Wirtschaftsverbrechen
eBook - ePub

Wirtschaftsverbrechen

und andere Kleinigkeiten

  1. 148 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub

Wirtschaftsverbrechen

und andere Kleinigkeiten

Angaben zum Buch
Buchvorschau
Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Der Mainstream der historischen Forschung schildert die Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft als Ergebnis von Aufklärung, bürgerlichem Fleiß und technologischem Fortschritt, eines Aufbruchs kühner Denker aus der Finsternis religiöser Dogmen.Gerd Bedszent zeigt in seinem Buch anhand mehrerer Beispiele, wie der Kapitalismus seine Wurzeln aber auch in unverblümtem Diebstahl von Gemeineigentum, in der Zerschlagung vorhandener Wirtschaftsstrukturen, in brutaler Enteignung und Ausrottung vormodern lebender Völkerschaften hat. Und wie die Konstituierung bürgerlicher Nationalstaaten stets von räuberischer Enteignung, von Zwangsarbeit, Krieg und Massenmord begleitet war.Der Autor schildert außerdem anhand einer Reihe bekannter oder auch weniger bekannter Fälle von krimineller Bereicherung aus Gegenwart und jüngerer Vergangenheit, wie diverse Glücksritter und Mafiosi sich weitgehend ungestört aus öffentlichem Eigentum und dem Privatbesitz der Bevölkerung bedienen.

Häufig gestellte Fragen

Gehe einfach zum Kontobereich in den Einstellungen und klicke auf „Abo kündigen“ – ganz einfach. Nachdem du gekündigt hast, bleibt deine Mitgliedschaft für den verbleibenden Abozeitraum, den du bereits bezahlt hast, aktiv. Mehr Informationen hier.
Derzeit stehen all unsere auf Mobilgeräte reagierenden ePub-Bücher zum Download über die App zur Verfügung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die übrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Mit beiden Aboplänen erhältst du vollen Zugang zur Bibliothek und allen Funktionen von Perlego. Die einzigen Unterschiede bestehen im Preis und dem Abozeitraum: Mit dem Jahresabo sparst du auf 12 Monate gerechnet im Vergleich zum Monatsabo rund 30 %.
Wir sind ein Online-Abodienst für Lehrbücher, bei dem du für weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhältst. Mit über 1 Million Büchern zu über 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nächsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja, du hast Zugang zu Wirtschaftsverbrechen von Gerd Bedszent im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten Büchern aus Economía & Economía política. Aus unserem Katalog stehen dir über 1 Million Bücher zur Verfügung.

Information

Jahr
2017
ISBN
9783939816478

Zu treuer Hand

„Umsonst! Glück im Übermaß! Kommt alle her, es reicht für jeden! Niemand soll erniedrigt von hier fortgehn!“
Arkadi und Boris Strugazki, Picknick am Wegesrand
Als am 3. Oktober 1990 die DDR ihre Existenz beendete, war bei der Bevölkerungsmehrheit des größer gewordenen Staates Begeisterung angesagt. Zu Ehren des neugeschaffenen Feiertages gab es eine gigantischen Fress- und Sauforgie, begleitet von frenetischem Jubel und ausgiebig geschwenkten Deutschlandfahnen. Helmut Kohl (CDU) ließ sich als „Kanzler aller Deutschen“ feiern, hisste um Mitternacht gemeinsam mit dem damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker (CDU) und dem scheidenden DDR-Ministerpräsidenten Lothar de Maizière (CDU) eine überdimensionierte schwarz-rot-goldene Flagge. Leute, die sich der bewusst geschürten Begeisterung verweigerten, wurden verlacht oder beschimpft. Dabei war zu diesem Zeitpunkt schon völlig klar, dass im Hintergrund des nationalen Taumels eine gigantische Welle krimineller Enteignung und Arbeitsplatzvernichtung lief. Wie Robert Kurz damals schrieb, organisierte „eine Zunft von Aasgeiern das Sterben einer ganzen Volkswirtschaft“ (Kurz 1993/2, S. 116). Dies nannte sich Privatisierung. „Privatio“ kommt aus dem Lateinischen und kann als „Beraubung“ übersetzt werden.

Planwirtschaft contra Markt?

Schwerpunkt dieses Beitrages sind die räuberische Bereicherung und die kriminellen Aktivitäten zwischen 1990 und 1994 im Osten Deutschlands. Auf eine in diesem Zusammenhang eigentlich erforderliche Analyse der gesamten osteuropäischen Wirtschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts wird aus Platzgründen verzichtet. Zum besseren Verständnis aber so viel: Die sowohl von Seiten der politischen Linken wie auch der Rechten jahrzehntelang intensiv gepflegte Unterscheidung zwischen „kapitalistischer“ Privatwirtschaft und „sozialistischer“ Planwirtschaft war in Wirklichkeit so gravierend nicht. Robert Kurz hat schon im Jahre 1991 darauf hingewiesen, dass die realsozialistische Ökonomie alle Grundkategorien des Kapitals (Lohn, Preis und Profit) und auch „das Basisprinzip abstrakter Arbeit“ einfach nur übernommen hatte (Kurz 1991, S. 20). Freilich waren in das System auch maßgebliche sozialstaatliche Regularien eingebaut. Diese wurden nun rabiat heruntergefahren.
Der wirtschaftliche Sonderweg Osteuropas im 20. Jahrhundert wurde entscheidend durch den russischen Revolutionsführer Wladimir Uljanow (Lenin) geprägt. Im Bestreben, das durch zaristische Misswirtschaft, Weltkrieg und Revolutionswirren heruntergekommene Riesenreich schnellstmöglich an die westliche Moderne heranzuführen, empfahl er, die gesamte Volkswirtschaft nach dem Vorbild des Beamtenapparates der Post durchzuorganisieren (Lenin 1980, S. 324f.). Bei den von Lenin und seinen Nachfolgern dann mit Brachialgewalt aus dem Boden gestampften Industriegiganten handelte es sich ausschließlich um staatseigene Unternehmen. Deren Produktion unterlag einer zentralen Reglementierung durch Planungsbehörden. Mit Hilfe eines staatsfinanzierten Aufbauprogrammes stieg die Sowjetunion binnen relativ kurzer Zeit von einem zurückgebliebenen, halbkolonial ausgeplünderten Agrarstaat zu einer der führenden Wirtschaftsmächte des 20. Jahrhunderts auf.
Die in der Sowjetunion und ihren Randstaaten praktizierte Ökonomie wird meist als Planwirtschaft bezeichnet. In einem 1990 erschienenen bundesdeutschen Hochschullehrbuch heißt es allerdings präzisierend: „Diese Bezeichnung ist missverständlich, da in jeder Wirtschaft geplant werden muss. Die Frage ist allein, wer plant und was geplant wird. […] Die zentrale Lenkung des Wirtschaftsprozesses scheint zwar eine relativ einfache Konzeption […], ist jedoch in der Praxis äußerst schwer zu handhaben. […]“ (Woll 1990, S. 67f.). Auch das in den osteuropäischen Volkswirtschaften lange Zeit vorherrschende staatliche Eigentum („Volkseigentum“) an Produktionsanlagen und das staatliche Außenhandelsmonopol war nichts Neues. Die gesamte Frühphase des Kapitalismus in den heutigen westlichen Industriestaaten wurde von wirtschaftlichen Aktivitäten des Staates (Etatismus) entscheidend geprägt. Die aufgeklärten Monarchien des Spätabsolutismus, die Übergangsregimes der englischen und französischen Revolution und die bonapartistischen Diktaturen an der Schwelle zur entwickelten bürgerlichen Gesellschaft unterschieden sich nur in unbedeutenden Details voneinander. Die sozialistischen Ökonomen hatten das Prinzip staatlicher Lenkung lediglich ideologisiert und auf die Spitze getrieben.
In der Entwicklung hin zum Kapitalismus versuchten Zuspätkommer immer wieder, den Vorsprung der westlichen Nationalökonomien aufzuholen. Das ging nur mittels staatsfinanzierter und repressiv durchgesetzter Aufbauprogramme. Im kaiserlichwilhelminischen Deutschland, damals auch ein solcher Zuspätkommer, dominierten noch am Vorabend des Ersten Weltkriegs die im Staatsbesitz befindlichen Unternehmen einen Großteil der Wirtschaft: Energieversorgung, Metallurgie und Teile des Bankwesens (Mottek/Becker/Schröter 1974, S. 257). Unternehmen wie die Deutsche Reichsbahn oder die Deutsche Post, deren Geschäft im Betreiben nationalstaatlicher Infrastruktur bestand, befanden sich natürlich ebenfalls im Staatsbesitz – aus ihren Einnahmen wurden zudem wesentliche Teile der öffentlichen Haushalte bestritten. Erst mit dem Durchmarsch des Neoliberalismus in den 1970er Jahren begann eine neue Generation von Ökonomen, Hand an diese staatseigene Infrastruktur zu legen.
Robert Kurz schrieb in seinem 1999 erschienenen „Schwarzbuch Kapitalismus“: „Es kann gar keinen Zweifel geben, dass der totalitäre Markt, wie wir ihn als Bedingung und Funktionssphäre des Kapitalismus kennen, den totalitären Staat der absolutistischen Regimes und seine bürokratischen Apparate zum Vater hat“ (Kurz 1999, S. 33). Zur ideologischen Wende vom Staatsabsolutismus hin zum klassischen Liberalismus des 19. Jahrhunderts meinte er, dass es sich „bloß um einen Vatermord innerhalb derselben historischen Konstellation (handelte), nicht um einen Wesensunterschied“ (Kurz 1999, S. 34f.).
Unter anderem um eine Fortsetzung dieses „Vatermordes“ handelte es sich auch bei den erbitterten Feldzügen bürgerlicher Ideologen gegen die ab 1917 unter sozialistischem Vorzeichen unternommenen Modernisierungsversuche in Osteuropa, später auch in verschiedenen Regionen Asiens, Afrikas und Lateinamerikas. Wobei es sich aus Sicht der Liberalen bei diesen Regimes um einen Rückfall in ihre eigene, als barbarisch empfundene staatskapitalistische Vergangenheit handelte. Die insbesondere in der frühen Sowjetunion unternommenen äußerst brutalen Säuberungen der Staatspartei und der Staatsbürokratie von politischen Abweichlern bezogen ja ihre Legitimation ganz offen aus den bürgerlichen Revolutionsregimes des späten 18. Jahrhunderts. Und da die unter sozialistischem Vorzeichen agierenden Regierungen sich nicht scheuten, bereits im Privatbesitz befindliche Unternehmen zu verstaatlichen, drehten sie aus liberaler Sicht das Rad der Geschichte rückwärts.
Dass die Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft insgesamt gesehen auf gigantischen Raubzügen am Gemeineigentum beruhte, wurde bei diesen Auseinandersetzungen komplett ausgeblendet. Und auch, dass selbst marktradikale Hardliner in Krisensituationen regelmäßig nach wirtschaftlichen Eingriffen des Staates schreien. So geschehen beispielsweise Anfang der 1930er Jahre, als die kapitalistische Ökonomie weltweit in eine gigantische Überproduktionskrise hineinschlitterte. Die damaligen Rettungsmaßnahmen erfolgten auf höchst unterschiedliche Weise – in den USA unter Präsident F. D. Roosevelt wurde mittels eines staatfinanzierten Wohlfahrtsprogrammes eine künstliche Nachfrage erzeugt und der Wirtschaftskreislauf dadurch wieder angekurbelt. Im Deutschen Reich unter Kanzler Adolf Hitler erfolgte die Krisenbewältigung stattdessen durch kreditfinanzierte Hochrüstung.
In Gestalt der Theorien des britischen Ökonomen John Maynard Keynes dominierte der Staatsinterventionismus dann jahrzehntelang die westlichen Universitäten. Die Entscheidung im Konkurrenzkampf zwischen den entwickelten westlichen Ökonomien und den Newcomern in Osteuropa fiel in den 1970er Jahren. Im Zuge der damaligen Krise kam es zur Ablösung der Ideologie des Keynesianismus durch den Neoliberalismus. Entsprechend dieser neoklassischen Lehre galt eine wirtschaftliche Intervention des Staates nun generell als schädlich, Sozialprogramme als Anreiz zur Faulheit. Das Kapital begann, den verbliebenen staatlichen Sektor der jeweiligen Volkswirtschaft gezielt aufzufressen. Dies funktionierte natürlich nur bedingt, da Kapitalismus vom Grundsatz her der ordnenden Funktion bürgerlicher Staatsgewalt bedarf. Der Marktradikalismus war demzufolge stets eine Mogelpackung. Selbst unter stramm neoliberalen Regierungen wurden in Krisensituationen klammheimlich schuldenfinanzierte Stabilisierungsprogramme aufgelegt – Robert Kurz bezeichnete solche staatlichen Eingriffe in als frei geltendes Marktgeschehen als „etatistischen Hyperkeynesianismus“ (Kurz 1991, S. 237).
In Osteuropa verlief die Entwicklung anders. Da die damals noch in der Aufbauphase steckende Sowjetunion von der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahren kaum betroffen war, hatten ihre Ökonomen zunächst angenommen, eine Planwirtschaft kenne keine Krisen. Im Zuge der zunehmenden Integration der sozialistischen Ökonomien in den Weltmarkt erwies sich dies als Irrtum. Die bereits angeschlagenen, durch den aufgezwungenen Rüstungswettlauf geschwächten osteuropäischen Volkswirtschaften verfielen nach Abschluss der Periode rein extensiven Aufbaus von Industrieanlagen in eine Phase der Stagnation und verpassten so den Anschluss an die nächste, auf der Technologie der Mikroelektronik beruhende Modernisierungswelle. Damit war ihr Schicksal – langfristig gesehen – besiegelt. Robert Kurz schrieb dazu ein bitteres Fazit „Was eine postbürgerliche Zukunftsgesellschaft versprach, entpuppte sich als vorbürgerliches, steckengebliebenes Fossil.“ (Kurz 1991, S. 21).

Ende eines Großreichs

Ab Anfang der 1980er Jahre war der Mehrheit der realsozialistischen Wirtschaftsfunktionäre Osteuropas wohl klar, dass es vorbei war, dass sie den ökonomischen Wettlauf verloren hatten und sich mit einer Rolle als Zulieferer für die stärkeren westlichen Volkswirtschaften begnügen mussten. Für die sozialistischen Eliten galt nun als anzustrebendes Ziel, möglichst reich im Kapitalismus anzukommen. Und die einzige Möglichkeit dazu war, sich rücksichtslos aus der Konkursmasse des steckengebliebenen Modernisierungsversuchs zu bedienen. Innerhalb der sowjetischen Gesellschaft bildeten sich nach und nach mafiöse Seilschaften heraus. Die zunehmende Verstrickung auch hoher Funktionäre in illegale Geschäftemacherei sorgte zudem für einen moralischen Verfall der Gesellschaft.
Michail Gorbatschow, damals Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU), wurde zum Sprachrohr einer aufsteigenden Schicht von Neureichen, die sich aus den neoliberalen Denkfabriken des Westens ideologisch aufrüsteten. Während in weiten Teilen der Welt immer noch Stellvertreterkriege tobten und Intellektuelle in Ost und West von einer Demokratisierung des Sozialismus und einer ökologischen Umgestaltung der Industriegesellschaft träumten, fassten in den osteuropäische Universitäten zunehmend marktradikale Denkansätze Fuß.
Der grandios gescheiterte Putschversuch einer Handvoll Operettenstalinisten vom August 1991 lieferte der neuen Elite Anlass, mit den als überflüssig empfundenen Rudimenten des Sowjetsystems Schluss zu machen. Der zwischen den verschiedenen Mächtegruppen lavierende Generalsekretär Gorbatschow wurde entmachtet; sein Nachfolger Jelzin gab das Startsignal für eine neoliberale Umgestaltung der osteuropäischen Gesellschaften.
Die neuen Eliten begnügten sich zunächst mit der Aufteilung der profitträchtigen Filetstücke der sowjetischen Volkswirtschaft – also der Großunternehmen in den osteuropäischen Kerngebieten des Riesenreichs sowie der sibirischen Rohstofflager.
Mit der – von den meisten Zeitgenossen als geostrategisch unsinnig empfundenen – Auflösung der Sowjetunion in Teilrepubliken wurden die bisher von finanziellen Umverteilungen der Moskauer Zentrale profitierenden ärmeren Teilrepubliken „abgehängt“; diese mussten zusehen, wie sie künftig allein über die Runden kamen. Die Staatsausgaben wurden radikal heruntergefahren. Eine massive Verarmung der Bevölkerung nahm man dabei bewusst in Kauf. Große Teile der in der Modernisierungsphase unter dem Einsatz unzähliger Zwangsarbeiter aus dem Boden gestampften Infrastruktur ließ man aus Kostengründen einfach wieder verfallen; in Sibirien und im Fernen Osten räumte man zahlreiche Ortschaften komplett und ließ ihre Bausubstanz verrotten.
Die Folgen der Budgetkürzungen trafen auch das Militär. Zu den Absurditäten der damaligen Zeit gehört, dass gerade infolge der rasant betriebenen einseitigen Abrüstung die Welt knapp an einer atomaren Katastrophe vorbeischrammte. Mehrmals geisterten in den 1990er Jahren Meldungen durch die Weltpresse, russische Generäle wären aus Geldmangel nicht mehr in der Lage, die von ihnen kontrollierten Massenvernichtungswaffen zu warten und zu unterhalten.
Die bisherigen Gegner in Westeuropa stellte die russische Führung ganz einfach dadurch ruhig, dass sie ihnen die bisherigen Randstaaten zum Fraße vorwarf; die dort stationierten Truppen wurden zurückgezogen. Faktisch kam es zu einer Aufteilung der Beute zwischen Diebesbanden: Während die ehemals sowjetische Oberschicht sich aus der Konkursmasse des zerfallenden Riesenreichs bediente, stürzten sich westliche Konzerne auf die osteuropäischen Volkswirtschaften.
Von allen Randstaaten des sowjetischen Großreichs verfügte die DDR über die stärkste und vergleichsweise modernste Wirtschaft sowie über eine recht gut ausgebaute Infrastruktur. Westliche Großunternehmen konnten sich nun den größten Teil der bisher staatseigenen Industrie und der Agrarflächen Ostdeutschlands für ein Butterbrot aneignen. Das Ergebnis war der wohl größte organisierte Raubzug der Neuzeit.

Rette sich, wer kann!

Nein, das Ende der DDR hatte absolut nicht Heldenhaftes an sich, egal, von welcher Seite man es betrachtet. Es gab allerdings haufenweise selbsternannte Helden.
Da waren beispielsweise ein paar Hundert Aktivisten des politischen Untergrundes (ja, so etwas gab es). Ab September 1989 war die Gründung oppositioneller Parteien und Organisationen möglich, wovon die Aktivisten von bisher illegal oder halblegal tätigen Gruppen mehrheitlich regen Gebrauch machten. Die Ernüchterung kam spätestens bei der letzten Volkskammerwahl am 18. März 1990. Die Verankerung der originären DDR-Oppositionellen in der Bevölkerung hatte sich als minimal erwiesen. Die Mehrzahl der gewesenen Bürgerrechtler bemühte sich nun, möglichst unbeschadet im Schoße der bundesdeutschen Parteienlandschaft unterzukommen. Andere verabschiedeten sich völlig von ihren Jugendträumen und machten sich auf den Marsch nach Rechtsaußen. Einige wenige linksgrüne Hardliner, die sich einer politischen Kehrtwende verweigerten, wurden ausgegrenzt und spielten politisch bald keine Rolle mehr.
Eine noch erbärmlichere Rolle kam in diesem Prozess der ehemaligen Staatspartei SED zu. Im Bestreben, einem möglich scheinenden Verbotsverfahren zu entgehen und das Parteivermögen zu retten, wurden einstmals führende Repräsentanten schnellstmöglich aus der Partei entfernt. Begriffen hatten diese nichts – ihre Rolle erschöpfte sich in Beteuerungen, immer nur das Richtige gewollt und getan zu haben. Im Wahlprogramm vom Februar 1990 der nun in PDS umbenannten Partei konnte man zwar noch ein Bekenntnis zum „gesellschaftlichen Eigentum als dominierende Eigentumsform“ lesen (Wahlparteitag 1990, S. 53). Irgendwelche Schlussfolgerungen wurden daraus nicht abgeleitet. Der gewendete Funktionärsapparat entwickelte schnell eine perfekte Demutskultur, warf nach und nach sämtliche Bezüge auf den Marxismus und die Organisation von sozialem Widerstand über Bord. Diese Anbiederungsversuche halfen der Partei aber gar nichts: In der nun umgestalteten politischen Landschaft war ihr bereits die Rolle des rückwärtsgewandten Buhmannes zugeschrieben.
Führende Handlanger bei der sich anbahnenden Liquidation der DDR waren die Blockparteien CDU und LDPD. Bis zum Herbst 1989 auf eine Rolle als kritiklose Jasager und Abnicker der vom „Bündnispartner“ SED getätigten Beschlüsse festgelegt, wechselten die sogenannten Blockflöten blitzschnell ihren Stichwortgeber und warfen sich den bundesdeutschen Schwesterparteien CDU und FDP an den Hals. Diese schlossen sie samt Mitgliederlisten, Infrastruktur und dem nicht unbeträchtlichen Parteivermögen beglückt in die starken Arme. Als die DDR-CDU (im Verbund mit zwei kleineren Parteien) bei der letzten Volkskammerwahl stärkste Kraft wurde (und dann auch noch ihre liberalen und sozialdemokratischen Bundesgenossen zeitweilig mit ins Regierungs-Boot holte), hatten die Plünderer freie Bahn.
Faktisch lag die Regierungsgewalt in den letzten Monaten der DDR ausschließlich in der Hand von aus Westdeutschland importierten Beratern – die Minister der Regierung Lothar de Maizière (CDU) fingierten als reine Aushängeschilder. Westdeutsche Lobbyisten erarbeiteten ohne Rücksicht auf etwaige Folgen Gesetzesentwürfe. Diese wurden von den Abgeordneten der Regierungskoalition undiskutiert und häufig sogar ungelesen durchgewinkt – was aus dem Westen kam, musste ja richtig sein. Von Abgeordneten der Opposition zaghaft artikulierte Proteste gegen den Umfang der über sie hereinbrechenden Papierflut wurden mit dem Argument abgebügelt, man müsse das ja nicht lesen: „Wir stehen dazu, und wenn solche Papiere kommen, und in 40 Jahren Demokratie sind die gewachsen, können wir sagen: Okay! Funktionierte! Wird auch bei uns funktionieren“ (Rebner 1990, S. 48). Der zitierte Redebeitrag stammt übrigens von einem Abgeordneten der (damals) von der bayerischen CSU unterstützten rechtsradikalen Splitterpartei DSU.
Mit der am 30. Juni 1990 im Eiltempo durchgezogenen Währungsunion begab sich die DDR-Regierung der letzten Möglichkeit einer Einflussnahme auf die eigene Wirtschaft. Zahlreiche Betriebe krachten nun zusammen, andere entledigten sich im Eiltempo großer Teile der Belegschaft. Die Anzahl der Arbeitslosen stieg binnen weniger Wochen von fast Null auf Hundertausende, später auf über ein...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. An Stelle eines Vorworts
  6. Bauernlegen und Kirchenraub
  7. Gepflastert mit den Leichen der Armen
  8. Tod in der Wüste
  9. Deportation ins Nirgendwo
  10. Raketen für den Endsieg
  11. Zu treuer Hand
  12. Kriminelle Dekarbonisierung
  13. Unendliches aus einem Toll-Collect-Haus
  14. Die Welt, wie sie stinkt
  15. Ein Hafen, der nicht fliegen will
  16. Kapitän Flints Erben
  17. Bankenrettung auf Ukrainisch
  18. Oligarchen und andere Widrigkeiten
  19. In den Orkus der Geschichte
  20. Literaturverzeichnis