Theorien der Internationalen Beziehungen kompakt
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Theorien der Internationalen Beziehungen kompakt

Die wichtigsten Theorien auf einen Blick

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Theorien der Internationalen Beziehungen kompakt

Die wichtigsten Theorien auf einen Blick

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Über dieses Buch

Die Theorien der Internationalen Beziehungen (IB) sind integraler Bestandteil des Studiums der Politikwissenschaft im Teilbereich IB. Das vorliegende Buch führt in die gängigsten Theorieperspektiven der Disziplin Internationale Beziehungen ein.
Für die Arbeit mit IB-Theorien ist es grundlegend, das spezifische Vokabular der einzelnen Theorieperspektiven, die jeweilige Aussagenlogik sowie deren Übertragung auf empirische Phänomene zu verstehen. Das vorliegende Buch bietet die Voraussetzungen hierfür: Jedes Kapitel ist so aufgebaut, dass theoriespezifische Fachbegriffe, Aussagenlogiken und charakteristische Deutungen empirischer Zusammenhänge gesondert zur Sprache kommen. Die Theorien können im Vergleich gut erschlossen werden.
In der Neuauflage wurden jüngere Entwicklungen in der Theoriebildung berücksichtigt. Die Theoriekapitel zum klassischen Realismus, Neorealismus sowie zum Neoliberalismus wurden um kurze Analysen jüngerer Autoren und/oder um Phänomene ergänzt. Außerdem das Buch um zwei neue Kapitel erweitert, in denen die Theorieperspektiven des neoklassischen Realismus bzw. der Global Governance beschrieben und erläutert werden.
Studierende der Politikwissenschaft in den Anfangssemestern ihres BA-Studiums gewinnen mit diesem Buch einen systematischen Überblick über die wichtigsten IB-Theorieperspektiven.

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Information

1 Einleitung

„[ ...] Wo immer heute von Wissen die Rede ist, geht es um etwas anderes als Verstehen. Die Idee des Verstehens, einstens Grundlage geisteswissenschaftlicher Tätigkeit an sich, überwintert bestenfalls in der politisch korrekten Phrase vom Verstehen des Anderen als Ausdruck eingeforderter Toleranz. Ansonsten geht es entweder um die Entwicklung von Technologien, die die Natur-und Menschenbeherrschung erleichtern, oder um die Produktion von Kennzahlen, die mit der Sache, die dabei angeblich verhandelt wird, immer weniger zu tun haben.

Was sich hartnäckig noch immer Bildung nennt, orientiert sich gegenwärtig nicht mehr an den Möglichkeiten und Grenzen des Individuums, auch nicht an den invarianten Wissensbeständen einer kulturellen Tradition, schon gar nicht am Modell der Antike, sondern an externen Faktoren wie Markt, Beschäftigungsfähigkeit (employability), Standortqualität und technologischer Entwicklung, die nun jene Standards vorgeben, die der ,Gebildete‘ erreichen soll. Unter dieser Perspektive erscheint die ,Allgemeinbildung‘ genauso verzichtbar wie die ,Persönlichkeitsbildung‘.[ ...] Das Wissen der Wissensgesellschaft definiert sich vorab aus seiner Distanz zur traditionellen Sphäre der Bildung; es gehorcht aber auch nicht mehr den Attitüden der Halbbildung. Das, was sich im Wissen der Wissensgesellschaft realisiert, ist die selbstbewusst gewordene Bildungslosigkeit.“1
Die Welt der internationalen Beziehungen ist komplex und vielschichtig. Sie ist vielleicht der umfassendste Gegenstandsbereich der Geistes- und Sozialwissenschaften. Aufgrund der Beschaffenheit der diesen Gegenstandsbereich konstituierenden sozialen Phänomene, entzieht er sich der unmittelbaren Beobachtung. Relevante Akteure, ihre Motive, typische Handlungs- und Interaktionsmuster, die diesen innewohnenden Eigendynamiken sowie die Rolle sozialer Strukturen sind nicht einfach feststellbar, sondern werden immer erst über den Umweg ontologischer Annahmen2 den Gegenstandsbereich ,internationale Beziehungen‘ betreffend erkannt. Aus der Masse von Informationen über internationale Beziehungen wird immer nur der Teil herausgefiltert, von dem man annimmt, dass er sich auf ,relevante‘ Phänomene des Gegenstandsbereichs bezieht. Und nur dieser Teil von Informationen wird mit Bedeutung versehen; sei es, dass die entsprechenden Informationen mit einem Alltagsverständnis gedeutet werden, oder sei es, dass diesen Informationen mithilfe von Behauptungen spezialisierter Wissenschaftler Relevanz und Sinn zugeschrieben wird. Je nachdem, wer man ist, d. h. welche Weltanschauung man besitzt, welche Rolle man gegenüber den internationalen Beziehungen spielt und mit welchem Anspruch man sich mit den internationalen Beziehungen beschäftigt, wird der Deutung von Geschehnissen eine mehr oder weniger etablierte (und von den Medien popularisierte) Alltagstheorie, oder eine mehr oder weniger kontroverse wissenschaftliche Theorie zugrunde liegen3. Niemand kann die internationalen Beziehungen beobachten. Oder anders ausgedrückt: Alle selbst ernannten ,Beobachter‘ der internationalen Beziehungen, ob nun Privatiers, Journalisten, Staatsmänner oder Wissenschaftler, greifen bei ihren ,Beobachtungen‘ auf bestimmte Theorien zurück. Die einen bedienen sich populärer commonsense-Theorien (z. B. der ,Staat‘ ist sowohl die Organisationsform moderner Gesellschaften als auch der relevante politische Akteur in den internationalen Beziehungen), deren Status als Theorie ihnen gar nicht mehr bewusst ist; andere bedienen sich wissenschaftlicher Theorien (z. B. ,demokratische Staaten führen keine Kriege gegeneinander‘). Alle ,Beobachter‘ der internationalen Beziehungen beschäftigen sich mit Phänomenen, die an die Form von Begriffen und Aussagesätzen gebunden sind. Begriffe und Aussagen beziehen sich nie auf ,rohe Fakten‘ sondern immer auf theoriegeprägte Wahrnehmungen von sozialen bzw. ,institutionellen Fakten‘. Eine ,a-theoretische‘ und rein empirisch/statistische Wissenschaft von den internationalen Beziehungen ist deswegen unmöglich. Die Schaffung von Wissen über soziale Sachverhalte geht nicht ohne Theorien. Was ist nun aber mit (wissenschaftlichen) Theorien gemeint?
Wissenschaftliche Theorien sind – etwas umständlich ausgedrückt – perzeptuelle Filter, kognitive Raster und konzeptuelle Schemata4. Als perzeptuelle Filter, d. h. als ,Perspektive‘ und ,Brillen‘, erlauben Theorien zunächst, die Fülle von Informationen über den Lauf der Dinge auf relevante ,Daten‘ hin auszuwerten. Im Sinne von kognitiven Rastern ermöglichen sie darüber hinaus, Informationen über relevante Erscheinungen sinnvoll zusammenzufügen und zu ordnen. Und in ihrer Eigenschaft als konzeptuelle Schemata erlauben sie, solche Informationen mithilfe bestimmter konzeptueller Kategorien – den Begriffen des ,analytischen Vokabulars‘ – systematisch darzustellen. Wie die Welt der internationalen Beziehungen von Wissenschaftlern wahrgenommen, verstanden und dargestellt wird, ist also abhängig von wissenschaftlichen Theorien in ihrer Eigenschaft als perzeptuelle Filter, kognitive Raster und konzeptuelle Schemata. Damit aber noch nicht genug: Die mithilfe solcher Theorien unternommene Darstellung von Ereignissen verfolgt oft das Ziel, in einem ,naturalistischen‘ bzw. szientistischen Sinn5 Ursache-Wirkung-Beziehungen zwischen objektiven Sachverhalten auszuweisen bzw. beobachtbare Verhaltensweisen und ihre Konsequenzen auf Gründe zurückzuführen und somit in einem ,kausalen‘ Sinn zu erklären6. Neben ihrer Hilfe bei der Selektion von relevanten Informationen und der Herstellung einer (gedanklichen) Ordnung liegt der Wert vieler wissenschaftlichen Theorien v. a. im sozialwissenschaftlichen mainstream auch und vor allem in dieser Aufgabe: zu erklären! Nahezu alle wissenschaftlichen Theorien verfolgen den Anspruch, Zusammenhänge zwischen vermeintlichen Fakten herzustellen; im mainstream der IB7 heißt das überwiegend: ,kausale Zusammenhänge‘8. Wissenschaftliche Theorien liefern eine Erklärung für einen bestimmten Sachverhalt; und zwar für genau den Sachverhalt, der von der entsprechenden Theorie als erklärungswürdig eingestuft wird. Freilich: Nicht alle wissenschaftlichen Theorien halten den gleichen Sachverhalt für erklärungswürdig. Jede Theorie besitzt eine bestimmte Weltsicht – abhängig von den ontologischen Annahmen ist dies ein mehr oder weniger konkretes Bild vom Gegenstandsbereich. Je nach der ihnen zugrunde liegenden Weltsicht, abhängig vom ,Bild‘ des Gegenstandsbereichs, konzentrieren sich Theorien auf unterschiedliche Sachverhalte.
Wissenschaftliche Theorien sind unabdingbar für die Gewinnung wissenschaftlichen Wissens über ein bestimmtes Bild von den internationalen Beziehungen. Allerdings ,sehen‘ Wissenschaftler die internationalen Beziehungen in ,einer‘ bestimmten Art und Weise – und nicht in einer ,anderen‘. Aufgrund des Bildes, das wissenschaftlichen Theorien zugrunde liegt, erscheinen ganz bestimmte Sachverhalte erklärungswürdig. Und aufgrund dieses Bildes erscheinen immer ganz bestimmte Gründe aufschlussreich für die Erklärung solcher Sachverhalte. Je nachdem, wie einflussreich eine wissenschaftliche Theorie und ihr Bild an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit wird, sind es dann auch ganz bestimmte Sachverhalte, die als relevant erachtet, sind es ganz bestimmte Gründe, die für aufschlussreich gehalten werden. Und diese Suche nach Gründen für ganz bestimmte Sachverhalte ist nicht folgenlos. Ein Beispiel: Liberale ,Gebildete‘ in Europa erachteten es während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als relevant, zu erklären, warum die Gesellschaften in Teilen Afrikas und Asiens nicht friedlich werden. Es erschien diesen Gebildeten logisch, die immer wieder von Neuem ausbrechende Gewalt in diesen Teilen der Erde auf einheimische Despoten zurückzuführen. Ihre ,liberale‘ Theorie ließ es allerdings nicht nur angezeigt erscheinen, den entscheidenden Grund für das Ausbrechen von Gewalt in bestimmten Personen zu suchen. Ihre Theorie ließ sie auch schlussfolgern, dass es friedensfördernd für besagte Gebiete wäre, wenn Despoten eliminiert und die rückständigen Gebiete von den weiter fortgeschrittenen europäischen Gesellschaften, d. h. ihren verantwortlichen Eliten, ,zivilisiert‘ werden würden. Das Beispiel verdeutlicht, wie wissenschaftliche Theorien und die ihnen inhärenten Bilder nicht nur Fakten mit Sinn produzieren, sondern auch eine Grundlage bzw. Rechtfertigung für praktisches Tun herstellen können. Im skizzierten Fall lag aufgrund einer (wissenschaftlichen) Theorie und dem dazugehörigen Bild von Regionen in Afrika und Asien „[ ...] das Argument nahe, man sei zu savage wars of peace (Rudyard Kipling) ,gezwungen‘, um friedliebende Wilde von einheimischen Despoten und Räubern zu befreien.“9 Ungeachtet des sogenannten Leib/Seele-Problems und der Behauptung, dass es – logisch gesprochen – nicht möglich sei, eine normative und praktisch motivierte Schlussfolgerung aus faktischen bzw. kausalen (wissenschaftlichen) ,Ist-Aussagen‘ abzuleiten, lässt sich beobachten, dass in einer Welt, in der sich Wissenschaftler darum bemühen, ,praxisnah‘ zu arbeiten, und in der sich die Praxis wie selbstverständlich verfügbarer Theorien bedient, genau das ständig passiert – Logik hin oder her10.
Theorien sind immer Theorien über bestimmte Bilder eines Gegenstandsbereichs. Und weil sich mithilfe von Theorien, ungeachtet der logischen Unvereinbarkeit zwischen Ist- und Soll-Aussagen, im Kontext konventioneller Moralvorstellungen auch bestimmte Handlungsempfehlungen begründen lassen, haben Theorien Konsequenzen, gerade auch für die politische Praxis. Das macht es umso wichtiger, zu fragen, wie Theorien, ihre Bilder und ihr Wahrheitsgehalt entstehen. Theorien und ihre Bilder sind schließlich nicht einfach da. „Es wäre zweifellos naiv, anzunehmen, Theorien entstünden gewissermaßen von selbst in der schöpferischen Fantasie frei schwebender Forscher, sondern sie sind ,gesellschaftlich bedingt‘.“11 Theorien und ihre Bilder sind abhängig von raumzeitlich und kulturell spezifischen Entstehungsbedingungen. Die axiomatischen Prämissen und das analytische Vokabular von Theorien gehen zurück auf Vorstellungen – im Falle politikwissenschaftlicher Theorien: auf Vorstellungen von Politik und Gesellschaft, die sich an bestimmten Orten über Zeit tradiert haben und/oder die von einflussreichen Kreisen als herrschende Meinung etabliert wurden. Tatsächlich spiegeln Theorien immer sowohl kulturell spezifische Sichtweisen als auch Interessen privilegierter Schichten, wobei letztere in der Regel selbst von fundamentaleren Weltanschauungen geprägt sind. Das wiederum heißt: Da jede Erkenntnis auf Theorie basiert und da jede Theorie aus spezifischen Weltanschauungen und Wertesystemen hervorgegangen ist, ist alles Wissen soziokulturell bedingt. Es gibt auch und gerade in der Wissenschaft kein wertneutrales objektives Wissen, das auf Theorien zurückzuführen ist, die an und für sich ,wahr‘ sind. Wenn dennoch der Glaube vorherrscht, wertneutrale Theoriebildung sei möglich bzw. unter Abstrichen sogar tatsächlich der Fall, umso schädlicher für die wissenschaftliche Integrität der Mitglieder einer solchen Glaubensgemeinschaft12. Theoretisch fundiertes Wissen, über welchen Gegenstandsbereich auch immer, ist ,wahr‘, wenn und insofern die zugrunde liegende Theorie und ihr Bild für ,wahr‘ gehalten werden. Da es keine Theorie gibt, die gleichermaßen von allen Wissenschaftlern als ,wahr‘ akzeptiert wird, ist es immer ,relativ‘, welche Theorie von den meisten bzw. einflussreichsten Kreisen für ,wahr‘ gehalten wird und warum. Kurz: Die Frage nach dem Wissen über Sachverhalte der internationalen Beziehungen berührt immer auch die Frage, woher die zugrunde liegende Theorie und ihr Bild kommen und warum ausgerechnet diese Theorie mitsamt ihrem Bild so hohes Ansehen genießt.
Nähert man sich mit dieser Frage den Theorien der internationalen Beziehungen, wird wichtig, dass es die Regierungen der USA und Großbritanniens waren, die nach dem Ersten Weltkrieg die Einrichtung von Lehr- und Forschungsinstituten förderten, in denen Spezialisten fundiertes Wissen über internationale Beziehungen erarbeiten sollten13. Einsicht in die Tatsache, dass Theorien und theoriegeleitete wissenschaftliche Forschung immer gesellschaftlich und kulturell bedingt sind, lässt nachvollziehbar werden, dass sich diese Spezialisten, egal ob wissentlich oder nicht, dem Gegenstandsbereich ,internationale Beziehungen‘ mit spezifischen Vorstellungen von Politik und Gesellschaft genähert haben; ihre Theorien sind aus typisch ,amerikanischen‘ oder ,britischen‘ Sichtweisen von Politik und Gesellschaft heraus entwickelt worden und/oder reflektieren die Sichtweisen der momentan einflussreichen Kreise in diesen Ländern. Im Resultat heißt das, die ,Disziplin‘ Internationale Beziehungen (IB) ist, ganz ähnlich wie Soziologie, Volks- und Betriebswirtschaft, seit ihrer Geburt immer stärker von konservativen angloamerikanischen Vorstellungen und Werten geprägt gewesen – und das bis heute, weil die spezialisierte Beschäftigung mit den internationalen Beziehungen innerhalb der angloamerikanischen Disziplin mittlerweile selbst eine Theorietradition herausgebildet hat, die zur Messlatte für Theoriebildung in den IB überhaupt geworden ist. Gestützt wird diese Theorietradition neben ihrer institutionellen und personellen Verankerung in den amerikanischen Eliteuniversitäten und regierungsnahen Instituten v. a. durch ein entsprechendes Publikationswesen. Die vermeintlich ,besten‘ Zeitschriften der Disziplin IB kommen ganz überwiegend aus den USA14. Das besagt zumindest ein sogenannter impact score, der angeblich auf einer Messung beruht, wie oft eine Zeitschrift in der Disziplin zitiert wird. Wie und wo (und vom wem) die relative Häufigkeit solcher Zitationen genau erhoben wird, ob die Qualität der einzelnen Beiträge einer Zeitschrift auch dem durchschnittlichen impact dieser Zeitschrift entspricht, und inwiefern allein der Bekanntheitsgrad bzw. Ruf einer Zeitschrift dazu führt, dass viele Wissenschaftler nolens volens dem Erfordernis Rechnung tragen, durch entsprechende ,Pflichtzitate‘ grundlegender Artikel in den ,besten‘ Zeitschriften ihre eigene Seriosität (und Unterwürfigkeit) gegenüber dem disziplinären mainstream zum Ausdruck zu bringen, bleibt notwendigerweise offen15.
Für aufstrebende Wissenschaftler der IB sind es v. a. diese Zeitschriften, in denen es sich lohnt, zu veröffentlichen. Eine Publikation in diesen Zeitschriften erhöht die Chance auf Wahrnehmung durch einflussreiche Vertreter der Disziplin – und auf Einladungen zu Bewerbungsgesprächen um heftig umkämpfte Stellen bzw. Fördertöpfe. Zwangsläufig führt auf dem Weg zur Veröffentlichung in diesen ,besten‘ Zeitschriften der Disziplin kein noch so kleiner Umweg an dem Erfordernis vorbei, die Anforderungen besagter Zeitschriften an den Inhalt und den Stil der Darstellung zu erfüllen – dafür sorgen spätestens die anonymen Gutachter. Etwas zugespitzt: Aufgrund der überwiegend von amerikanischen Akademikern über Jahrzehnte hinweg etablierten und reproduzierten Diskursmechanismen, die ganz entscheidend dafür sind, welche Wissenschaftler zu welchen Themen in welchen Zeitschriften welche Beiträge veröffentlichen können, haben amerikanische Theorien der IB nicht nur die inhaltlichen und formalen Maßstäbe für die Diskussion gesetzt; die Zeitschriften, in denen amerikanische IB-Theorien diskutiert werden, gelten als die angeblich ,besten‘ und bei Weitem einflussreichsten, weil die dort veröffentlichten Beiträge diese Maßstäbe auch selbst am besten erfüllen. Ob und inwiefern der ungleich hohe impact amerikanischer Fachzeitschriften evt...

Inhaltsverzeichnis

  1. Titel
  2. Impressum
  3. Vorwort
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. 1 Einleitung
  6. 2 Klassischer Realismus
  7. 3 Die Logik der Bilder und das Problem der Analyseebene
  8. 4 Neorealismus
  9. 5 Neoklassischer Realismus
  10. 6 Neoliberalismus
  11. 7 Neofunktionalismus
  12. 8 Theoriebildung zwischen Traditionalismus und Szientismus
  13. 9 Klassischer Intergouvernementalismus
  14. 10 Neuer Liberalismus
  15. 11 Global Governance
  16. 12 Sozialkonstruktivismus
  17. 13 Appendix
  18. Literatur
  19. Personen- und Sachregister