Handbuch Sprache in der Medizin
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Handbuch Sprache in der Medizin

  1. 486 Seiten
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Handbuch Sprache in der Medizin

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Über dieses Buch

Medizin betrifft "alle Menschen, Ärzte wie Patienten, Fachleute wie Laien, gleichermaßen zu allen Zeiten. Die Medizin steht daher wie kein zweiter Bereich des Lebens im Spannungsfeld von fachwissenschaftlicher Spezialisierung und menschlichen Alltagserfahrungen" (Riecke 2004).
In diesem Spannungsfeld ist medizinisches Wissen und Handeln ohne Sprache nicht denkbar. Medizin- und Gesundheitskommunikation bilden fachintern wie fachextern, in mündlichen und medialen Diskursen ein prominentes Themenzentrum der medi(k)alisierten Gegenwart.
Das Handbuch Sprache in der Medizin bietet einen Überblick über Formen und Funktionen von Arzt-Patient-Kommunikation und ihrer gesprächslinguistischen Erfassung, medizinischen Fachsprachen in Geschichte und Gegenwart sowie Medizin und Gesundheit in medialen Diskursen.
Das hierzu notwendige interdisziplinäre Methodenspektrum umfasst sprachwissenschaftliche, Gesprächs- und diskurslinguistische Methoden ebenso wie medien- und kommunikationswissenschaftliche Perspektiven.

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Information

Jahr
2015
ISBN
9783110395204
___

II Interaktive Konstruktion von Medizinkommunikation: Ärztliche Gespräche

Thomas Spranz-Fogasy/Maria Becker

5. Beschwerdenexploration und Diagnosemitteilung im ärztlichen Erstgespräch

Abstract: Dieser Beitrag befasst sich mit der Beschwerdenexploration und Diagnosemitteilung als zentrale Elemente eines Arzt-Patient-Gesprächs. Damit verbunden sind verschiedene komplementäre Handlungsaufgaben, die von Arzt und Patient bearbeitet werden müssen. So ist es etwa Aufgabe des Arztes, beschwerdenrelevante Sachverhalte zu erfragen, die Ausführungen des Patienten mit dem eigenen medizinischen Fachwissen abzugleichen, körperliche Untersuchungen vorzunehmen und zu erläutern sowie prädiagnostische und schließlich diagnostische Mitteilungen zu formulieren. In den Aufgabenbereich des Patienten fallen indes Aktivitäten wie die Darstellung der Beschwerden vor dem Hintergrund des persönlichen Erfahrungs- und Erlebenswissens, die Relevanzmarkierung wichtiger Beschwerdenaspekte sowie die Legitimation des Arztbesuches. Eine adäquate Bearbeitung dieser Aufgaben ermöglicht einen Abgleich der verschiedenen Wissenswelten von Arzt und Patient und ebnet so den Weg für eine effektive therapeutische Zusammenarbeit.
1 S Einleitung
2 Beschwerdenexploration
3 Diagnosemitteilung
4 Zusammenfassung
5 Literatur

1 Einleitung

Eine gelungene Verständigung zwischen Arzt und Patient ist die Voraussetzung für eine gelungene medizinische Versorgung, denn die Arzt-Patient-Kommunikation ist der Ausgangspunkt für eine korrekte Diagnose, eine abgestimmte Behandlung und einen effektiven Therapieverlauf. Auch in medizinischen Lehrbüchern wird die Relevanz des ärztlichen Gesprächs immer wieder betont, und so heißt es bspw. bei Fritzsche/ Wirsching (2006, 14):
Die wichtigste diagnostische und therapeutische Handlung des Arztes ist das ärztliche Gespräch […]. Der Erfolg oder Misserfolg einer ärztlichen Behandlung hängen von der Qualität der Arzt-Patienten-Kommunikation ab.
Die Herausforderung in Gesprächen zwischen Arzt und Patient besteht nun darin, dass sich dort verschiedene Wissens- und Wahrnehmungswelten begegnen (Mishler 1984, Fiehler 2005, Menz/Lalouschek 2008, Heritage/Lindström 2012, Spranz-Fogasy 2014), die für die medizinischen Handlungszwecke in ausreichendem Maße abgeglichen werden müssen: das subjektive und alltagsweltlich organisierte Wissen des Patienten über seine Beschwerden und das professionelle, medizinisch-kategoriale Wissen des Arztes. Die unterschiedlichen Voraussetzungen machen deutlich, dass eine zentrale Anforderung dieser Gespräche darin besteht, sich relevante Anteile der unterschiedlichen „Welten“ zu verdeutlichen und sich dabei gegenseitig zu unterstützen (Heritage/Maynard 2006, Neises/Ditz/Spranz-Fogasy 2005, Brünner 2009, Heritage 2009, Spranz-Fogasy 2010).
Der Wissenstransfer verläuft dabei in beide Richtungen, der Patient stellt sein subjektives, beschwerdenbezogenes Wissen dar, und der Arzt wendet darauf sein medizinsystematisches Wissen an, um das Krankheitsbild ermitteln und therapeutisch handeln zu können. Beide haben dabei verschiedene, aber komplementäre Handlungsaufgaben, die sie mittels verschiedener Aktivitäten und Verfahren bearbeiten. Aufgaben, Aktivitäten und Verfahren werden im Folgenden in ihrer Komplementarität und gemäß ihrer Abfolgelogik (Spranz-Fogasy 2005) dargestellt. Nach der Gesprächseröffnung, die in der Regel der Arzt leistet (2.1), folgt die Beschwerdenschilderung durch den Patienten (2.2) sowie die Beschwerdenermittlung, die durch ärztliche Fragen angeleitet wird (2.3). Antworten der Patienten (2.4) und die Resultate der körperlichen Untersuchung (2.5) ermöglichen dem Arzt prädiagnostische Mitteilungen (2.6) und den Übergang zur Diagnosestellung bzw. -mitteilung (3). Interaktionstypologischer Bezugspunkt der nachfolgenden Ausführungen ist das ärztliche Erstgespräch in der niedergelassenen Praxis. Zum Einfluss institutioneller Rahmenbedingungen und zu kommunikativen Aufgabenstellungen anderer Interaktionstypen und Beteiligungskonstellationen siehe Menz (in diesem Band) sowie die Artikel in Teil 3 (Fachbereiche) und 4 (Patientengruppen) (in diesem Band).

2 Beschwerdenexploration

Zentrale Voraussetzung des therapeutischen Handelns – als dem allgemeinsten Handlungszweck ärztlicher Gespräche – ist es, ausreichend Klarheit über das Beschwerdenbild des Patienten und die damit verbundene Diagnose zu gewinnen. Dieser Aufgabe widmen sich die Akteure in verschiedenen Schritten und mit je unterschiedlicher Beteiligung. Zunächst geht es darum, dem Patienten Gelegenheit zur Schilderung seiner Beschwerden anzubieten.

2.1 Gesprächseröffnung – Patienten zum Reden bringen

Zwar erteilt der Patient mit seinem Erscheinen vor dem Arzt diesem einen Behandlungsauftrag (Spranz-Fogasy 2010), er überlässt damit aber zugleich dem Arzt erhöhte Durchführungsrechte, die sich vor allem in dessen initiativen Interaktionshandlungen ausdrücken, wie z. B. in Eröffnungsinitiativen (Robinson 2006).
Die Gesprächseröffnung kann sehr unterschiedlich explizit sein und mehr oder weniger direktiv realisiert werden, was Auswirkungen auf die Strukturierung und die Tiefe der nachfolgenden Beschwerdenschilderung hat. Direktive Fragen wie „Sie kommen wegen Ihrer Rückenbeschwerden“ lassen dem Patienten dabei wenig Spielraum für seine Darstellungen, während offenere Aufforderungen („Erzählen Sie mal“) oder gar nur nonverbal signalisierte Zuhörbereitschaft ihm eine eher selbstorganisierte Beschwerdenschilderung ermöglichen (Spranz-Fogasy 1987). Heritage/Robinson (2006) zeigen, dass sich Beschwerdenschilderungen signifikant in der Länge unterscheiden, je nach Allgemeinheitsgrad oder Zuspitzung der Eröffnungsinitiative. Hier kann der Arzt also schon für eine informationsreichere oder wenig differenzierte Schilderung sorgen und damit mehr oder weniger über Relevanzsetzungen (Sator/ Gstettner/Hladschik-Kerner 2008), Einstellungen und subjektive Krankheitstheorien des Patienten in Erfahrung bringen (Beach 2001, Frankel 2001, ten Have 2001, Pomerantz 2002, Gill/Maynard 2006, Birkner/Vlassenko in diesem Band).

2.2 Beschwerdenschilderung – Patienten reden lassen

Aufgabe des Patienten bei der Beschwerdenschilderung ist es, beschwerdenrelevante Sachverhalte darzustellen und dem Arzt dadurch zu ermöglichen, diese mit seinem allgemeinen medizinischen Fachwissen bezüglich des jeweiligen Gesprächszwecks abzugleichen sowie selbst initiativ weitere Beschwerdensachverhalte zu ermitteln (Spranz-Fogasy 2005, Peters 2008). Der Arzt begleitet die Beschwerdenschilderung des Patienten indes mit aktivem Zuhören mittels Rückmeldungen, die Aufmerksamkeit oder Abwarten signalisieren oder der Verständnissicherung dienen (Spranz-Fogasy 2005).
Inhalte von Beschwerdenschilderungen können Symptome, körperliche Empfindungen und Wahrnehmungen sowie Erlebnisse oder lebensweltliche Hintergründe und Umstände, aber auch eigene Überlegungen des Patienten zu den Ursachen oder Konsequenzen seiner Beschwerden sein. Dies zeigt, dass das krankheitsbezogene Erlebniswissen des Patienten ein wichtiger Bestandteil der Beschwerdenschilderung ist, das die körperlichen – und oft auch geistigen – Zustände eines Krankheitserlebens beinhaltet (Gülich 1999, Beach 2001, Brünner 2009). Neben dem spezifischen und individuellen Fallwissen fließen in die Beschwerdenschilderungen aber auch das alltagsweltliche Wissen des Patienten zu Körper, Krankheit und Gesundheit und darüber hinaus, insbesondere bei chronischen Erkrankungen, häufig ein semiprofessionelles Wissen ein. Dieses resultiert häufig aus vorherigen ärztlichen Konsultationen oder aus anderweitigen Informationsquellen wie etwa Unterredungen mit Bekannten, Zeitschriften, Fernsehberichten oder dem Internet (Brünner 2009, Höflich u. a. 2009).

2.2.1 Schmerz und Emotion

Schmerzen gehören zu den wichtigsten Krankheitssymptomen, daher kommt deren Beschreibung im Rahmen der Beschwerdenschilderung eine zentrale Rolle zu. Die Kategorisierung des Schmerzerlebens wird durch die im Arzt-Patient-Gespräch stattfindenden Schmerzdifferenzierungen interaktiv konstituiert und ausgehandelt (Sator 2011): So werden Schmerzen oft erst über die gemeinsame Differenzierung im Gespräch als diskrete Schmerzen erkennbar und sind daher in hohem Maße an die Interaktion gebunden (Sator 2011).
Schmerzen sind subjektive Erfahrungen, die aufgrund des Fehlens gemeinsamer Bezugspunkte nicht ohne weiteres kommunikativ geteilt werden können (Menz u. a. 2010). Erschwerend kommt hinzu, dass die Alltagssprache für die Beschreibung und Kategorisierung von Schmerzen nur ein eingeschränktes Repertoire bietet. Aus diesem Grund werden neben den verbalen Möglichkeiten zur Beschreibung von Schmerzen insbesondere auch gestische Ressourcen genutzt, um deren Intensität, Lokalisation und Qualität zu verdeutlichen (Menz u. a. 2010, Heath 2002, Overlach 2008).
Dass die Schmerzkonzepte von Ärzten und Patienten in vielen Fällen divergieren, zeigt eine Studie von Deppermann (2003): Während Schmerzen von Ärzten als isolierbare Größen psychischen Empfindungserlebens und somit getrennt von ihren alltagsweltlichen Erfahrungszusammenhängen exploriert werden, stellen Patienten ihre Schmerzen vielmehr in einen Zusammenhang mit ihrem persönlichen Erleben. So berichtet bspw. die Patientin in folgendem Transkriptausschnitt ihrem Hausarzt nicht lediglich von ihren Schmerzen im Nackenbereich, sondern beschreibt diese über Ursachen und situative Kontingenzen:
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(Die Gesprächsausschnitte wurden gemäß den Konventionen des Gesprächsanalytischen Transkriptionssystems GAT2 verschriftlicht; siehe Selting u. a. 2009)
Die diskrepanten Semantiken von Schmerz – die Konzeptualisierung als kontextbezogen-praxisrelevantes Phänomen seitens der Patienten und das variablenanalytisch isolierende Schmerzkonzept der Ärzte – sind oftmals mit einer unterschiedlichen Auffassung über die Aufgaben des Arzt-Patient-Gesprächs verbunden und können zu Verständigungsproblemen zwischen Arzt und Patient führen.
Auch Sator (2011) kommt im Rahmen ihrer Untersuchungen zu ärztlichen Erstgesprächen in einer Kopfschmerzambulanz zu dem Ergebnis, dass sich Patienten nicht präferiert an medizinischen Kategorien, sondern vielmehr an der alltäglichen Lebenswelt orientieren. In diesem Zusammenhang spricht sie sich für das Konzept einer interaction based medicine aus, das auf eine gemeinsame interaktive Konstruktion von Krankheitsbedeutung im Gespräch abzielt.
Insbesondere im Kontext des Sprechens über Schmerzen, aber auch im Rahmen weiterer Aspekte der Beschwerdenschilderung spielen die Emotionen des Patienten und deren Manifestationen eine wichtige Rolle. Im Gegensatz zum Arzt, für den die Konfrontation mit Krankheit und Schmerz einen großen Teil seines routinierten Alltags darstellt, ist der Arztbesuch für den Patienten als Betroffenen meist eine Ausnahmesituation, die oft mit emotionaler Belastung verbunden ist (Heritage/Lindström 2012). So sind Angst, Befürchtungen, Sorgen und Unsicherheit die wesentlichen Emotionen im Hinblick auf die Beschwerden des Patienten (Fiehler 2005), die eine Gefühlsarbeit (Strauss 1980) seitens des Arztes erforderlich machen, also das Eingehen auf das von den Patienten geschilderte Erleben und die damit verbundenen Emotionen. Im folgenden Transkriptausschnitt berichtet die Patientin ihrem Hausarzt von Schwindel und Kreislaufproblemen, die sie daran hindern, ihren alltäglichen Aufgaben nachzugehen:
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Der Arzt geht hier auf die Erlebnisthematisierung der Patientin ein und greift die darin zum Ausdruck kommenden Emotionen (Angst, Sorgen, Unsicherheit) auf, indem er durch entsprechende Fragen nachhakt und sich empathisch zeigt (Zeile 03, 09, 17).
Zumeist jedoch, so Fiehler (2005), orientieren sich Ärzte ausschließlich an den Aufgaben, die ihnen das ärztliche Behandlungsmuster vorgibt und ignorieren das Anteilnahmemuster, das Patienten aus ihren alltäglichen Kommunikationserfahrungen heraus erwarten.

2.2.2 Legitimation und Relevanzmarkierung

Die Beschwerdenschilderungen dienen dann auch dem wichtigen Zweck, den Arztbesuch des Patienten zu legitimieren, ihn doctorable zu machen (Heritage/Robinson 2006). Viele Patienten haben das Bedürfnis, sich für ihren Arztbesuch zu rechtfertigen, indem sie die Schwere ihrer Erkrankung betonen und dem Arzt somit zu verstehen geben, dass sie seiner Hilfe als medizinischem Fachmann bedürfen:
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Die Patientin weist ihre Erkrankung hier als doctorable aus, indem sie deren Schwere betont (Zeile 01 und 02) und den Arzt darüber hinaus auf das Andauern der Beschwerden (Zeile 05 und 06) sowie etwas später noch auf erfolglose eigene Behandlungsversuche hinweist, wodurch eine Konsultat...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Title
  3. Copyright
  4. Contents
  5. Vorwort
  6. I Historische Konstruktion von Medizinkommunikation
  7. II Interaktive Konstruktion von Medizinkommunikation: Ärztliche Gespräche
  8. III Mediale Konstruktion von Medizinkommunikation
  9. Sachregister