John Rawls: Politischer Liberalismus
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John Rawls: Politischer Liberalismus

  1. 214 Seiten
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John Rawls: Politischer Liberalismus

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In this series the most important works in the history of philosophy are discussed with cooperative commentary from internationally renowned philosophers. Each volume contains 12 to 15 essays, and follows the organizational structure of the discussed philosophical work. Essential reading for students and academics alike, the series elucidates the major themes in philosophy without the need for time-consuming consultation of secondary literature.

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Information

Jahr
2015
ISBN
9783110392845
Otfried Höffe

1 Einführung

Auf den ersten Blick ist der Ruhm des in Baltimore geborenen und später an der Havard University lehrenden Philosophen John Rawls (1921 – 2002) erstaunlich. Sein gesamtes Werk besteht nämlich aus einem einzigen Grundgedanken. Denn mit Ausnahme der mehrfach gehaltenen Vorlesung zu Hume, Leibniz, Kant und Hegel, der Geschichte der Moralphilosophie (2000, dt. 2002), dient die einflussreichste politische Ethik der letzten Jahrzehnte nichts anderem als der Ausarbeitung der „Gerechtigkeit als Fairness“. Ihr widmet Rawls seit den 60er Jahren in einer schon monomanischen Beharrlichkeit sein so gut wie gesamtes philosophisches Leben. Selbst die nach seinem Tod herausgegebenen Vorlesungen zur Geschichte der Politischen Philosophie (2007, dt. 2008) zählen durchaus zu diesem Lebenswerk, einer zunehmend detaillierten, aber auch von Modifikationen nicht freien Gerechtigkeitstheorie. Bei näherer Betrachtung erweist sich aber der Ruhm als berechtigt. Denn sechs Dinge zeichnen Rawls aus und verdienen als Hintergrund des hier zu kommentierenden Werkes, des Politischen Liberalismus, erwähnt zu werden.

1.1 Das Bezugswerk: Eine Theorie der Gerechtigkeit

Der englische Sprachraum verdankt Rawls erstens den bedeutendsten Beitrag zur politischen Ethik, das im Jahre 1971 erschienene monumentale Werk A Theory of Justice, Eine Theorie der Gerechtigkeit (kurz: Theorie). Die zunächst ins Deutsche (1975), später in alle wichtigen europäischen und außereuropäischen Sprachen übersetzte Schrift bildet den entscheidenden Ausgangs- und Bezugspunkt für den Politischen Liberalismus. Dieses zweite Hauptwerk erscheint im Jahr 1993 (2. Auflage 1996, dt. 1998; Expanded Edition 2005), also nach einem mehr als zwanzigjährigen Prozess der Überarbeitung und Erweiterung.
Lange Zeit vernachlässigt, erfährt die praktische Philosophie seit Mitte des 20. Jahrhunderts eine Renaissance. Innerhalb ihrer verdankt die internationale Debatte Rawls, darin liegt seine zweite Leistung, eine doppelte Wende. Unser Harvard-Philosoph zieht dem philosophiegeschichtlichen einen systematischen Diskurs und dem metaethischen einen normativethischen und zugleich politischen Diskurs vor. (In der anglophonen Debatte schieben sich aber mittlerweile die metaethischen Überlegungen wieder in den Vordergrund.) Mit dem Argument, dass die Antworten der personalen Gerechtigkeit, der Gerechtigkeit als Tugend, den Problemen moderner Gesellschaften immer weniger gerecht würden, widmet sich Rawls hauptsächlich der Gerechtigkeit von politischen, wirtschaftlichen und sozialen Institutionen, näherhin der Grundstruktur einer Gesellschaft.
Schon mit diesem Thema, das man „politische Gerechtigkeit“ nennen kann, richtet sich Rawls, drittens, gegen den vorher im englischen Sprachraum vorherrschenden Utilitarismus, der die Gesellschaft auf den kollektiven Vorteil, auf das nach Bentham „größte Glück der größten Zahl“, verpflichtet. Statt dessen öffnet er sich der kontinentaleuropäischen Tradition des Gesellschaftsvertrages eines Jean-Jacques Rousseau. Noch weit stärker orientiert Rawls sich aber an der Philosophie Immanuel Kants, im Gegensatz zu seinem politischen Interesse aber mehr an Kants Grundlegungsschriften zur Moralphilosophie als an dessen einschlägigen rechts- und staatstheoretischen Texten. Bezeichnenderweise hält Rawls seine Theorie für einen Beitrag zur Moralphilosophie (deutlich in § 9). Fragen von Herrschaft, Macht und zwangsbefugtem Recht spielen höchstens eine marginale Rolle. Dadurch findet eine gewisse Moralisierung, zugleich Entpolitisierung der politischen Philosophie statt.
Das zweite Hauptwerk will zwar eine genuine politische Philosophie entwickeln und setzt sich zu diesem Zweck nachdrücklich gegen eine Moralphilosophie ab. Eine empfindliche Verkürzung der politischen Philosophie wird aber nicht zurückgenommen. Rawls reduziert die politische Philosophie auf eine Rechtfertigung normativer, des näheren: moralischer Prinzipien für die Politik. Die für die klassische politische Philosophie zentrale Frage nach der Herrschaftslegitimation dagegen bleibt aus dem Aufgabenbereich der politischen Philosophie gestrichen. Rawls führt zwar ein Prinzip der Legitimität ein, das er im Rahmen seines politischen Liberalismus zu Recht als ein „liberales“ Prinzip versteht, das wiederum die staatliche Zwangsmacht als „kollektive Macht des Bürgers“ begreift (PL, 222/136). Warum aber Menschen über Menschen überhaupt eine Herrschaft ausüben dürfen, diese grundlegende Frage wird nicht aufgeworfen.
Weil sich Rawls bei der Begründung von Gerechtigkeitsprinzipien der schon damals internationalen Sprache der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, der Theorien rationaler Wahl bzw. Entscheidungstheorien, bedient, gewinnt er, viertens, auf diese Wissenschaften weltweit großen Einfluss. Denn seitdem befassen sich diese wieder intensiv mit den lange vernachlässigten Gerechtigkeitsfragen. Zusätzlich wirkt Rawls auf die Rechts- und Politikwissenschaften, selbstverständlich auf die politische Philosophie, nicht zuletzt auf die Theologie, namentlich ihre Sozialethik, ein.
Das Gewicht, das Rawls, selber eine sehr bescheidene Person, binnen kurzem erhält, ist außergewöhnlich. Die von seinem monumentalen Werk ausgelösten Debatten nehmen geradezu industrielle Ausmaße an. (Zur Kommentierung der Theorie und für einen Einblick in die Literatur s. Freeman 1998 und Höffe 32013.) Zweifellos ist diese Resonanz berechtigt. Denn die Theorie betrifft nicht bloß, sondern trifft auch, so ihre fünfte Bedeutung, den Kern der modernen Gemeinwesen, ihre konstitutionellen, mit den zentrifugalen Kräften eines facettenreichen Pluralismus ringenden Demokratien.
Abgesehen von einer Art „moralischer Geometrie“ (vgl. TJ, § 20), die Rawls, der Enkel-Schüler von Quine, mit seinem Rückgriff auf die Theorien rationaler Wahl erreichen will, verfolgt er noch ein weiteres, sogar vorrangiges methodisches Interesse. Er will wohlüberlegte Gerechtigkeitsurteile mittels allgemeiner Grundsätze, der Gerechtigkeitsprinzipien, in einen widerspruchsfreien Zusammenhang, in das Überlegungsgleichgewicht (reflective equilibrium), bringen. Allerdings kommt es nicht auf beliebige Gerechtigkeitsurteile an, sondern lediglich auf die von Bürgern westlicher Demokratien, genauer: auf die von Bürgern demokratischer Rechts- und Verfassungsstaaten bzw. konstitutioneller Demokratien. Im Politischen Liberalismus übernimmt Rawls eine schon früher getroffene Unterscheidung und spricht von drei Stufen, dem engen, dem weiten und dem vollen Überlegungsgleichgewicht (PL, 9. Vorl., FN 16).
Mit dem Gedanken des Überlegungsgleichgewichts führt Rawls übrigens in seiner Gerechtigkeitstheorie die drei wichtigsten Wahrheitstheorien stillschweigend zu einer Einheit: Wegen des widerspruchsfreien Zusammenhangs, den er sucht, legt er, immer in Bezug auf die Gerechtigkeit, eine Theorie der inneren Übereinstimmung, eine Kohärenztheorie, vor. Da er hinsichtlich der Gerechtigkeitsprinzipien vor allem im zweiten Hauptwerk einen übergreifenden Konsens annimmt, beläuft sich seine Theorie auf eine Konsenstheorie. Und da das Richtigkeitskriterium seiner Theorie in einer Entsprechung, also Korrespondenz, besteht, nämlich in der Korrespondenz mit den wohlüberlegten Gerechtigkeitsurteilen liberaler Bürger, liegt Rawls’ Theorie schließlich auch die dritte, die Korrespondenztheorie zugrunde.
Auf den ersten Blick scheint Rawls’ methodischer Ansatz dem substantiellen Interesse zu widersprechen. Nach dem Grundgedanken der rationalen Wahl verfolgt man nämlich das Gegenteil von Gerechtigkeit, ein maximales Selbstinteresse. Durch einen Kunstgriff nimmt Rawls diesem rationalen Egoismus aber die Möglichkeit, sich zu entfalten. Er führt in seiner Vertragstheorie den Kern der elementaren Gerechtigkeit, die Unparteilichkeit, ein, indem er sich des von den Justitia-Darstellungen bekannten Attributs, der verbundenen Augen, bedient: Bei der in einem Urzustand (original position) stattfindenden Wahl von Grundsätzen, die die Gesellschaft strukturieren, befindet man sich unter einem Schleier des Nichtwissens (veil of ignorance). Seinetwegen ist man zwar im Besitz allen sozialwissenschaftlichen Wissens, kennt aber weder seine eigene Lage und seine eigenen Fähigkeiten noch die Art der Gesellschaft, in der man lebt. Auf diese Weise wird eine Unparteilichkeit methodisch erzwungen, und man entscheidet sich notgedrungen für gerechte Grundsätze, nämlich für Prinzipien, die jedem zugute kommen.
Nach Rawls’ intuitivem Grundgedanken und zugleich der Bezeichnung der ausgearbeiteten Theorie, der „Gerechtigkeit als Fairness“, gilt die Gesellschaft als ein System der Zusammenarbeit, dessen Gewinne, aber auch Lasten so zu verteilen sind, dass per Saldo jeder einzelne einen möglichst großen Vorteil erhält. In diesem Sinn ist die Gerechtigkeit für Rawls eine Aufgabe der Verteilung und nur der Verteilung. Dabei tritt in den Hintergrund, dass das Zu-Verteilende nicht wie das Manna vom Himmel fällt, sondern allererst zu erarbeiten ist. Überdies spricht Rawls weit mehr über die Vorteile als über Lasten.
Zur Verteilung kommen auf der positiven Seite nicht die üblichen Güter, etwa Waren oder Dienstleistungen, sondern jene Grundgüter (primary goods), auf die als Bedingungen unterschiedlichster Lebenspläne niemand verzichten kann. Weil es nur auf den gesellschaftlich bedingten Anteil dieser Güter ankommt („social“ primary goods), behandelt Rawls nicht etwa biologisch unverzichtbare Güter wie Luft, Wasser und Nahrung, auch nicht das Bindungsbedürfnis von Neugeborenen. Vielmehr kommt es auf Rechte und Freiheiten sowie auf Einkommen und Wohlstand an, also auf „Güter“, die in der Tat in hohem Maße gesellschaftlich bedingt sind. Grundlegender und neutraler wäre es allerdings, nicht von (gesellschaftlichen) Grundgütern zu sprechen, sondern von transzendentalen Interessen, nämlich (gesellschaftlichen) Bedingungen der Möglichkeit von Handlungsfähigkeit, auf Englisch: conditions of agency (Höffe 22002, Kap. 2.5).
Erstaunlicherweise legt Rawls auch auf die Selbstachtung wert, die zweifellos ein überragendes Gewicht hat, aber nur in engen Grenzen als gesellschaftlich bedingt gelten kann.
Die beiden Grundsätze, die im Zentrum der Theorie stehen, lauten nun (TJ, § 46):
  1. Jedermann hat gleiches Recht auf das umfangreichste Gesamtsystem gleicher Grundfreiheiten, das für alle möglich ist.
  2. Soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten müssen (a) unter der Einschränkung des gerechten Spargrundsatzes dem am wenigsten Begünstigten den größtmöglichen Vorteil bringen und (b) mit Ämtern und Positionen verbunden sein, die allen gemäß fairer Chancengleichheit offenstehen.
Das erste Gerechtigkeitsprinzip ist gemäß Rawls’ Gedanken der lexikalischen Ordnung absolut vorrangig („Erste Vorrangregel: Vorrang der Freiheit“). Es enthält sowohl die liberalen Freiheitsrechte als auch die demokratischen Mitwirkungsrechte, mithin beide Freiheitstraditionen, die sogenannten „Freiheiten der Moderne“ und die „Freiheiten der Alten“ (vgl. PL, 9. Vorl., 3.1). Mit seinem zweiten Gerechtigkeitsprinzip votiert nun Rawls, so seine sechste Leistung, für etwas, das für die nordamerikanische Politik ein enormes kritisches Potenzial erhält, in Kontinentaleuropa dagegen schon weithin anerkannt ist. Er plädiert für ein hohes Maß an Sozialstaatlichkeit, das er durch eine zweite Vorrangregel präzisiert, den „Vorrang der Gerechtigkeit vor Leistungsfähigkeit und Lebensstandard“.
Nicht zuletzt erweist sich unser Philosoph, jetzt in der genannten Geschichte der Moralphilosophie, als intimer Kenner der neuzeitlichen Moralphilosophie, bezeichnenderweise aber der Philosophie der Moral und nicht der von Recht, Staat und Politik. Im Mittelpunkt steht dabei Immanuel Kant. Nicht zufällig gibt Rawls in der Theorie seinem Grundgedanken der Gerechtigkeit als Fairness ausdrücklich eine Kantische Deutung. Er hält sein Gleichheitsverständnis für eine Kantische Konzeption (Rawls 1975, dt. 1979) und seinen Urzustand für eine Verfahrensdeutung der Kantischen Ethik, was er später (1980, dt. 1992) zu einem „Kantischen Konstruktivismus in der Moraltheorie“ fortbildet und in der Vorlesung III des hier kommentierten Werkes aufgreift:
Rawls versteht die Gerechtigkeitsgrundsätze als kategorische Imperative im kantischen Sinn. Erstaunlicherweise bezieht er sich aber auch hier nicht auf den für eine Gerechtigkeitstheorie von Institutionen einschlägigen Text, auf den ersten Teil von Kants Metaphysik der Sitten, auf die Metaphysischen Anfangsgründe der Rechtslehre. Besonders einschlägig wäre „§ B Was ist Recht?“. Dort sucht Kant „das allgemeine Kriterium, woran man überhaupt Recht sowohl als Unrecht (iustum et iniustum) erkennen könne“. Seine Antwort besteht in einem Prinzip, dem der allgemein vertraglichen Freiheit, das den Rang eines kategorischen Rechtsimperativs hat (vgl. Höffe 31995, bes. Kap. 5). Hätte Rawls es getan, so hätte der Grundgedanke des politischen Liberalismus schon in die Theorie eingehen können.
Rawls’ Grundgedanke verfügt über ein hohes Maß an Überzeugungskraft. Dabei klingt die Qualifizierung der Gerechtigkeit als „Fairness“ zweifellos schön, sie ist aber wenig aussagekräftig. Der erklärende Ausdruck „Fairness“ ist nämlich für sich genommen noch unklarer als die zu erklärende „Gerechtigkeit“. Denn beim zweiten Ausdruck denkt man sogleich an zwei unstrittige Momente: an die Gleichheit mit dem Willkürverbot als negativem Kern und an die Wechselseitigkeit. Beim ersten Ausdruck dagegen, bei der Fairness, sieht man sich zwar an den Sport verwiesen, ohne auf Anhieb sagen zu können, was der Ausdruck dort genau bedeutet. Dass man sich bei einem Spiel an die Regeln zu halten hat, ist nämlich ebensowenig gemeint wie die Strategien, mit denen man zu siegen hofft.
Bei Rawls geht es zwar um Regeln. In seiner Fairnessgerechtigkeit wird aber nicht innerhalb von Regeln, sondern um Regeln gespielt, genauer um höher-, sogar um höchststufige Regeln. Es sind die Prinzipien, in denen sich die Grundverfasstheit einer Gesellschaft ausspricht. Mit der Maßgabe, dieses Spiel unter „fairen“ Bedingungen zu spielen, dreht sich nun die Argumentation im Kreis: Um sich auf die Gerechtigkeitsprinzipien einigen zu können, muss das Spiel schon selber gerecht strukturiert sein. Das Gerechtigkeitsergebnis des Spiels spiegelt also die Gerechtigkeit der Spielbedingungen wider. In ihnen spricht sich eine Vorab- oder Proto-Gerechtigkeit (vgl. zu diesem Begriff Höffe 22002, Kap. 3.5) aus. Bei Rawls nun wird nicht klar genug, dass diese Proto-Gerechtigkeit die letztentscheidende Prämisse bildet und als solche den eigentlichen, zumindest den primären Gegenstand einer philosophischen Gerechtigkeitstheorie bildet.
Rawls selber gibt sich erstaunlich bescheiden. Die gesuchten Fairness-Prinzipien sollen nicht für jedwede Gesellschaft gelten, sondern lediglich für eine konstitutionelle Demokratie. Darunter versteht er ein faires System der Kooperation von Bürgern, die sich gegenseitig als freie und gleiche Personen anerkennen. In dieser Wechselseitigkeit, die an Aristoteles’ Bestimmung der Polis als „Gemeinschaft von Freie...

Inhaltsverzeichnis

  1. Klassiker Auslegen
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. Zitierweise
  6. Vorwort
  7. 1 Einführung
  8. 2 Gerechtigkeit, Stabilität und Legitimität (Die beiden Einleitungen)
  9. 3 Grundlegende Ideen des Politischen Liberalismus (Vorlesung I)
  10. 4 Die Vermögen der Bürger und ihre Darstellung (Vorlesung II)
  11. 5 Politischer Konstruktivismus (Vorlesung III)
  12. 6 Die Idee eines übergreifenden Konsenses (Vorlesung IV)
  13. 7 Der Vorrang des Rechten und die Ideen des Guten (Vorlesung V)
  14. 8 Grundlagen und Grenzen der öffentlichen Vernunft (Vorlesung VI)
  15. 9 Die Grundstruktur als institutionelle Ausprägung von John Rawls’ Gerechtigkeit als Fairness (Vorlesung VII)
  16. 10 Zur Rechtfertigung des Vorrangprinzips (Vorlesung VIII)
  17. 11 Ausblick: Das Recht der Völker
  18. Auswahlbibliographie
  19. Personenverzeichnis
  20. Sachverzeichnis
  21. Hinweise zu den Autoren