Heinrich Heine
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Heinrich Heine

Biographie

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Heinrich Heine

Biographie

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Über dieses Buch

Diese sorgfältige und elegant geschriebene Biographie handelt nicht nur von Heine, sondern auch von Brod und vom Schicksal der deutschen Juden; als Brod den Text 1934 veröffentlichte, waren die Nazis schon ein Jahr an der Macht, das Publikum in Deutschland nicht mehr erreichbar. Das Buch kam im Exil-Verlag Allert de Lange in Amsterdam heraus und erlebte bereits 1935 eine zweite verbesserte Auflage. Dann gingen die schrecklichsten Ereignisse darüber hinweg. In einem kurzen Vorwort zur neuen Auflage 1956, die dieser Ausgabe zugrunde liegt, macht Brod darauf aufmerksam: Er musste einiges ändern nach der Vernichtung des deutschen Judentums.

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Information

Verlag
Wallstein
Jahr
2015
ISBN
9783835327054
Heinrich Heine
Biographie

Vorbemerkung

1934 erschien diese Heine-Biographie im Verlag Allert de Lange (Amsterdam) und erlebte 1935 eine zweite verbesserte Auflage (4.-6. Tausend), die in Deutschland gleichfalls unbekannt blieb. Die zweite Auflage liegt der jetzigen Neuausgabe zugrunde, in der ich manches ändern mußte, da die ungeheuren Ereignisse, deren Zeugen wir seit jenen Jahren geworden sind, viel Tatsächliches und in manchen Fällen die ganze Blickrichtung, das Geschichtsbewußtsein nicht unberührt lassen konnten. Namentlich hat der Untergang eines großen Teils des jüdischen Volkes sowie die Neugründung des Staates Israel nach einer Unterbrechung von fast 2000 Jahren den Blick auf die geschichtliche Epoche, in der Heine gewirkt hat, die Beurteilung der Emanzipation und Assimilationsbestrebungen in mancher Hinsicht modifiziert. Mit einiger Genugtuung darf ich feststellen, daß ich in den Prinzipien, auf denen mein Heine-Buch ruht, nichts Wesentliches zu ändern hatte. Einige Fakten freilich sind mir gleichsam weggelaufen. Wenn ich (beispielsweise) in den Jahren 1934, 1935 auf den Standort einer bestimmten jüdischen Bibliothek oder auf die Fortdauer jüdischen Brauchtums in den Massen Osteuropas verwies, so ahnte ich nicht, daß all dies kurz nach Erscheinen des Buches der Zerstörung anheimfallen werde. – Derartige Hinweise habe ich also in der vorliegenden Neuausgabe korrigiert teils im Text selbst, teils in Fußnoten. In den Kreis meiner Betrachtungen miteinbezogen wurden ferner die Ergebnisse der jüngsten Heine-Forschung, die manchen Fortschritt zu verzeichnen hat (vgl. die Episode des »Chevalier von Geldern«, die kommentierte, beinahe komplette Gesamtausgabe der Briefe Heines durch Friedrich Hirth, dessen Grundeinstellung zu Heine allerdings der meinen diametral entgegengesetzt ist, Felix Stössingers ebenso wissensgesättigte wie erkenntnisreiche Heine-Darstellung »Mein wertvollstes Vermächtnis« u. s. f.).
I

Der »Morgenländer«

In Heines »Memoiren« findet sich bei Darstellung seiner Kinderjahre und seiner Erinnerungen an die Ahnenschaft mütterlicherseits, also an die Familie von Geldern, auch das Folgende vermerkt:
»Der beste und kostbarste Fund jedoch, den ich in den bestäubten Kisten machte, war ein Notizbuch von der Hand eines Bruders meines Großvaters, den man den Chevalier oder den Morgenländer nannte, und von welchem die alten Muhmen immer so viel zu singen und zu sagen wußten.
Dieser Großoheim, welcher ebenfalls Simon de Geldern hieß, muß ein sonderbarer Heiliger gewesen sein. Den Zunamen ›der Morgenländer‹ empfing er, weil er große Reisen im Orient gemacht und sich bei seiner Rückkehr immer in orientalische Tracht kleidete.
Am längsten scheint er in den Küstenstädten Nordafrikas, namentlich in den marokkanischen Staaten verweilt zu haben, wo er von einem Portugiesen das Handwerk eines Waffenschmieds erlernte und dasselbe mit Glück betrieb.
Er wallfahrtete nach Jerusalem, wo er in der Verzückung des Gebetes, auf dem Berge Moria, ein Gesicht hatte. Was sah er? Er offenbarte es nie.
Ein unabhängiger Beduinenstamm, der sich nicht zum Islam, sondern zu einer Art Mosaismus bekannte und in einer der unbekannten Oasen der nordafrikanischen Sandwüste gleichsam sein Absteigequartier hatte, wählte ihn zu seinem Anführer oder Scheich. Dieses kriegerische Völkchen lebte in Fehde mit allen Nachbarstämmen und war der Schrecken der Karawanen. Europäisch zu reden: mein seliger Großoheim, der fromme Visionär vom heiligen Berge Moria, ward Räuberhauptmann. In dieser schönen Gegend erwarb er auch jene Kenntnisse von Pferdezucht und jene Reiterkünste, womit er nach seiner Heimkehr ins Abendland so viele Bewunderung erregte.
An den verschiedenen Höfen, wo er sich lange aufhielt, glänzte er auch durch seine persönliche Schönheit und Stattlichkeit, sowie auch durch die Pracht der orientalischen Kleidung, welche besonders auf die Frauen ihren Zauber übte. Er imponierte wohl noch am meisten durch sein vorgebliches Geheimwissen, und niemand wagte es, den allmächtigen Nekromanten bei seinen hohen Gönnern herabzustürzen. Der Geist der Intrige fürchtete die Geister der Kabale.
Nur sein eigener Übermut konnte ihn ins Verderben stürzen, und sonderbar geheimnisvoll schüttelten die alten Muhmen ihre greisen Köpflein, wenn sie etwas von dem galanten Verhältnis munkelten, worin der ›Morgenländer‹ mit einer sehr erlauchten Dame stand, und dessen Entdeckung ihn nötigte, aufs schleunigste den Hof und das Land zu verlassen. Nur durch die Flucht mit Hinterlassung aller seiner Habseligkeiten konnte er dem sicheren Tode entgehen, und eben seiner erprobten Reiterkunst verdankte er seine Rettung.
Nach diesem Abenteuer scheint er in England einen sicheren, aber kümmerlichen Zufluchtsort gefunden zu haben. Ich schließe solches aus einer zu London gedruckten Broschüre des Großoheims, welche ich einst, als ich in der Düsseldorfer Bibliothek bis zu den höchsten Bücherbrettern kletterte, zufällig entdeckte. Es war ein Oratorium in französischen Versen, betitelt ›Moses auf dem Horeb‹, hatte vielleicht Bezug auf die erwähnte Vision, die Vorrede war aber in englischer Sprache geschrieben und von London datiert; die Verse, wie alle französischen Verse, gereimtes lauwarmes Wasser, aber in der englischen Prosa der Vorrede verriet sich der Unmut eines stolzen Mannes, der sich in einer dürftigen Lage befindet.
Aus dem Notizenbuch des Großoheims konnte ich nicht viel Sicheres ermitteln; es war, vielleicht aus Vorsicht, meistens mit arabischen, syrischen und koptischen Buchstaben geschrieben, worin sonderbar genug französische Citate vorkamen, z. B. sehr oft der Vers: Où l’innocence périt c’est un crime de vivre. Mich frappierten auch manche Äußerungen, die ebenfalls in französischer Sprache geschrieben; letztere scheint das gewöhnliche Idiom des Schreibenden gewesen zu sein.
Eine rätselhafte Erscheinung, schwer zu begreifen, war dieser Großoheim. Er führte eine jener wunderlichen Existenzen, die nur im Anfang und in der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts möglich gewesen; er war halb Schwärmer, der für kosmopolitische, weltbeglückende Utopien Propaganda machte, halb Glücksritter, der im Gefühl seiner individuellen Kraft die morschen Schranken einer morschen Gesellschaft durchbricht oder überspringt. Jedenfalls war er ganz ein Mensch.
Sein Charlatanismus, den wir nicht in Abrede stellen, war nicht von gemeiner Sorte … Wie dem auch sei, dieser Großoheim hat die Einbildungskraft des Knaben außerordentlich beschäftigt. Alles, was man von ihm erzählte, machte einen unauslöschlichen Eindruck auf mein junges Gemüt, und ich versteckte mich so tief in seine Irrfahrten und Schicksale, daß mich manchmal am hellen lichten Tage ein unheimliches Gefühl ergriff und es mir vorkam, als sei ich selbst mein seliger Großoheim und als lebte ich nur eine Fortsetzung des Lebens jenes längst Verstorbenen! In der Nacht spiegelte sich dasselbe retrospektiv zurück in meine Träume. Mein Leben glich damals einem großen Journal, wo die obere Abteilung der Gegenwart den Tag mit seinen Tagesberichten und Tagesdebatten enthielt, während in der unteren Abteilung die poetische Vergangenheit in fortlaufenden Nachtträumen wie eine Reihenfolge von Romanfeuilletone sich phantastisch kund gab.
In diesen Träumen identifizierte ich mich gänzlich mit meinem Großoheim und mit Grauen fühlte ich zugleich, daß ich ein anderer war und einer anderen Zeit angehörte. Da gab es Örtlichkeiten, die ich nie vorher gesehen, da gab es Verhältnisse, wovon ich früher keine Ahnung hatte, und doch wandelte ich dort mit sicherem Fuß und sicherem Verhalten.
Da begegneten mir Menschen in brennend bunten, sonderbaren Trachten und mit abenteuerlich wüsten Physiognomien, denen ich dennoch wie alten Bekannten die Hände drückte; ihre wildfremde, nie gehörte Sprache verstand ich, zu meiner Verwunderung antwortete ich ihnen sogar in derselben Sprache, während ich mit einer Heftigkeit gestikulierte, die mir nie eigen war, und während ich sogar Dinge sagte, die mit meiner gewöhnlichen Denkweise widerwärtig kontrastierten.
Dieser wunderliche Zustand dauerte wohl ein Jahr, und obgleich ich wieder ganz zur Einheit des Selbstbewußtseins kam, blieben doch geheime Spuren in meiner Seele. Manche Idiosynkrasie, manche fatale Sympathien und Antipathien, die gar nicht zu meinem Naturell passen, ja sogar manche Handlungen, die im Widerspruch mit meiner Denkweise sind, erkläre ich mir als Nachwirkungen aus jener Traumzeit, wo ich mein eigener Großoheim war –«
Wie sehr Heine mit diesen Zeilen recht hat, wußte er damals nicht, hat er auch niemals erfahren. Ein Leitmotiv seines Lebens: Er war oft weiser, sang und schrieb aus tieferen Seelengründen hervor, als sein Oberbewußtsein wahrhaben wollte. »Ach Gott! im Scherz und unbewußt sprach ich, was ich gefühlet« …
Die Identifizierung mit dem Großoheim, die Heine halb spielerisch vornahm, können wir heute genauer als er am Tatsächlichen nachprüfen. Denn das in hebräischer Sprache und mit hebräischen Lettern geschriebene Notizbuch, das er seiner mangelhaften Hebräischkenntnisse wegen nicht zu entziffern, ja nicht einmal der Sprache und den Schriftcharakteren nach zu agnoszieren vermochte, hat sich erhalten, wurde von David Kaufmann 1896 teilweise publiziert, übersetzt und kommentiert. Leider nur teilweise, wie so viele wichtige Quellenschriften zur Geschichte des jüdischen Geistes, wie – beispielsweise – auch Reubenis Reisejournal, das noch heute der kompletten Übersetzung harrt. Und wenn es schon zu einer Publikation kommt, in welcher Gesinnung findet sie dann statt! So ist auch Kaufmanns verdienstvoll fleißige Gelehrtenarbeit – »Aus Heinrich Heines Ahnensaal«, Breslau 1896 – entstellt durch philiströs höhnische Ausfälle gegen eine Artung, die dem Herrn in sein bürgerlich wohlanständiges Weltsystem nicht paßte, überdies aber auch durch übertrieben entzückte, in der jüdischen Historik leider vielfach übliche, salbungsvoll grabsermonhafte Töne den andern Vorahnen Heines gegenüber, die ein geregelteres Leben geführt haben als jener Großoheim. Kaufmann maßregelt ihn tüchtig, den Abenteurer, Kabbalisten, Weltmann, Künstler, Bettler und Lebensgenießer. Uns aber sieht der seltsame Mensch mit den naiv angstvollen Augen des Vorboten an; wir verlieben uns in seine schillernde Unglückseligkeit, die so viel von Heines Schicksal vorausnimmt.
In Nordafrika (außer Ägypten) ist er zwar allem Anschein nach nie gewesen, und auch von Reiterstückchen und der Führerschaft eines reubenihaft kriegerischen Judenstammes verlautet in dem Tagebuch nichts. Aber wild, ruhelos und umgetrieben genug stellt sich sein Leben dar, das in so vielen Zügen Familienähnlichkeit mit Heines Schmerzen und Wirren hat, – Ähnlichkeit bis in bestürzende Genauigkeit des Details hinein, so daß einem beim Vergleich die Macht der Abstammung, des Gesetzes »nach dem du angetreten«, der seelischen Erbschaft recht deutlich wird … Ich folge nun den von Kaufmann erforschten Daten: Simon von Geldern ist 1720 geboren als Sohn des Lazarus von Geldern, der sieben Jahre später zum Hoffaktor des Kurfürsten von Jülich-Berg in Düsseldorf ernannt wurde. Der Glanz der Familie, der angesehensten Judenfamilie in Düsseldorf, hat ihren Höhepunkt erreicht. Aber der erstgeborene Sohn – erstgeboren wie Heinrich Heine – schlägt aus der Art. Man gibt ihm die besten Lehrer, vom vierten Jahre an lernt er Talmud, mit vierzehn entläuft er der Schule in Frankfurt. Frankfurt war, wie bei Heine, seine erste Station in der Fremde. Ohne die Einwilligung der Eltern eingeholt zu haben, verläßt er Frankfurt mit einem Mitschüler, durchstreift Deutschland. Seine erste große Liebe gilt einer Cousine. Sie erscheint ihm später in Träumen. Eine Krankheit, Fiebervisionen; Versuche, sich im Geschäft des Vaters zu betätigen, schlagen fehl. Er hat nicht das Zeug zu einem echten »Liverantier-Juden« in sich. So wirft er sich, allerdings mit gleichem Mißerfolg, auf die Lottokollektion, ein Gewerbe, das Heine später in der Figur seines Hirsch Hyazinth verewigt hat. Es beginnen die Reisen. Das Ziel ist, wie bei Heine, der reiche Onkel, nur diesmal in Wien, nicht in Hamburg. Die Reiserouten haben eine merkwürdige Ähnlichkeit mit den späteren des Großneffen. Simon durchstreift Holland, geht nach London, dann über München nach Wien. Hier interessiert er sich hauptsächlich für die Oper, Komödien, Kaffeehaus, Spiel. Aber ein Zehntel seiner Einkünfte, die er aus Sprachstunden an vornehme Herrschaften, vor allem aber aus Unterstützungen der reichen Verwandten bezieht, legt er stets für Bücherkäufe zurück. Aus sybaritischem, doch auch angstvollem Wohlergehen (in sein Notizbuch schreibt er u. a.: »Ich habe gespielt, ich habe gesündigt, ich werde es nie wieder tun … Gulden 1.19 … In die Oper gegangen, ich habe gesündigt und bereue … Gulden 0.23 u. s. f.«) jagt ihn plötzlich Sehnsucht auf, er will eine Bußreise nach Palästina machen, damals ein sehr ungewöhnliches und gefährliches Unternehmen. Er sieht nun Italien, verweilt in Florenz. Von da an wird das, was dem Großneffen zeitlebens Versphantasie der »Hebräischen Melodien« geblieben ist, zur Realität. Über Livorno erreicht Simon Alexandria, den Hafen Akko, die Kabbalistenstadt Safed, in deren Felslandschaft ihn ein Eselchen trägt. Hier verweilt er in Studien und Gebet, aus dem Lebemann der Wiener Kaffeehaus- und Opernwelt ist ein Weiser geworden. 1751 ist das Jahr seiner Askese, seines frommen Einsiedlerlebens. Dann neue Reise, Ägypten, nochmals Safed, stürmische Überfahrt, die nach Smyrna führt. »Sein weltmännisches Wesen hatte ihm hier auch bei allen Konsulaten Eingang verschafft. Wiederholt sehen wir ihn beim französischen, englischen, schwedischen, holländischen Konsul und dessen Kanzler zu Besuche.« Saloniki, Konstantinopel. Zwischen Sofia und Nisch wird er von Räubern überfallen und seiner Barschaft beraubt. Der Weg geht über Belgrad, Ofen, Preßburg nach Wien zur reichen Verwandtschaft zurück. Doch jetzt kommt er als Sendbote aus dem Heiligen Land, der Achtung verlangt und findet, – bekannter Typ in den damaligen jüdischen Gemeinden, die solche wenn auch noch so lose Verbindung mit Palästina immer hochgehalten haben. Spendensammeln ist sein Beruf. In dieser Funktion zieht er nach Mähren, Böhmen, verweilt kurz in der Heimat am Rhein, sieht wieder London, geht nach Paris, dessen Sehenswürdigkeiten er besichtigt, nach Versailles, wo er, wenn man seinen Aufzeichnungen glauben darf, in türkischer Tracht der Marquise von Pompadour vorgestellt wird, wieder nach Paris, wo er den Oberbibliothekar der königlichen Bibliothek kennenlernt, nach Metz, wieder nach Deutschland, Dänemark, in Berlin wird er vom Premierminister Grafen Heinrich von Podewils und dessen liebenswürdiger Tochter empfangen, ferner vom Markgrafen Karl von Anspach, dem Schwager Friedrichs des Großen. Was den ahasverischen »Wandermüden« immer neu zum Aufbruch stachelt, können wir nicht enträtseln. 1756 begibt er sich zum zweitenmal nach Palästina. Auf der Fahrt wird das Schiff von Korsaren aufgebracht und geplündert, Simon verliert seinen ganzen Besitz an kostbaren Andenken, ja an Lebensmitteln. »In der Nacht auf Mittwoch den 6. Elul erschien ihm seine fromme Mutter. Freundliche Gestalten zogen an ihm vorüber, Tote und Lebende, sein verstorbener Onkel Emanuel von Geldern, dessen Tochter Freudchen, die er einst geliebt und die vielleicht seinem ganzen Leben eine andere Richtung gegeben hätte, wenn der Bund mit ihr nicht gehindert worden wäre. Er war wieder unter den Seinen, im Traume nur, aber so süß war noch im Wachen die Erinnerung, daß sie ihm Öl in die Wogen des Meeres goß und den Gewittersturm, der draußen das Schiff umtobte, zu beschwichtigen schien. In qualvollen Religionsdisputationen, die sein theologisch angehauchter und obendrein noch tauber Kapitän, sekundiert von zwei Geistlichen, ihm aufdrängte, vergingen die Tage. Seltsam kontrastiert mit dieser grimmigen Unterhaltung das idyllische Spiel mit einem jungen Wolf auf dem Schiffe, den der Kapitän aus der Berberei mitgebracht hatte. Aber es war kein messianischer Wolf, mit dem man auf die Dauer spielen konnte. Vielmehr mußte das Tier, da es seine Zähne zu brauchen anfing und bissig wurde, ins Meer geworfen werden« (Kaufmann). Wie viele Heine-Motive, vom Fliegenden-Holländer-Wind des Schnabelewopski-Fragments umblasen, klingen allein in diesen wenigen Zeilen an!
Mit dem Blick auf den Karmel bricht dies Buch von »Reisebildern« ab. Aber einige Jahre später ist Simon de Geldern in den Pariser Polizeiberichten als »Aventurier« bezeichnet. »Rabbiner und Aventurier« zugleich, heißt es da. Dann finden wir ihn in Amsterdam, Mannheim, Hannover, 1763 in Prag, 1764 in Ungarn, in Hildesheim, Dessau, Leipzig, Dresden und nochmals in London. Er stirbt, 54 Jahre alt, im Elsaß. Außer dem von Heine erwähnten Oratorium, dessen richtiger Titel »The Israelites on mount Horeb« lautet, hat er ein seltsames Buch veröffentlicht, die Zeugnisse und Empfehlungen, die man ihm als frommem Sendboten mitgegeben hat. Ein Exemplar des Druckes – mit handschriftlichen Eintragungen – befindet sich in der Amsterdamer Stadtbibliothek.
Aus Simon von Gelderns an vielen Stellen der Welt verstreutem Nachlaß, aus Briefen, Konzepten, Zetteln und Listen hat Fritz Heymann das Hauptkapitel seines zündend farbenreichen Buches »Der Chevalier von Geldern« (Querido Verlag, Amsterdam 1937) komponiert, dem ich weitere aufschlußreiche Ergänzungen über diesen Ahnherrn Heines verdanke. Als die zwei ersten Auflagen meines Heine-Buches erschienen, standen Heymanns Forschungen noch nicht zur Verfügung. – Mit Recht vergleicht der geistreiche Autor den Abenteurer Simon von Geldern mit Casanova. Nur hat jener weniger Glück gehabt. In Palästina wird er diesmal (1757) ins Gefängnis geworfen, kommt wieder nach Italien, verliert im Pharao all sein Geld, das er bei Juden und Christen gesammelt hat, nimmt in Paris an einem Hofkonzert in den Tuilerien teil, erblickt sogar Ludwig XV., (als einer seiner jüdischen Freunde wird ein Mardoché Ravel genannt), er lebt vom Glücksspiel und Bücherhandel, verkehrt mit Spekulanten und Charlatanen, kommt nach Köln, endlich nach Düsseldorf ins Elternhaus zurück. Von da geht er in den Haag, der damals Treffpunkt aller politischen Geheimagenten war. Einmal ist er Gast und Diskussionspartner Voltaires in Les Délices. Auch hier die Parallele mit Casanova. Später pumpt er Voltaires Bankier vergeblich an. Immer wieder sucht er erfolglos einen passenden Beruf, seien es diplomatische Dienste, bibliothekarische Arbeit, Sprachstunden oder kabbalistische Prophezeiungen. Aus Wien wird er durch die Sittenkommission der Kaiserin Maria Theresia ausgewiesen, in Preßburg eingesperrt. Eine dritte Reise ins Heilige Land erweist sich abermals als Fehlschlag. Pest, Hungersnot, Völkerhaß verwüsten Palästina. Aber der Rat eines braven Vetters, die phantastische Tracht abzulegen und ein bürgerliches Leben zu beginnen, wird allen Enttäuschungen zum Trotz verschmäht. Er erlebt »Zeichen und Wunder«, wird von Arabern überfallen, bleibt am Leben, gebärdet sich dann als Frommer, als reuiger Sünder. Er will über Aleppo, Basra nach Indien gelangen. Da warnt ihn der dänische Forscher Niebuhr, der eben aus der Wüste zurückkehrt, wo er vier Kameraden seiner gelehrten Expedition verloren hat. Simon kehrt um. – In zwanzig Jahren weiterer Wanderungen, nun in Europa, sind ihm neben vielerlei bitteren Erfahrungen auch noch einige gute Tage bestimmt. In Wolfenbüttel ist er nahe daran, Bibliothekar zu werden. Ein anderer wird ihm mit Recht vorgezogen: Lessing. Er ist Lehrer an einer englischen nicht-jüdischen Boardingschool in London, läßt seine biblische Di...

Inhaltsverzeichnis

  1. Umschlag
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Vorwort (Anne Weber)
  6. Heinrich Heine. Biographie
  7. Nachwort (Gerhard Kurz)
  8. Editorische Notiz
  9. Über den Autor
  10. Max Brod. Ausgewählte Werke im Wallstein Verlag