Wackernagels Gesetz im Deutschen
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Wackernagels Gesetz im Deutschen

Zur Interaktion von Syntax, Phonologie und Informationsstruktur

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Wackernagels Gesetz im Deutschen

Zur Interaktion von Syntax, Phonologie und Informationsstruktur

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Über dieses Buch

Wackernagels Gesetz verdeutlicht die globale Ähnlichkeit natürlicher Sprachen. Bestimmte Wörter sowohl indogermanischer als auch nicht-indogermanischer Sprachen haben die Tendenz, in zweiter Position im Satz zu stehen – allgemeiner: Sie stehen so nahe am Satzanfang wie möglich. Wackernagels Gesetz im Deutschen bespricht das Gesetz für die deutsche Sprache und beschreibt es als Ergebnis von Interaktionen zwischen Syntax, Phonologie und Informationsstruktur. Basis der Untersuchung ist eine elektronische Datenbank (SQL) mit Texten ab dem 8. Jahrhundert. Die Daten zeigen, dass es sich bei Wackernagels Gesetz nicht um ein Phänomen, sondern um eine Vielzahl von Phänomenen handelt, die zu einem ähnlichen Ergebnis führen. Die Kategorien wurden mit Blick auf eine sprachübergreifende Anwendbarkeit der Beschreibung (Wackernagels Gesetz, Tobler Mussafia, Initial- vs. Finalstellung von Wackernagelelementen, Serialisierung, Sprachwandel) über Interaktionen linguistischer Subsysteme formuliert. Die Darstellung verbindet Korpuslinguistik und philologische Analyse und diskutiert das Gesetz als wissenschaftstheoretisches Konzept. – Ein Beitrag zu Typologie und Sprachwandeltheorie.

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Information

Jahr
2015
ISBN
9783110418538

1 Wackernagels Gesetz

Jacob Wackernagels Aufsatz “Über ein Gesetz der indogermanischen Wortstel-lung” war ein durchschlagender Erfolg für die Befassung der Indogermanistik mit dem ältesten Satzbau: Objektspronomina, Konjunktionen, bestimmte Partikeln, Vokative und andere Kategorien in den ältesten indogermanischen Texten zeigen die Tendenz, in zweiter Position im Satz zu stehen. Der Erfolg war bleibend. Das Gesetz erwies sich nicht nur als indogermanisch, sondern war auch auf viele nicht-indogermanische Sprachen anwendbar.
Da es bezüglich der Kernaussage des Gesetzes erhebliche Divergenzen gibt (vgl. Kap 1.1), liefert dieser Abschnitt zunächst einen Überblick zu den unter-schiedlichen modernen Interpretationen von Wackernagels Aufsatz und im Anschluss die Zusammenfassung von Wackernagels Ergebnissen bezogen auf die linguistischen Subsysteme Syntax, Phonologie und Informationsstruktur.

1.1 Wackernagels Gesetz heute

Wackernagels Gesetz ist heute in die Lehrbücher eingegangen und wird in syntaktischen und phonologischen Studien zu indogermanischen und nicht-indogermanischen Sprachen rezipiert. Die Inhomogenität in der Rezeption des Wackernagelschen Gesetzes ist vor dem Hintergrund seiner unbestrittenen Gültigkeit außergewöhnlich. Die folgende Zitatauswahl verdeutlicht, dass sowohl bezüglich des Objektbereichs der Wackernagelposition als auch bezüglich der Motivation des Wackernagelschen Gesetzes keine Einigkeit besteht. Als Positionen der Wackernagelelemente werden die zweite Konstituente3 des Satzes, das zweite Wort des Satzes und die Position nach dem Träger des Wacker-nagelelements angegeben. Als Motivationen finden sich die Positionierung in einer per se unbetonten Satzposition, die intrinsische Unbetontheit des Elements selbst, der Status als enklitisches Element, Enklise in ihrer speziellen Ausprägung der Anlehnung an ein hochbetontes Wort, eine als universell angesetzte syntaktische Position, eine Position, die der Rhematisierung vorbeugt, u.v.m. Die Bedeutung des Gesetzes für die Indogermanistik wird bei Watkins (1964) deutlich:
One of the few generally accepted syntactic statements about IE is Wackernagel’s Law, that enclitics originally occupied the second position in the sentence. (Watkins 1964: 1036)
Das Gesetz wird auf vielfältige Art und Weise eingesetzt. So dient es nicht nur der Rekonstruktion der ältesten Syntax, sondern wird auch zur Festlegung der Satzeinheit angewendet: Der Stellenwert des Wackernagelschen Gesetzes wird unter anderem dadurch deutlich, dass der Satzanfang in vedischen, altiranischen und hethitischen Texten ohne Interpunktion durch die Stellung vor dem ersten Wackernagelelement erschlossen wird (Tichy 2000 : 42). Strukturen, die dem Stellungsgesetz entsprechen, werden als ererbt aufgefasst. Hier zeigt sich der Einfluss des Gesetzes besonders deutlich.
Le slave commun possédait deux categories grammaticales d’enclitiques: les particules et les mots enclitiques fléchis. Il accordait aux enclitiques la seconde place dans la phrase, c’est-à-dire qu’il avait hérité de l’indo-européen la règle de Wackernagel. (Jakobson 1935 : 384)
Der Anwendungsbereich des Stellungsgesetzes beschränkt sich heute nicht mehr nur auf indogermanische Sprachen. Es wird als universell aufgefasst:
The movement of clitics to clause-second position has been shown to be a universal tendency. (Hock 1982: 91)
Der allgemeinen Akzeptanz des Gesetzes und dem Ausmaß seiner Anwendung steht gegenüber, dass es keine übereinstimmende Position zur Aussage des Wackernagelschen Gesetzes gibt. Die Motivierung des Gesetzes ist, wie die folgende Zitatzusammenstellung zeigt, unklar.
Wackernagel hat in dem erwähnten Aufsatz nachgewiesen, dass allen älteren indogermanischen Sprachen, so auch dem Lateinischen, die Tendenz eignet, schwachbetonte Wörter beliebiger Art – ohne Rücksicht auf ihre engere logische Verbindung mit andern Satzteilen – dem e r s t e n Worte des Satzes enclitisch anzugliedern. (Thurneysen 1892: 299)
Nach den Ausführungen Wackernagels, IF. 1, 333 strebt nämlich das enklitische Wort nach der zweiten Stelle des Satzes, oder genauer, es schließt sich an ein hochbetontes Wort an. (Hirt 1929 V: § 183)
A few laws are morphosyntactic, like the well-known Wackernagel’s Law, according to which, in certain languages (Czech, Iranian languages, etc.), unstressed words are cliticized to the first stressed word in the sentence. (Hagège 2004: 262)
Die meisten Interpretationen des Wackernagelschen Gesetzes haben eine phonologisch-lexikalische Basis. Wörter, die in Wackernagelposition stehen, werden in diesen Ansätzen als inhärent enklitisch, also als sich auf Grund ihrer Natur an ein anderes Wort anlehnend, angesetzt.
[…] clitics must move because of their intrinsic nature. (Friedemann/Siloni 1997: 83)
Ansätze, die von Enklise als den die Stellung motivierenden Faktor ausgehen, knüpfen eng an die Ideen Wackernagels und seiner Zeitgenossen an, sind aber aus oberflächengrammatischer Sicht nicht unproblematisch. Für die Bewegung pronominaler Klitika von der Position der nominalen Objekte rechts im Satz an den Satzanfang gibt es keine diachrone Evidenz – sie stehen schon in den ältesten Texten dort (vgl. S. 107). Auch ist Enklitisierung als lokaler phonologischer Mechanismus beschreibbar, also kein primäres, sondern ein sekundäres Phänomen (vgl. die Ausführungen zur Reduktion der Negationspartikel in Kap 5.4). Außerdem bedeutet die Reduktion eines Wortes keineswegs, dass es an zweiter Position im Satz stehen muss. Wackernagel stellte Zweitstellung auch für bestimmte nicht-klitische Partikeln fest. Er merkt ferner in seinem Aufsatz an, dass Pronomina in Wackernagelposition nicht notwendigerweise enklitisch sind (1892: 406). Wackernagelenklitika werden daher tatsächlich gerade nicht über ihre phonologische Form, sondern über ihre Position im Satz definiert.
Enklitisierung als Folgeerscheinung und als nicht-obligatorisches Phänomen lässt die Idee einer so fundierten Bewegung nicht mehr sinnvoll erscheinen. Als eine der Alternativen zur Motivation der Stellungsbesonderheit wird eine schwach akzentuierte syntaktische Position vorgeschlagen.
Latin observed Wackernagel’s law, whereby the second position in the sentence was weakly accented in several Indo-European languages. (Giacalone Ramat 1990: 176)
Wackernagel formulierte sein Stellungsgesetz für bestimmte Wörter. Diese Vorgehensweise war notwendig, denn nicht alle Wörter in Zweitstellung sind schwachbetont. Das wiederum widerspricht der Annahme einer schwachen syntaktischen Position, denn jedes Wort in zweiter Position müsste dann schwach sein. Die Idee von der schwachen Akzentuierung ist auch vor dem Hintergrund, dass es sich in den ältesten Belegen nicht um Akzentlosigkeit, sondern um Tiefton handelt, nicht unproblematisch.
In rein syntaktischen Definitionen des Wackernagelschen Gesetzes wird die Wackernagelposition als universell angesetzt:
Second position, or „Wackernagel’s position“, is a crosslinguistically common grammatical slot in the position immediately following an initial word or constituent. (Mushin 2006: 287)
Für die Variation zwischen erstem Wort und erster Konstituente liefert die Syntax alleine allerdings keine Motivation. Diese Form der Varianz kann hier nur ad hoc festgelegt werden.
Neben den am häufigsten angeführten Subsystemen Phonologie und Syntax wird in den Reformulierungen von Wackernagels Gesetz auch der Einfluss der Informationsstruktur in Betracht gezogen.
Wackernagel (1892) und Delbrück (1878) zeigten, dass unakzentuierte Wörter im Proto-In-doeuropäischen, um ihrer Rhematisierung zu entgehen, stets die zweite Position im Hauptsatz einnehmen. Dies betrifft nicht nur, wie in zahlreichen nicht-indoeuropäischen Sprachen auch, bestimmte Partikel und unbetonte pronominale Elemente, sondern auch kurze flektierte Verben und vor allem Auxiliare, deren Vollverbkomplemente im Rhema-bereich am Satzende verbleiben. (Wratil 2005: 104–105)
Das Wackernagelsche Gesetz ist in diesem Zitat in Abweichung von der wackernagel-delbrückschen Idee formuliert. Beide gehen von einer phonologischen Motivation für das Stellungsgesetz aus, Wackernagel verwirft explizit den Anteil der Informationsperspektive an der Frühstellung von Pronomina (1892: 367). Da kurze flektierte Verben nicht in allen indogermanischen Sprachen, auch nicht in germanischen Inschriften (vgl. S. 222), in zweiter Position stehen müssen, ist zu prüfen, ob sie tatsächlich unter Wackernagels Gesetz fallen.
Die Gemeinsamkeit der meisten Definitionen – auch Wackernagels Gesetz nach Wackernagel und Delbrück – liegt darin, dass sie von einem einzigen Phänomen, einem einzigen sprachinternen Grund, für die besondere Stellung der Wackernagelelemente ausgehen. Dies ist aber nicht zwingend der Fall (Adams 1994a: 89):
If, say, enim and est can be placed constantly in second position for completely different reasons, enim because it links sentences and must come early in the sentence, but esse because its favoured focused hosts are often placed first, then questions must be asked about the very validity of Wackernagel’s law as a single rule explaining clitic placement. Could it be that we have concealed beneath a single name a variety of different rules which lead to much the same result?
Die folgenden Ausführungen beantworten Adams Frage positiv. Wackernagels Gesetz ist nicht eine einzige Regel; es war nie als Regel angelegt (vgl. S. 249ff.). Man wird eine Stellungsbesonderheit auch nicht sprachunspezifisch ansetzen können. Sie kann nicht einheitlich gelten, denn die phonologischen, syntaktischen und informationsstrukturellen Subsysteme, auf denen auch die neuen Definitionen beruhen, sind nicht identisch.
Im Folgenden wird demonstriert, dass es sich bei Wackernagels Gesetz um das Ergebnis einer sprachspezifischen Interaktion von Syntax, Phonologie und Informationsstruktur handelt. Der Auf- und Abbau im diachronen Abriss des deutschen „Wackernagelsyndroms“ verdeutlicht, dass es sich nicht um eine gefrorene Struktur handelt, sondern um eine Struktur, die noch heute produktiv genutzt wird. Es soll auch verdeutlicht werden, warum die Struktur in Abhängigkeit von der jeweiligen Sprache als ein Komplex oder als eine Vielzahl von Strukturen wahrgenommen wird. Doch zunächst soll eine Zusammenfassung zu Wackernagels Aufsatz festhalten, was Wackernagels Ergebnisse waren, welche Methode er verfolgte und warum er die Phonologie als motivierenden Faktor für die Stellungsbesonderheit ansetzte.

1.2 „Über ein Gesetz der indogermanischen Wortstellung“ 1892

Wackernagel legte mit seinem Aufsatz „Über ein Gesetz der indogermanischen Wortstellung“ 1892 eine deskriptive Abhandlung vor, deren Ergebnis bereits von seinen Zeitgenossen als „Wackernagels Gesetz“ bezeichnet wurde. Wacker-nagel selbst nennt Delbrück als Entdecker des Stellungsgesetzes (Wackernagel 1943: 8):
Delbrück hat bei den vorhin erwähnten Forschungen über die Wortfolge der alten indischen Prosa als erster das Gesetz entdeckt, daß Enklitika und kleinere schwachtonige Wörter ihre Stelle unmittelbar hinter dem ersten Worte des Satzes haben, und zwar dies überaus oft auch dann, wenn der syntaktische Zusammenhang für sie eine andere Stelle fordert. Das Gesetz erwies sich als gemeinindogermanisch.
Von Anfang an berücksichtigt Wackernagel den Aspekt des Sprachwandels in der später nach ihm benannten Wackernagelposition (Wackernagel 1926: 7–8). Die ältesten bezeugten indogermanischen Sprachen zeigten das Stellungsgesetz deutlicher als spätere Spr...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Half Title
  3. LStudia Linguistica Germanica
  4. Title
  5. Copyright Page
  6. Meiner Mutter
  7. Vorwort
  8. Inhalt
  9. Abkürzungsverzeichnis
  10. Tabellen- und Abbildungsverzeichnis
  11. Einleitung
  12. 1 Wackernagels Gesetz
  13. 2 Zur Interaktion linguistischer Subsysteme in der Wackernagelposition: Syntax, Phonologie und Informationsstruktur
  14. 3 Ausgewählte Ansätze zur Motivierung des Wackernagelschen Gesetzes
  15. 4 Korpuslinguistische Untersuchung: Wackernagels Gesetz vom Althochdeutschen zum Neuhochdeutschen
  16. 5 Der Wackernagelkomplex als Ergebnis einer mehrdimensionalen Interaktion
  17. 6 Kettenbildung und syntaktische Position
  18. 7 Die syntaktische Position der Wackernagelkette: so weit links wie möglich
  19. 8 Zur Funktion der Wackernagelposition: zweite Konstituente und zweites Wort
  20. Schlusswort
  21. Anhang A: Queries zur Bestimmung der Variation der relativen Reihenfolge von Wackernagelelementen
  22. Anhang B: Test zur relativen Reihenfolge der Objektspronomina
  23. Literaturverzeichnis
  24. Index