Die amerikanische Fahrt
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Die amerikanische Fahrt

Stories eines Filmbesessenen

  1. 298 Seiten
  2. German
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Die amerikanische Fahrt

Stories eines Filmbesessenen

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Inhaltsverzeichnis
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Über dieses Buch

"Die amerikanische Fahrt" erzĂ€hlt von Patrick Roths AnfĂ€ngen in der Stadt des Films, von seiner Bewunderung fĂŒr Bildpoeten wie John Ford und Orson Welles, unverhofften Begegnungen mit Henry Fonda und David Lynch und vom abenteuerlichen Erlernen filmischer Mittel fĂŒrs eigene Schreiben. Immer wieder bringen seine Geschichten jene "Movie-Moments" vor Augen - heilig-magische Momente des Kinos, in denen Durchsicht auf ein GrĂ¶ĂŸeres gegeben wird, das jenseits der Leinwand liegt. Im ganz Anderen erkennen wir uns plötzlich selbst.Roths "Kamerafahrten" beginnen in seinem amerikanischen Alltag, fĂŒhren aber immer wieder an existenzielle Entscheidungssituationen heran. Fahrt und Erfahrung, RealitĂ€t und Traum, Abschiede und zarte Zeichen beginnender Liebe ĂŒberlagern sich und werden zum Grund des ErzĂ€hlens. Roths filmische Stories faszinieren und verwandeln. In ihnen begegnet man einem neuen Sehen - und kann es lernen.

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Information

Verlag
Wallstein
Jahr
2013
ISBN
9783835323636
INNEN – AMERIKA – NACHTDie Bild-Flamme

 wie kamst du hinab ins
nÀchtliche Dunkel / Da du
noch lebst?
Odyssee, XI. Gesang
Nicht glauben sollt ihr,
sondern erfahren.
Neith in SUNRISE
Es war 1972 

Zur Orientierung: Es gibt keine Handys, keine DVD-Beileger, kein Fax. Wenn wir »PC« hören, denken wir noch, je nach Kontext, an »post Christum« oder an die »Parti communiste«. Es gibt keine Videotheken, keine Videorecorder, die uns Filme im Fernsehen aufzeichnen könnten. Es gibt, ja, eine »CinĂ©mathĂšque de Paris«, allzufern; gibt die Karlsruher Kinos und das Erste Programm, das Zweite und, im SĂŒden empfangbar, SĂŒdwest 3, etwas grobkörniger auch Hessen 3 als rettendes Viertes, ein Vorhof zum Paradies (denn Hessen 3 zeigte – neben dem NDR und Bayern 3, die wir nicht »bekommen« konnten – immer die besten Filme, manche sogar OmU: im Original mit Untertiteln).
Es war 1972, war der Tag vor dem Deutschabitur an meiner Karlsruher Schule.
Ein filmbegeisterter Freund hatte gehört, daß sie in Frankfurt, seit ein paar Wochen schon, Griffith-Filme zeigen. In einem »Theater-« oder »Kino-am-Turm«, so Ă€hnlich hieß es. Er hatte ein Programmheft dabei und zeigte mir, der ich sprachlos dastand, was wir schon alles versĂ€umt hatten.
»Intolerance« zum Beispiel, Griffiths Stummfilm-Monumentalwerk, in dem er vier Geschichten aus vier Jahrhunderten (eine babylonisch-gigantische, eine judĂ€ischerlöserische, eine französisch-bartholomĂ€usnachtblutige und eine zeitgenössische, amerikanisch-vorm-Galgenretterische) zunĂ€chst ruhig-gemessen parallel zueinander erzĂ€hlt, die vier Geschichten so motivisch-thematisch vergleichend, dann aber, aufs Ende zu, die oft durch Jahrtausende voneinander getrennten GeschichtsflĂŒsse in immer nĂ€her und nĂ€her drĂ€ngenden, schneller und schneller von Stromschnelle zu Stromschnelle springenden Sequenzen zu fassen wagt, ja sie, das Schnitt-Tempo ins Frenetische steigernd, im clash ineinanderschießen lĂ€ĂŸt, diese BildflĂŒsse, auf daß – in den Endsekunden vielleicht, in die sich alle Zeiten dunkel-rasend ergössen – aus solchem clash der Vier das gischtweiße Eine aufschiene, das unbeobachtbar-einige Einst: zeitlos stille Welt vor dem Anfang.
Das – und mehr – hatten wir alles versĂ€umt, sagte der Freund.
Jene letzten Sekunden – und wie das alles endlich zusammenschösse in Eins – bildeten wir uns natĂŒrlich ein. Wir hatten ja noch nichts gesehen von Griffith, noch keinen einzigen Film. Nur ein paar Bilder in FilmgeschichtsbĂŒchern, ein paar stills, Standphotos, oder die rare VergrĂ¶ĂŸerung eines Einzelbilds aus der Filmkopie selbst.
Aber Griffith, D.W. Griffith, war der Gott, der am Filmanfang stand. Der Stummfilmgott, der, so hatten wir gelesen, die »Grammatik« des Films erfand und »much of the vocabulary«, wie Orson Welles meinte, also den close-up, das cross-cutting, die Kamerafahrt, sogar die Kamerakran-Fahrt: den ersten boom – fĂŒr »Intolerance« nĂ€mlich, wo er in einer einzigen Kamerabewegung 


 aus den Höhen der Luft langsam
hinabglitt auf exakt-beschriebener
Parabelbahn,
sich mit dem Kran den menschenbestandenen
streitwagenbefahrbaren Mauern Babylons nÀhernd,
die Belshazzars prunkvollen Palasthof umgaben,
immer nÀher und
tiefer hinab:
aufs Heer der babylonischen
TempeltĂ€nzerinnen zu – die,
Hinabsteigende selbst,
eine der riesigen Treppen betanzen –
hinabgleitend weiter auf
diese TĂ€nzerinnen zu,
auf Augenhöhe jetzt mit den
Hinabschreiterinnen
und weiter
weiter noch, nÀher
ganz nah: bis
die Kamera das Gesicht einer
Einzig-Einzelnen
erreicht
vor deren Augen, Nase und Mund
alles hÀlt.
Wir wĂŒrden’s nie sehen, sagte der Freund, hatten es ja versĂ€umt, dort in Frankfurt, wo sie’s gezeigt hatten.
So VersĂ€umtes war gleichsam auf immer verloren. Das Filmereignis war ja nicht nachholbar, noch nicht, oder höchst-ungewiß-ob. Wenn das Kino schloß, der Film abgesetzt war, blieb uns nichts.
Die eigenen Phantasien waren damals noch nicht gleichwertig, zĂ€hlten noch nicht. Alles war »außen«, war oder wĂ€re draußen zu sehen, in der Welt.
Welt des Kinos.
»Innen – Amerika – Nacht«, diese slugline, Kopfzeile eines imaginĂ€ren Drehbuchs, war damals synonym mit dem Kino, dem Ort der Imagination. Es waren amerikanische Filme, fĂŒr die wir uns begeisterten, amerikanische Bildpoeten. Und die Nacht in deren Amerika konnte uns nicht lange genug anhalten.
Die Dunkelheit des Kinos war noch Inbegriff eines Innen, in dem das Äußere an-zusehen war. Die Geborgenheit im Kinosessel war unser »Winkel von Hahrdt«, unsere Ulrichs-Höhle, rettende NachthĂŒtte. Und wir: »bereit, an ĂŒbrigem Orte« in ihr Nahrung zum Überleben zu finden.
Man muß wissen: D.W. Griffith, dem Stummfilmer, fĂŒhlten wir uns damals auch nahe, weil wir, in den ein, zwei Jahren vor dem Abitur, selbst Stummfilme zu drehen begonnen hatten: auf Normal-8, spĂ€ter auf Super-8. Griffith war uns also, was seine ErzĂ€hltechniken anging – das ErzĂ€hlen in reinen Bildern –, ein Gleichzeitiger. Wir hatten uns die Ambition Hitchcocks zu eigen gemacht, von der er Truffaut anlĂ€ĂŸlich seiner Bewunderung fĂŒr den Stummfilmer Friedrich Wilhem Murnau gesprochen hatte. FĂŒr uns galt daher – wie Murnau das in seinem 1927 in Hollywood gedrehten »Sunrise – A Song of Two Humans« demonstriert hatte –, den Bildablauf möglichst selten mit Zwischentiteln zu unterbrechen. Pure cinema war unser Ziel, ein Bildfolgen-Opus, das ausschließlich visuell sich entwickelte, ohne erklĂ€rend-verdeutlichend je an BuchstabenkrĂŒcken zu gehen.
»Griffith haben wir halt versĂ€umt«, sagte mein Freund, »dafĂŒr morgen Deutschabitur.«
Morgen Deutschabitur. Und heute, in Frankfurt 
 – mein Finger war ganz ans Ende des wunderbaren Programmhefts jenes Turm-Kinos gerĂŒckt –, heute, am letzten Tag, wĂŒrden abends zum Abschluß zwei letzte Griffith-Filme gezeigt:
Der berĂŒhmte, 1915 erschienene, »Birth of a Nation« – darin geht es um zwei zunĂ€chst befreundete Familien, die der amerikanische BĂŒrgerkrieg in verfeindete Lager treibt. Und: ein weniger bekanntes Werk Griffiths, das 1924 erschienene »America«. Wieder geht es um zwei Familien, die – diesmal durch ihre Parteinnahme wĂ€hrend des amerikanischen UnabhĂ€ngigkeitskrieges – auseinandergerissen werden.
»Werden wir alles versÀumen, haben wir alles versÀumt«, sagte der Freund.
Ich will es kurz machen, auch weil ich nicht mehr weiß, wie wir – ein weiterer Freund stieß hinzu, der auch jammerte, als er dieses Programm sah –, wie im Detail wir dann zu dritt meine Mutter ĂŒberzeugten, uns noch am selben Abend nach Frankfurt zu fahren.
Wir werden sie angesteckt haben, sag ich mir heute, mit unserer Begeisterung fĂŒr Griffith-von-dem-wir-nochnichts-gesehen-aber-Höchstes-erwarteten, angesteckt haben mit dieser Verheißung: »D.W. Griffith, father of film«, einem frĂŒhen Filmgeschichtsbuch-Klischee letztlich.
Aber Griffith – D.W. Griffith löste sie ein, diese Verheißung.
Wir kamen einige Minuten zu spĂ€t zu »Birth of a Nation« – oder war’s »America« gewesen? Jedenfalls war es totenstill, als wir das Kino betraten, verhetzt und atemlos von irgendeinem Frankfurter Parkplatz her, im Dunkeln Platz nehmend. Ich sah nur wenige silhouettierte Köpfe, Stufen tiefer vor uns im Saal, den wir uns – BefĂŒrchtungen wĂ€hrend der Autofahrt – schon randvoll geredet hatten.
Hier nun war viel zu bestaunen. Wir saßen vier, fĂŒnf gebannte Stunden lang, studierten, abgesehen von der Geschichte, vor allem auch Technik, den Einsatz bestimmter Bildmasken; das Sich-ZuschnĂŒren der Irisblenden; auch die – wider alle RealitĂ€t – aus einer Totalen herausgegriffene, gleichsam schattenumwucherte Lichtung, in die der Regisseur seine Protagonisten manchmal stellte, sie dem Auge empfehlend: des einen oder anderen so herausgestrichenen Merkmals halber; die Dissolves und die zögernd-flackernden, lange den Abschied atmenden Fade-outs; ebenso die wie blind noch erwachenden, dann aber alles-wie-zum-ersten-Mal-sehenden Fade-ins, die zögernden Aufblenden, zögernd im Auf oder Ab schlĂŒssigen Dunkels oder aufschließend-öffnender Helle, zögernd, weil hier an Bilder gerĂŒhrt wurde, an ein vergangenes Heiliges, das sich – so machte Griffith uns glauben – seinem Twentieth-Century-Kameraauge noch einmal geöffnet hatte. Die ganze vergangene Ära: ein zitternd-flackernder WiedergĂ€nger.
Und mitten im Beobachten, MitfĂŒhlen, Mitskizzieren – ich skizzierte-notierte damals (auch in den Pariser Kinos ein Jahr darauf) auf ĂŒbers Knie gefalteten Zetteln, den Blick leinwandwĂ€rts, was mir an Kompositionen oder pieces of time (James Stewarts Wort fĂŒr unvergeßliche Momente) bemerkenswert schien –, mitten in meinem wagnerisch-famulesken Lerneifer: hĂ€lt es mich an.
Hört alles auf.
Ich kann nicht mehr mitschreiben. Sehe nur noch. Sehe:
Den jungen Mann auf der Leinwand, der
neben seinem Pferd steht
Abschied nimmt vom Haus
in dem seine Liebste wohnt.
Ich erzĂ€hle jetzt nur, was sich so und nicht anders in mir eingrub – in mir, der ich die Szene spĂ€ter immer wieder zurĂŒckrief, zurĂŒckrufen mußte. ErzĂ€hle nur, wie ich es sah, als ich sah:
Diesen jungen Mann,
ReitzĂŒgel in der Hand
neben seinem gesattelten Pferd stehend
kurz vor dem Abschied.
Es geht in den Krieg, den
Abschied fĂŒr immer vielleicht.
Und er, der junge Mann
der hinaufblickt, sieht nicht
die Liebste dort. Weiß sie nur
hinter verhangenem Fenster.
Still steht er am Abschiedsabgrund
sein stilles Pferd bereit neben ihm.
Da fÀhrt, wie er so steht und hinaufblickt
nein, da bricht
einfahrend durch den rechten Rand des
Filmbilds
eine SĂ€ule aus Licht
Bildflamme
zitterndes SĂ€ulenlicht, das
zieht her ĂŒber
Baum und Haus
sÀulenhaft-hell und aufrecht
gleitet hin ĂŒbers Fenster, zu dem er
hinaufblickt,
und fÀhrt ihn dann an
fÀhrt ihn feurig ein
in sein Feuer
bevor es weitergleißend
ihn lĂ€ĂŸt
in lohem Flug aus dem Bild
verschwindet.
Ich hatte so etwas noch nie gesehen. Griffith hatte einen – was war das? –, einen »Effekt« erfunden, der das Vom-GefĂŒhl-Durchstobenwerden eines Menschen visualisierte: die LichtsĂ€ule, von der er durchfahren wird, die Bildflamme, die ihn fĂŒr Augenblicke verzehrt.
Das GefĂŒhl, das sich einbrennt – der Moment, da es sich einbrannte –, war damit festgehalten, war stumm auf uns, die wir es sahen, ĂŒbergesprungen. Teil auch geworden von uns: auch uns hatte es angefahren, durchfahren. Wir sahen es kommen, gleichsam auf-uns-zu-kommen, wie wir sonst den Moment des Schauderns, noch vor dem Höhepunkt des GefĂŒhls, auragleich wahrnehmen. Weil man da noch bewußt ist. Noch bewußt in der Sekunde, bevor das GefĂŒhl durch-stoßend eindringt, völlig Besitz von uns nimmt, wir nicht mehr wissen, was uns gepackt hat. Solche Spur wird spĂ€ter erst lesbar an uns. Denn danach sind wir nicht mehr dieselben.
Das, sah ich, war alles hier aufgehoben, in diesem Moment, in dieser Bildflamme enthalten. Denn das Bild, dieses Erlebnis am Bild, war selbst Bildflamme. Hatte seine Spur hinterlassen an ihm auf der Leinwand, an mir, am Ort selbst.
Der Rest, spĂ€ter, verschwand mir. Wenn ich spĂ€ter an Griffith dachte, dann an die Flamme. Wenn an den Ort, jenes Kino, dann an den Flammen-Moment nur. Als hĂ€tte sich nachtrĂ€glich, ĂŒber die Jahre, meine Erinnerung an beide Filme verschattet, um den einen Moment herauszuarbeiten, diesen Geniestreich Griffiths.
Diese Idee:
Kein Schnitt aus der Totalen der Szene...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. AUSSEN – AMERIKA – TAG
  4. AUSSEN – AMERIKA – ABEND
  5. INNEN – AMERIKA – NACHT
  6. Inhalt
  7. Impressum