Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert. Band 3: Drittes Reich. Teil 1
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Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert. Band 3: Drittes Reich. Teil 1

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Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert. Band 3: Drittes Reich. Teil 1

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Band 3 der Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert ist der brisantesten Periode der Buchbranche gewidmet - der Zeit der NS-Diktatur. Der erste Teilband behandelt die Entrechtung und Vertreibung jüdischer und oppositioneller Verleger, die "Gleichschaltung" des Buchhandels und seiner Organisationen in der "Reichsschrifttumskammer", die Situation der Autoren zwischen Anpassung und innerer Emigration, die Indoktrination der Leser, aber auch die Buchgestaltung. Ein eigenes Kapitel gilt dem Zwischenbuchhandel, der sich - teilweise erfolgreich - durch Betonung des rein logistischen Charakters seiner Tätigkeit gegen den Einfluss der Politik abzuschotten suchte. Genauer untersucht werden schließlich die literarisch-belletristischen Verlage und die Wissenschaftsverlage als die beiden ökonomisch wichtigsten und wirkmächtigsten Sparten des Verlagswesens, sowie der Lexikonverlag, bei dem sich die Frage einer Anpassung an die Ideologie der neuen Machthaber mit besonderer Dringlichkeit stellte.

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Information

Jahr
2015
ISBN
9783110384925

1      Einleitung

Ernst Fischer/Reinhard Wittmann/Jan-Pieter Barbian

Seit mehr als drei Jahrzehnten ist eine Geschichte des Deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert das wichtigste Projekt der Historischen Kommission des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels; inzwischen sind die Darstellungen zum Kaiserreich und zur Weimarer Republik in insgesamt fünf Teilbänden erschienen. Der vorliegende Band ist der erste von dreien, der die Zeit von 1933 bis 1945 behandelt. Er befasst sich also mit der dunkelsten Periode auch der Buchhandelsgeschichte, gekennzeichnet von einem beispiellosen Zugriff des politischen Regimes auf alle Bereiche des geistigen, kulturellen und gesellschaftlichen Lebens.
Die Maßnahmen, die der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler folgten, zielten von Anfang an auf eine totalitäre Kontrolle der literarisch-publizistischen Öffentlichkeit und damit in direkter wie indirekter Weise auch auf eine Kontrolle der gesamten Welt des Buches. Die in der Weimarer Verfassung erstmals in der deutschen Geschichte garantierten »Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen« wurden bereits 1933 durch die Notverordnungen des Reichspräsidenten vom 4. und 28. Februar und mit dem am 24. März 1933 vom Reichstag beschlossenen »Ermächtigungsgesetz« faktisch aufgehoben und Einzelpersonen ebenso wie politische oder soziale Gemeinschaften dem staatlichen Terror ausgeliefert. Politische Gegner wurden nach dem Reichstagsbrand vom 27. Februar 1933 willkürlich verhaftet, in Gefängnissen und Konzentrationslagern interniert, gefoltert und in vielen Fällen ermordet; unter denen, die noch in der gleichen Nacht oder in den folgenden Tagen und Wochen ins Ausland flüchteten und im weiteren dann vom NS-Staat systematisch ausgebürgert wurden, befanden sich auffällig viele Schriftsteller und Publizisten. Die rund 500.000 in Deutschland lebenden Juden wurden – beginnend mit dem reichsweit von der SA organisierten Boykott jüdischer Geschäfte, Ärzte und Rechtsanwälte am 1. April 1933 und dem so genannten Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April – durch eine Vielzahl von Sondergesetzen und durch den Zwang zur »Arisierung« ihres Vermögens und ihrer Unternehmen systematisch entrechtet, darunter auch zahlreiche Verleger, Buchhändler und Antiquare. Die »Aktion wider den undeutschen Geist« und die Bücherverbrennungen vom 10. Mai 1933 trafen neben den jüdischen Autoren auch die Literatur politischer Gegner des Nationalsozialismus, der freien Gewerkschaften, die nationale und internationale Avantgarde, Schriften zum Sozialismus und Marxismus, zur Sexualaufklärung und modernen Psychologie und wirkten auch auf den Buchhandel als unmissverständliches Signal, diese Bücher aus dem Sortiment zu nehmen. Schließlich wurden mit der systematischen Entrechtung und nachfolgend mit der Ermordung von Millionen Juden, Sinti und Roma und anderen Minderheiten in Europa die Regeln eines zivilisierten Umgangs von Menschen mit Menschen, die seit dem Zeitalter der Aufklärung des 18. Jahrhunderts und der Französischen Revolution in verfassungsmäßig garantierten Grund- und Menschenrechten definiert worden waren, gewaltsam außer Kraft gesetzt. Die meisten dieser Zwangsmaßnahmen, die auf diesen Weg der schrankenlosen Inhumanität hinführten, waren öffentlich sichtbar, wurden in der Tagespresse, in Fachzeitschriften und in Buchpublikationen ausführlich thematisiert. Im Kontext des »Historikerstreites«, bei dem Ende der 1980er Jahre in der Öffentlichkeit eine heftige fachwissenschaftliche Kontroverse über den methodisch fundierten und ethisch angemessenen Umgang mit der Erforschung und Bewertung der NS-Diktatur ausgetragen wurde, haben Dan Diner und Jürgen Habermas den Begriff des »Zivilisationsbruchs« eingeführt und damit die ungeheuerliche Dimension des Geschehens auf den Begriff gebracht. Dass es sich in der Tat um einen solchen tiefgehenden »Zivilisationsbruch« gehandelt hat, dürfte den meisten Zeitgenossen in Deutschland und weltweit allerdings erst 1945 bewusst geworden sein.
Eine solche Bewertung bestätigt sich auch in den Bereichen der Literatur und des deutschen Buchhandels, zunächst schon im Blick auf den rasanten Verlauf der »Gleichschaltung« des öffentlichen Lebens nach dem Machtantritt Hitlers am 30. Januar 1933. Binnen weniger Wochen wurden die wichtigsten, bislang eigenständigen Vertretungen der Schriftsteller – die Sektion der Dichtung in der Preußischen Akademie der Künste, der Schutzverband deutscher Schriftsteller und die deutsche Sektion des PEN-Club – mit erheblicher Unterstützung aus den eigenen Reihen personell und institutionell neu formiert. Der Börsenverein der Deutschen Buchhändler strebte nach den Reichstagswahlen vom 5. März 1933 und dem Ausbau der Herrschaft der NSDAP ein enges Bündnis mit den neuen Machthabern an und beschloss noch im April ein entsprechendes »Sofortprogramm«. Auch der Verband Deutscher Volksbibliothekare und der Verein Deutscher Bibliothekare gliederten sich reibungslos in die neuen politischen Verhältnisse ein.
Ein Parteigänger der neuen Machthaber, Wilfrid Bade, der ab 1933 im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda Karriere machte und sich nebenher erfolgreich als Autor populärer Sachbücher betätigte, sah sich in seiner im gleichen Jahr im Druck erschienenen Rede »Kulturpolitische Aufgaben der deutschen Presse« veranlasst, zu Ende des ersten Jahres der NS-Herrschaft das bemerkenswerte Fazit zu ziehen: »Wir haben vor einigen Monaten eine wahre Orgie der
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Gleichschaltung
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erlebt. Schon dieses Wort beweist, dass es sich hier größtenteils um einen rein mechanischen Vorgang gehandelt hat, dem jedes innere Erlebnis fehlte.« »Der Sinn und die letzte Forderung des Dritten Reiches« sei jedoch keine »Gleichschaltung«, sondern eine aktive »Einschaltung«. Diese hatte Joseph Goebbels zuvor bereits den deutschen Verlegern und Buchhändlern beim Kantate-Treffen in Leipzig in einer Grundsatzrede verordnet, die demonstrativ auch im Lehrbuch des Deutschen Buchhandels (Paschke/Rath, 7. Aufl. 1935; gekürzt) abgedruckt wurde: »Das deutsche Buch«, so der Propagandaminister am 14. Mai 1933 im Festsaal des Buchhändlerhauses, sei »nicht nur eine materielle Angelegenheit. Es ist nicht nur eine Sache des Geschäfts. […] [E]s wäre verhängnisvoll, wenn Sie auch nur einen Augenblick dabei vergessen wollten, dass Sie zugleich die Verwalter eines unabmeßbaren Kulturgutes des deutschen Volkes sind.« Die »hohe kulturelle Sendung« könne das »deutsche Buch« allerdings nur dann »erfüllen, wenn Volk und Geist eins geworden sind. […] Ihre Aufgabe, Ihre Pflicht ist es, der neuen Kultur den Weg freizulegen«. Damit war deutlich, dass es eine Autonomie des deutschen Buchhandels im NS-Staat nicht mehr geben konnte – weder institutionell noch in der bislang freien Entfaltung des Buchmarktes. Es war daher nur konsequent, dass Goebbels neben dem im Juni 1933 unter seiner Regie gebildeten Reichsverband Deutscher Schriftsteller auch den Börsenverein Deutscher Buchhändler und eine Reihe weiterer Berufsverbände in die Reichsschrifttumskammer integrierte, die als eine von sieben Einzelkammern der Reichskulturkammer in den kommenden zwölf Jahren die kontrollierende und regulierende Institution für den deutschen Buchhandel wurde.
Dass die Reichsschrifttumskammer ihre Macht nicht nur mit der Schrifttumsabteilung im Propagandaministerium teilen musste, sondern mit zahlreichen anderen staatlichen und vor allem parteiamtlichen Schrifttumsstellen, ändert nichts an der Tatsache, dass sich der deutsche Buchmarkt unter der NS-Diktatur so grundlegend veränderte wie in keiner vorherigen Epoche seiner Geschichte. Auch hier hat der 8. Mai 1945 nur die Dimension der physischen und moralischen Zerstörungen offenbart, die sich nach dem 30. Januar 1933 sukzessive vollzogen haben.
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Vieles, was in der Forschung als Merkmale des Nationalsozialismus diskutiert wurde, spiegelt sich exemplarisch in der Welt von Buch und Buchhandel. Genannt seien etwa Aspekte der »Scheinlegalität« in der »Gleichschaltung« des Kultur- und Wirtschaftslebens, Strukturen der Polykratie, ebenso Methoden des totalitären Zugriffs auf alle Kulturbereiche, vor allem das Zusammenspiel von Zensur (und Beförderung der Selbstzensur) mit positiver Leserlenkung, das sich als Modell für die spezifische Herrschaftstechnik des Regimes verstehen lässt. Es gilt dies nicht weniger für die zynischen Mechanismen der Ausgrenzung der jüdischen oder »jüdisch versippten« Schriftsteller, Verleger, Buchhändler, Antiquare und Lektoren und die als geplanter Raubzug interpretierten bzw. interpretierbaren »Arisierungen« – denn mit dem nationalsozialistischen »Kunstraub« ist auch der »Bücherraub« (dank der Provenienzforschung in Bibliotheken) ein vieldiskutiertes Thema geworden. Ebenso deutlich wird auf diesem Feld aber auch das »Skandalon der
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Normalität des Dritten Reiches
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« in seinem »Amalgam aus Monopolisierung und Polyzentrismus, Kumpanei und Konkurrenz«, wie Erhard Schütz es in seinem Aufsatz »Zur Modernität des
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Dritten Reiches
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« 1995 treffend formuliert hat. Überhaupt ist Modernisierung ein Stichwort, zu dem z. B. organisatorische Neuregelungen im Verhältnis Schriftsteller/Verleger Anschauungsmaterial liefern können, und manche Beobachtung zur Organisation des Buchmarktes und dessen unglaubliche Prosperität gerade in den ersten Kriegsjahren passt zur These vom technokratischen Charakter des Nationalsozialismus. Dass der Massenbuchmarkt auch unter Mangelbedingungen aufrechterhalten wurde, verweist auf gleichgelagerte Erkenntnisse zur gezielten Konsumpolitik und gleichzeitigen Verbrauchslenkung durch das Regime. Eine Geschichte des Buchhandels 1933 – 1945 vermag daher auch Beiträge zu virulenten Debatten wie jene um den Charakter des NS-Staates als »Gefälligkeitsdiktatur« oder »Wohlfahrtsstaat« zu liefern.
Der vorliegende Teilband 3/1 der Geschichte des Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert versteht sich allerdings nicht in erster Linie als ein Ort, an dem Thesen diskutiert werden sollen. Er bringt zuerst in einem in sich relativ geschlossenen, vom Autor zum Leser führenden Darstellungsbogen Grundlegendes zur NS-Literaturpolitik, den institutionellen und personellen Zusammenhängen der Schrifttumsbürokratie, zu den Lebens- und Arbeitsbedingungen der Autoren ebenso wie zu allen Aspekten der organisatorischen Neuordnung des deutschen Buchhandels, insbesondere zum Institutionengeflecht und zur Kontrolle des Publikationswesens; der Bogen umschließt aber auch Basisdaten zur Buchmarktentwicklung (mit z. T. überraschenden Befunden) und eine Skizze zur Leserlenkung im Dritten Reich. Auf diese Zusammenschau der zentralen literaturpolitischen Aktivitätsfelder und Entwicklungslinien folgen Beiträge zu zwei in der Sache unterschiedlichen Themenfeldern, die aber gemeinsam haben, dass sich an ihnen charakteristische Konstellationen der NS-Herrschaft exemplarisch studieren lassen, auch deren Begrenzungen. Beim Thema Buchherstellung und Buchgestaltung zeigen sich die Widersprüchlichkeiten des Systems auf ästhetischer Ebene (Moderne/Antimoderne) sehr deutlich. Nur Teilerfolge errang das Regime auch im Bereich des Zwischenbuchhandels, der sich in allen seinen Formen gegen den Einfluss der Politik durch Betonung des rein logistischen Charakters seiner Tätigkeit und Funktion abzuschotten suchte. Schließlich werden in diesem Teilband bereits Programmbereiche des Verlagswesens aufgegriffen: mit dem belletristischen und wissenschaftlichen Verlag die beiden (auch ökonomisch) wichtigsten Sparten, mit dem Lexikonverlag ein Verlagszweig, bei welchem sich die Frage der Anpassung der Wissensvermittlung an die neue Zeit mit besonderer Dringlichkeit stellte.
Der zweite Teilband wird die Vorstellung der verlegerischen Programmbereiche fortsetzen und im weiteren alle Erscheinungsformen des verbreitenden Buchhandels beleuchten, neben dem Sortiments- und Antiquariatsbuchhandel auch das Schicksal der Buchgemeinschaften und anderer Nebenformen der Bücherdistribution. Er wird auch das gemeinsame Register zu den Teilbänden 1 und 2 enthalten. Ein dritter Teilband wird Verlag und Buchhandel im Exil 1933 – 1945 behandeln.
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Wie gewöhnlich bei solchen Projekten hat sich auch das Erscheinen dieses Bandes mehrfach verzögert. Die Gewinnung qualifizierter Bearbeiter der einzelnen Kapitel erwies sich als teilweise sehr langwierig. Die lange Entstehungszeit hat freilich auch erhebliche Vorteile: gerade in den letzten fünfzehn Jahren ist eine Anzahl wichtiger, teils grundlegender Arbeiten erschienen. Zuvor war diese Periode lange terra incognita der Buchhandelsgeschichte, obgleich (oder weil) noch zahlreiche Zeitzeugen und einstige Akteure am Leben waren – deren Erinnerungen allerdings auch nicht systematisch dokumentiert wurden. Erst Anfang der Achtzigerjahre hat die wissenschaftliche Aufarbeitung vor allem durch einzelne Dissertationen zögernd begonnen und seitdem an Intensität stetig zugenommen. Die Forschungslandschaft ist dennoch sehr uneinheitlich: manche Bereiche wie etwa die Schrifttumspolitik sind genauer erforscht, andere nach wie vor noch Desiderata. Das findet seinen Niederschlag auch in diesem Band.
Zudem stellt sich die Quellenlage für diesen Zeitraum als besonders problematisch dar. Die Überlieferung von Akten staatlicher und parteiamtlicher Schrifttumsstellen ist lückenhaft, auch sind wichtige ins Ausland verbrachte Archivbestände (z. B. der Reichsschrifttumskammer) nach wie vor nicht zugänglich. Durch Kriegseinwirkung dezimiert wurde der Aktenbestand des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler, ebenso sind weitere große Verluste durch den Bombenkrieg gerade am Zentralort des deutschen Buchhandels Leipzig zu beklagen. Vielfach wurden Verlags- und andere Unternehmensarchive, sofern nicht im Krieg vernichtet, jahrzehntelang sekretiert und selektiert, auch nicht selten zur Gänze entsorgt, blieben jedenfalls oft ungeordnet und nur eingeschränkt nutzbar. Dennoch ist, nicht zuletzt im Archiv für Geschichte des Buchwesens, in den vergangenen Jahren eine nicht geringe Zahl einschlägiger Studien erschienen, darunter auch akademische Abschlussarbeiten, die als Standardwerke gelten können. Auch einige Unternehmen haben in den letzten Jahren ihre Rolle im Dritten Reich eingehend erforschen lassen, insbesondere die Verlagskonzerne Bertelsmann und Holtzbrinck. Dazu kommen Nachlässe, Briefe und Tagebücher von Schriftstellern, Verlegern und Buchhändlern sowie Buch-, Zeitungs- und Zeitschriftenveröffentlichungen der Jahre 1933 bis 1945.
Auch wenn sich eine Mehrzahl der neueren Studien um fortschreitende Differenzierung bemüht, ist die überaus komplexe Realität des Buchmarktes in der NS-Mediendiktatur noch längst nicht ausreichend erkannt und berücksichtigt. Noch immer überleben alte Pauschalisierungen und kommen sogar neue hinzu. Gerade bei manchen akademischen Abschlussarbeiten weist die so verständliche Tendenz zu rigorosen moralischen Qualifizierungen schriftstellerischen oder verlegerischen Verhaltens auf erhebliche Defizite beim Wissen um die komplizierten Interdependenzen und Zwänge des totalitären Lenkungs- und Überwachungssystems hin. Weder der systematische Blick auf die Instanzen und Funktion der Literaturpolitik noch die kasuistischexemplarische Perspektive auf den isolierten Einzelfall allein vermögen ein stimmiges Gesamtbild zu vermitteln, es bedarf der Synthese aus beidem.
Dieser Band ist um ein solches vielschichtiges Gesamtbild bemüht, kann jedoch in keiner Weise den Anspruch erheben, ein vollständiges Panorama des Buchmarktes im NS-Staat zu geben. Als ein erster Anlauf dazu muss er sich darauf beschränken, den aktuellen Forschungsstand überblicksartig vorzustellen, an einigen Stellen auch zu erweitern und zu vertiefen; insofern markiert er eher einen Beginn als einen Abschluss. Auf jeden Fall aber sucht er deutlich zu machen, welch kardinale Rolle das Buch als Propagandamedium, seine Produktion, Distribution und Rezeption in der Kulturpolitik des NS-Staates gespielt haben. Ablesbar ist dies nicht allein an Maßnahmen der Zensur und Repression, sondern ebenso sehr an einer gezielten, sich gerade im Krieg stetig intensivierenden Förderung der Populärkultur, die Propaganda und Unterhaltung gleichrangig wertete. Damit wird auch ein Vorurteil zu korrigieren sein, das bisher die Massenmedien Film und Radio als hauptsächlichste Ideologisierungsobjekte und Propagandamittel des Regimes in den Vordergrund stellte.

Jan-Pieter Barbian

2 Die Arbeits- und Lebensbedingungen der Schriftsteller

2.1 Die »Gleichschaltung« des literarischen Lebens

Die Bücherverbrennungen

Kaum ein anderes Ereignis markiert die radikale kulturpolitische Wende, die mit der nationalsozialistischen Machtübernahme verbunden war, so einprägsam wie die »Aktion wider den undeutschen Geist«, als deren Höhepunkt am 10. Mai 1933 die Bücherverbrennungen im gesamten Deutschen Reich inszeniert wurden. In einer 1934 unter dem Titel Dichter auf dem Scheiterhaufen veröffentlichten Nachbetrachtung schrieb der damalige Referent der Reichsschrifttumskammer Werner Schlegel:
Die Bücherverbrennung w...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Imprint
  3. Title
  4. Impressum
  5. Geleitwort
  6. Inhalt
  7. 1 Einleitung (Ernst Fischer/Reinhard ittmann/Jan-Pieter Barbian)
  8. 2 Die Arbeits- und Lebensbedingungen der Schriftsteller (Jan-Pieter Barbian)
  9. 3 Die organisatorische, personelle und rechtliche Neuordnung des deutschen Buchhandels (Jan-Pieter Barbian)
  10. 4 Der Buchmarkt: Marktordnung und statistische Marktdaten (Jan-Pieter Barbian)
  11. 5 Leser und Leserlenkung (Jan-Pieter Barbian)
  12. 6 Buchherstellung und Buchgestaltung ( ilhelm Haefs)
  13. 7 Der Z ischenbuchhandel (Thomas Keiderling)
  14. 8 Verlagsbuchhandel
  15. Die Autoren des Bandes
  16. Fußnoten