Geistliches Erzählen
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Geistliches Erzählen

Zur deutschsprachigen religiösen Kleinepik des Mittelalters

  1. 658 Seiten
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Geistliches Erzählen

Zur deutschsprachigen religiösen Kleinepik des Mittelalters

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Über dieses Buch

Die Untersuchung befasst sich mit dem bisher in der Forschung wenig beachteten Texttyp der geistlichen Verserzählungen. Im Zentrum dieser kurzen Texte steht meist das Eingreifen der Transzendenz ins Leben der menschlichen Figuren. Durch ihre Thematik und ihre literarische Faktur ermöglichen die Texte sowohl Einblicke in die mittelalterliche religiöse Vorstellungswelt als auch in die verschiedenen erzähltechnischen und konzeptionellen Möglichkeiten, in der Volkssprache religiöse Inhalte zu bearbeiten.
Das Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es, die Gruppe der geistlichen Verserzählungen als Texttyp zu beschreiben, wobei eine offene texttypologische Konzeption und ein multiperspektivisches Beschreibungsmodell dem Facettenreichtum des literarischen Phänomens gerecht zu werden suchen. Die handschriftliche Überlieferung der Texte bildet dabei einen Schwerpunkt.
Zahlreiche detaillierte Fallstudien leisten eine systematisch angelegte Aufarbeitung des Texttyps und stellen grundlegende Informationen bereit. Die darüber hinausgehenden texttypologischen, literatursystematischen und literaturhistorischen Ergebnisse der Untersuchung sind auch für andere Fragestellungen anschlussfähig.

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Information

V Überlieferungskontexte 1: Das Beispiel des ›Königs im Bad‹

Die literaturhistorische Bedeutung eines Texttyps zeigt sich nicht nur in produktionsästhetischer, sondern auch in rezeptionsorientierter Perspektive. Viele Texte wurden noch Jahrzehnte und Jahrhunderte nach ihrer Entstehung weiterüberliefert und blieben somit Teil des literarischen Systems. Gerade bei Texten, die über einen längeren Zeitraum tradiert wurden, stellt sich daher die Frage, welches Interesse man ihnen zu einem bestimmten Zeitpunkt entgegenbrachte, welche Aspekte also dazu beigetragen haben, dass sie weiterrezipiert wurden. Auf diese Frage können die Überlieferungskontexte eine – wenn auch nur bruchstückhafte – Antwort geben. Ausgehend von drei Beispielen werden in den folgenden Kapiteln verschiedene Überlieferungskontexte geistlicher Verserzählungen untersucht, um damit eine Grundlage für die Beurteilung der literaturhistorischen Bedeutung des Texttyps in rezeptionsorientierter Perspektive zu schaffen. Um die Einbindung der Beispiele in die jeweiligen Überlieferungskontexte präzise beschreiben zu können, wird deren Untersuchung jeweils eine Analyse des Textes und seines literarischen Referenzrahmens vorangestellt. Außerdem werden weitere Texte, die in ähnlichen Zusammenhängen überliefert sind, als Vergleichsbeispiele herangezogen, um die Untersuchungsergebnisse zu bestätigen bzw. zu differenzieren.
Den Anfang der Beispielreihe macht der reich überlieferte ›König im Bad‹. Seine außerordentliche Verbreitung642 zeigt sich nicht nur in den erhaltenen 21 Handschriften und drei Drucken, sondern auch in späteren Bearbeitungen, die teilweise oder ganz auf der Erzählung fußen.643 Die Textzeugen bieten aufgrund ihrer Anzahl und Unterschiedlichkeit ein Panorama möglicher Überlieferungskontexte geistlicher Verserzählungen im 14. und 15. Jahrhundert.
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1 ›Der König im Bad‹ in seinem literarischen Referenzrahmen

Der Erzählstoff vom stolzen und gedemütigten Herrscher ist in der Weltliteratur weit verbreitet.644 Grundsätzlich kann man bei den mittelalterlichen europäischen Fassungen nach Hermann Varnhagen zwei Typen unterscheiden, in denen auf zwei verschiedene Bibelstellen Bezug genommen wird: Zum ersten Typ, in dem der Gegensatz zwischen arm und reich (1 Samuel 2,4-8; Ps 75,8) im Zentrum steht, gehört u.a. die Fassung der ›Gesta Romanorum‹ (Oe 59).645 Der zweite Typ, die sog. ›Magnificat‹-Fassung, beruht auf der Bibelstelle Lc 1,52: Der König ärgert sich über die Aussage, dass die Hohen erniedrigt und die Niedrigen erhöht würden. Von diesem Typ sind neben deutschen, französischen, italienischen, spanischen und englischen auch zwei lateinische Grundversionen überliefert: ein Exempel aus der Exempelsammlung Breslau, UB, I.F.115/Klapper: Erzählungen (Nr. 34) und ein Exempel aus der ›Summa theologica‹ des Antoninus von Florenz.
Die im Folgenden vorgestellten deutschen Fassungen des Stoffes weisen zwar Verwandtschaften, aber keine direkten Bezüge zu anderen erhaltenen Fassungen auf.

1.1 Moraldidaktisches Exempel und geistliches Erzählen als Minnedienst: Die beiden Verserzählungen ›Der König im Bad‹ und Herrands von Wildonie ›Der nackte Kaiser‹

Anhand der beiden Verserzählungen ›Der König im Bad‹ (362 V., 2. Hälfte 13. Jahrhundert) 646 und Herrands von Wildonie ›Der nackte Kaiser‹ (668 V., wohl um 1260/70),647 die unabhängig voneinander den Erzählstoff vom gedemütigten Herrscher behandeln, wird die ästhetische und konzeptionelle Vielfalt geistlichen Erzählens im 13. Jahrhundert besonders deutlich.648
›Der König im Bad‹
Ein mächtiger König hört eines Abends in der Vesper den Magniflcat-Vers Deposuit potentes de sede et exaltavit humiles.649 Er erkundigt sich bei seinen Kaplänen nach der Bedeutung dieses Verses, der mit seinem herrscherlichen Hochmut unvereinbar ist und meint, es sei unmöglich, dass irgendein König mächtiger sei als er. Deshalb lässt er den störenden Vers aus allen Büchern tilgen und verbietet, ihn zu lesen. Gott bestraft ihn jedoch für seine Missachtung der heiligen Schrift: Als der König eines Tages im Bad sitzt, kommt ein Engel in Gestalt des Königs ins Bad und wird für den König gehalten. Dem Engel werden die Kleider des Königs gereicht, während der richtige König, den nun keiner mehr erkennt, verprügelt und nackt hinausgeworfen wird. In seiner Verzweiflung geht der König zu einem Ratgeber, seinem Schenk, der ihn aufnimmt und ihm ein schlechtes Röcklein gibt, ihn aber für einen Verrückten hält, der nur im Wahn lebt, ein König zu sein. Der Schenk führt den vermeintlichen Narr dann zur Belustigung der Hofgesellschaft vor den Engel, der schließlich den König über sein Vergehen und die Strafe dafür aufklärt und ihm nach erteilter Lehre seine Königswürde wieder zurückgibt.

Herrand von Wildonie: ›Der nackte Kaiser‹
Im Prolog gibt der Autor an, eine Geschichte zu erzählen, die er in einer deutschen Prosachronik gelesen habe und um einer geliebten Frau willen in Verse gebracht habe. Der römische Kaiser Gorneus ist so mächtig, dass er hochmütig wird und glaubt, er könne nie gestürzt werden. Am 12. Sonntag nach Pfingsten hört er in der Messe den Evangelienvers » Wer sich selbst erhöhet, der wird erniedrigt werden« (Lc 14,11/18,14). Er ärgert sich darüber, da er sich nicht vorstellen kann, im Jenseits weniger mächtig zu sein als auf Erden. Den Worten der Priester, die ihm den Vers erklären wollen, glaubt er nicht. Seit zehn Jahren hat der Kaiser keinen Gerichtstag mehr abgehalten, weshalb das Land von Raub und Brandschatzung heimgesucht wird. Nun hat er wieder einen Gerichtstag angesetzt, und in Erwartung der schönen Edelfrauen, die dort erscheinen werden, geht er am Abend vor dem Gerichtstag ins Bad. Während der Kaiser im Bad schläft, tritt ein Mann, der aussieht wie der Kaiser, aus dem Badehaus und reitet mit den Dienern heim. Der Kaiser erwacht, sieht die Lichter auf der Burg brennen und ist verwirrt. Die Baderknechte werfen ihn nackt hinaus. Er rennt zu einem Ratgeber, doch dieser glaubt ihm nicht, dass er Kaiser Gorneus sei, und lässt ihn mit einem schlechten Röcklein wieder gehen. In der Stadt bettelt er um Essen, wird von den Küchenknechten verspottet und isst Reste. Am Morgen muss er mit den Knechten Wasserzuber tragen. Danach geht er zum Gerichtstag und sieht das Gericht seines Doppelgängers, bei dem viele seiner lasterhaften Freunde hingerichtet werden. Er erkennt seine eigene Ungerechtigkeit und seine Verfehlungen. Als der Doppelgänger ihn sieht, bittet er um eine Pause, packt den Kaiser beim Schopf und führt ihn in eine Kemenate, um ihn dort zu belehren und sich selbst als Engel zu offenbaren. Nachdem der Kaiser seine Schuld bekannt hat, setzt der Engel ihn wieder in seine Rechte ein, und der richtige Kaiser geht zum Gericht zurück. Danach gibt er all sein unrecht erworbenes Gut zurück, stiftet Klöster und lebt fortan gottesfürchtig.
Der ›König im Bad‹ beginnt mit einem Sprichwort: Wer an im selbe niht bewart / vnzvcht vnd vnrechte hochvart, / den letzet got dort oder hie (V. 1ff.), bevor im vierten Vers die Erzählhandlung einsetzt. Die Geschichte vom gedemütigten Herrscher ist durch die verallgemeinernde Aussage als Beispielgeschichte gekennzeichnet: Sie illustriert eine Wahrheit, die prinzipiell jeden Rezipienten ebenso betrifft wie den Protagonisten der Erzählung. In einen ganz anderen literarischen Diskurs ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Germanistische Forschungen Neue Folge - Herausgegeben von Christine Lubkoll und Stephan Müller
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Vorwort
  5. Inhaltsverzeichnis
  6. Einleitung
  7. I Methodische Grundlagen
  8. II Der Texttyp im literarischen Umfeld
  9. III Entstehung und Etablierung des Texttyps bis ca. 1300
  10. IV Konsolidierung des Texttyps in der Überlieferung und diachroner Wandel im 14./15. Jahrhundert
  11. V Überlieferungskontexte 1: Das Beispiel des ›Königs im Bad‹
  12. VI Überlieferungskontexte 2: Das Beispiel des ›Zwölfjährigen Mönchleins‹
  13. VII Überlieferungskontexte 3: Das Beispiel der ›Zwei Sankt Johannsen‹ Heinzelins von Konstanz
  14. VIII Späte Ausläufer des Texttyps (15./16. Jahrhundert)
  15. IX Peripherie des Texttyps: Alternative Formen
  16. Schluss
  17. Literaturverzeichnis und editorische Hinweise
  18. Register - Autoren, Werke und historische Personen
  19. Handschriften
  20. Drucke
  21. Abbildungen