Briefwechsel über Psychophysik, 1874–1878
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Briefwechsel über Psychophysik, 1874–1878

  1. 155 Seiten
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Briefwechsel über Psychophysik, 1874–1878

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Über dieses Buch

Dieser Band präsentiert in kritischer Ausgabe und mit einer langen, kontextualisierenden Einleitung den bislang unveröffentlichten Briefwechsel zwischen Franz Brentano (1838-1917) und Gustav Theodor Fechner (1801-1887). Die Korrespondenz wurde von der kritischen Stellung angeregt, die Brentano in seiner Psychologie vom empirischen Standpunkte (1874) zur Fechner'schen Psychophysik eingenommen hatte, wie diese in den Elementen der Psychophysik von 1860 dargelegt worden war. Der Briefwechsel umfasst insgesamt 11 unveröffentlichte Briefe und erstreckt sich in ihrer ersten Phase von Mai bis Juli 1874. Nach einer dreijährigen Pause wird sie dann von Oktober 1877 bis Januar 1878 wieder aufgenommen, unmittelbar nach der Publikation von Fechners In Sachen der Psychophysik. Brentanos Stellungnahme gegenüber der Fechner'schen Psychophysik bleibt offen, obwohl er sie einer genauen Prüfung unterwirft und ihre Schranken hervorhebt. Aus dem Briefwechsel, in dem Brentano u. a. in der gleichen Zeit, aber unabhängig von Joseph Plateau, anstelle der Fechner'schen logarithmischen eine Potenzfunktion als psychophysisches Gesetz vorschlägt, treten deutlich die unterschiedlichen psychologischen und philosophischen Grundauffassungen dieser beiden großen mitteleuropäischen Gelehrten des ausgehenden 19. Jahrhunderts hervor.

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Information

Jahr
2015
ISBN
9783110432787

Ein unveröffentlichtes Kapitel der Philosophie- und Psychologiegeschichte

[…] die Länge von einem Fuß ist in der zwei Fuß langen Strecke potenziell enthalten, für die aktuelle Existenz muß sie erst isoliert werden. Freilich gehen so winzige distinktive Größen, wenn sie isoliert werden, natürlicherweise in ihrer Umgebung auf, wie ein winziger aromatisierter Tropfen, den man ins Meer gießt. Freilich, ein winziger Gegenstand der Wahrnehmung kann weder an sich wahrnehmbar sein noch isoliert werden (denn er existiert nur potenziell in einem deutlicher wahrnehmbaren Ganzen), auch mag ein für die Wahrnehmung extrem kleines Objekt isoliert aktuell nicht wahrnehmbar sein. Dennoch wird man es wahrnehmen können. Potenziell ist es ja bereits wahrnehmbar, und aktuell wird es im Zusammenhang des Ganzen wahrnehmbar sein. Wir haben also geklärt, daß wir einige Größen und Eigenschaften nicht bewußt wahrnehmen, ferner, warum dies so ist und in welchem Sinne sie wahrnehmbar sind und in welchem nicht.
Aristoteles, De sensu, 446a 4–16 (Übers. Dönt)

1 Einleitendes

Gustav Theodor Fechners Elemente der Psychophysik (Fechner, 1860) markieren in der Psychologiegeschichte einen entscheidenden Wendepunkt: Durch sie wurde erstmals auf psychologischem Gebiet ein rigoroses Projekt empirischer und experimenteller Forschung angelegt und eingeleitet, das auf der Messung der psychischen Phänomene gründete und am Paradigma der Naturwissenschaften ausgerichtet war.
Wie es zu erwarten war, löste dieses Werk eine breite und heftige Debatte aus, an der sich Wissenschaftler unterschiedlichster Herkunft beteiligten und die zahlreiche Fragestellungen umfasste. Unter den Forschern, die sich in dieser Diskussion zu Wort meldeten, gab es den Philosophen und Psychologen Franz Brentano, welcher der Fechner’schen Psychophysik manche scharfsinnige Seiten seines Meisterwerkes, der Psychologie vom empirischen Standpunkte (Brentano, 1874), widmete. Die Diskussion zwischen Brentano und Fechner vertiefte sich dann im Laufe eines Briefwechsels, der von Brentano durch die Sendung eines Exemplars seiner Psychologie vom empirischen Standpunkte an Fechner unmittelbar nach ihrer Veröffentlichung im Mai 1874 angeregt worden ist.1
Die Auseinandersetzung zwischen Brentano und Fechner, die sich im Rahmen des hier erstmals veröffentlichten, wissenschaftlich äußerst bedeutungsvollen Nachlass-Briefwechsels entfaltete, ist vor dem Hintergrund jenes durchaus langen und holprigen Prozesses zu deuten, der in Deutschland bzw. im deutschsprachigen Raum zur Gründung der „neuen“ wissenschaftlichen Psychologie geführt hat. Zu diesem Prozess boten sowohl Fechner als auch Brentano in unterschiedlicher, gewissermaßen komplementärer Weise entscheidende Impulse an: Sie leiteten vor allem auf dem Gebiet der Wahrnehmung zwei Traditionen theoretischer und empirischer Forschung ein, die eine wesentliche Rolle in der späteren Entwicklung der wissenschaftlichen Psychologie gespielt haben (Gepshtein, 2010). Die eine, von Fechners Psychophysik (1860) ausgehende Tradition ist statistisch und reicht bis zur heutigen Auffassung der Wahrnehmung als bayesianische Inferenz; die andere, von Brentanos Psychologie (1874) ausgehende Richtung ist phänomenologisch ausgerichtet und reicht von der Gestaltbewegung bis hin zur heutigen Forschung auf dem Gebiet der Wahrnehmungsorganisation (vgl. Albertazzi, 2013).

2 Auf dem Wege zu einer „neuen Psychologie“

Der Weg zur Gründung einer neuen wissenschaftlichen und experimentellen Psychologie schlägt seine Wurzeln in den frühen Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts und ist als ein durchaus interdisziplinärer Prozess zu verstehen. Im Rahmen seiner Entwicklung verflocht sich die philosophische Forschung, innerhalb derer die Psychologie traditionell als Teildisziplin beheimatet war, immer mehr mit jenen naturwissenschaftlichen Untersuchungen – im Rahmen der Physik, Biologie, Physiologie und der im Entstehen begriffenen Psychiatrie –, die sich ebenfalls – wenn auch mit anderen Motivationen – mit dem Problem des Daseins und der Beschaffenheit des Psychischen auseinandersetzten.
Als Wundt in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts begann, sein Programm einer „physiologischen Psychologie“ zu entwickeln, bewegte er sich im Zusammenfluss dieser beiden Forschungsperspektiven und versuchte, sie in ein einheitliches Projekt zu überführen, wobei er der Psychologie ein spezifisches Objekt und eine ausgearbeitete Methode zuwies (Danziger, 1994, S. 17ff.). Hierbei wird der ansonsten merkwürdige Umstand verständlich, dass ein ausgebildeter Mediziner mit einer Venia Legendi im Fach Physiologie auf einen philosophischen Lehrstuhl – 1874 in Zürich und im darauffolgenden Jahr in Leipzig an einer der angesehensten deutschen Universitäten – berufen werden konnte: eine Anomalie, die bis dahin noch nie vorgekommen war (Gundlach, 2004; 2012).
Der Entwicklungsprozess der „neuen Psychologie“ wurde natürlich von einer immer breiter gefassten wissenschaftstheoretischen Debatte über die Grundlagen der Psychologie als wissenschaftlicher Disziplin begleitet. Diese Grundlagenforschung betraf die methodologisch-kritische Fragestellung, wie die Psychologie ihre Forschungsgegenstände einzugrenzen und zu behandeln habe. Die Debatte drehte sich hierbei vor allem um die Frage, inwieweit die neue Disziplin den heuristischen und methodologischen Anforderungen der empirischen, galiläischen Wissenschaft angeglichen werden könnte – und zwar, ausgehend von der Möglichkeit, Messung und Quantifizierung in das Gebiet der psychischen Phänomene einzuführen, das herkömmlich als für diese Operationen unempfänglich betrachtet wurde. Diese methodologische Fragestellung konnte jedoch nicht von einem weiteren, noch grundlegenderen Problem getrennt werden, nämlich von der Frage, wie die Psychologie ihren Forschungsgegenstand bestimmt und abgrenzt, bzw. wie sie durch ihre Forschungslinse ihren Gegenstand fokussiert. Im Rahmen dieser Debatte fielen die Stimmen von Brentano und Fechner durch die Bedeutung ihrer Beiträge auf, die von zwei komplementären, schwer versöhnbaren Standpunkten geleistet wurden, wie ihr Briefaustausch klar verdeutlicht.
Auf philosophischem Gebiet begann die Entwicklung einer „neuen Psychologie“ (Beneke, 1845), die sich von der Vormundschaft der Metaphysik befreit hatte und mit fertig gestellter wissenschaftstheoretischer Selbstbestimmung ausgestattet war, nach dem Zerfall der großen idealistischen Systeme festere Gestalt anzunehmen, und zwar als Ergebnis des Zusammenflusses und der Einverleibung der positivistischen Forschungsmethoden im philosophischen Rahmen des „Zurück zu Kant“.2 Ein Großteil dieser Debatte bewegte sich vor dem Hintergrund der bekannten „Kant’schen Interdiktion“ gegen die Möglichkeit der Psychologie als Wissenschaft und fürderte im Laufe des 19. Jahrhun derts maßgeblich die Überlegungen und Diskussionen über die Grundlagen der Psychologie.
Kants Psychologieverständnis war wesentlich durch die Wolff’sche Trennung von rationaler und empirischer Psychologie bestimmt. Beiden entzog Kant den Kredit von ernst zu nehmenden Wissenschaften. Einerseits zertrümmerte er im berfihmten Paralogismus-Kapitel der Kritik der reinen Vernunft mit wenigen, wohlgezielten Argumenten die metaphysischen Ambitionen der rationalen Psychologie: Da sich jede empirische Erkenntnis nur durch Subsumption eines sinnlich gegebenen Inhaltes unter die Kategorien vollzieht, stellt der Seelenbegriff das Ergebnis eines Paralogismus der reinen Vernunft dar, die den Begriff der seelischen Substanz auf jenes „Ich denke“ anwendet, das kein Gegenstand der Erfahrung, sondern die letzte transzendentale Bedingung jeglicher Erfahrung ist. Mit anderen Worten besteht der Fehlschluss darin, dass man die Bedingungen der Möglichkeit jeglicher Objekterkenntnis selbst Erkenntnisobjekt werden lässt (Kant, KrV, A341/B399ff.). Dadurch wird jegliche rationale Psychologie ein für alle Mal verbannt. Aber genauso radikal ist Kants Verdikt gegen eine „Physiologie des inneren Sinnes“ (ebd., A347/B405), d. h. gegen eine wissenschaftliche empirische Psychologie; ein Verdikt, das er dadurch begründet, dass in der Psychologie weder Mathematik noch Experiment zur Anwendung kommen können. Denn die „Phänomene des inneren Sinnes“ sind im Unterschied zu denjenigen des äußeren nur zeitlich bestimmt, sodass in Abwesenheit einer zweiten, räumlichen Dimension die Möglichkeit von Differentialgesetzen fehlt. Die empirische Psychologie scheitert allerdings nicht nur am wissenschaftlichen Kriterium der Mathematisierbarkeit, sondern bleibt sogar hinter dem wissenschaftlichen Standard der Chemie – so wie sie Kant verstand –, da der introspektive Zugang keine intersubjektiv kontrollierbaren Daten und somit kein Experiment zulässt; weil die innere Beobachtung „an sich schon den Zustand des beobachteten Gegenstandes alterirt und verstellt“ (A, S. IX). Psychologie „kann daher niemals etwas mehr als eine historische und, als solche, so viel wie möglich systematische Naturlehre des inneren Sinnes, d. i. eine Naturbeschreibung der Seele, aber nicht Seelenwissenschaft, ja nicht einmal psychologische Experimentallehre werden“.3
Die Entwicklungen der psychologischen Forschung im Laufe des 19. Jahrhunderts können gewissermaßen als Versuche betrachtet werden, diese beiden Grundschranken zu beseitigen, die Kant dazu geführt hatten, eine Psychologie als strenge Wissenschaft als unmöglich zu verdammen.
Der Zerfall der großen idealistischen Systeme leitet in Deutschland die Epoche des höchsten Verfalls der Philosophie ein. Nach einem entscheidenden Bruch mit der „Philosophie aus einem Prinzip“, die aus einem allgemeinen Prinzip die gesamte Struktur der Wirklichkeit abzuleiten und die eigenen Regeln den Einzelwissenschaften vorzuschreiben beanspruchte, entwickelt sich das Projekt einer wissenschaftlichen Neubegründung der Philosophie, einer „Philosophie von unten“,4 die sich stets mit den Ergebnissen und methodologischen Vorgehensweisen der Einzelwissenschaften auseinandersetzt. Entscheidend ist hierbei die Wiederaufnahme des Erkenntnisproblems, die sich im Allgemeinen an Kant orientiert, zugleich aber von einer empirischpsychologischen Grundlage ausgeht. Indem sich die Psychologie mit der Analyse von Empfindung, Wahrnehmung, Urteil, etc. befasst, übernimmt sie die Funktion der philosophischen Grunddisziplin, einer propädeutischen Wissenschaft, auf der das gesamte philosophische Gebäude aufzubauen ist.
Die Projekte einer „neuen Psychologie“, die immer zahlreicher in den 20er und 30er Jahren des 19. Jahrhunderts entstehen, weisen allerdings gewisse Bezüge zur Tradition auf. Sie greifen auf jene Analysen des menschlichen Geistes zurück, welche die deutsche Kultur von der Aufklärung geerbt hat,5 und die nun mit einem stärkeren Gespür für ihre erkenntnistheoretische Tragweite weitergeführt werden.6 Entscheidende Beiträge in diese Richtung kamen vom anthropologischen Themenkreis von Jakob Friedrich Fries (1773–1843) (Fries, 1807; 1820–1821) und von den psychologischen Fragestellungen von Friedrich Eduard Beneke (1798–1884) (Beneke, 1825–1827; 1833b; 1845). Beide trachten nach der Aufarbeitung einer empirischen Psychologie, die sich nach dem Modell der Naturwissenschaften richtet.7 Wie die Naturwissenschaften die äutaere Welt beobachten und analysieren, so hat die Philosophie primär die innere Welt als eigenen Forschungsbereich, sie ist die „Wissenschaft der inneren Erfahrung“.8 Als Erfahrungswissenschaft hat sie sich an die gleichen Methoden und Verfahren der Naturwissenschaften zu halten und einen ähnlichen Weg zurückzulegen, der diese von ihren ersten unsicheren Schritten zu den reifsten Ergebnissen geführt hat. Die Analyse des menschlichen Geistes, d. h. die Psychologie, muss zum Brennpunkt der ganzen Philosophie werden, in rein beschreibender Einstellung und fern von allen metaphysischen Annahmen (Beneke, 1832; 1833a; vgl. Antonelli, 2001, Kap. VI).
Die Beiträge von Fries und Beneke, denen noch derjenige von Karl Fortlage (1806–1881) (Fortlage, 1855) zur Seite gestellt werden kann, zielten darauf, der Erkenntnistheorie, die sich nun zum Rang der philosophischen Grunddisziplin erhob, eine genetisch-empirische Grundlage zu bieten, indem sie eine tief greifende, naturalistisch orientierte Neubestimmung der Kant’schen apriorischen Formen vornahm, im Ein...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Title
  3. Copyright
  4. Inhalt
  5. Vorwort
  6. Teil I: Franz Brentano und Gustav Theodor Fechner fiber Psychophysik
  7. Ein unveröffentlichtes Kapitel der Philosophie- und Psychologiegeschichte
  8. 5 Brentano vs. Fechner
  9. Teil II: Der Briefwechsel zwischen Franz Brentano und Gustav Theodor Fechner (1874–1878)
  10. Editorische Vorbemerkungen
  11. Briefe
  12. Anhang
  13. Bildanhang
  14. Fußnoten
  15. Literaturverzeichnis
  16. Namensverzeichnis