Entstehungsgeschichte
Zusammenfassung
Die früheste allgemeine Regelung der Untreue als Vermögensschädigungsdelikt findet sich in Art. 170 PGO. Danach gibt es über fast 340 Jahre nur kasuistische Regelungen, bis in dem dem RStGB vorausgehenden StGB für den Norddeutschen Bund durch eine Kombination der Täter-Enumeration im PrStGB mit der Bevollmächtigtenuntreue des sächs. StGB ein der Idee nach umfassender Tatbestand mit zahllosen Varianten geschaffen wurde. Ob das darin geregelte Unrecht in dem Missbrauch einer zivilrechtlichen Rechtsmacht nach außen oder in der Verletzung der nach innen bestehenden Treupflicht bestehe, war äußerst umstritten und wurde 1933 im Zuge der autoritären Gesetzgebung der frühen NS-Zeit durch deren Kumulation entschieden. Das damals geschaffene Zwillingsdelikt aus Missbrauchs- und Treubruchtatbestand ist bis heute bezüglich der Strafe mehrfach, im Unrechtskern aber überhaupt nicht verändert worden.
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1. Ein allgemeiner Untreuetatbestand, der in vielen Strafrechtsordnungen bis heute fehlt, findet sich überraschender Weise bereits in der Peinlichen Gerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532.1 Er konnte sich jedoch gegenüber dem eindringenden römischen Rechtsdenken nicht behaupten und ging (wieder) im furtum (rei depositae) des Gemeinrechts auf.2
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2. Es ist das Verdienst des StGB des Norddeutschen Bundes v. 31.5.1870 (NBBGBl. 197), durch die Kombination der Enumeration in § 246 PrStGB v. 14.4.1851 (PrGS 107)3 mit der allgemeinen Regelung in Art. 287 Abs. 2 des sächsStGB4 einen allgemeinen Schutz von unkörperlichen Vermögensgegenständen zu schaffen (vgl. u. Rdn. 27).
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3. Das RStGB v. 15.5.1871 (RGBl. 127) hat den § 266 NBStGB unverändert übernommen. Demzufolge lautete die Vorschrift im Abs. 1: „Wegen Untreue werden mit Gefängnis, neben welchem auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden kann, bestraft:
- Vormünder, Kuratoren, Güterpfleger, Sequester, Massenverwalter, Vollstrecker letztwilliger Verfügungen und Verwalter von Stiftungen, wenn sie absichtlich zum Nachteile der ihrer Aufsicht anvertrauten Personen oder Sachen handeln;
- Bevollmächtigte, welche über Forderungen oder andere Vermögensstücke des Auftraggebers absichtlich zum Nachteile desselben verfügen;
- Feldmesser, Versteigerer, Mäkler, Güterbestätiger, Schaffner, Wäger, Messer, Bracker, Schauer, Stauer und andere zur Betreibung ihres Gewerbes von der Obrigkeit verpflichtete Personen, wenn sie bei den ihnen übertragenen Geschäften absichtlich diejenigen benachteiligen, deren Geschäfte sie besorgen“.
Der Absatz 2 ließ neben der Freiheitsstrafe Geldstrafe zu für den Fall, dass die Tat begangen war, „um sich oder einem anderen einen Vermögensvorteil zu verschaffen“.
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4. Diese Regelung bestand bis zum Inkrafttreten (am 1.6.1933) des Ges. zur Abänderung strafrechtlicher Vorschriften v. 26.5.1933 (RGBl. I 295), das sich durch eine vollständig neue Fassung von der Kasuistik des ursprünglichen Gesetzes zu lösen, durch eine zusammenfassende Umschreibung des Untreuerechts den Tatbestand zu vereinfachen und die auf dem Boden der ursprünglichen Regelung entstandene Kontroverse zwischen Missbrauchs- und Treubruchtheorie (dazu u. Rdn. 19 f) durch deren Kumulation zu überwinden, dadurch aber die Strafbarkeitslücken der bisherigen kasuistischen Fassung zu schließen suchte (Rdn. 20) und die Strafdrohung vor allem durch die Zuchthausstrafe bis zu 10 Jahren für „besonders schwere Fälle“ verschärfte.
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5. Im Kern gilt der damals auf Grund des Ermächtigungsgesetzes geschaffene „Zwillingstatbestand“ aus Missbrauchs- und Treubruchtatbestand, der zwar von Fachleuten im Reichsjustizministerium formuliert wurde, in der Tendenz aber durchaus dem nationalsozialistischen Zeitgeist entsprach, noch heute. Jedoch sind folgende Änderungen eingetreten:
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a) Das 3. StRÄndG v. 4.8.1953 (BGBl. I 735, Art. 11) strich mit Wirkung v. 1.10.1953 die im Abs. 2 S. 2 aufgeführten Beispiele besonders schwerer Fälle (der Schädigung des Volkswohls, eines besonders großen Schadens, besonders arglistigen Handelns) teils als einer allgemeinen Regelung der Frage vorgreiflich und daher inopportun, teils als nicht schuldbezogen und daher rechtsstaatswidrig. Zugleich bestätigte es von Gesetzes wegen die Rspr. des RG und des BGH, nach der die gegen Angehörige, Vormünder und Erzieher verübte Tat nur auf Antrag zu verfolgen sei (Art. 1 Nr. 26, Art. 2 Nr. 41; Begr. zum E S. 18, 24; siehe auch die Neufassung des StGB v. 25.8.1953, BGBl. I 1083).
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b) Das 1. StrRG v. 25.6.1969 (BGBl. I 645), das die Freiheitsstrafdrohungen vereinheitlichte (Art. 4), änderte als Folge dieser Maßnahme die Androhung der Gefängnisstrafe im Absatz 1 und der Zuchthausstrafe (für besonders schwere Fälle) im Absatz 2; zugleich fasste es diesen Absatz sprachlich neu (Art. 1 Nr. 78). Kraft seines Art. 8 entfiel die bis dahin im Absatz 1 S. 2 zugelassene Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte. Der hiernach ab 1.4.1970 gültige Wortlaut ist in der Neufassung des StGB v. 1.9.1969 bekannt gemacht (BGBl. I 1445).
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c) Mit Wirkung vom 1.1.1975 gab das EGStGB 1974 dem § 266 die Überschrift, strich deshalb im Absatz 1 die Worte „wegen Untreue“, im Hinblick auf § 15 auch das Wort „vorsätzlich“ und gab dem Absatz 3 die geltende Fassung (Art. 326, Art. 19 Nr. 138). Die durch das ÄndG v. 26.5.1933 für die Untreue schlechthin und zwingend eingeführte Androhung kumulativer Geldstrafe wandelte es für den einfachen Tatbestand in eine wahlweise Androhung und beseitigte sie ganz für die besonders schweren Fälle (näher Rdn. 275). In dieser Fassung ist das StGB am 2.1.1975 neu bekannt gemacht (BGBl. I 1).
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d) Durch das 2. WiKG v. 15.5.1986 (BGBl. I 721) wurden in Art. 1 Nr. 11 die Spezialtatbestände des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt sowie des Missbrauchs von Scheck- und Kreditkarten (§§ 266a und b StGB) geschaffen, um die zuvor im Nebenstrafrecht verstreute Regelung der sog. Sozialversicherungsuntreue (dazu Hübner LK10 Rdn. 115) zu vereinheitlichen und um die infolge der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes bei der Benutzung von Scheck- und Kreditkarten aufgetretene Rechtsunsicherheit (Rdn. 178) zu beseitigen (Hübner LK10 Rdn. 120 f).
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e) Durch das 6. StrRG v. 30.1.1998 (BGBl. I 164) wurden in Art. 1 Nr. 62 die bisherigen Abs. 2 und 3 zusammengefasst und zugleich für die besonders schweren Fälle die Verweisung auf § 263 Abs. 3 ausgesprochen. Zur Begründung ist im Entwurf der Bundesregierung auf die „maßstabbildende Bedeutung“ der Regelbeispiele für die tatrichterliche Strafzumessung hingewiesen worden (BT-Drs. 13/8587 S. 42). Die in § 266 Abs. 2 ausgesprochene Verweisung auf die teilweise nur für den Betrugstatbestand, aber nicht für die Untreue passenden Regelbeispiele des § 263 Abs. 3 (Rdn. 278 ff) ist nirgendwo begründet worden.
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Im Entwurf der Bundesregierung war noch vorgeschlagen worden, „den Versuch unter Strafe zu stellen, um die Vorschrift insoweit dem Betrug gleichzustellen. Die damit verbundene Vorverlagerung des Strafschutzes erscheint vor allem im Hinblick auf Fälle geboten, in denen hohe Schäden – u.U. in Millionenhöhe – drohen.“ (BT-Drs. 13/8587 S. 43). Diesem Vorschlag wurde jedoch bereits in den Beratungen des Rechtsausschusses nicht gefolgt (BT-Drs. 13/9064 S. 20, ohne Begründung).
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6. Zu den Gesetzesmaterialien s. die Zusammenstellung bei LK12/Schünemann, Band 9/Teil 1, S. 666 f.
Wesen der Untreue
Zusammenfassung
I. Dem Untreuetatbestand kommt die Aufgabe zu, die schutzlose, d.h. vom Rechtsgutsträger nicht ausreichend absicherbare Rechtsgutsflanke gegenüber den gerade zum Schutz des Vermögens bestellten Personen mit den Mitteln des Strafrechts zu bewehren. Der den beiden Alternativen des Missbrauchs- und des Treubruchtatbestandes gemeinsame Unrechtskern kennzeichnet deshalb die Untreue als das (Garanten-)Sonderdelikt der vorsätzlichen Schädigung fremden Vermögens von innen heraus, nämlich durch rechtswidrigen Gebrauch einer fremdnützig anvertrauten rechtsgeschäftlichen Machtstellung oder sonstigen Obhutsherrschaft. Ein solcher Tatbestand ist nicht nur kriminalpolitisch unverzichtbar, sondern stellt auch in Form der Organtreue den wichtigsten Straftatbestand zum Schutz des Vermögens in der modernen Volkswirtschaft mit ihrem Auseinanderfallen von Eigentumszuständigkeit und Management dar, so dass die landläufige, häufig cum ira et studio betriebene Gesetzesschelte verfehlt ist. Freilich muss der in der Praxis zu beobachtenden Erosion des Tatbestandsmerkmals des Vermögensnachteils, das neben der Täterqualifikation die Hauptlast der Abgrenzung des Strafbarkeitsbereiches zu tragen hat, Einhalt geboten werden.
II. Zwar ist seit 1995 eine deutliche Zunahme der Strafverfahren wegen Untreue zu beobachten, doch ist deren bloße Zahl im Verhältnis zum Betrug oder gar Diebstahl immer noch gering. Die wirkliche kriminalpolitische Bedeutung liegt in dem oft sehr großen Schadensausmaß und in dem vermutlich sehr großen Dunkelfeld.
III. Um den Unrechtskern der Untreue stritten bis 1933 die Missbrauchstheorie, die auf den Missbrauch der im Außenverhältnis wirksamen zivilrechtlichen Rechtsmacht abstellte, und die Treubruchtheorie, die auf die Verletzung einer im Innenverhältnis bestehenden Vermögensfürsorgepflicht abstellte. Der Gesetzgeber von 1933 wollte durch das Nebeneinander von Missbrauchs- und Treubruchtatbestand den nach beiden Theorien anzunehmenden Strafbarkeitsumfang kombinieren, was in der bis 1972 einhellig anerkannten „älteren dualistischen Th...