekriegt«. Ich verneige mich vor Kepler und Galilei. Aber mein Lieblingsastronom ist Matthias Claudius. Ich zitiere aus einem seiner Hauptwerke, der »Sternseherin Lise«, die beim Anblick des gestirnten Himmels zu dem Schluß kommt, daß es was Beßres geben müsse in der Welt »als all ihr Schmerz und Lust«. »Ich werf mich auf mein Lager hin / und liege lange wach / und suche es in meinem Sinn, / und sehne mich darnach.«
Wenn man eine der Aufnahmen betrachtet, die aus der Tiefe des Raums von der Erde gemacht wurden, und daran denkt, wie viele Menschen sich in jeder Weltminute im Hochsprung üben, ihr Glück darin finden, sich für einen Augenblick 2 Meter 10 oder 2 Meter 34 himmelwärts von ihr zu lösen, hat man einen Begriff von der Seltsamkeit des menschlichen Geistes.
In keiner anderen Kunst, nur in der Musik ist das Weltall – was immer die Wissenschaft über seine Entstehung, seine Beschaffenheit und sein Ende noch herausfindet – jederzeit vollständig als zu empfindende Dimension enthalten.
Wie viele Passionsgeschichten hat es in unserer Milchstraße oder im Andromedanebel schon gegeben? Wie viele wird es noch geben? Die Frage, ob auf anderen Planeten vernunftbegabte Wesen leben, ist für mich vor allem im Zusammenhang mit dem christlichen Glauben von Belang. Woraus ich schließe, daß ich ihn gern teilen würde, wenn ich könnte. Müßte sich Gott den kosmischen Verwandten nicht ebenfalls offenbaren, müßte er nicht auch unter ihnen in Gestalt seines Sohnes Fleisch werden? Und wenn nicht – wie ließe sich die christliche Gottesvorstellung aufrechterhalten? Die professionellen Ausleger, die jedes Problem umwimmeln wie die Ameisen ein fortzuschaffendes Zweiglein, wüßten auch hier Rat, fürchte ich. Dieser Spezies graut nur vor einem: vor dem Schweigen.

Über die Kürze

Was ein Roman, so großartig er auch sein mag, niemals erlangt – und desto weniger erlangen kann, je mächtiger er sich entfaltet: den Charakter eines Dings. Dinghaftigkeit bei einem literarischen Text setzt äußerste Verdichtung voraus und handliche Kürze. Lyriker sind versessen auf Dinge, auf ihre durch den Raum definierte Gestalt – also das plastische Moment –, auf ihre träumende Masse, ihr Schweigen.
Der unbedruckte Teil der Seite, auf der ein kurzes Gedicht steht, ist für den Nachhall da.
Manchmal frage ich mich, ob die Neigung, sich kurz zu fassen, auf Pessimismus deutet und im Zusammenhang mit der Vergeblichkeitserfahrung steht. Andererseits könnte man auch sagen, daß sie von Optimismus zeugt: vom Vertrauen in die Kraft der Worte, vom Glauben, daß eine Verständigung durch knappen Zuruf möglich ist. Wie kompliziert, wenn bei einem Autor beides zutrifft.
Vermessene Kürze. Gerade der nur wenige Zeilen umfassende Text erhebt den Anspruch auf Vollständigkeit – weil sein Autor kein weiteres Wort für nötig hielt.
Der Pflaumenbaum hing voll. Ich hatte den Tag der Reife abgewartet, pflückte nun aber nur zwei. Mir schien, so hatte ich bewußter Anteil an der Fülle.
Von kurzen Gedichten, die eine einzige Szene vergegenwärtigen, wird gerne gesagt, sie seien Momentaufnahmen. Handelt es sich dabei wirklich um Gedichte, ist diese Aussage falsch. Jedes gute Gedicht zieht eine Summe, in der Vergangenheit und Zukunft eingeschlossen sind. Es gibt die Zeit als Ganzes, nämlich als Phänomen. Wie Reiner Kunzes »Nachts«, das von der Schlaflosigkeit spricht – im Bewußtsein des großen Schlafs, der auf uns wartet. Und das endet: »Noch können wir die Stille unter dem Kopf / aufschütteln«.
Es ist besser, den Text lang zu halten, wenn man wenig zu sagen hat. Bei einem kurzen Text fiele es sofort auf.
Niemand käme auf die Idee, das kleinformatige Werk eines großen Malers als »Bildchen« zu bezeichnen. Aber es ist üblich – auch unter Leuten, die es besser wissen müßten –, einen Gedichtband, der die Arbeit mehrerer Jahre versammelt, »Büchlein« zu nennen. Ich kenne nur einen Gebrauch dieses Wortes, der nicht herabsetzt: in Brechts »Legende von der Entstehung des Buches Taoteking«. »Und er packte ein, was er so brauchte. / Wenig. Doch es wurde dies und das. / So die Pfeife, die er immer abends rauchte / und das Büchlein, das er immer las.« So ein »Büchlein« schriebe ich gern.
Am Ende werden wir vielleicht alle – gemessen an unseren Möglichkeiten – zu ausführlich gewesen sein.

Aus dem Augenreich

Mit einem Menschen zu sprechen, dessen Augen man nicht sieht – weil er sie hinter einer dunklen Brille verbirgt oder weil das Licht der eigenen nicht ausreicht –, ist eine monologische Situation. Sie erfordert eine Vorleistung an Gedanken und Worten, die ins Ungewisse erbracht wird. Noch bevor das Gegenüber den Mund öffnet, antwortet unter normalen Umständen sein Blick: bejahend, zweifelnd, voller Aufmerksamkeit, die befeuert, oder als spöttisches Korrektiv. Wenn der Augenkommentar ausbleibt, ist es schwer, im Gespräch auf die Höhe seiner Möglichkeiten zu kommen. Und es kostet Energie, den Glauben daran zu bewahren, daß allein mit dem Ohr erfaßt werden kann, wie’s einer meint.
Das gesprochene Wort hat keinen Körper. Den gibt ihm erst unser Blick, der lustvoll die Schrift abtastet.
Die unglaublich große Zahl reizvoller Frauen: auf den Straßen, in den Cafés, in den Foyers der Theater. Blickkontakte, Signale und Stromstöße. Das Erwägen von Möglichkeiten im Vorübergehen. Im Konjunktiv liegt der Reichtum des Lebens. Es gibt keinen Ausgleich für die erotische Verarmung, die mit dem Erblinden verbunden ist. Was für ein Verlust an Zukunft, wenn man begreift, daß auch die Kühnheit der Seele von körperlichen Voraussetzungen abhängt.
Im Dunkeln wird man schneller betrunken.
Es ist früher gelegentlich vorgekommen, daß ich erschüttert war von der Deutlichkeit, mit der ich etwas sah: ein weißes Haus unten im Tal, einen Mann davor, der Holz spaltete, aus dem fahrenden Zug eine telefonierende Frau hinter einem Fenster. In solchen Augenblikken, in denen das Sehvermögen zum Gegenstand meines Staunens wurde, hatte noch das alltäglichste Bild den Charakter einer persönlich adressierten Mitteilung. Es lag eine Aufforderung darin, über die sich aber nichts Weiteres sagen ließ und die deswegen noch lange beunruhigte.
Wie sie an uns vorbeigeht, langsam, ein wenig schief, mit einer Verzögerung den Fuß aufsetzend, wie sie dabei den Kopf dreht und uns ansieht mit runden Augen – es erinnert mich an ein Huhn. Die Wahrnehmung einer individuellen Eigentümlichkeit greift immer über das Individuelle hinaus. Sie kommt durch einen Vergleich zustande. Darum ist es so wichtig für einen Autor, viel und vielerlei zu sehen.
Es gibt Gäste, die schon bei ihrem ersten Besuch die Einrichtung der Räume im wesentlichen überblicken. Sie könnten aus dem Gedächtnis ein brauchbares Verzeichnis anlegen. Andere Besucher bemerken einzelne Gegenstände oder Bilder, an denen sie zwanzigmal vorbeigegangen sind, erst nach Jahren. Das Wahrnehmungsvermögen ist auch ein Gradmesser der inneren Freiheit. Wer zu sehr damit beschäftigt ist, sich in einer fremden Umgebung zur Geltung zu bringen, sieht von ihr nichts. Er empfindet sie nur vage und summarisch – als Bedrohung, gegen die er sich behaupten muß.
Kaum zu unterscheiden: ob genaues Se...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Nach der Erfindung des Spiegels. Aphorismen
  5. Im Dunkeln wird man schneller betrunken. Hinterkopfgeschichten
  6. Nachwort
  7. Inhalt