Ästhetisches Wissen
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Ästhetisches Wissen

  1. 438 Seiten
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Ästhetisches Wissen

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Über dieses Buch

"Ästhetisches Wissen" besteht in einem komplexen Wechselspiel von Sinnlichem und Begrifflichem, das bis heute ein Schlüsselproblem philosophischer Forschung bildet. Theoriestücke wie das freie Spiel der Erkenntniskräfte (Kant), das sinnliche Scheinen der Idee (Hegel) oder die Rolle der Einbildungskraft entwerfen ein Spannungsfeld zwischen Ästhetik, Epistemologie und Kunst, an das sich grundlegende Fragen anknüpfen: Welchen Status hat die Unterscheidung zwischen Sinnlichkeit und Begriff? Wie ist das Verhältnis von sinnlicher Erkenntnis zur Logik und zu anderen Wissensformen zu denken? Welche systematischen Konsequenzen können aus der Untersuchung z.B. des Chaos, des Berührungssinns, der Musik oder des Films gezogen werden? Die Beiträge des Bandes setzen sich mit diesen und anderen Fragen in historisch-systematischer Einstellung auseinander. Sie erörtern und erweitern transzendentalphilosophische, idealistische und phänomenologische Perspektiven auf zeitgemäße Konzeptionen ästhetischer Wissensformen.

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Information

Jahr
2015
ISBN
9783110383904

1. Teil

Grundlagen: Baumgarten, Kant und Hegel

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Ulrich Seeberg

Schönheit und Wahrheit

Zum Problem sinnlicher Erkenntnis bei Kant

Sinnliche Erkenntnis bei Kant: dieses Thema scheint auf den ersten Blick ins Leere zu zielen. Das menschliche Erkennen erwächst nämlich, so umschreibt es Kants Analyse, aus zwei Stämmen, der Sinnlichkeit auf der einen Seite und dem Verstand auf der anderen Seite, dem Vermögen der Anschauungen also und dem Vermögen der Begriffe, oder, noch einmal anders gewendet, aus der Rezeptivität und der Spontaneität der Erkenntnis. Eine rein sinnliche oder anschauliche Erkenntnis, die als solche bloß rezeptiv wäre, gibt es demnach so wenig wie eine rein verstandesmäßige oder begriffliche Erkenntnis, die als solche bloß spontan wäre. Wenn im Folgenden gleichwohl das Thema einer spezifisch sinnlichen Erkenntnisart in Bezug auf Kant behandelt wird, dann gewiss nicht in der Absicht, Kants grundsätzliche Unterscheidung von Sinnlichkeit und Verstand zu ignorieren. Der Begriff der sinnlichen Erkenntnis bezieht sich vielmehr auf ein Lehrstück der rationalistischen Schulphilosophie der leibniz-wolffschen Tradition, das von Alexander Gottlieb Baumgarten unter dem Obertitel der Ästhetik verhandelt und bekannt gemacht worden ist. Sinnliche Erkenntnis findet demnach einerseits im Bereich der verworrenen Vorstellungen oder Repräsentationen statt, die dem Bereich der deutlichen Erkenntnisse des Verstandes zwar vor-, nicht aber untergeordnet sind, ihr Kriterium ist die Schönheit. Baumgarten konzipiert andererseits aber die Ästhetik, als Kunstlehre eines der Vernunft analogen Denkens, so, dass sie unter dem Titel einer ästhetiko-logischen Wahrheit auf eine Verbindung von sinnlich-anschaulicher Schönheit und begrifflich-logischer Wahrheit zielt. Dieses Lehrstück Baumgartens findet sich aber, wenn auch in modifizierter Form, auch bei Kant wieder, nämlich im Zusammenhang mit dem sensus communis, dem Gemeinsinn, der nach Kant sowohl dem Geltungsanspruch von Erkenntnisurteilen wie auch dem Geltungsanspruch von ästhetischen Urteilen zugrunde liegt. Kant spricht zwar in diesem Zusammenhang, anders als Baumgarten, nicht von Erkenntnis, setzt diese doch im Rahmen seiner Analyse eine Bestimmung von Anschauungen durch Begriffe voraus, während es sich beim ästhetischen Urteil, um dessen Beziehung zur begrifflichen Erkenntnis es geht, um ein subjektives Gefühl handelt. Ebenso wenig arbeitet Kant eine systematische Theorie des Gemeinsinns aus, die in Baumgartens Sinne Schönheit und Wahrheit in Gestalt einer eigenen ästhetischen Lehre verschwistern würde. Gleichwohl verbindet der sensus communis die bei Kant wie bei Baumgarten sachlich voneinander zu unterscheidenden Bereiche des Schönen und des Wahren in einer Weise, die Nachfragen bezüglich der Möglichkeit einer solchen Verbindung auf sich zieht. Diese Nachfragen nach einer spezifisch sinnlichen Erkenntnisart bei Kant betreffen also nicht das Erkenntnisurteil im engeren Sinne, in dem Sinnlichkeit und Verstand aufeinander bezogen werden. Stattdessen wird nach dem Zusammenhang zwischen dem begrifflichen Erkennen und dem Gefühl des Schönen gefragt, für den Kant in einer klärungsbedürftigen Weise auf den sensus communis verweist, der als Sinn für das allen Gemeinsame sowohl dem Erkennen wie auch dem Gefühl des Schönen zugehört. Um diesen auch im Rahmen von Kants Analyse schwierigen Zusammenhang zumindest ein Stück weit zu erhellen, werden im Folgenden zunächst die Umrisse jenes Problems skizziert, das den Anlass für das Projekt der Ästhetik bei Baumgarten, nicht minder aber auch für Kants eigene Philosophie bildet, nämlich die Frage, wie sich die abstrakt formulierten Hypothesen der erfahrungswissenschaftlichen Erkenntnis der Natur im Zusammenhang mit der sinnlich-konkret erfahrenen Lebenswirklichkeit des Menschen verstehen, der die Natur zu erkennen versucht. Im Anschluss an diese Skizze wird dann Kants Reaktion auf dieses Problem wie auch auf Baumgartens Antwort rekonstruiert. Sinnliche Erkenntnis, so soll gezeigt werden, spielt zwar nicht dem Namen, wohl aber der Sache nach, nämlich in dem von Baumgarten intendierten Sinn einer ästhetischen Vermittlung zwischen dem sinnlichen Gefühl einer Welt und ihrer begrifflichen Erkenntnis, auch bei Kant eine wichtige Rolle. Schönheit und Wahrheit sind voneinander zu unterscheiden, sie bilden aber keine isolierten Bereiche des menschlichen Weltbezugs.

1. Das Projekt der Ästhetik und die moderneErfahrungswissenschaft

Die philosophische Disziplin der Ästhetik scheint auf den ersten Blick nur wenig mit den modernen Naturwissenschaften gemeinsam zu haben. Die mathematischen Naturwissenschaften der Neuzeit bedienen sich nämlich als Erfahrungswissenschaften des Verfahrens des wissenschaftlichen Experiments. Experimente dienen aber der Überprüfung von Hypothesen, die mathematisch formulierte gesetzmäßige Zusammenhänge in der erfahrbaren Wirklichkeit beschreiben. Dies geschieht im Regelfall mit der Hilfe von Messinstrumenten, die exakte, quantitativ darstellbare und reproduzierbare Messergebnisse ermöglichen, und zwar bezüglich der kontrollierten experimentellen Veränderung der relevanten Parameter der zuvor mathematisch formulierten gesetzmäßigen Zusammenhänge. Ästhetische Phänomene im Bereich des Naturschönen wie auch im Bereich der Künste scheinen sich hingegen einer entsprechenden Beschreibung ihrer Gesetzmäßigkeiten zu entziehen. Sie bieten keinen Ansatzpunkt für eine kontrollierte experimentelle Veränderung und Messung der Parameter eines durch mathematische Funktionen zu beschreibenden gesetzmäßigen Zusammenhangs. Üblicherweise macht daher die Ästhetik keinen Gebrauch vom methodischen Verfahren des Experiments in dem Sinne, wie Kant unter Berufung auf Francis Bacon die neuzeitliche Erfahrungswissenschaft charakterisierte, nämlich die Natur richterlich zu nötigen, als Zeuge auf die eigenen Fragen Antwort zu geben.3 Ästhetische Phänomene, so ließe sich dieser Vergleich umwenden, stellen gerade keine abgenötigten Antworten der Natur auf methodisch kontrolliert gestellte Fragen des Menschen dar, sondern sind eher als ungezwungene und spontane Weisen einer Selbsterfahrung des Menschen im Verhältnis zur Natur und zu anderen Menschen zu verstehen.
Der Unterschied zwischen dem Bereich der erfahrungswissenschaftlich zugänglichen Natur einerseits und dem Bereich der ästhetischen Phänomene in Natur und Kunst andererseits betrifft also sowohl das Verfahren einer richterlich nötigenden Inquisition der erfahrbaren Wirklichkeit durch das erkennende Subjekt wie auch die Möglichkeit des kontrollierten Gebrauchs exakter Messverfahren im Bezug auf mathematisch formulierte Hypothesen über die Natur. Gleichwohl stellen in der Neuzeit der Fortschritt der methodisch-kontrollierten wissenschaftlichen Forschung wie auch die Evidenz ihrer technologischen Umsetzung eine Herausforderung auch für das Selbstverständnis der Künste dar. Dies gilt umso mehr, als die Abgrenzung künstlerischer Tätigkeiten zu denen der experimentell verfahrenden Wissenschaften durch die genannten Punkte keineswegs schon erschöpfend beschrieben ist. Im Gegenteil: auch Experimente müssen erst einmal erfunden werden und ihre oft unvorhersehbaren Ergebnisse erfordern komplexe Interpretationen, die wiederum auf die leitenden Theoriemodelle selbst zurückwirken.4 Die wissenschaftliche Praxis ist also weder unkreativ zu nennen noch frei von Zufällen, so wie auch umgekehrt die künstlerische Praxis weder bloß zufallsgesteuert noch unkontrolliert erfolgt. Sieht man daher einmal genauer auch auf die geschichtliche Entstehung der Ästhetik als einer eigenen philosophischen Disziplin, so ergibt sich der Befund, dass diese Entstehung erstaunlich eng mit der Erfolgsgeschichte der experimentellen Naturwissenschaften der Neuzeit zusammenhängt. Dabei geht es nicht, wie man zunächst vermuten möchte, um ein bloß negatives Abgrenzungsverhältnis, so nämlich als ob die subjektiv erfahrenen ästhetischen Phänomene als solche erst im Gegenzug gegen die Etablierung der objektiven Erfahrungswissenschaften als autonomer Bereich auffällig geworden wären. Es geht vielmehr um eine auf das Phänomen der subjektiven sinnlichen Wahrnehmung in der wissenschaftlichen Praxis selbst zielende Analyse.5
Alexander Gottlieb Baumgarten, der Begründer der neuzeitlichen Disziplin der Ästhetik, kritisiert nicht einfach nur die von einem ästhetischen Standpunkt aus gesehen oftmals lebensfern erscheinende Abstraktion logischer oder mathematischer Analysen, sondern bestimmt die Aufgabe der Ästhetik dahingehend, als Kunstlehre eines der Vernunft analogen Denkens sowohl das sinnliche Material für die wissenschaftliche Analyse zu liefern wie auch deren Resultate fasslich darstellbar zu machen.6 Im Interesse einer umfassenden Repräsentation der Welt, so Baumgarten, müssen die Schönheit, als Kennzeichen der sinnlichen Erkenntnis, und die Wahrheit, als Kennzeichen der logischen Erkenntnis, miteinander zu einer ästhetiko-logischen Wahrheit vereint werden, deren Kriterien nicht alleine durch begriffliche Klarheit und Deutlichkeit sondern auch durch Reichtum, Bedeutsamkeit und Fülle bestimmt werden.7 Eine gehaltreiche Repräsentation der Welt kann nämlich, so Baumgartens durch Leibniz beeinflusste Überlegung, nicht alleine durch die logische bzw. formale Konsistenz einer notwendigerweise abstrakten Theorie erreicht werden, diese bleibt vielmehr stets auf die sinnliche Wahrnehmung von Einzelnem angewiesen, die ihrerseits immer Züge von Dunkelheit und Verworrenheit in sich trägt. Die Aufgabe der Ästhetik besteht nach Baumgarten daher darin, eine vermittelnde Stellung in jenem Kontinuum der menschlichen Repräsentationen der Welt einzunehmen, das von den verworrenen Vorstellungen im Bereich der Sinnlichkeit – nämlich jenen Vorstellungen, die zwar voneinander unterschieden und die auch wiedererkannt, deren unterscheidende Merkmale aber nicht eigens angegeben werden können – bis hin zu den deutlichen Vorstellungen im Bereich der logischen Analyse reicht – nämlich jenen unterscheidbaren und wiedererkennbaren Vorstellungen, deren Unterschied auf bestimmte Merkmale zurückgeführt werden kann.8
Nun scheint allerdings die Stärke des wissenschaftlichen Experiments gerade darin zu bestehen, dass sie das Material der wissenschaftlichen Analyse von der bloß subjektiven sinnlichen Wahrnehmung befreit, nämlich in Form der durch Messinstrumente gewonnenen exakten Messdaten. Die subjektive sinnliche Wahrnehmung kommt also, wie es scheint, hierbei nur noch indirekt ins Spiel, nämlich vor allem beim praktischen Ausführen der Experimente durch die experimentierenden Subjekte. Dieser Umstand erübrigt jedoch keineswegs Baumgartens Fragestellung, sondern führt vielmehr zu ihr zurück. Die Frage ist nämlich, was eigentlich im erfahrungswissenschaftlichen Experiment mit Hilfe mathematischer Formeln und mit Hilfe von Messinstrumenten erkannt oder bestimmt wird, sofern der Bezugsgegenstand der wissenschaftlichen Theorie als solcher, die objektiv messbare Wirklichkeit, im Verhältnis zu jener subjektiv wahrgenommenen Welt thematisiert wird, in und aus der sich der erkennende und handelnde Mensch als solcher begreift. Vor allem die auf Husserl und Heidegger zurückgehende phänomenologische Tradition des 20. Jh. hat herausgestellt, dass die Lebenswelt des Menschen als solche keinesfalls als Ergebnis experimenteller Befunde und deren wissenschaftlicher Interpretationen verstanden werden kann, sondern vielmehr eine irreduzible vortheoretische Voraussetzung für das in ihr selbst, als Welt, stattfindende Experimentieren und Interpretieren des Menschen darstellt. Damit kommt aber wiederum die Frage Baumgartens ins Spiel, die sich trotz aller Skepsis gegenüber dem chimärisch erscheinenden Begriff einer ästhetiko-logischen Wahrheit wie auch gegenüber der Realisierbarkeit des Programms einer Kunstlehre des der Vernunft analogen Denkens seither durch die Geschichte der modernen Philosophie zieht: wie lässt sich die abstrakte, mathematisch formulierte objektive Erkenntnis der erfahrbaren Wirklichkeit mit jener sinnlich wahrgenommenen Welt vereinbaren, aus der heraus sich das wahrnehmende und erkennende Subjekt selbst als Teil der Wirklichkeit begreift, die es zu verstehen sucht? Was also hat ein naturgesetzlich formulierter Zusammenhang, seinem eigenen Realitätssinn nach, mit der Lebenswirklichkeit des Menschen zu tun, deren selbstreflexive Praxis, einschließlich der menschlichen Theoriebildung über die sinnlich erfahrbare Wirklichkeit, er als solche gerade nicht beschreibt?
In diesem Zusammenhang stellt nun die philosophische Ästhetik weitaus mehr dar als eine bloß auf die Künste oder das Phänomen der Schönheit fokussierte Analyse, sie zielt vielmehr auf eine umfassend ansetzende Theorie des Verstehens überhaupt – die sich hierbei allerdings auffällig häufig, wie schon bei Baumgarten, gerade auf ästhetische Phänomene im engeren Sinne bezieht. Zu erinnern ist hier nicht nur an die Bedeutung der Ästhetik im Rahmen der klassischen deutschen Philosophie von Kant bis Hegel, sondern auch an das auf Schleiermacher zurückgehende Programm einer Universalhermeneutik, das wiederum, unter anderem im Zusammenspiel mit Husserls phänomenologischer Kritik des mathematischen Erkenntnisideals der neuzeitlichen Naturwissenschaften, 9 Pate für die moderne Existenzphilosophie und Hermeneutik stand. Zur Disziplin der Ästhetik in diesem weiteren Sinne gehört also nicht einfach die Beschäftigung mit dem Schönen und der Kunst lediglich um ihrer selbst willen, als einem vermeintlich isolierten, zumindest aber autonomen Bereich der menschlichen Lebenswirklichkeit, sondern im Zusammenspiel mit der Hermeneutik geht es in ihr um ein Fragen, das die Beziehung verschiedener Bereiche des menschlichen Verstehens und Handelns aufeinander thematisiert und dabei bereit ist, dem Gedanken einer spezifisch sinnlichen Erkenntnis, wie Baumgarten sie genannt hat, breiten Raum zu geben. Zu vermeiden ist im Rahmen einer so konzipierten Disziplin, die verschiedenen Bereiche des Lebens auf das lediglich mathematisch Erfassbare zu reduzieren, ebenso aber ist es zu vermeiden, diese verschiedenen Bereiche so verführerisch simplifizierend gegeneinander auszuspielen, wie es Mephistopheles in Goethes Faust dem Schüler vorspricht: „Grau, teurer Freund, ist alle Theorie, und grün des Lebens goldner Baum“.10
Es ist also zwar verständlich, dass und warum die Ästhetik keine experimentelle Erfahrungswissenschaft darstellt; die ästhetische Erfahrung als solche hängt aber doch enger mit dem Problem der Erfahrungswissenschaften zusammen, als es zunächst den Anschein haben mag. Den gewiss klärungsbedürftigen Titel einer sinnlichen Erkenntnis auch im Blick auf Kant beizubehalten, lässt sich also zunächst dadurch rechtfertigen, dass zumindest zu fragen ist, ob nicht der ästhetische Sinn einen umfassenden Blick auf die Welt und das menschliche Leben in seiner Vielgestaltigkeit freigibt, auch ohne dass dies schon als eine fundierende Erkenntnis für alle Lebensbereiche verstanden werden müsste. Im Folgenden soll daher nun näher erkundet werden, was Kant für das Verständnis dieses komplexen Zusammenhangs beizutragen hat. Kant vertritt n...

Inhaltsverzeichnis

  1. Berlin Studies in Knowledge Research
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. Einleitung
  6. 1. Teil - Grundlagen: Baumgarten, Kant und Hegel
  7. 2. Teil - Phänomenologische Perspektiven: Kant, Husserl und Merleau-Ponty
  8. 3. Teil - Anwendungen: Musik, Religion und die Wissenschaften
  9. 4. Teil - Postmoderne Perspektiven
  10. 5. Teil - Ästhetisches Wissen zwischen Epistemologie, Ästhetik und Wahrnehmungsphilosophie
  11. Zu den Autoren
  12. Personenregister