II. Älter werden in Wirtschaft und Gesellschaft - Ausgewählte Perspektiven
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Arbeitsmarktpolitik für Ältere: Handlungsbedarf - Instrumente - Perspektiven
Lutz Bellmann, Martin Dietz, Ulrich Walwei
1 Einleitung
Alterung als gesellschaftliche Herausforderung
Aufgrund der demographischen Entwicklung ergeben sich große Herausforderungen für das soziale Sicherungssystem und die Betriebe. Die überwiegend beitragsfinanzierten sozialen Sicherungssysteme sind auf Dauer leichter zu finanzieren, wenn mehr Beschäftigung im Allgemeinen und eine höhere Erwerbstätigkeit älterer Arbeitnehmer im Besonderen realisiert würde. Zudem ist zur Erhaltung der Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft die Erschließung quantitativer und qualitativer Personalreserven auch aus der Gruppe der Älteren unabdingbar.
Spürbarer Rückgang des Arbeitskräftepotenzials
Diese Aussagen gelten in besonderer Weise, wenn man einen Blick auf die Prognosen des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) zur Erwerbsbevölkerung in Abhängigkeit von der demographischen Entwicklung wirft. Wegen des Bevölkerungsrückgangs wird das Angebot an Arbeitskräften in Deutschland spätestens in 10 bis 15 Jahren spürbar abnehmen. Der erwerbstätige Teil der Bevölkerung wird mit zunehmender Tendenz zurückgehen. Wird nicht gegengesteuert, so ist insbesondere in den neuen Bundesländern mit einem dramatischen Einbruch zu rechnen (Fuchs und Dörfler 2005; Fuchs und Söhnlein 2005).
Problemlagen: 1. überproportionale Frühverrentung Geringqualifizierter
Insofern ist ein Paradigmenwechsel in der Altenpolitik erforderlich, wobei sich zwei besondere Probleme ergeben. Erstens erfolgt das hinsichtlich des gesetzlichen Rentenalters zu frühe Ausscheiden aus dem Erwerbsleben bei gering qualifizierten Arbeitskräften häufiger als bei hoch qualifizierten. Für diese Entwicklung sind vor allem ein geringer Bildungsstand sowie ein höherer Anteil von Tätigkeiten mit schwerer körperlicher Beanspruchung verantwortlich.
Dieser empirische Tatbestand verweist weniger auf einen biologisch-chronologischen Automatismus als vielmehr auf ein einseitiges und stark körperlich belastendes Tätigkeitsprofil.
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2. Langzeitarbeitslosigkeit
Zweitens kommen auf dem deutschen Arbeitsmarkt auch Strukturprobleme zum Vorschein. Die Arbeitslosigkeit ist durch Verfestigungstendenzen gekennzeichnet, vor allem in Form von Langzeitarbeitslosigkeit. Zu diesem »harten Kern« der Arbeitslosen gehören insbesondere die älteren Arbeitnehmer. Aktive Arbeitsmarktpolitik muss deshalb dazu beitragen, möglichen Qualifikations- und Produktivitätsdefiziten älterer Arbeitsloser entgegenzuwirken, ihre oft zu hohen Anspruchslöhne zu korrigieren und ihre berufliche Mobilität zu erhöhen.
Dieser Beitrag beleuchtet sowohl die aktuellen Arbeitsmarktprobleme Älterer als auch die Erwartungen, die in Zukunft an ihre Leistungsfähigkeit geknüpft werden. Dabei werden die längerfristige Arbeitsmarktentwicklung vor dem Hintergrund der qualitativen und quantitativen Entwicklung des Erwerbspersonenpotenzials sowie die daraus resultierenden Beschäftigungsperspektiven älterer Arbeitnehmer diskutiert. Aus dieser Entwicklung ergeben sich Konsequenzen sowohl für die Unternehmen als auch für die Arbeitsmarktpolitik.
Weiterhin geht es um die betriebliche Nachfrage nach älteren Arbeitnehmern. Voraussetzung für ihre erhöhte Erwerbstätigkeit ist die Wertschätzung ihrer Persönlichkeitsmerkmale durch die Unternehmen. Nachzugehen ist aber auch der Frage, ob sich diese Wertschätzung tatsächlich auf die Einstellungsbereitschaft der Betriebe gegenüber Älteren auswirkt. Schließlich bemüht sich die aktive Arbeitsmarktpolitik darum, die Beschäftigungssituation Älterer zu verbessern. Im Zuge der Hartz-Reformen Anfang 2003 sind Instrumente in das Sozialgesetzbuch III eingeführt worden, die speziell auf Ältere ausgerichtet sind. Erste Ergebnisse der Evaluationsforschung werden hier präsentiert. Der letzte Abschnitt skizziert schließlich Wege, wie zukünftig eine stärkere Einbeziehung Älterer in den Produktionsprozess gewährleistet werden kann.
2 Die Arbeitsmarktsituation Älterer
Im Vergleich zu anderen Ländern ist die Situation älterer Arbeitnehmer in Deutschland eher ungünstig. Eine Untersuchung der Europäischen Kommission zeigt, dass die Arbeitslosenquote von Menschen zwischen 55 und 64 Jahren in Deutschland EU-15-weit am höchsten liegt (European Commission 2005).
Wiedereingliederung schwierig
Ältere Arbeitnehmer sind in Deutschland also relativ stark von Arbeitslosigkeit betroffen. Im Dezember 2005 waren der Bundesagentur für Arbeit zufolge knapp 1,2 Mio. Menschen über 50 Jahre arbeitslos - die Arbeitslosenquote (bezogen auf sozialversicherungspflichtig Beschäftigte und Arbeitslose) lag mit 17,6 Prozent über dem Durchschnitt. 73,5 Prozent dieser Personen sind bereits länger als sechs Monate arbeitslos, über die Hälfte länger als ein Jahr. Damit sind knapp 35 Prozent aller Langzeitarbeitslosen über 50 Jahre alt - ihr Anteil an den Nicht-Langzeitarbeitlosen liegt lediglich bei etwa 19 Prozent.
Diese Zahlen deuten darauf hin, dass es insbesondere älteren Arbeitslosen schwer fällt, nach einer Entlassung eine neue Stelle zu finden. Ein Teil dieses Problems dürfte auf eine zu geringe Suchintensität wegen hoher Lohnersatzleistungen und entsprechend hoher Anspruchslöhne zurückzuführen sein.
Qualifikationsstruktur und Arbeitslosigkeit
Auch die Erwerbstätigenquote von Personen über 55 Jahre lag im Jahr 2004 mit 41,2 Prozent deutlich unterhalb der Gesamtquote von 64,3 Prozent. Ein Blick auf die Struktur der Erwerbstätigkeit Älterer macht jedoch deutlich, dass »Alter« allein keine höhere Wahrscheinlichkeit der Arbeitslosigkeit bedingt. Die Hauptproblemgruppe wird bei einem Blick auf die Qualifikationsstruktur sichtbar. Die Erwerbsquote von Personen über 50 Jahre mit Hoch- oder Fachhochschulabschluss liegt 2003 mit 86 Prozent nicht weit entfernt von dem Wert anderer Altersgruppen. Auch die Arbeitslosigkeit der hoch qualifizierten Älteren fällt mit vier Prozent niedrig aus. Die Probleme liegen vor allem bei den über 50-Jährigen ohne Berufsabschluss. Nur 41 Prozent dieser Personen sind erwerbstätig, die Arbeitslosenquote liegt hier bei 24 Prozent.
Einfluss der gesamtwirtschaftlichen Situation
Regional bedingt bestehen jedoch auch bei der Gruppe der relativ gut qualifizierten Älteren Probleme. So leiden die Arbeitslosen in den neuen Bundesländern unter der insgesamt schlechten Arbeitsmarktlage. In einem solchen Umfeld fällt es auch besser qualifizierten Personen schwer, nach dem Verlust des Arbeitsplatzes wieder eine Beschäftigung zu finden. Dieser Befund stimmt mit internationalen Untersuchungen überein, die zeigen, dass die gesamtwirtschaftliche Beschäftigungssituation eines Landes von großer Bedeutung für die relative Arbeitsmarktposition älterer Arbeitnehmer ist. Eine positive Arbeitsmarktlage verbessert auch die Situation der Älteren, während eine Verschlechterung zu höherer Arbeitslosigkeit und geringerer Erwerbstätigkeit in diesem Segment führt (Walwei 2006).
Dass die in der Arbeitsmarktstatistik aufscheinende Beschäftigungssituation Älterer nicht noch problematischer ist, liegt daran, dass viele Ältere bereits in den frühzeitigen Ruhestand gewechselt sind. Am Stichtag 30. Juni 2005 waren rund 340 000 Menschen in Altersteilzeit. Ihr Anteil an allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Altersgruppe zwischen 55 und 64 Jahren lag bei rund 12 Prozent.
Frühverrentung als »sozialverträglicher Personalabbau«
Die Instrumente der Frühverrentung und der Altersteilzeit wurden von den Unternehmen in der Vergangenheit häufig zu einem »sozialverträglichen Personalabbau« genutzt. Allerdings ist auch nicht von der Hand zu weisen, dass die Rentenübergänge von vielen älteren Arbeitnehmern gewünscht wurden. Die Reformen der vergangenen Jahre haben dazu beigetragen, den frühzeitigen Renteneintritt unattraktiver zu machen. Auch der Anspruch auf einen relativ langen Transferbezug ist gekappt worden, sodass der Druck zur Arbeitsmarktintegration für Ältere gestiegen ist (Walwei 2006).
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Schwierige Situation in Ostdeutschland
Die prekäre Arbeitsmarktlage älterer Menschen und die daraus resultierenden volkswirtschaftlichen Kosten müssen zudem im Lichte der zukünftigen demographischen Entwicklung gesehen werden. Projektionen des IAB zur Entwicklung des Erwerbspersonenpotenzials zeigen eine starke Schrumpfung des Arbeitskräfteangebots, insbesondere im Osten Deutschlands (Fuchs und Dörfler 2005; Fuchs und Söhnlein 2005).
Schrumpfendes Erwerbspersonenpotenzial steigert Handlungsbedarf
Die Alterung des Erwerbspersonenpotenzials hat bereits eingesetzt und wird weiter zunehmen (Abbildung 1). Die Zahl der über 50-Jährigen steigt seit der Jahrtausendwende an, während der Anteil der unter 50-Jährigen am Erwerbspersonenpotenzial immer mehr abnimmt. Diese Veränderungen werden auch in der betrieblichen Altersstruktur ihren Ausdruck finden und sich durch die geplante Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre weiter verstärken. So wird der Anteil der über 55-Jährigen bei VW von 10 Prozent im Jahr 2003 auf etwa 40 Prozent im Jahr 2023 steigen (Waschatz 2006). Die Arbeitsmarktintegration Älterer ist daher ebenso wie die dauerhafte Nutzung ihres Humankapitals bereits heute höchst aktuell. Die Dringlichkeit der Herausforderungen wird aber künftig weiter zunehmen.
Abbildung 1: Altersstruktur des Erwerbspersonenpotenzials
Quelle: Fuchs und Dörfler 2005
Lebenslanges Lernen erforderlich...
Zwar sinkt in Zukunft auch der Arbeitskräftebedarf der Unternehmen, sodass sich der Keil zwischen Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage bis zum Jahr 2020 verkleinern wird (Fuchs, Schnur und Zika 2005); allerdings sind bei der Zusammenführung von Arbeitsangebot und -nachfrage auch qualitative Entwicklungen zu berücksichtigen, die diesen positiven Aspekt relativieren. Im Zuge des Übergangs zur Wissensgesellschaft werden a...