1Einleitung
Bildungsökonomische Fragestellungen haben einen hohen Stellenwert nicht nur in der aktuellen bildungspolitischen, sondern auch in der wirtschaftspolitischen Diskussion. Dennoch mangelt es bislang an einem umfassenden Überblick über Theorien und empirische Befunde der Bildungsökonomie. Das vorliegende Lehrbuch versucht diese Lücke zu schließen, indem es zentrale Themen der einzelnen Bildungsbereiche aus einer ökonomischen Sicht durchleuchtet. Als theoretische Basis der Bildungsökonomie ist vorrangig die Humankapitaltheorie zu betrachten, deren Anfänge bis zu Adam Smith zurückgehen, bei dem bereits Ideen über eine Analogie von Fähigkeiten und Qualifikationen zu Sachkapital zu finden sind. Die moderne Fassung der Humankapitaltheorie wurde zu Beginn der 1960er-Jahre entwickelt. Dabei standen Fragen des Zusammenhangs von Humankapitalinvestition und Arbeitseinkommen im Vordergrund. Ende der 1990er-Jahre wurden theoretisch verschiedene Arten der Arbeitsmarktunvollkommenheiten untersucht, aus denen sich Implikationen für die wichtige Frage der Finanzierung von betrieblicher Aus- und Weiterbildung ableiten lassen.
International vergleichende Studien wie die PISA-Studie haben Mängel im deutschen Bildungssystem aufgedeckt und der Diskussion über Reformen neue Nahrung gegeben. Dies gilt zum einen für das allgemeinbildende Schulwesen. Die Bildungsbeteiligung sowie die Schülerleistungen streuen zwischen einzelnen sozialen Gruppen in Deutschland wie in kaum einem anderen Land. Bildungsreformen wie die Verkürzung bzw. Ausweitung der gymnasialen Schulzeit (G8/G9) sind Gegenstand vielfältiger Debatten. Durch die Einführung der Bachelor- und Masterabschlüsse sind im Hochschulbereich neue Prozesse in Gang gesetzt worden, deren Ergebnisse erst ansatzweise erkennbar sind.
Aber auch das System der dualen Berufsausbildung in der Kombination von betrieblicher Lehre und Berufsschule ist mit Problemen verbunden. Auf der einen Seite finden viele Schulabgänger keine Lehrstelle und sind auf das Übergangssystem angewiesen, auf der anderen Seite ist in den letzten Jahren die Anzahl der unbesetzten Ausbildungsstellen deutlich gestiegen. Der Übernahme von Ausbildungsabsolventen im Ausbildungsbetrieb kommt in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung zu, denn oftmals amortisieren sich die betrieblichen Aufwendungen für die Ausbildung des Fachkräftenachwuchses erst einige Zeit nach Ausbildungsende.
Aufgrund der drastisch gesunkenen Halbwertszeit des Wissens und der demografischen Entwicklung sind die betriebliche Weiterbildung und das lebenslange Lernen besonders wichtig geworden. Allerdings gibt es einzelne Gruppen, deren Weiterbildungsbeteiligung nur unterdurchschnittlich ist. Hierzu gehören insbesondere Un- und Angelernte, atypisch Beschäftigte sowie Beschäftigte in Klein- und Mittelbetrieben. Deshalb stellt sich auch die Frage nach Möglichkeiten der Erhöhung der Weiterbildungsbeteiligung sowie nach alternativen Finanzierungsformen.
Die Politische Ökonomie der Bildung betrachtet die private und öffentliche Bereitstellung verschiedener Bildungsgüter ebenso wie die private und öffentlich-rechtliche Trägerschaft von Bildungseinrichtungen, die Rolle des New Public Management im Bildungswesen und die Entwicklung der Bildungsausgaben im internationalen Vergleich. Für den Arbeitsmarkt ist nicht nur die Deckung des Bedarfs an Fachkräften, sondern auch die qualifikationsspezifische Arbeitslosigkeit und Partizipation am Erwerbsleben von Relevanz. Wirtschaftspolitisch ist der Zusammenhang von Bildung und Wirtschaftswachstum und gesellschaftspolitisch der von Bildung, Gesundheit und Vertrauen wichtig.
Gegenüber der ersten Auflage wurde nicht nur eine Aktualisierung vorgenommen, sondern auch neue Befunde z. B. zur Digitalisierung, Bildungspolitik und Evaluation berücksichtigt. Ganz herzlich bedanken möchten wir uns bei Stefan Giesen vom Verlag De Gruyter für sein großes Vertrauen in das Projekt und die Gelegenheit, das Lehrbuch in der 2. Auflage aktualisieren und verbessern zu können. Unser herzlicher Dank geht auch an Kathleen Herfurth und Stefan Diezmann von De Gruyter, die das Projekt engagiert und kompetent begleitet und umgesetzt haben. Danken möchten wir schließlich auch Viktoria Nußbeck und Sabine Oberg vom IAB für die Durchsicht des Textes auf Fehler und „Stilblüten“.
2Die Nachfrage nach Bildung
In diesem Abschnitt sollen Antworten auf folgende Fragen gegeben werden:
–Wie erklärt die Humankapitaltheorie die individuelle und betriebliche Bildungsentscheidung?
–Welche Bedeutung hat die Unterscheidung zwischen allgemeinem und spezifischem Humankapital?
–Wie können die Erträge von Humankapitalinvestitionen erfasst werden?
–Welche Erweiterungen des Humankapitalansatzes gibt es?
–Was ist unter der Qualitätsdimension von Bildung zu verstehen?
–Welche Signale geben Bildungsabsolventen an potenzielle Arbeitgeber?
–Wie wirken sich Mobilitätsbarrieren und andere Arbeitsmarktunvollkommenheiten auf Bildungsentscheidungen aus?
–Wie passt die formale Qualifikation der Beschäftigten zum Anforderungsniveau der ausgeübten Tätigkeit?
–Wie wirkt sich eine Verlängerung von Bildungszeiten auf Produktivität und Entlohnung der Beschäftigten aus?
2.1Einleitung
Ein bestimmter Schulabschluss, ein Berufsabschluss oder ein Hochschulstudium werden oft für das Erreichen einer bestimmten beruflichen Stellung vorausgesetzt. Aus ökonomischer Sicht kann dies damit erklärt werden, dass Bildung als Investition betrachtet wird, durch die Wissen akkumuliert und die individuelle Produktivität erhöht wird. Dies führt zu besseren Aufstiegschancen und höheren Einkommen bei den Bildungsabsolventen. Obwohl bereits bei nationalökonomischen Klassikern wie Adam Smith Ideen über eine Analogie von Fähigkeiten und Qualifikationen zu Sachkapital zu finden sind, wurde die moderne Fassung der Humankapitaltheorie zur Erklärung verschiedener realer Phänomene herangezogen, die mit der traditionellen neoklassischen Theorie nur mangelhaft erklärt werden konnten. Der außerordentlich große Erfolg der Humankapitaltheorie beruht aber auch darauf, dass ihre Aussagen mit eigens erhobenen Mikrodatensätzen empirisch überprüft worden sind. Ende der 1980er-Jahre erlangten Bildungsfragen erneut große Bedeutung im Rahmen der Neuen Wachstumstheorie (z. B. Lucas 1988, Romer 1990). Mit der Entwicklung in der Informations- und Kommunikationstechnik als Querschnittstechnologie ist im letzten Jahrzehnt eine Wissensökonomie entstanden, in der das Humankapital sogar noch wichtiger geworden ist. In der New Economy ist das Humankapital der entscheidende Produktionsfaktor, der eine zentrale Rolle für die gesamtwirtschaftliche Produktivität und das Wachstum eines Landes spielt. Damit ist die Humankapitaltheorie auch wieder an ihr ursprüngliches Ziel der Erklärung unterschiedlicher Effektivitäten von Sachinvestitionen in Industrie- und Entwicklungsländern zurückgekehrt (Denison 1962).
Gleichwohl sind die zentralen Annahmen der Humankapitaltheorie Gegenstand wichtiger Kontroversen in der Wirtschaftswissenschaft. Der praktische Nutzen vieler Studiengänge wird ebenso bezweifelt wie der des Abiturs; vielmehr wird die Ansicht vertreten, dass damit gegenüber potenziellen Arbeitgebern die Fähigkeit nachgewiesen wird, abstrakt denken und Probleme strukturieren zu können. Wenn die Betriebe aus der Gruppe der Abiturienten einen Bewerber für einen Ausbildungsplatz einstellen, ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass der Mitarbeiter über Abstraktionsfähigkeiten verfügt, als wenn ein Hauptschüler eingestellt wird. Insofern wirkt das Bildungssystem als Filter. Dadurch haben Bildungsabsolventen die Möglichkeit, die potenziellen Arbeitgeber über ihre Fähigkeiten zu informieren. Wenn diese Einschätzung der Bedeutung von Bildungsgängen und -abschlüssen zutreffend ist, ergeben sich andere Beurteilungen der Wirkungen von höheren Bildungsausgaben, z. B. bei den angesprochenen Wachstumsanalysen, als wenn von einem direkten Produktivitätseffekt ausgegangen wird. Im Zusammenhang mit der international vergleichend angelegten PISA-Studie ist auch die Bedeutung der Qualitätsdimension der Bildung besonders hervorgehoben worden. Um die ökonomischen Wirkungen der Bildung in quantitativer und qual...