Satirische Sprache und Sprachreflexion
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Satirische Sprache und Sprachreflexion

Grimmelshausen im diskursiven Kontext seiner Zeit

  1. 606 Seiten
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Satirische Sprache und Sprachreflexion

Grimmelshausen im diskursiven Kontext seiner Zeit

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Über dieses Buch

Die Studie beschreibt die Stellung Grimmelshausens zum sprachpatriotischen Diskurs des 17. Jahrhunderts. Dabei wird Grimmelshausens Außenseiterstellung im literarischen wie in den sprachreflexiven Diskursen ebenso berücksichtigt wie die satirische Schreibart, die seine Schriften prägt. In der Analyse des sprachpatriotischen Diskurses werden zahlreiche diskurskonnektive Metaphern (z. B. Kleidermetaphorik), Topoi (z. B. Ascenas als Stammvater der Deutschen, der Turmbau zu Babel) und diskurssemantische Grundfiguren (z. B. hohes Alter der Sprache, lexikalischer Reichtum) aufgezeigt und beschrieben und damit für die Analyse von Grimmelshausens sprachkritischem Traktat "Deß Weltberuffenen Simplicissimi Pralerey und Gepräng mit seinem Teutschen Michel" fruchtbar gemacht. In dieser Analyse wird schließlich Grimmelshausens Auseinandersetzung mit dem sprachpatriotischen Diskurs und dem Sprachverhalten seiner Zeitgenossen minutiös nachgezeichnet. Das Buch versteht sich gleichermaßen als Beitrag zur Sprachgeschichtsschreibung wie zur Sprachwissenschaftsgeschichte, richtet sich aber auch an Vertreter der linguistischen Diskursanalyse und an Literaturwissenschaftler.

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Information

Jahr
2015
ISBN
9783110416824

1 Einleitung

Der Titel dieses Buches besteht aus vier Inhaltskomponenten: Sprache und Sprachreflexion; diskursiver Kontext einer bestimmten Zeit; Grimmelshausen; das Attribut satirisch. Diese Schlagwörter umschreiben das Thema der Abhandlung in nuce, weshalb sie im Folgenden erläutert werden sollen.
Die vorliegende Arbeit widmet sich der Sprache wie der Sprachreflexion des 17. Jahrhunderts. Für die Komponente Sprache lassen sich mindestens drei Ebenen unterscheiden: Die Ebene des Sprachgebrauchs (parole), des Sprachsystems (langue) und die Reflexionsebene. Gegenstand dieser Arbeit ist hauptsächlich die dritte, die Reflexionsebene, die auf die beiden ersten Ebenen rekurriert. Diese Ebene ist das, was im Titel Sprachreflexion genannt wird.
Unter dem Terminus Sprachreflexion sind im Wesentlichen Äußerungen zu verstehen, die sich metakommunikativ auf theoretische, systematische, pragmatische oder historische Aspekte einer oder mehrerer Sprachen oder Sprachvarietäten beziehen. Dabei interessieren in diesen Zusammenhang hauptsächlich solche sprachreflexiven Äußerungen, die einen gewissen Allgemeingültigkeitsanspruch vertreten, also in sprachnormierender, präskriptiver, deskriptiver oder sprachkritischer Absicht geäußert werden und denen eine gewisse Deontik, in welcher Form auch immer, inhärent ist. In diesem Sinne ist damit nicht jede Äußerung über Sprache als sprachreflexiv zu klassifizieren, sondern nur die Äußerungen, die die genannten Kriterien erfüllen.
Da die sprachreflexiven Äußerungen des 17. Jahrhunderts Gegenstand dieser Arbeit sind, bedarf es einer Meta-Reflexion, wie sie Gardt et al. annehmen:
In der kommunikativen Realität schwankt der Grad der Reflektiertheit des sprachlichen Handelns außer nach sehr unterschiedlichen individuellen auch nach räumlichen, sozialen, situativen, historischen usw. Gegebenheiten; sie ist in jedem Falle einer der Gegenstände der Sprachwissenschaft. Dialektologie hat demnach die jeweils raumüblichen, Sprachsoziologie die jeweils schichten- und gruppentypischen, Pragmatik die jeweils situationsspezifischen und Sprachgeschichte […] die jeweils epochenüblichen Ausprägungen der Meta-Reflexion zu untersuchen (Gardt et al. 1991, 17).
Die Meta-Reflexion ist demnach die Ebene, auf der sich die Sprachgeschichtsschreibung bewegt, wenn sie die Sprachreflexion früherer Zeiten untersucht. In dieser Arbeit geht es also darum, die Reflexion bestimmter Autoren des 17. Jahrhunderts über theoretische, systematische, pragmatische oder historische Aspekte der Sprache auf der Ebene der Meta-Reflexion zu untersuchen.
Klaus J. Mattheier unterscheidet vier Gegenstandsbereiche der Sprachgeschichtsforschung: Die Sprachsystemgeschichte, die Sprachgebrauchsgeschichte, die Sprachkontaktgeschichte und die Sprachbewusstseinsgeschichte. Die Sprachsystemgeschichte untersucht die Entwicklung der Sprache auf allen systematischen Ebenen von den Phonemen und Graphemen bis zur Text-/Diskursebene mit den „strukturalistischen oder auch variationslinguistischen Beschreibungsmethoden“ (Mattheier 1995, 15). Die Sprachbewusstseinsgeschichte untersucht das „systematische und das unsystematische Sprachwissen und die unterschiedlichen Handlungs- bzw. Urteilsmotivationen, die bei einem Sprachgemeinschaftsmitglied bzw. einer Sprachgemeinschaft verbreitet sind“ (ebd., 16). Dazu gehören
alle Formen geistiger Auseinandersetzung mit der eigenen und anderer Sprachlichkeit […], also das relativ unreflektierte Alltagswissen über Richtigkeit und Angemessenheit von Sprachhandlungsmustern ebenso wie die differenzierte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Sprache (ebd.).
Die Sprachkontaktgeschichte hat die Zusammenhänge von Sprachen und Sprachgemeinschaften, die miteinander in Kontakt stehen, zu untersuchen (vgl. ebd., 17).
Alle vier Gegenstandsbereiche sind für die vorliegende Untersuchung von Relevanz, jedoch mit unterschiedlicher Gewichtung. Relativ schwach gewichtet ist die Sprachsystemgeschichte, da die Arbeit nicht die Beschreibung der Objektsprache, sondern die der Metasprache zum Thema hat. Die Sprachsystemgeschichte spielt lediglich bei den Diskussionen um die Normierung eine marginale Rolle. Ähnlich ist es mit der Sprachgebrauchsgeschichte, sie wird nur dann Thema, wenn der Sprachgebrauch im Diskurs explizit diskutiert wird, etwa im Rahmen der Alamode-Kritik. Deutlich stärker liegt der Akzent auf der Sprachkontaktgeschichte, da das Verhältnis der deutschen Sprache zu den drei ,heiligen‘ und den romanischen Sprachen ein wichtiges Thema des Diskurses ist. Bei einer Arbeit, die die Metasprache als Untersuchungsobjekt definiert, ist jedoch der Fokus auf die Sprachbewusstseinsgeschichte gerichtet. Im von Mattheier definierten Spektrum zwischen relativ unreflektiertem Alltagswissen und differenzierter wissenschaftlicher Auseinandersetzung sind die untersuchten Äußerungen am letzteren Ende der Skala anzusiedeln, es handelt sich um Auto-ren mit großer wissenschaftlicher oder künstlerischer Reputation, einige der Diskursakteure repräsentieren die geistige Elite ihrer Zeit. Daher ist diese Arbeit auch ein Stück Wissenschaftsgeschichte.
Sprachreflexive Äußerungen sind Komponenten von Diskursen, d.h. von Auseinandersetzungen über kontroverse Themen, die prototypisch aus einer potentiell unendlichen Anzahl von Einzeltexten bestehen und deren Grenzen nicht fest umrissen sind, die sich in untergeordnete Diskurse aufteilen oder in übergeordnete Diskurse einordnen lassen können, die sich mit Nachbardiskursen überschneiden und wissenschaftliche, künstlerische oder soziale Konflikte widerspiegeln. Im konkreten Fall der Sprachreflexion des 17. Jahrhunderts stehen die Äußerungen im Kontext eines Kulturpatriotismus, der in der Sprache nicht nur ein Ausdrucksmedium, sondern auch ein Objekt kollektiver Identifikation findet. In einem politisch, wirtschaftlich und konfessionell zersplitterten Reich, das durch den Dreißigjährigen Krieg zerrüttet wurde, fanden die Patrioten in der Sprache trotz ihrer starken räumlichen, sozialen und funktionalen Differenzierung einen guten Anknüpfungspunkt für ihr Streben nach kultureller Einheit des deutschen Sprachraums.
Natürlich war den Patrioten die enorme Varianz der deutschen Sprache bewusst. Deshalb richteten sie ihr Augenmerk auf ihre Vereinheitlichung. Diese sollte durch Regulierung der Dichtung sowie durch Normierung der Grammatik und Lexik vollzogen werden. Zudem sollte die deutsche Sprache gegen als schädlich empfundene Einflüsse von außerhalb in Form von Fremdwörtern und fremden Redensarten geschützt und von ihnen ,gereinigt‘ werden. Diese Bestrebungen werden von den Patrioten intensiv diskutiert, so dass sich verschiedene Diskurse unterscheiden lassen: Der Normierungsdiskurs, der fremdwortpuristische Diskurs und der poetologische Diskurs. Da alle diese Diskurse zum großen Teil von den gleichen Akteuren getragen werden und sich thematisch überschneiden, können sie zu einem sie umfassenden Diskurs, dem sprachpatriotischen Diskurs, zusammengefasst werden. Dieser ist wiederum Teil des sprachreflexiven Diskurses, der auch andere Diskurse wie den sprachuniversalistischen oder den sprachmystischen Diskurs umfasst.1
Diese Arbeit konzentriert sich auf den sprachpatriotischen Diskurs, dessen Themenspektrum gerade umrissen wurde. Eine hervorstechende Eigenschaft dieses Diskurses ist die hyperbolische Überhöhung der deutschen Sprache, die durch einige Autoren maßvoll, durch andere dafür umso intensiver betrieben wird. Diese Überhöhung dient dem Zweck der Steigerung des Prestiges der deutschen Sprache im Ausland und der Dominantsetzung einer bestimmten Auffassung der Sprachnorm im Inland. Im ersteren Fall geht es darum, die deutsche Sprache auf eine Stufe mit den drei ,heiligen‘ Sprachen Hebräisch, Griechisch und Latein zu setzen, z.T. sogar, sie über diese zu stellen. Damit wird zugleich die Überlegenheit der deutschen Sprache über die kulturell dominanten romanischen Sprachen impliziert. Insbesondere das Französische gilt auf grund der politischen und kulturellen Hegemonie Frankreichs seit den 40erJahren des 17. Jahrhunderts als potentiell oder tatsächlich gefährlich für die Integrität und Identität der Deutschen und wird deshalb massiv bekämpft. Dies geschieht zum einen im Bereich der Mode und des Verhaltens, zum anderen im Bereich der Sprache (Alamode-Kritik). Im Inland wird die Überhöhung einer bestimmten Sprachform in Abgrenzung von anderen Positionen betrieben. Hier sind es vor allem die Vertreter des Analogismus, die eine nach den Prinzipien der Analogie, also rein sprachsystematischen Kriterien, normierte Sprache dem Anomalismus entgegensetzen, der den Sprachgebrauch der oberen sozialen Schichten Meißens zur Grundlage der Sprachnormierung machen will.
Wie eine solche Überhöhung vollzogen wird, soll am Beispiel des bedeutendsten Sprachwissenschaftlers der Zeit, Justus Georg Schottelius, demons-triert werden. Zu Beginn der Sechsten Lobrede der Ausführlichen Arbeit von der Teutschen HaubtSprache schreibt er:
Aber in den Sprachen / in deroselben rechter Kündigkeit / und folgends in dero genoß / stekket ein weit anders / und ein gantz überjrrdisches verborgen / welches nicht unseren Leib / sondern die Seele einnimt / und belustiget. Ja mit den Seelen / in der seeligen Ewigkeit sich verewigen / und unaussägliche Gegenfreude miterwekken wird (Schottelius, Arbeit, 74).2
Hier wird die Überhöhung bis ins Metaphysische getrieben. Dies wird an den Ausdrücken überirdisch, Leib, Seele, selig, Ewigkeit, verewigen sowie am hyperbolisierenden Attribut unaussäglich deutlich. Die Sprache, speziell die deutsche, ist demnach Trägerin einer nicht-menschlichen und nicht-irdischen, sondern göttlichen Wahrheit, die in ihr verborgen liegt, so dass sie nicht rational erfasst, sondern nur gespürt werden kann. Die Sprache wird somit zu einem entrückten, dem menschlichen Zugriff letztlich entzogenen Wesen erhöht, das durch biologistische Metaphorik zu einem Organismus oder durch anthropomorphisierende Metaphern sogar zu einem ,menschlichen‘ Wesen konzeptualisiert werden kann. Dieses ,Sprachwesen‘ steht hierarchisch über den einzelnen Varietäten der deutschen Sprache. Es ist die eigentliche, einzig ,richtige‘ Sprach-form, während die regionalen, sozialen und historischen Varianten lediglich Fehler sind, die durch Unkenntnis dieses ,Sprachwesens‘ entstanden sind: „Aber woher recht der Laut / die Form und Endung den Wörteren entstehe / wil man auch kein Wort fast zu sagen wissen“ (Schottelius, Sprachkunst, 97). Sie stellen für Schottelius einen Missbrauch der deutschen Sprache dar, aus dem Zerstückelung und Verderbnis entstehen:
Wenn aber stumpff geschlagene oder ungleichstimmende Seiten berührt werden / ist die regende Liebligkeit gleichfalls verstümpffet: Also wann die Teutschen Wörter verderbet / verkehret und durch den harten groben Laut gestöcket und geblöcket sind / künne sie nicht / als mit härtigkeit gehöret oder gelesen werden / wie man solche Bücher hat / da die Teutsche Sprache so hartknarrend / schwer / blöckig und knörrig ist / daß sie in gegenbetracht der außgezierten Lateinischen wol genennet werden […]. Solches miß-bräuchliches Wesen aber entstehet daher / daß man so wol die eintzelen Wörter verrucket und verderbet / als deroselben künstliche bindungen gar nicht beobachtet / sondern ein gewerff und gepolter machet / daß die gantze Ordnung nicht anders / als ein unordentlicher wüst-dicker Klumpff ist (ebd., 98 f.).
Ein solcher Missbrauch liegt praktisch in jedem Gebrauch der Sprache vor. Schottelius’ Sprachbegriff ist prinzipiell apragmatisch, ihm schwebt die ideale Sprachform vor, die in der Norm realisiert werden soll. Deshalb ist er der schärfste und konsequenteste Gegner der Anomalisten um Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen und Christian Gueintz. Diese ideale Sprachform ist für ihn unantastbar, da sie metaphysisch begründet ist. Denn die deutsche Sprache hebt sich „auß den gewissesten Gründen / welche Gott und die Natur darinn außgewircket haben / empor“ (ebd., 98). Diese Gründe sind nicht mit der Vernunft zu erkennen, sondern nur durch die Emotion zu erahnen:
Eine rechte / kräfftige und nach den kunstmessigen Gründen geordnete Zusammenkunfft der Teutschen Wörter / es sey in gebundener oder ungebundener / starcker oder gelinder Rede / führet mit sich daher gleichfalls eine erregende Bewegung / die sich in das Gemüht setzen / unsere Geistere einnehmen / Zorn und Neid / Gunst und Liebe / ja und nein / wie sie wil / darinn verlassen kan (ebd.).
Mit einem solchen Sprachbegriff gerät Schottelius unweigerlich in innere Widersprüche, denn er kann den historischen Wandel der Sprache nicht leugnen und tut es auch nicht. Im Gegenteil, er unterscheidet insgesamt fünf Epochen (Denkzeiten) der deutschen Sprache, die von den Anfängen in biblischer Zeit bis in die Gegenwart reichen (vgl. Schottelius, Arbeit, 48 f.) und entwirft einen Gründungsmythos der deutschen Sprache, der von der Babylonischen Sprachverwirrung über den mythischen Stammvater Ascenas und Karl den Großen bis zu Luther reicht (vgl. ebd., 33 ff.). Nun stellt sich aber die Frage, wie Schottelius den Widerspruch zwischen dem offensichtlichen Wandel der deutschen Sprache und seinem Konzept einer apragmatischen und damit auch ahistorischen idealen Sprache auflöst. Andreas Gardt beschreibt die Lösung so:
Um Sprachwandel und Sprachwesen in Einklang zu bringen, bietet sich diese Argumentation an: Das Sprachwesen wird als eine Art Sprachcharakter, als ein die Sprache leitendes Prinzip konzipiert, das mit keiner historischen Varietät und keinem strukturellen Phänomen völlig identisch ist, aber auf sämtlichen Ebenen der Sprache wirksam wird, von der phonetisch-phonologischen bis zur textuellen. Gibt es auf einzelnen Ebenen Veränderungen, so lassen sie sich entweder als im Einklang mit oder im Widerspruch zu dem Sprachwesen befindlich erklären. Die Sprache geht danach also nicht in ihren historisch-pragmatischen Bezügen auf, sondern enthält eine Art platonische Idee, die unabhängig von ihren jeweiligen Realisierungsformen besteht (Gardt 1994a, 140).
Ziel von Schottelius’ Spracharbeit (zum Terminus vgl. Hundt 2000, 6) ist es unter diesen Umständen, den Sprachgebrauch, soweit es möglich ist, dieser platonischen Idee von Sprache anzunähern. In diesem Bestreben deckt er sich, auch wenn nur wenige Autoren bis zu dieser Abstraktion vordringen, mit den anderen Diskursakteuren. Die meisten von ihnen, auch Schottelius selbst, schlossen sich in literarischen Sozietäten, den so genannten Sprachgesellschaften zusammen, deren wichtigste und größte die Fruchtbringende Gesellschaft ist. Diese Sozietäten schrieben sich Spracharbeit und Sprachpflege durch Gram-matiko- und Lexikographie, Fremdwortpurismus und theoretische und praktische Pflege der Poesie auf die Fahnen. „Aus der Postulierung des deutschen Sprachwesens ergibt sich als Aufgabe der Sprachpflege ganz selbstverständlich die Sicherung dieser ursprünglichen Qualität des Deutschen“ (Gardt 1994a, 145).
In diesen diskursiven Kontext soll Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen eingeordnet werden. Grimmelshausen ist aus mehreren Gründen ein Außenseiter dieses Diskurses. Erstens publizierte er seine Schriften zu einem Zeitpunkt, als viele Diskursakteure bereits verstorben waren und der theoretische Rahmen der Sprachreflexion bereits im Begriff war, sich zu wandeln (vgl. unten, 3.2.2). Zweitens nimmt er in seinem sprachkritischen Traktat Deß Weltberuffenen Simplicissimi Pralerey und Gepräng mit seinem Teutschen Michel (1673) zwar wichtige Aspekte des Diskurses auf, behandelt sie aber auf sehr individuelle Weise und erfuhr von den anderen noch lebenden Diskursakteuren keine Reaktionen. Drittens, und dies ist der entscheidende Faktor, fehlte Grimmelshausen die akademische Bildung, die als Grundlage für die Teilnahme an den literarischen und sprachreflexiven Diskursen angesehen wurde, so dass er trotz enormer autodidaktischer Lernleistungen niemals in einem der gelehrten Diskurse Fuß fassen konnte.
Es stellt sich nun die Frage, inwiefern Grimmelshausen, der nur zur Peripherie des sprachpatriotischen Diskurses zu rechnen ist, für eine Untersuchung dieses Diskurses von Relevanz sein kann. Als Ausgangspunkt zur Beantwortung dieser Frage kann folgende Äußerung Erich Straßners herangezogen werden:
Nur einigen poetischen Naturtalenten gelingt es während der Barockzeit, sich über die strengen Vorschriften der Poetik hinwegzusetzen. Eines von ihnen, HANS JACOB CHRISTOFFEL VON GRIMMELSHAUSEN, macht sich in seinem ,Teutschen Michel‘ (1673) lustig über die ,zierlich redenden Literati‘, verspottet die Worterfindungen Zesens und stellt die Kraft und Würde einer künstlerisch gepflegten Volkssprache dem Schablonisieren entgegen (Straßner 1995, 89; Hervorhebungen im Text).
Straßner spricht hier die spezielle Perspektive an, die Grimmelshausen aufgrund seiner Außenseiterstellung einnimmt. Diese Perspektive ermöglicht es ihm, die Gegenstände mit anderen Augen wahrzunehmen. Dazu trägt auch der Umstand bei, dass er seinen Alltag nicht mit anderen Gelehrten verbrachte, sond...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Vorwort
  5. Inhalt
  6. 1 Einleitung
  7. 2 Grimmelshausens Leben und Werk im zeitlichen und literarischen Kontext
  8. 3 Zum diskursiven Rahmen und zur Methodik der historischenDiskursanalyse
  9. 4 Analyse des sprachpatriotischen Diskurses
  10. 5 Der Teutsche Michel als Satire auf den sprachpatriotischen Diskurs
  11. 6 Zusammenfassung: Der Sprachpatriotismus und Grimmelshausen
  12. Zur Zitierweise
  13. Literaturverzeichnis
  14. Namensregister
  15. Fußnoten