Nazi-Jagd
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Nazi-Jagd

Südamerikas Diktaturen und die Ahndung von NS-Verbrechen

  1. 430 Seiten
  2. German
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Nazi-Jagd

Südamerikas Diktaturen und die Ahndung von NS-Verbrechen

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Über dieses Buch

Südamerika wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zum Fluchtpunkt zahlreicher NS-Verbrecher und Kollaborateure. Es gab jedoch bald vielseitige Bemühungen, die Justizflüchtigen aufzuspüren und sie vor Gericht zu bringen.Daniel Stahl nimmt die Akteure dieser "Nazi-Jagd" - Privatpersonen, nichtstaatliche und staatliche Institutionen- in den Blick. Er zeigt, dass die Nazi-Jagd nicht allein als Nachgeschichte des Nationalsozialismus zu verstehen ist, die den Wandel im Umgang mit NS-Verbrechen widerspiegelte und gleichzeitig vorantrieb. Sie wurde auch zum Bestandteil der Auseinandersetzung mit der Repression durch autoritäre Regime in Südamerika: Dissidenten und Menschenrechtsaktivisten gingen davon aus, dass die justizflüchtigen NS-Täter und Kollaborateure auch nach 1945 im Dienste südamerikanischer Diktatoren an staatlichen Gewaltverbrechen beteiligt waren, und unterstützten die Bemühungen zu ihrer Ergreifung. Die Nazi-Jagd wird deshalb als eine Geschichte von Wechselwirkungen zwischen der Ahndung von NS-Verbrechen und dem Umgang mit der Repression durch südamerikanische Regime erzählt: als Teil transnational verflochtener Auseinandersetzungen mit staatlich veranlassten Gewaltverbrechen.

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Information

Verlag
Wallstein
Jahr
2013
ISBN
9783835324251

III. Nazi-Jagd als Regimekritik

Im Spielfilm Manhunt, der die Jagd auf Klaus Barbie schildert, den ehemaligen Chef der Sipo-SD von Lyon, findet sich ein interessanter Szenenwechsel. Gezeigt wird, wie Beate und Serge Klarsfeld, die maßgeblich an den Bemühungen zur Ergreifung Barbies beteiligt waren, in einem französischen Archiv auf ein Dokument stoßen. Es handelt sich um ein Telegramm, mit dem der ehemalige SS-Mann seine Vorgesetzten im April 1944 über die Deportation von 41 Kindern aus einem jüdischen Waisenheim in Izieu, Südfrankreich, informiert hatte. Nach einer Nahaufnahme des Dokuments folgt ein Schnitt, und zu sehen sind zwei schlafende Kinder. Plötzlich wird die Tür zu ihrem Zimmer aufgerissen und ein Kommando der Polizei von La Paz – wohin Barbie sich 1951 geflüchtet hatte – weckt sie unsanft und zerrt sie mitsamt ihrer Familie ins Wohnzimmer, wo der Anführer des Kommandos seine Pistole auf eines der beiden Kinder richtet.
Die Macher des Films, der 2007 in die Kinos kam, waren nicht die Ersten, die einen Zusammenhang zwischen den in Europa begangenen Verbrechen justizflüchtiger NS-Täter und der Repression unter den südamerikanischen Diktaturen zu sehen meinten. Schon 1972, als Barbies Entdeckung weltweit für Schlagzeilen sorgte, machten Meldungen die Runde, die ihn als Drahtzieher des Putsches sahen, der den deutschstämmigen Diktator Hugo Banzer in Bolivien an die Macht gebracht hatte. Auch wurde berichtet, das bolivianische Regime habe Barbie zum Fachberater für Verhörmethoden ernannt. Für Juan José Torres, den 1971 vor Banzers Diktatur ins Ausland geflüchteten ehemaligen Präsidenten Boliviens, war der Grund für Barbies Aufenthalt im Andenstaat deshalb offensichtlich: »Es verwundert mich nicht, dass die bolivianische Regierung den Folterknecht und Kriegsverbrecher Klaus Barbie beschützt. Diese Haltung entspricht der Logik des Systems. Derselbe Faschismus, der gestern das französische Volk in die Sklaverei führen wollte, unterdrückt heute das bolivianische Volk – zwar sind die Umstände andere, die Methoden aber sind dieselben.«1
Auf den Banzer-Putsch in Bolivien folgten 1973 in Chile der Putsch gegen Salvador Allende und die Errichtung einer Diktatur in Uruguay. In Argentinien setzte sich 1976 nach einem dreijährigen zivilen Intermezzo wieder eine Militärjunta an die Spitze des Staates. Da in Brasilien und Paraguay schon seit geraumer Zeit Militärs an der Macht waren, befand sich der südamerikanische Kontinent nun fast flächendeckend in der Hand von Rechtsdiktatoren. Barbie blieb nicht der einzige NS-Täter, der in den Verdacht geriet, mitverantwortlich für die Unterdrückungsmaßnahmen der Juntas zu sein. Die Justizflüchtigen beschäftigten schon bald nicht mehr nur Wiesenthal, Klarsfeld oder die deutsche Justiz, sondern auch politische Dissidenten und Menschenrechtler, die die Repression in Südamerika anprangerten.
Parallel zur Etablierung rechter Diktaturen in Südamerika gewann die Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen immer mehr an Bedeutung. Zu Beginn der siebziger Jahre setzte in Frankreich eine Debatte über die Zeit des Zweiten Weltkriegs ein, die deutlich machte, wie aktiv sich das Vichy-Regime an den Verbrechen der Nationalsozialisten beteiligt hatte. Auch die jahrelang gepflegte Vorstellung, die meisten Franzosen hätten sich den deutschen Besatzern widersetzt, geriet immer mehr ins Wanken.2 Zur selben Zeit begannen die amerikanischen Juden dem Gedenken an den Judenmord einen größeren Stellenwert beizumessen. Es gelang ihnen, dem Thema auch über die Grenzen jüdischer Institutionen hinaus Bedeutung zu verleihen und es zum Teil der amerikanischen Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg zu machen.3 Angestoßen durch die in den Vereinigten Staaten produzierte Fernsehserie Holocaust, erfuhr der Judenmord seit Ende der siebziger Jahre auch in zahlreichen weiteren europäischen Staaten eine vorher nie dagewesene Beachtung.4
Welche Folgen hatten die allmählich einsetzende Internationalisierung der Erinnerung an NS-Verbrechen und die zeitgleich sich vollziehende Etablierung rechter Diktaturen in Südamerika für die Nazi-Jagd? Wie kam es, dass die justizflüchtigen NS-Täter zu einem Thema wurden, das über die reine Beschäftigung mit der NS-Vergangenheit hinaus Relevanz erlangte und auch im südamerikanischen Kontext politisiert wurde?
1 Zitiert nach Klarsfeld: Barbie-Altmann, S. 55 (Originallaut im Anhang).
2 Vgl. Rousso: Syndrome, S. 98-216; Wolf: Harnessing, S. 62-71.
3 Vgl. Novick: Holocaust, S. 195-263.
4 Für einen kurzen Überblick über die Internationalisierung des Holocaust-Gedenkens siehe Eckel/Moisel: Einleitung.

1. Wiederholungstäter im Dienste südamerikanischer Diktaturen

Klaus Altmann war für die Mitarbeiter der deutschen Botschaft in La Paz kein angenehmer Zeitgenosse. Bei seinen Besuchen im Deutschen Club, zu dessen Stammgästen auch das Botschaftspersonal gehörte, pflegte er aus seiner ungebrochenen Sympathie für den Nationalsozialismus keinen Hehl zu machen und scheute auch nicht davor zurück, Botschaftsangehörige mit »Heil Hitler« zu begrüßen. Solches Verhalten eines Deutschen in Südamerika war spätestens seit der Ergreifung Eichmanns höchst suspekt. Als jüdische Emigranten immer häufiger zur Zielscheibe seiner Pöbeleien und Drohungen wurden5 und die Kritik an seinem Verhalten kaum noch zu überhören war, befassten sich die westdeutschen Diplomaten Anfang 1965 genauer mit seiner Vergangenheit. Der mit den Recherchen befasste Botschaftsmitarbeiter brachte in Erfahrung, dass Altmann während des Krieges bei der SS gewesen sein sollte und in Südfrankreich Spione festgesetzt habe. »Von Verbrechen ist nichts bekannt geworden«, notierte er. Bolivianische Behörden teilten ihm mit, dass Altmann im Mai 1951 in Bolivien eingereist war und seit 1957 die bolivianische Staatsbürgerschaft hatte.6 Der Botschafter Günter Motz konnte sich nicht so recht entscheiden, was mit dieser Information anzufangen sei. Das »Einfangen von Spionen« sei kein Verbrechen, Konkretes liege nicht vor. »Man könnte: nichts tun, Foto nach Bonn schicken, dem Amt die kursierenden Gerüchte berichten und ein Rechtshilfeersuchen anheim stellen, die beiden letzten Punkte verhindern.«7
Nach Rücksprache mit seinem Stellvertreter entschied Motz, gar nichts zu tun. Er meinte, das eigentliche Problem gelöst zu haben: Nach einer Beschwerde hatte sich Altmann aus dem Club zurückgezogen. Ein paar Monate später erfuhr der Botschafter jedoch, dass er sich mithilfe seiner zahlreichen Freunde wieder hatte aufnehmen lassen. Erneut wandte Motz sich an den Vorstand und erklärte: »Inzwischen ist die Angelegenheit wieder so weit, dass sie kein Ruhmesblatt für den Deutschen Klub ist.« Altmann habe bei einer Gelegenheit dem Stellvertreter Motz’, der mit seinem amerikanischen Kollegen das klubeigene Lokal aufsuchte, zugerufen: »Da sitzt der Geschäftsträger der Botschaft mit seinen jüdischen Freunden.«8 Altmann reagierte aggressiv auf den erneuten Versuch, ihn aus dem Verein zu entfernen. Er drohte den Vorstandsmitgliedern nicht nur mit Gerichtsprozessen wegen Verleumdung, sondern auch damit, ihnen mithilfe seiner Verbindungen zur Regierung die Geheimpolizei auf den Hals zu hetzen und wirtschaftliche Nachteile zu verursachen. Bei Motz erschien er persönlich und drohte Konsequenzen an, falls man weiter gegen seine Mitgliedschaft vorgehen werde. »Man wisse doch sehr gut, wessen die deutsche Kolonie fähig sei.«9
Das alles waren nicht die leeren Drohungen eines Hochstaplers. Seit 1964 das Militär an die Macht gekommen war, verfügte Altmann über gute Beziehungen zu Regierungskreisen. Einem internen Bericht des bolivianischen Innenministeriums aus dem Jahr 1982 zufolge sahen die Militärs in ihm einen wertvollen Berater in Sachen Partisanenbekämpfung. Mitte der sechziger Jahre soll er die Armee in ihrem Kampf gegen die Guerilla Ernesto »Che« Guevaras beraten haben.10 Ähnliches geht aus einem Brief hervor, den einer seiner Freunde Ende der sechziger Jahre schrieb und in dem es hieß, Altmann werde »von den Militärs als bewährter Berater sehr geschätzt«.11 Seine Tätigkeit verschaffte ihm prominente Bekannte. Zu seinem Freundeskreis gehörten mit Alfredo Ovando12 und René Barrientos13 die beiden Präsidenten, die zwischen 1964 und 1971 die Geschicke Boliviens lenkten. Darüber hinaus unterhielt er freundschaftliche Beziehungen zum Geheimdienstchef und zum Innenminister.14 Mithilfe seiner Beziehungen gelang es ihm, zum Geschäftsführer des prestigeträchtigen Projekts Transmaritima ernannt zu werden, das den Aufbau einer bolivianischen Handelsflotte zum Ziel hatte. In Bolivien, das in zwei Kriegen seinen Zugang zum Meer verloren hatte, verfügte dieses in Kooperation zwischen Regierung und Privatwirtschaft verfolgte Projekt über einen hohen symbolischen Wert: Es verkörperte den Anspruch, den der Andenstaat nach wie vor auf das Meer zu haben meinte. Seine guten Kontakte zu hochrangigen Regierungsleuten ließen selbst den amerikanischen Geheimdienst auf Altmann aufmerksam werden. Ein Informant aus La Paz empfahl, ihn als Quelle zu gewinnen. Doch die CIA wusste über die Vergangenheit des Deutschen Bescheid – schließlich hatte sie ihm die Flucht aus Europa ermöglicht. Um Probleme zu vermeiden, verzichtete sie auf seine Verwendung.15
Angesichts der einflussreichen Beziehungen Altmanns entschied sich der Botschafter nun doch, die Bonner Zentrale einzuschalten: Nach »bekanntgewordenen Äußerungen von Herrn Altmann gegenüber verschiedenen Mitgliedern der deutschen Kolonie« führe er einen falschen Namen, »vermutlich um sich vor irgendwelchen Nachforschungen zu schützen«. Früher solle er den Namen Engel oder Engels geführt haben. Über die »während des Krieges möglicherweise begangenen Straftaten« könnten keine konkreten Angaben gemacht werden. Einige seiner Äußerungen ließen jedoch darauf schließen, »daß er als Mitglied der SS im höheren Offiziersrang insbesondere in Frankreich tätig gewesen« sei. Nach einer Schilderung von Altmanns unerfreulichem Verhalten schloss Motz seinen Bericht mit der Bitte, festzustellen, »ob und gegebenenfalls welche Unterlagen bei der Zentralstelle zur Verfolgung von Kriegsverbrechen in Ludwigsburg oder sonstigen in Frage kommenden Behörden über Herrn Altmann vorhanden« seien. In Bolivien gehe das Gerücht um, er »werde in Frankreich wegen begangener Kriegsverbrechen steckbrieflich gesucht«. Auch über seine Frau sollten Nachforschungen angestellt werden, da sie »angeblich während des Krieges bei Euthanasieaktionen beteili...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Einleitung
  6. I. Das »Vierte Reich«
  7. II. Nazi-Jagd gegen Widerstände, Fahndung unter Vorbehalt
  8. III. Nazi-Jagd als Regimekritik
  9. IV. Zweierlei Umgang mit staatlichen Gewaltverbrechen
  10. Schluss
  11. Dank
  12. Spanischsprachige Zitate
  13. Überblick über wichtige Fahndungs- und Auslieferungsverfahren
  14. Quellen und Literatur
  15. Abkürzungen
  16. Personenverzeichnis