1 Servicemanagement im Personalwesen
Wolfgang Appel, Werner Felisiak
In den abgelaufenen zwei bis drei Jahrzehnten beschäftigten sich die Organisationsentwickler in der Managementpraxis vor allem mit den Themen Kundenorientierung, Dienstleistungsmanagement und Wertschöpfungsstrategien. Dabei gewannen die Humanressourcen als das entscheidende Unternehmenspotenzial an Bedeutung (Wunderer/Jaritz 2006, S. 3). Auf Basis dieser Erkenntnisse vollzogen sich drastische organisatorische Veränderungen in den Unternehmen. Die HR-Organisation blieb bis Ende der 1990er-Jahre bis auf wenige Ausnahmen von fundamentalen Umstürzen verschont, obwohl der Aufgabenumfang sowie die Aufgabeninhalte zunahmen. Über Jahrzehnte hinweg war sie als eine geschlossene Einheit betrachtet worden, deren Akteure wechselten und Themen sich entwickelten, deren Arbeitsweise aber im Grunde unverändert geblieben war.
Das HR-Management erfüllt eine duale Rolle, indem es auf der einen Seite im Auftrag der Unternehmensleitung übergeordnete unternehmerische Interessen durchsetzt. Ebenso überwachen die Personaler die Einhaltung von gesetzlichen, tariflichen und firmenrechtlichen Rahmenbedingungen. Sie verkörpern in diesem Sinne die regulative oder Eingriffsfunktion. Diese erfolgskritischen Aktivitäten unterliegen einem hierarchischen Steuerungsprinzip, d. h. die internen Leistungsempfänger können nicht frei über den Bezug entscheiden, sondern sind zur Abnahme verpflichtet. Wegen der primären Strategie- und Effektivitätsorientierung sollten die Leistungen von einer marktmäßigen Steuerung durch Angebot und Nachfrage ausgenommen werden. Auf der anderen Seite soll das HR-Management Partner der Mitarbeiter und operativen Führungskräfte auf Augenhöhe sein und eine dienende Funktion zur Erreichung des Unternehmenszwecks erfüllen. Nicht erst seitdem die machtausübende Funktion als Governance und die dienende Funktion als Service bezeichnet wird, kennzeichnet diese Ambivalenz das Denken und Handeln der Personaler. Neu ist lediglich, dass seit Anfang der 2000er-Jahre, als die ersten entsprechenden Funktionen in deutschen Großbanken entstanden, eine Organisationsform vorhanden ist, die die Servicefunktion der Personalarbeit unabhängig von der Beratungs- und Steuerungsfunktion in einer neuen Struktur abbildet: das HRServicecenter.
Dass diese organisatorische Idee erfolgreich war, ist Veränderungen geschuldet, die im letzten Jahrzehnt auf mehreren Ebenen stattgefunden haben: Strategisch erlebten wir eine starke Zentralisierungswelle nicht nur in Unternehmen, sondern auch in staatlichen Institutionen. Kompetenzen wurden entgegen der offiziellen Rhetorik in der Hierarchie nach oben verlagert und Ausführungsressourcen gebündelt – siehe die Entwicklungen im Zuge der europäischen Einigung. Verbunden damit ist ein „Rückzug aus der Fläche“ – ehrlicherweise müsste man sagen: ein Rückzug aus den ländlichen Räumen –, aber auch die Internationalisierung von Dienstleistungen in bisher nicht bekanntem Ausmaß. Die Organisationsform des Call Center, selten geliebt, aber seit den 1990er-Jahren von einem beeindruckenden Erfolg begleitet, ist Ausdruck dieser Entwicklung. Die Personalarbeit hat sich von diesen Einflüssen nicht abkoppeln können und die Idee unter der Bezeichnung HR-Servicecenter adaptiert. Entsprechende Reorganisationsprojekte wurden in einigen Großunternehmen gestartet und umgesetzt – selten aus innerer Überzeugung, sondern häufiger auf Druck der operativen Vorstandsressorts oder des Controllings.
Das Servicecenter ist jedoch mehr als nur ein aufbauorganisatorisches Konstrukt – es ist ein Zusammenwirken neuer Technologien mit einer konsequent prozessorientierten Arbeitsweise unter dem ideologischen Überbau einer kundenorientierten Kultur. Die Menschen in dieser Organisation müssen sich selbst als Dienstleister verstehen: „Service is our passion.“ Entsprechend ist über die Idee eines HR-Servicemanagements als umfassendes Konzept für die dienende Funktion der Personalarbeit nachzudenken, wozu dieses Buch einen Beitrag leisten möchte.
Service wird in der deutschen Fachliteratur mit dem Begriff der Dienstleistung gleichgesetzt. Dieser Begriff ist vielschichtig und kennt drei relevante Perspektiven (vgl. Bruhn 2011, S. 23 f.):
• Eine potenzialorientierte Perspektive, die die erbrachten Leistungen immer in Abhängigkeit von den Potenzialen der leistenden Menschen und Ressourcen betrachtet. Die Ergebnisse werden nicht aus Sicht des Kunden definiert, sondern erklären sich aus den Möglichkeiten der leistenden Organisation.
• Die prozessorientierte Perspektive, die den Erstellungsprozess im Vordergrund sieht, da Dienstleistungen in der Regel in der Gleichzeitigkeit der Leistungserbringung und des Leistungsverzehrs stattfinden.
• Zuletzt die ergebnisorientierte Perspektive, die auf das erstellte Produkt abzielt.
Ausgehend von diesen drei Dimensionen des Dienstleistungskonstrukts wird dem HRServicemanagement in Anlehnung an die allgemeine Begriffsbestimmung von Bruhn die folgende Definition zugrunde gelegt (vgl. Bruhn 2011, S. 24):
HR-Servicemanagement ist die Planung, Bereitstellung und Steuerung von HR-Services, verstanden als abgrenzbare, marktfähige Leistungen (potenzialorientierte Perspektive). Diese entstehen durch die Kombination vorrangig interner, aber auch externer Ressourcen innerhalb eines Produktionsprozesses (prozessorientierte Perspektive). Die Leistungen werden vorrangig für interne Kunden produziert, um diese bei der Erreichung des Unternehmensziels zu unterstützen (ergebnisorientierte Perspektive).
Gemeinsames Merkmal aller HR-Services ist der eher immaterielle Charakter der Leistung, die Einbindung des Kunden in den Prozess der Leistungserstellung und ein Selbstverständnis als dienende Funktion, die im Auftrag der Unternehmensleitung tätig wird (vgl. Haller 2010, S. 18–23). Bruhn und Stauss führen aus, dass ein Unternehmen nur dann erfolgreich extern dem Kunden Services anbieten kann, wenn dies durch eine interne Serviceorientierung spiegelbildlich vorgelebt wird (vgl. Bruhn/Stauss 2010, S. 5). Das HR-Management kann also einen Beitrag zum Erfolg des Unternehmens am externen Markt leisten, indem die an der Schnittstelle zum Kunden tätigen Mitarbeiter erfahren, dass sie nach innen ebenso als Kunden gesehen werden und von den internen Dienstleistern nach denselben Grundsätzen von Freundlichkeit, Schnelligkeit, Fairness und Qualität behandelt werden.
Bruhn/Stauss nennen zwei Ebenen, die zur Erreichung einer hohen internen Serviceorientierung wichtig sind: zunächst die persönliche Serviceorientierung und sodann die organisationale. Die persönliche Serviceorientierung hängt ab von der Einstellung und den Werten des Mitarbeiters, der die Leistung erbringt. Sind diese wertschätzend, positiv, aber auch verknüpft mit einer positiven Selbstwahrnehmung, dann wird der Mitarbeiter ein serviceorientiertes Verhalten zeigen. Die organisationale Serviceorganisation gestaltet wiederum vier nachgelagerte Subebenen: Ziel ist es, serviceorientierte Strukturen, Führung, Systeme und Unternehmenskultur aufzubauen (vgl. Bruhn/Stauss 2010, S. 8–21). Entsprechend wollen wir in diesem Buch die Ebenen des HR-Servicemanagements umfassend behandeln.
2 Die HR-Organisation – Re-loaded
Navid Nazemian, Wolfgang Appel
2.1 Die HR-Welt nach Dave Ulrich
Als Dave Ulrich sein maßgebliches Modell der neuen HR-Organisation vor über zehn Jahren auf den Markt brachte, löste es Eruptionen in der Personalarbeit aus.
Abb. 2.1: Das Dave-Ulrich-Modell der „HR-Value-Proposition“ (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Ulrich 1996, S. 24, sowie Oertig 2007, S. 20)
Kaum ein Großunternehmen, das seine Personalarbeit nicht an diesem Konzept ausgerichtet hätte. Das Kompetenzmodell wurde ein Maßstab für fortschrittliche HR-Organisation, an dem sich Personalverantwortliche messen lassen mussten. Ulrich wurde zu einem Vordenker der Szene, der seine Konzepte mit hohem Unterhaltungswert und anschaulichen Bildern transportiert. Noch dazu ist er ein Hochschullehrer, den die Praktiker trotz aller Abstraktionseiner Konstrukte zu akzeptieren scheinen. Wie wichtig ist jedoch seine Person für die Entwicklung der HR-Funktion?
Wäre die HR-Welt ohne die Ansätze eines Dave Ulrich dieselbe wie zu Beginn der 1990er- Jahre geblieben? Wohl kaum, denn die HR-Funktion hat sich nicht allein verändert, vielmehr vollzog sich ihr Wandel im Gleichklang mit der Finanzabteilung oder der Logistik, die ebenfalls in ihren Bereichen Konzept- und Prozessdesign von der Ausführung trennten. Die Stoßrichtung dieser Entwicklungen entsprach dem strategischen Impetus dieser Zeit, der lautete: Konzentration auf das Kerngeschäft. Somit war es bei Ulrich wie so oft in der Geschichte charismatischer Visionäre: Ihre geniale Eingebung genügte nicht, um eine Revolution auszulösen, sondern sie musste auch auf einen fruchtbaren Boden fallen. Die Zeit war Ende der 1990er-Jahre einfach reif für Ulrichs Vorstoß und sie hat den damals einsetzenden Schub in der Professionalisierung der Personalarbeit mit gestützt. Trotz dieser Verdienste gab und gibt es jedoch vielfältige und beachtenswerte Kritik an seinen HR-Modellen.
Zunächst ist anzumerken, dass Ulrichs Modell vor allem im Bereich der Großkonzerne umgesetzt wurde. Seine Idee der vier Rollen einer Personalfunktion wäre zwar auch in kleinen und mittleren Unternehmen anzuwenden, beschreibt sie doch lediglich verschiedene Anforderungen an den HR-Manager. In einem Kleinunternehmen mit einem einzigen Personaler wären letztlich alle Rollen in einer Person zusammenzuführen. Fragt man aber Personalverantwortliche von kleinen und mittelgroßen deutschen Unternehmen nach Dave Ulrich, so wird man oft auf Ratlosigkeit und Unkenntnis stoßen.
Abb. 2.2: Das überholte Kompetenzmodell von Dave Ulrich (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Ulrich 2008, S. 226)
Das eingeschränkte Anwendungsgebiet mag von den wenig praktischen Handlungsanweisungen der Modelle Ulrichs herrühren. Denn im Kern ging es ihm nicht um aufbauorganisatorische Strukturen, sondern er beschrieb lediglich die Idealkompetenzen eines HRGlaubwürdigerManagers. Kompetenzen sind allgemein zu verstehen als die „Fähigkeit, das Richtige zur richtigen Zeit zu tun“ (Demmer 2010, S. 24). Ulrich hat seinen Ansatz aus einem empirischen Forschungsprogramm gewonnen. Seit Ende der 1980er-Jahre befragte er Praktiker (sowohl Personaler als auch Business Leader) nach deren Erwartungen an die Personaler. Geantwortet wurde ihm mit Kompetenzen wie persönlicher Glaubwürdigkeit, strategischem Beitrag und Kenntnis des operativen Geschäfts. Aus diesen Anforderungen an die Personalarbeit und die Personaler wurden in den 1990ern „HR-Competencies“ und in der vorletzten Version die „HR-Capabilities“, die stärker auf die Rollen des modernen Personalers abstellen (vgl. Ulrich/Brockbank/Johnson 2008, S. 37 f.). Diese wurden zuletzt im Jahre 2012 weiter aktualisiert und in Form von „HR From the Outside In“ verfeinert (vgl. Ulrich/Younger 2012, S. 52):
Abb. 2.3: Das aktuelle Kompetenzmodell von Dave Ulrich (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Ulrich/ Younger 2012)
Vielleicht ist darum die Kritik an seinem Modell das Resultat eines großen Missverständnisses, denn sie verdichtet sich in der aufbauorganisatorischen Umsetzung des Konstrukts des „Strategic Positioner“ – des vormaligen „Strategic Business Partner“. Ulrich scheint von der anhaltenden Auseinandersetzung selbst so genervt, dass er im Herbst 2010 auf einem Kongress in Zürich meinte, dass er zu diesem Thema nichts mehr sagen möchte. Es bleibt aber festzustellen, dass dieses Rollenmodell in der Umsetzung die schwierigste seiner HRPositionen ist (vgl. Kötter 2011, S. 40). Es verlangt von dem Rolleninhaber eine Konzentration auf strategisches Handeln des begleiteten Managers und der Business Unit. Er soll die Implikationen der operativen Strategie auf das HR-Geschäft in langfristiger Weise vorausdenken sowie negative Auswirkungen auf die Personalressourcen und Umsetzungsbeiträge der Personalfunktion aufzeigen. Der HR-Business-Partner kann diesen Anforderungen nur gerecht werden, wenn er aufgrund seiner organisatorischen Einordnung auf Augenhöhe mit der Geschäftsleitung agieren kann. Die Ergebnisse der Cranet-Studie, einer vergleichenden empirischen Studie der Personalarbeit in verschiedenen Ländern, zeigen, dass der Anteil der Personalleiter mit Sitz in der obersten Hierarchieebene in deutschen Unternehmen zwar stark gestiegen ist, aber immer noch unter 50 % liegt. In anderen europäischen Ländern wie Schweden (91 %) und Finnland (82 %) ist man da wesentlich weiter (vgl. Kabst/Kötter/Meifert u. a. 2010, S. 7).
Was wünscht sich eine operative Führungskraft aber tatsächlich von ihrem Personaler? In letzter Konsequenz braucht das Business einen Manager zur Umsetzung einer Strategie in operative HR-Arbeit. Daraus leitet sich jedoch die Frage ab, an welcher Stelle im Unternehmen überhaupt strategisch gedacht und gehandelt wird. Strategie findet man vorrangig doch eher auf der Ebene von Geschäftsführung bzw. Vorstand sowie in den direkt an diese Ebene berichtenden Instanzen. Die Masse der Führungskräfte ist eher entfernt von strategischen Themen und hat überwiegend operative HR-Probleme zu lösen, von Disziplinarmaßnahmen bis hin zu Versetzungen. Sie steht eher hilflos einem strategischen HR-Business-Partner gegenüber, der dem Alltagsgeschäft scheinbar enteilt ist. Ein strategischer HR-Business- Partner, der diesen Namen verdient, würde in den Unternehmen den Kontakt zur Basis und dem Tagesgeschehen verlieren. Wie soll der Business Partner aber dann noch seine Rolle als „Employee Advocate“ einnehmen? Ulrich selbst behilft sich hier neuerdings mit der Fiktion, dass die gesamte HR-Funktion Business Partner werden soll. Damit wird jedoch aus einer Rollenbeschreibung ein ideologischer Überbau, der seinen Umsetzungsanspruch endgültig verliert.
Die in vielen Unternehmen entstandene „Drei-Säulen-Struktur“ ist voller struktureller Konflikte. Nehmen wir etwa die Funktion des Center of Competence bzw. Excellence oder auch Expertise genannt. Diese Funktionen agieren in vielen modernen Konzernen wie Adidas, British American Tobacco oder General Electric nicht unabhängig als Berater der Kunden, sondern sind in die HR-Corporate-Strukturen eingebunden und sowohl für HR-Governance als auch für Produkt- und Prozesssteuerung verantwortlich.
Ein anderer Konflikt zeigt sich bei der Frage der Einbindung der Business Partner in die Linienfunktionen. Eine direkte Berichtslinie zwischen dem Personaler und dem operativen Manager scheint ganz in Dave Ulrichs Gedankenwelt zu passen. Jedoch besitzt nicht jeder Business Partner die Persönlichkeit und die fachlich-methodische Kompetenz, um in einer solchen Abhängigkeit erfolgreich zu bestehen. Der Konflikt zwischen operativen Bedürfnissen und spezifischen Zielen der Personaler wird immer vorhanden sein und sich durch eine organisatorische Einordnung in die eine oder andere Berichtslinie auch nicht lösen lassen. Darum arbeiten bereits sehr viele Personaler in Matrixstrukturen und berichten sowohl an einen oder mehrere operative Manager als auch an einen übergeordneten Personaler.
Gegen eine Einordnung des Personalers in das operative Geschäft ist zudem einzuwenden, dass es eigene, spezi...