2014/2015
  1. 321 Seiten
  2. German
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Über dieses Buch

Das Benn Forum erscheint in Verbindung mit der Gottfried Benn Gesellschaft und veröffentlicht Aufsätze, Vorträge, Miszellen und Dokumente zu Benn und zur literarischen Moderne. Eine umfassende, periodisch angelegte Personalbibliographie informiert in einer systematischen Übersicht über neue Titel der Primär- und Sekundärliteratur zu Benn. Das im Zweijahresrhythmus erscheinende Benn Forum beschließt ein ausführlicher Rezensionsteil.

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Information

Jahr
2015
ISBN
9783110430189

Beiträge

Stephan Kraft

Benn, Oelze und das Dritte Reich

Zum Oelzebriefwechsel im Nationalsozialismus

I.
Der Briefwechsel mit dem Bremer Kaufmann und Juristen F. W. Oelze (1891– 1979), der von 1932 bis zu Gottfried Benns Tod im Jahr 1956 andauerte, stellt, wenn es um die Frage nach dem Verhältnis Benns zum Dritten Reich geht, unzweifelhaft eine zentrale Instanz dar. Mit Oelze stand er während der gesamten Zeit des Nationalsozialismus im dauerhaften, engen Kontakt, ihm öffnete er sich politisch auf eine häufig nicht ungefährliche Weise, und ihm gab er, als er aller Publikationsmöglichkeiten beraubt war, seine politisch oft hochbrisanten Texte zur Lektüre. Und an Oelze ging im Januar 1945 mit dem berühmten Rönnepaket auch der Auftrag zur Rettung von Benns Werk der zurückliegenden Jahre über das nahende Kriegsende hinweg.
Nun stellen die Briefe Benns an Oelze, die in den Jahren 1977 bis 1980 separat publiziert worden sind,1 was die Meinungen und Äußerungen des Schriftstellers zu diesem Komplex angeht, ein mittlerweile wohlkartiertes Terrain dar,2 während die Seite seines Briefpartners Oelze die letzten drei Jahrzehnte hindurch notwendig eine fast vollständige terra incognita geblieben ist. Das hatte nicht nur zur Folge, dass man wenig über Oelzes Positionen zu politischen Fragen wusste, sondern es ließ sich auch die Dynamik, die dem Briefwechsel auf diesem Felde eignet und die natürlich auch die Seite Benns nicht unbetroffen lässt, bestenfalls erahnen.
Im Zuge der Gesamtedition des Benn-Oelze-Briefwechsels, die sich gerade in Arbeit befindet,3 erwies sich vor allem bei der Kommentierung der Korrespondenzjahrgänge zwischen 1933 und 1945 die Frage nach der politischen Situierung Oelzes und seiner Briefe an Benn als eine der besonders wichtigen für das Verständnis des Zusammenspiels der beiden Partner. Einige Ergebnisse der dadurch angestoßenen Recherchen, die in verschiedenste Archive führten,4 sollen hier präsentiert und in einen Zusammenhang mit der politisch-historischen Gesamtbedeutung des Briefwechsels gebracht werden. Dass dabei das Gewicht stärker auf die bislang weniger bekannte Oelze’sche Seite gelegt wird, als es nach den eigentlichen Bedeutungsverhältnissen zwischen den Briefpartnern vielleicht angemessen erscheinen mag, ist ein Ergebnis dieser spezifischen Konstellation.
II.
Wenn Oelze auch sicher nicht der übersehene deutsche Großintellektuelle der Zwischenkriegszeit oder gar selbst ein verkannter Künstler war, der es eben nur nie zu einem veröffentlichten Werk gebracht hat, so ist er doch ein umfassend klassisch gebildeter Großbürger, der sich vor allem in den kulturellen Debatten über weite Strecken auf der Höhe seiner Zeit bewegte und auch sonst breit gestreute Interessen verfolgte.5 Die nun durch die Gesamtedition entstehende Möglichkeit, seine Briefe neben denjenigen Benns zu lesen, bringt unzweifelhaft eine neue Bewegung in die Sache. Man kann hier Benn vielfach als einen in der aktuellen Situation Reagierenden und fallweise auch als einen ganz explizit nicht Reagierenden beobachten. Der große Gewinn besteht also in der Chance, den Monologkünstler Benn so ausführlich und so intensiv wie wohl nirgends sonst im Dialog zu erleben. Und dies gilt eben nicht nur für die Ebene der Kunstreflexion, sondern auch, wie sich zeigen wird, für die politische Ebene dieses Austauschs.
Die Notwendigkeit von Archivrecherchen, die bereits angedeutet wurde, ging zum einen auf die geradezu berüchtigte Zurückhaltung Oelzes in persönlichen Dingen zurück. Zum anderen liegt dies aber auch am Erhaltungszustand des Briefwechsels in den Jahren bis zum Kriegsende 1945. Dieser ist auf der Seite Benns bis auf einzelne fehlende Briefe bekanntlich weitestgehend vollständig, auf derjenigen Oelzes allerdings höchst diskontinuierlich.
Ein Großteil der entstandenen Verluste bis 1945 trägt dabei selbst eine historische Signatur: zu beginnen mit dem Umstand, dass die beiden letzten Jahrgänge vor Kriegsende bei Benns Flucht in Richtung Westen in Landsberg an der Warthe zurückgeblieben sind. In den Jahren zuvor scheinen häufig – wenn auch nicht durchgehend und systematisch – vor allem politisch gewagtere Briefe Oelzes von Benn, wie er selbst am 9. September 1934 schreibt, „durch Feuer oder Wasser unschädlich“ (I 38) gemacht worden zu sein.
Bei alldem lässt sich gleichwohl rekonstruieren, dass es höchstwahrscheinlich zuerst Oelze war, der, nachdem dieses Thema in der Anfangszeit der Bekanntschaft offenbar noch keine größere Rolle gespielt hat, explizite politische Wertungen in den Briefwechsel eingeführt hat. Den Anlass hierzu hat eine Anfrage Benns aus dem April 1934 geliefert. Börries von Münchhausen hatte ihm vorgehalten, sein Familienname sei doch eigentlich jüdischen Ursprungs. Benn hat hierauf, um das Gegenteil zu belegen, mit vielfältigen Recherchen reagiert, die er Oelze in seinem Brief vom 25. April 1934 aufzählt. Zugleich hat er Oelze darum gebeten, in England, wo dieser geschäftlich gelegentlich zu tun hatte, Nachforschungen über die nichtjüdische Herkunft dort lebender Benns anzustellen:
Wenn Sie also einmal in England wären und Zeit fänden, festzustellen, welcher Art die dortigen Benns sind, wäre ich Ihnen ganz aufrichtig dankbar. Ich bin nämlich sicher, dass die Angriffe von Münchhausen nicht zu Ende sind, er behauptet noch in seinem letzten Brief, dass mir meine jüdische Abstammung nicht bekannt wäre, aber sein „tiefer genealogischer Instinkt“, sein „triebhaftes Aufspüren rassischer Zusammenhänge“ liessen ihn meinen jüdischen Bluteinschlag erkennen. Ich möchte mich in dieser Richtung ausgibig wappnen […]. (vgl. I 34f.)
Oelze ist in seiner Reaktion offenbar sehr deutlich geworden. Der Antwortbrief selbst ist zwar nicht überliefert, allerdings ist ein Konzept dazu auf dem Umschlag von Benns Brief mit der Bitte um die Recherche erhalten. Die Passage, die eine sehr harte, politisch akzentuierte Attacke auf von Münchhausen enthält, die mit einer ebenfalls grundsätzlichen Kritik an der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten verbunden wird, ist flüchtig mit Bleistift geschrieben und nur schwer entzifferbar:
Es ist der Geist des Kleinbürgers, der diese These gemacht hat u. von dessen Geist sie heute ihr Leben fristet. Der Unsinn von der „legalen Revolution“. Der Mut des Gevatters Kolonial zum Löwen, der seinen Konkurrenten mit dem Arierparagraphen zur Strecke bringt6
Benn reagiert darauf und auf möglicherweise noch weitergehende Invektiven in seinem Antwortbrief vom 13. Juni erst einmal verklausuliert und eher abwehrend:
Über anderes denke ich ja anders wie Sie; kälter, grausamer, entleibter, ich meine, dass man Völker dieser Art u Zeit nicht anders regieren kann, aber Sie haben natürlich recht: vieles ist kaum ertragbar, wenn man aus unserer Generation u. Erziehung stammt. (I 36)
Die Betonung der Gemeinsamkeiten der Briefpartner bezieht sich dabei sicher nicht auf den sozialen Hintergrund, der bei den beiden Männern im Gegenteil sehr verschieden war. Während Benn bekanntlich aus einem ländlichen Pfarrhaushalt stammte, stand ihm mit Oelze ein Angehöriger der Oberschicht Bremens gegenüber. Allerdings haben sie beide das Gymnasium und ihre jeweilige akademische Ausbildung im Wilhelminischen Kaiserreich durchlaufen,7 und beide dienten dann während des Ersten Weltkriegs im Offiziersrang. Benns Formulierung von der Parallelität in „Generation u. Erziehung“ wird genau hierauf gezielt haben.
Oelze muss nach der abwiegelnden Antwort Benns nochmals auf seiner Kritik insistiert haben, woraufhin dieser im Schreiben vom 24. Juli 1934 wohl auch unter dem Eindruck des mittlerweile stattgefundenen sogenannten Röhm-Putsches umschwenkt:
Ich antwortete Ihnen nicht, weil ich das, was ich antworten möchte, einem Brief nicht anvertrauen kann. Ich bin ganz Ihrer Meinung. Es giebt keine Worte mehr für diese Tragödie. (I 36)
Und am 9. September desselben Jahres schlägt er dann die Vernichtung des Briefwechsels vor und beginnt „die manifestesten Briefe von Ihnen in die Hand zu nehmen und mich von ihnen zu trennen.“ (I 38) Benn verbrennt aus Angst vor einer Entdeckung sowie auf ausdrücklichen Wunsch Oelzes hin8 auch in der Folgezeit wiederholt kritische Briefe und fordert Oelze von Zeit zu Zeit auf, dasselbe mit seinen Schreiben zu tun. Wie oft dieser Benns Aufforderung nachgekommen ist, muss unklar bleiben. Gerade aus dem Umfeld politischer Diskussionen fehlen zwar Briefe Benns,9 doch sind eben auch einige erhalten, deren Zerstörung ausdrücklich erbeten worden war.10
Dafür sind mehrere Gründe anzuführen: Zum Ersten liegt die Hemmschwelle bei Oelze, einen Brief von Benn zu vernichten, offenbar viel höher als umgekehrt; zum Zweiten ist Benn an sich sehr viel zurückhaltender in seiner Wortwahl und bleibt eher bei Andeutungen oder zieht sich auf mehrdeutige Formulierungen zurück; und zum Dritten gibt es hier noch einen gleichermaßen natürlichen Schutz, wie Oelze einmal anmerkt: „Eine weitere Sicherung gegen unberufene Lektüre ist übrigens Ihre Handschrift“.11
Ein Kompromiss Oelzes zwischen Benns ausdrücklichem Befehl zur Zerstörung seiner Schreiben und dem eigenen Impuls zu deren Bewahrung besteht in dieser Frühzeit des politischen Meinungsaustauschs darin, eine der offensten und problematischsten Stellen im Corpus der Briefe Benns unleserlich zu machen: Dessen berühmte These in seinem Brief vom 18. November 1934, „die R. W. [= Reichswehr, SK] ist die aristokratische Form der Emigrierung!“ (I 39), ist von Oelze soweit übermalt worden, dass man die Worte nur noch erahnen kann, wenn man eigentlich schon weiß, was an dieser Stelle stehen muss.
Nachgezeichnet wurden hier bisher die Umstände, die dazu führten, dass eine gemeinsame Gegnerschaft gegen das nationalsozialistische Regime spätestens seit 1934 Schritt für Schritt immer offener zur Sprache gekommen ist. Was es allerdings in den überlieferten Briefen nicht gibt, sind als Gegenstück etwaige ausdrücklich positive Bewertungen der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten von Seiten Benns, die ja zumindest für das Jahr 1933 durchaus denkbar gewesen wären. Der eher diskontinuierliche Charakter der Briefe an Oelze in der Frühzeit des Kontakts könnte nun den Verdacht aufkommen lassen, dass hier inkriminierende Schreiben zum Schutz Benns unterdrückt worden sind.12 Mit Sicherheit lässt sich das zwar nicht ausschließen, doch hat Oelze schon in einem Brief an den Verleger Max Niedermayer aus dem Oktober 1957, auf den später nochmals zurückzukommen sein wird, ausdrücklich bestritten, dass sich Benn in der Anfangszeit des Briefwechsels ihm gegenüber in irgendeiner Weise pronazistisch exponiert habe.13 Auch Fritz Werner erinnert sich in einem Interview mit Joachim Dyck aus dem Jahr 1986 an ganz ähnliche Aussagen Oelzes.14
III.
Es mag hier der Punkt sein, etwas zu den grundsätzlichen politischen Einstellungen Oelzes zu bemerken: Aus der Vorstellung einer Kulturnation heraus vertrat dieser ein elitäres Konzept, das vor allem auf der Kategorie der geistigen Errungenschaften aufbaute. Die Nation verkörpert sich dabei in einer kleinen Zahl von Genies: Für Deutschland sind das an der Spitze Goethe und Nietzsche. In der Gegenwart kommt dann noch Benn hinzu, nachdem dieser zu Beginn der Dreißigerjahre auch als Essayist in Oelzes Bewusstsein getreten ist. Ihnen ist – in respektvollem Abstand – zu folgen.
Die Novemberrevolution von 1918 erschien Oelze folgerichtig als ein unheilvoller Durchbruch der gefürchteten Masse, zu deren Eindämmung er selbst zumindest kurzfristig an Freikorpskämpfen teilgenommen hat.15 Am Ende des Krieges notiert er zum Abschluss seiner Erinnerungen an die Soldatenzeit:
Die Republik wird Deutschland keiner goldenen Zukunft entgegenführen. Die vornehme Intelligenz, der vornehme Mensch wird nichts mehr sein, gelten wird nur noch die schwielige Faust, die das rote Banner entrollt, und die Macht in der Hand des Pöbels wird nicht milder sein, als die, welche den Militarismus au...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Beiträge
  6. Miszellen
  7. Rezensionen
  8. Fußnoten
  9. Bibliographie
  10. Anschriften der Autorinnen und Autoren