Die Bewegung Bündnisfreier Staaten
eBook - ePub

Die Bewegung Bündnisfreier Staaten

Genese, Organisation und Politik (1927-1992)

  1. 374 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub

Die Bewegung Bündnisfreier Staaten

Genese, Organisation und Politik (1927-1992)

Angaben zum Buch
Buchvorschau
Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Die Bewegung Bündnisfreier Staaten gilt als Unikum in der Geschichte der Dekolonisation, der Süd-Süd-Kooperation, des Kalten Krieges und des Nord-Süd-Konfliktes. In ihr haben sich im Laufe des 20. Jahrhunderts nahezu alle asiatischen, afrikanischen und lateinamerikanischen Staaten zusammengeschlossen, um ihren weltpolitischen Interessen größeres Gewicht zu verleihen. Mit 120 Mitgliedsstaaten stellt sie nach den Vereinten Nationen eine der größten internationalen Organisationen der Gegenwart dar.
Jürgen Dinkel analysiert in dieser Studie erstmals die gesamte Geschichte der Bewegung seit der Zwischenkriegszeit als spezielle Reaktion des "globalen Südens" auf den Wandel der internationalen Beziehungen. Dabei werden Brüche und Kontinuitäten im globalen Vernetzungsprozess sichtbar und die Geschichte internationaler Beziehungen aus einer außereuropäischen Perspektive betrachtet.

Häufig gestellte Fragen

Gehe einfach zum Kontobereich in den Einstellungen und klicke auf „Abo kündigen“ – ganz einfach. Nachdem du gekündigt hast, bleibt deine Mitgliedschaft für den verbleibenden Abozeitraum, den du bereits bezahlt hast, aktiv. Mehr Informationen hier.
Derzeit stehen all unsere auf Mobilgeräte reagierenden ePub-Bücher zum Download über die App zur Verfügung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die übrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Mit beiden Aboplänen erhältst du vollen Zugang zur Bibliothek und allen Funktionen von Perlego. Die einzigen Unterschiede bestehen im Preis und dem Abozeitraum: Mit dem Jahresabo sparst du auf 12 Monate gerechnet im Vergleich zum Monatsabo rund 30 %.
Wir sind ein Online-Abodienst für Lehrbücher, bei dem du für weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhältst. Mit über 1 Million Büchern zu über 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nächsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja, du hast Zugang zu Die Bewegung Bündnisfreier Staaten von Jürgen Dinkel im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten Büchern aus Geschichte & Europäische Geschichte. Aus unserem Katalog stehen dir über 1 Million Bücher zur Verfügung.

Information

Jahr
2015
ISBN
9783110404241

1 Einleitung

1.1 Thema, Fragestellung und Erkenntnisinteresse

„Die längst totgeglaubte Blockfreien-Bewegung trifft sich in Teheran.“1 Mit dieser Ankündigung begann in der Tageszeitung am 30. August 2012 ein Artikel über die 16. Gipfelkonferenz der Bündnisfreien in der iranischen Hauptstadt. Dort trafen sich vom 26. bis 31. August 2012 die Staats- und Regierungsoberhäupter sowie Außenminister von nahezu allen asiatischen, afrikanischen und lateinamerikanischen Staaten unter dem Vorsitz des Iraners Ajatollah Ali Chamenei zu einer internationalen Konferenz. Neben dem ägyptischen Präsident Mohammed Mursi, dem indischen Premierminister Manmohan Singh und dem Präsidenten Simbabwes Robert Mugabe nahm trotz harscher Kritik aus dem Westen auch der UN-Generalsekretär Ban Ki-moon an dem Treffen von 120 Ländern teil, um zusammen mit den anderen Delegierten über aktuelle Entwicklungen und Fragen der internationalen Politik zu diskutieren.2
Die Einordnung und Erklärung dieses ungewöhnlichen politischen Spektakels, diesem „Relikt aus Zeiten des Kalten Krieges“3, fiel den westlichen Beobachtern sichtlich schwer, da sie keine Gemeinsamkeiten zwischen den Teilnehmern erkannten.4 Die Bewegung Bündnisfreier Staaten sei, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung ihren Lesern erläuterte, von Jawaharlal Nehru (Indien), Josip Broz Tito (Jugoslawien) und Sukarno (Indonesien) als Gegengewicht zu den Blöcken des Kalten Krieges gegründet worden. Seitdem haben Politiker höchst unterschiedlicher Reputation wie Fidel Castro, Robert Mugabe, Nelson Mandela oder Husni Mubarak die Bewegung angeführt, wobei die Interessen ihrer Mitgliedstaaten kaum noch in Einklang zu bringen seien. Denn zu den Bündnisfreien gehören politisch, ökonomisch und kulturell so unterschiedliche Länder wie das reiche, voll ‚entwickelte‘ Singapur, ‚gescheiterte‘ Staaten wie Somalia oder Afghanistan, dem Westen zugewandte Demokratien wie Indonesien oder die Philippinen, kommunistische Staaten wie Nordkorea oder eben der Iran.5 Doch trotz dieser enormen Divergenzen zwischen ihren Mitgliedern und obwohl der Ost-West-Konflikt längst beendet sei, steige die Mitgliederzahl der Bewegung kontinuierlich an und ihr Einfluss auf die Vereinten Nationen sei immer noch vorhanden, wie Volker Perthes, Direktor der Stiftung für Wissenschaft und Politik, auf Zeit-Online ausführte.6
Die 16. Gipfelkonferenz bündnisfreier Staaten in Teheran markiert den vorläufigen Schlusspunkt eines langjährigen Vernetzungsprozesses bündnisfreier Staaten. Nach verschiedenen antikolonialen Konferenzen zu Beginn des 20. Jahrhunderts kam es in der Zwischenkriegszeit zu einer kurzzeitigen, intensiven Kooperation antikolonialer Akteure, die zur Globalisierung des antikolonialen Widerstands führte. In Brüssel trafen sich im Jahr 1927 zahlreiche Kolonialkritiker und Anführer antikolonialer Unabhängigkeitsbewegungen wie Jawaharlal Nehru und Mohammed Hatta zum Kongress gegen koloniale Unterdrückung und Imperialismus, um gemeinsam ihren Forderungen nach Selbstbestimmung und Unabhängigkeit Ausdruck zu verleihen. Dabei lernten sie andere Aktivisten aus allen Weltteilen persönlich kennen, gründeten mit diesen die Liga gegen Imperialismus und für nationale Unabhängigkeit und sammelten erste Erfahrungen in der Organisation einer internationalen Bewegung, ehe diese sich Ende der 1930er Jahre wieder auflöste.7
Nach dem Zweiten Weltkrieg setzten die unabhängig werdenden Staaten ihre Süd-Süd-Kooperation fort. Das bedeutendste der postkolonialen Treffen stellte die Asiatisch-Afrikanische Konferenz in Bandung, Indonesien, im Jahr 1955 dar. An ihr nahmen die Regierungen von 29 asiatischen und afrikanischen Staaten und Kolonien teil, um gemeinsam über ihre Position in den internationalen Beziehungen zu konferieren und um überaus erfolgreich ihre internationale Anerkennung als legitime Regierungen zu fordern. Das Treffen markierte am Ende des Kolonialzeitalters einen „Moment des Wandels“, der weltweit sichtbar die Führer antikolonialer Bewegungen in unabhängige Staatsmänner transformierte. Dieser unbestreitbare, kaum zu überschätzende Erfolg der Konferenz führte in den 1970er Jahren, als sich die Bewegung Bündnisfreier Staaten formierte und ihre eigene Geschichte „erfand“, dazu, dass Politiker, Zeitungen und wissenschaftliche Publikationen aus den bündnisfreien Ländern die Entstehung der Bewegung auf die Bandung-Konferenz zurückführten.8 Westliche Journalisten, Politikwissenschaftler und Historiker übernahmen diese Erzählung, weshalb sich diese nachträgliche Traditionsbildung bis heute in Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln,9 populären Internetlexika,10 in zahlreichen fachwissenschaftlichen Standardwerken und Lexika zur Geschichte des 20. Jahrhunderts,11 zum Kalten Krieg,12 zur Dekolonisierung,13 zur Entstehung internationaler Orga nisationen,14 zu bündnisfreien Ländern15 und sogar in Spezialstudien zur Bandung-Konferenz sowie zur Bewegung Bündnisfreier Staaten wiederfindet.16 Allerdings verwiesen seit den 1960er Jahren einzelne Autoren auch auf Unterschiede zwischen der Konferenz von Bandung und den späteren bündnisfreien Konferenzen.17
Das erste Treffen von 25 bündnisfreien Staaten fand im Jahr 1961 in der jugoslawischen Hauptstadt Belgrad auf dem Höhepunkt des Ost-West-Konflikts und zu Beginn des Nord-Süd-Konfliktes statt. Die teilnehmenden Regierungen forderten von den beiden Supermächten Maßnahmen zur Deeskalation, die endgültige und vollständige Auflösung der europäischen Kolonialreiche, ein größeres Mitspracherecht in den Vereinten Nationen und eine Reform der Weltwirtschaftsordnung. Daraufhin folgten drei Jahre später die erste Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (engl. United Nations Conference on Trade and Development, UNCTAD), die Gründung der Gruppe der 77 (G77) und eine weitere Konferenz bündnisfreier Staaten in Kairo. Anschließend fanden zwischen 1964 und 1970 allerdings keine Gipfelkonferenzen bündnisfreier Staaten mehr statt und die meisten bündnisfreien Regierungen zeigten auch kein Interesse an weiteren Konferenzen.
Erst in den 1970er Jahren begann die dauerhafte Kooperation bündnisfreier Staaten, welche mit den Gipfeltreffen in Lusaka (1970), Algier (1973), Colombo (1976) und Havanna (1979) ihre Konferenzdiplomatie fortsetzten. Im gleichen Zeitraum stieg die Zahl bündnisfreier Staaten auf knapp 100 an. Diese schlossen sich in der Bewegung Bündnisfreier Staaten zusammen und stellten damit ihre Zusammenarbeit auf eine dauerhafte organisatorische Basis. Durch ihr koordiniertes Auftreten in den Vereinten Nationen und mithilfe des Ausbaus von Süd-Süd-Beziehungen setzten sie ihre wirtschaftspolitischen Forderungen auf die Agenda der internationalen Politik und bestimmten maßgeblich den Verlauf des Nord-Süd-Konfliktes mit.18
In den 1980er Jahren kam die Kooperation innerhalb der Bewegung ins Stocken, gleichwohl setzten sich die Bündnisfreien aber auch in dieser Dekade für die wirtschaftlichen Interessen des „globalen Südens“ ein. Diese gemeinsamen Interessen führten schließlich dazu, dass die Bewegung sich nicht, wie im Westen erwartet, nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes auflöste, sondern weiterhin als Interessensvertretung ihrer Mitgliedsstaaten in der internationalen Politik fungiert. Wie zuletzt in Teheran finden regelmäßig bis in die Gegenwart hinein alle drei Jahre Gipfelkonferenzen der Bewegung statt.
Im Verlauf des 20. Jahrhunderts haben sich Regierungen aus verschiedenen Weltregionen, mit unterschiedlichen politischen und ökonomischen Systemen, trotz des Widerstandes der früheren europäischen Kolonialmächte und der Großmächte des Ost-West-Konfliktes in einer internationalen Organisation zusammengeschlossen. Entstanden ist dabei – so die These dieser Studie – ein neuer Akteur der internationalen Politik, der sich in den 1970er Jahren institutionalisierte, der am Nord-Süd-Konflikt und am Ausbau der Süd-Süd-Beziehungen mitwirkte und der für sich in Anspruch nimmt, die Interessen der „Bündnisfreien“, der „Dritten Welt“ respektive des „globalen Südens“ oder auch der „Entwicklungsländer“ in der internationalen Politik zu vertreten. Die Bewegung erweiterte dauerhaft das Akteursensemble der internationalen Beziehungen und stellt nach den Vereinten Nationen eine der größten internationalen Organisationen der Gegenwart dar.19
Die Gipfelkonferenzen der Bewegung waren Knotenpunkte, in denen wesentliche Entwicklungen des 20. Jahrhunderts zusammenliefen und von denen zugleich Impulse in die internationale Politik ausgingen. Eine Analyse der Bewegung, ihrer Genese, Politik, Organisationsformen und Handlungen kann demgemäß, über den konkreten Untersuchungsgegenstand hinaus, Aufschluss darüber geben, wie sich die Erfahrungen des 20. Jahrhunderts und der Wandel der internationalen Beziehungen auf die internationale Organisation (ehemaliger) Kolonien, postkolonialer Regierungen und bündnisfreier Staaten ausgewirkt haben. Zugleich bietet ihre Analyse die Möglichkeit, diese Veränderungen und die Geschichte der internationalen Beziehungen aus einer außereuropäi schen Perspektive zu betrachten, allerdings nicht aus der Perspektive einer Regierung, sondern aus der einer internationalen Institution, wodurch sich eurozentristische Deutungen des 20. Jahrhunderts mit einer anderen Wahrnehmung kontrastieren lassen und weshalb dem Nord-Süd-Konflikt in dieser Arbeit eine größere Bedeutung als dem Ost-West-Konflikt zukommt.20 Sie greift damit Anregungen auf, wie sie seit etwa einem Jahrzehnt im Zusammenhang mit einer Neuausrichtung der internationalen Geschichte und Ansätzen einer globalen Geschichtsschreibung diskutiert werden, und setzt sie in einer empirischen Analyse um.21 Die Leitfragen dieser Studie lauten: Wann und warum kam es zur Formierung der Bewegung Bündnisfreier Staaten?

1.2 Forschungsstand

Die Geschichte der Bewegung Bündnisfreier Staaten ist ein historiographisch weitgehend unbearbeitetes Feld. Die Konjunkturen der wissenschaftlichen Beschäftigung mit den Bündnisfreien, welche die erste Konferenz bündnisfreier Staaten Mitte der 1960er Jahre und die Formierung der Bewegung Bündnisfreier Staaten sowie der beginnende „Zweite Kalte Krieg“22 Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre in den Politikwissenschaften hervorriefen, stammen zu einem Großteil aus dem Umfeld der Protagonisten und Sympathisanten der Bewegung und sind fast spurlos an der Geschichtswissenschaft vorübergegangen. 23 In der vorliegenden Studie werden sie daher als Teil einer Geschichte der Bündnisfreiheit selbst historisiert.24
Erst seit wenigen Jahren beginnen Historiker sich im Zusammenhang mit einem neuen Interesse an Dekolonisierungsprozessen, an einer Neuinterpretation des Kalten Krieges als Global Cold War, an Transfer- und Vernetzungsprozessen sowie der Globalgeschichte für die Bewegung zu interessieren.25 Umstritten ist aber nach wie vor, wann und warum es zur Formierung der Bewegung kam, was auch an der spezifischen Organisation der Bewegung liegt. Denn im Unterschied zu den Vereinten Nationen oder zur Europäischen Gemeinschaft wurde die Bewegung weder offiziell gegründet, noch verfügt sie, ähnlich wie die von ihrer Mitgliederzahl her sehr viel kleinere G7, über eine Gründungscharta oder offizielle Statuten.26 Bis ins Jahr 1994 besaß sie kein ständiges Sekretariat und damit auch kein örtlich zuordenbares Zentrum. Die organisatorischen Tätigkeiten leistete ein beständig variierendes Akteursensemble aus engagierten einzelnen Regierungen, Diplomaten und Organen der Bewegung. Anders als die Europäische Gemeinschaft und die Vereinten Nationen stellt sie ein schwer fassbares, fluides Gebilde dar, das sich klassischen Definitionen internationaler Organisationen entzieht und damit große Interpretationsspielräume im Hinblick auf die Frage eröffnet, wann es zur Formierung der Bewegung kam. Dies ist möglicherweise auch ein Grund dafür, dass sich die historische Forschung bisher hauptsächlich mit der Vorgeschichte und der Entstehungsphase der Bewegung und weniger mit der anschließenden Phase der Zusammenarbeit in der Bewegung auseinandersetzte.
In der Forschungsliteratur wird die Geschichte der Bewegung häufig als ein gewaltiger Globalisierungsprozess erzählt, in dessen Verlauf sich immer mehr Regierungen in der Bewegung zusammengeschlossen hätten. Die Geschichte der Bewegung wird als Beispiel für die voranschreitende Integration der Staatengemeinschaft des globalen Südens interpretiert und in Anlehnung an Reinhard Wendts Formulierung als ein Prozess vom Antikolonialismus zur Globalisierung beschrieben.27
Als Gründungsmoment der Bewegung und zugleich als Startpunkt dieses globalen Vernetzungsprozesses werden in der Literatur der Kongress gegen koloniale Unterdrückung und Imperialismus in Brüssel im Jahr 1927, die asiatisch-afrikanische Konferenz in Bandung im Jahr 1955 und die Konferenz bündnisfreier Staaten in Belgrad im Jahr 1961 genannt. Regelmäßige Gipfelkonferenzen fanden jedoch erst seit den 1970er Jahren statt und ein permanentes Sekretariat richtete die Bewegung sogar erst im Jahr 1994 ein. Für diesen Zeitraum, in dem die dauerhafte kontinuierliche Kooperation bündnisfreier Staaten begann, sowie für die folgende Süd-Süd-Kooperation in der Bewegung hat sich die Geschichtswissenschaft bisher kaum interessiert. Die konkrete Formierungsphase der Bewegung in den 1970er Jahren, ihre Organisation und ihre Rolle in der internationalen Politik seitdem waren erst in Ansätzen Gegenstand historischer Analysen.28 An diesem Punkt setzt nun die vorliegende Studie an, die genau diese Formierungsphase der Bewegung in den 1970er Jahren im Kontext des Nord-Süd-Konflikts sowohl unter einer diachronen als auch – deutlich stärker als bisher geschehen – unter einer synchronen Perspektive ins Zentrum ihrer Analyse rückt. Damit betritt sie weitgehend Neuland und umso dringlicher stellt sich die Frage, wie die Entstehung der Bewegung unter den spezifischen historischen Rahmenbedingungen der 1970er Jahre erklärt werden kann.
In der vorhanden Literatur nennen die jeweiligen Autoren, je nachdem in welchem Zeitraum sie die Entstehung der Bewegung verorten, unterschiedliche Akteure und Entwicklungen als Ursache für deren Formierung respektive gewichten sie die Bedeutung derselben Akteure und Entwicklungen unterschiedlich. Die Forschungsliteratur zu den Bündnisfreien verweist auf mindestens fünf Faktoren, mit denen sie die Formierung der Bewegung erklärt. In der Mehrzahl verknüpfen die vorhandenen Publikationen mehrere dieser Faktoren. Aus Gründen der Übersichtlichkeit werden sie im Folgenden jedoch dem Aspekt zugeordnet, dem sie die größte Bedeutung beimessen.
Erstens wird die Entstehung der Bewegung aus der Geschichte einer Nation oder eines Nationalstaates heraus abgeleitet oder auf das Handeln einzelner Regierungen und Personen zurückgeführt.29 Funktional betrachtet legitimieren diese Forschungsarbeiten dadurch häufig die bündnisfreie Außenpolitik eines Landes oder Regierung, indem sie deren Handeln als historische Notwendigkeit, als Reaktion auf die geopolitische Lage ihres Landes oder als Folge weiser Politikerentscheidungen beschreiben. Über innerstaatliche Debatten, aus denen die Entscheidung für eine bündnisfreie Außenpolitik hervorging, erhält der Leser in der Regel, von wenigen Ausnahmen abgesehen, keine Informationen.30...

Inhaltsverzeichnis

  1. Studien zur Internationalen Geschichte
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Danksagung
  5. Inhaltsverzeichnis
  6. 1 Einleitung
  7. 2 Brüssel 1927 – Globalisierung des antikolonialen Widerstands
  8. 3 Bandung 1955 – Moment des Wandels
  9. 4 Belgrad 1961 – Knotenpunkt des Ost-West- und Nord-Süd-Konflikts
  10. 5 Die Formierung der Bewegung Bündnisfreier Staaten in den 1970er Jahren und ihre Folgen
  11. 6 Die Bewegung Bündnisfreier Staaten in den 1980er Jahren
  12. 7 Die Bewegung Bündnisfreier Staaten nach dem Ost-West-Konflikt
  13. 8 Schluss
  14. Abkürzungsverzeichnis
  15. Quellenverzeichnis
  16. Personenverzeichnis