Performativität in Sprache und Recht
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Performativität in Sprache und Recht

  1. 292 Seiten
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Performativität in Sprache und Recht

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Über dieses Buch

Viele Rechtsexperten und Linguisten sind sich der performativen Kraft der Sprache (noch) nicht bewusst. Um die Einsicht in dieses Phänomen insbesondere für rechtliche Zusammenhänge zu verbessern, widmet sich der vorliegende Band ausdrücklich dem performativen Charakter von Sprache in rechtlichen Kontexten.

Die verschiedenen Beiträge dieses Bandes verdeutlichen die Bandbreite der Möglichkeiten, mit denen sich dem Phänomen sprachlichen Handelns in rechtlichen Kontexten gewidmet werden kann. Zum einen werden beispielsweise Muster, Traditionen und Strukturen in der Rechtssprache aufgedeckt und somit der performative Charakter dieses Tätigkeitsfeldes aufgezeigt. Zum anderen wird aber auch die performative Kraft der Sprache in Zusammenhang mit der Tatschreibenanalyse diskutiert. Beiträge zur Rechtsphilosophie sind in diesem Band ebenso zu finden, wie Diskursanalysen, die aufzeigen, wie Recht performativ erzeugt wird.

Der Band bietet einen guten Überblick, um das Verständnis performativen Sprachhandelns in verschiedenen rechtlichen Kontexten zu vertiefen.

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Information

Jahr
2016
ISBN
9783110462678

Teil 5:Das performative Potenzial von Textstil und Grammatik

Lars Bülow

Textsortenkonstituierende Parameter von Erpresserschreiben

Zur performativen Wirkung des Textsortenwissens

1Einleitung und Problematisierung

In den letzten Jahren hat sich die Forensische Linguistik – die sich als Disziplin der Angewandten Linguistik versteht – für Ansätze aus verschiedenen Bindestrich-Linguistiken geöffnet und dadurch Fortschritte erzielt.127 Der Forschungsbereich der Forensischen Linguistik erstreckt sich über alle Felder des Rechts, die sich mit sprachwissenschaftlichen Methoden und Fragestellungen untersuchen lassen (vgl. Fobbe 2011). Ziel der Forensischen Linguistik ist es u.a., etwas über die Identität von Autoren von inkriminierten Schreiben herauszufinden.128 Sie bedient sich dazu verschiedener Methoden. Eine dieser Methoden ist die Stilanalyse.129 Im Fokus der forensischen Autorenerkennung stehen diejenigen sprachlichen Strukturen der Texte, die Rückschlüsse auf die Identität eines Emittenten zulassen.130 Die Forensische Linguistik nutzt dazu den Umstand, „dass die meisten Sprecher einer Sprache ‚user‘ sind, die ihre Sprache zwar angemessen und weitgehend fehlerlos beherrschen, ihre Funktionsweise aber nicht reflektiert haben und das zu Grunde liegende System nicht kennen“ (Dern 2009: 32), womit Unbewusstes in der Sprache selbst handlungsanleitend wird, sprich, eine performative Wirkung entfalten kann.
Der Begriff Performativität131 ist vom englischen Verb to perform abgeleitet und unterstreicht zum einen, dass mit Sprache Handlungsziele erreicht werden, und zum anderen, dass diese Ziele sprachstrukturell an Wissensbestände gekoppelt sind, die das Individuum in der Interaktion lernt. Sprachliche Wissensbestände können eine performative Wirkung entfalten, weil sie durch ständige Einübung, Synchronisierung und Wiederholung für bestimmte Kontexte konventionalisiert sind. Velten (2012: 253) schreibt: „The performative speech act can only succeed because it is citational, i.e. repeats known codes embedded in specific ritualised acts“. Ähnlich argumentiert Müller-Mall (in diesem Band): „Das performative Ereignis ist gleichermaßen Setzungsakt wie eingeschrieben in das Spannungsfeld aus Wiederholung und Differenz. Kein performatives Ereignis kommt aus dem Nichts“. Performative Ereignisse sind immer auch der Sprachsozialisation und dem Musterwissen geschuldet. Das Performative der Sprache hat immer etwas Vorgängiges.
Dieser Beitrag untersucht die sprachlichen Wissensbestände, die möglicherweise strukturprägend und handlungsleitend für das Verfassen von Erpresserschreiben sind. Zu diesen Wissensbeständen gehört in erster Linie das Textsortenwissen, das wir im Laufe des Lebens durch den Umgang mit verschiedenen Texten erwerben. Dieses Wissen hilft uns, die Komplexität des Alltags zu reduzieren.132
Der performative Charakter von Sprache wird insbesondere durch die pragmatisch ausgerichtete Textlinguistik betont, deren Ergebnisse für die Autorenerkennung immer wichtiger werden.
Gerade im kriminalistischen bzw. forensischen Kontext ist es wichtig festzuhalten, dass Sprache nicht nur Soundtrack unseres Handelns ist, Hintergrundgeräusch, welches unsere Handlungen begleitet, sondern dass wir allein mit Sprache handeln können, dass sprachliche Äußerungen die Welt um uns herum verändern können. (Dern 2009: 32)
Die traditionelle Textlinguistik versteht Textsorten als konventionelle Muster sprachlichen Handelns (Brinker 2002: 42). Autoren verfügen über implizites und explizites Textsortenwissen. Dazu gehören sowohl kontextuelle als auch sprachstrukturelle Wissensbestände, die miteinander interagieren (Brinker 2014: 140–146). Für die Textsorte Geschäftsbrief haben die meisten Personen mit einem mittleren und höheren Bildungsabschluss derartiges Wissen verinnerlicht, das bei der Textproduktion und -rezeption als komplexes Musterwissen aktiviert wird. Erfahrungen mit Erpresserschreiben haben dagegen die wenigsten Personen gesammelt, was die Forensische Linguistik bei ihren Analysen berücksichtigen muss. 133 Dern (2009) spricht in diesem Zusammenhang von einer Konventionalitätsproblematik:
Zum Glück ist der Erpresserbrief naturgemäß weder ein Routineschreiben noch eine eingespielte Textsorte, bei der bestimmte Schreibkonventionen zu beachten wären. Ein solcher Brief muß im Prinzip nur so angelegt sein, daß der Sprechakt der Erpressung als solcher erkennbar wird […]. (Burkhardt 2000: 11; zitiert nach Dern 2009: 152)
Einige Forschungsarbeiten verweisen allerdings auf die formalen und funktionalen Überschneidungen von Geschäftsbriefen und Erpresserschreiben (Dern 2009: 151f.; Artmann 1996: 186f.). Die fehlende Erfahrung veranlasst die Erpresser scheinbar, auf bekanntes Wissen zurückzugreifen, wenn dieses unmittelbar nutzbar gemacht werden kann. Dieser Befund deutet darauf hin, dass die konventionalisierte Textsorte Geschäftsbrief in vielen Fällen einen performativen Einfluss auf Erpresserschreiben nimmt.134
Zur Ermittlung der Identität von Autoren muss der performative Einfluss bekannter Muster auf die Textproduktion berücksichtigt werden. Textsorten legen „wesentliche Anforderungen an ihre Gestaltung fest, denen sich die Sprecher und Schreiber nicht entziehen können“ (Eroms 2008: 20). „Dabei ist zu beachten, dass eine Orientierung an Konventionen individualtypische Verhaltensweisen überlagern kann.“ (Dern 2009: 34) Wolf (1989: 787) behauptet sogar:
Wir müssen aber ‚Stil‘ als eine Auswahl aus sprachlichen Möglichkeiten sehen, die höchstens zu einem ganz geringen Teil von der Individualität des Autors, in viel stärkerem Maße aber von (sozialen) Normen der Textartenkonstitution und der jeweiligen Textfunktion bestimmt ist.
Individualsprachliche Verhaltensmuster sind somit oft in überindividuelle und kulturkreisabhängige textsortenspezifische Verhaltensmuster eingebettet. Wissen um Textsortenwissen wird so unabdingbar, um individuelle Muster vor der Folie konventionalisierter Muster hervortreten lassen zu können. Auch Erpresser sind also durch gewisse Rahmenbedingungen, die sich durch dominante Textmuster ergeben, im konkreten Ausdruck ihrer Textproduktion vorgeprägt. Diese Prägung wirkt sich performativ auf die konkrete Textproduktion aus. Das heißt einerseits, dass der performative Einfluss des gestaltprägenden Musters bei der Analyse berücksichtigt werden muss, um etwas über die Identität des Täters oder der Täterin in Erfahrung zu bringen. Andererseits ist Textsortenwissen selbst als ein Indiz zu verstehen:
Die Routiniertheit, mit der jemand mit den sprachlichen Textbausteinen einer Textsorte umgeht, zeigt, wie stilsicher er ist, und verrät uns etwas über seine Erfahrungen in der Textproduktion und seinen Bildungsstand. (Fobbe 2011: 73)
Daraus lassen sich für den Kriminologen wichtige Hinweise für das Täterprofil ableiten. Das Tatschreiben ist ein Ausdruck der Fähigkeiten des Täters, Texte zu formulieren und zu strukturieren (Krieg-Holz in diesem Band).
Weiterhin setzt die forensische Stilanalyse an der Tatsache an, dass der Sprachgebrauch der Kommunikationsteilnehmer zum einen variabel und zum anderen nicht vollständig arbiträr ist. Damit kann konkreter Sprachgebrauch z.T. auf außersprachliche Faktoren wie Alter, Bildung, räumliche Herkunft, Texterfahrung und innersprachliche Faktoren wie strukturelle Zusammenhänge und textsortenkonstituierende Parameter zurückgeführt werden. Um diese Faktoren aus der Sprachverwendung herauszuarbeiten, verwendet die Forensische Linguistik Erkenntnisse aus der Stilistik sowie der Sozio- und Varietätenlinguistik (vgl. Krieg-Holz in diesem Band; Schall 2008).
Für die Autorenerkennung ist es wichtig, die sprachlichen Auffälligkeiten zu untersuchen, die individuell und untypisch für die Textsorte Erpresserschreiben sind. „Es sind die fakultativen, nicht musterhaft vorgegebenen und häufig redundanten Teilhandlungen einer Erpressung, die sprachliche Kreativität und damit auch Individualität entstehen lassen, eine ‚Handschrift‘ des Täters im Sinne des kriminalistischen Verständnisses des Begriffs konstituieren.“ (Dern 2009: 162; Hervorhebung im Original) Gerade in der sprachlichen Umsetzung der erpresserischen Handlung muss dem Autor viel Freiheit attestiert werden. Wie gezeigt wird, ist die Freiheit der Textgestaltung aber nur relativ, da Musterwissen, das stark an funktionale und situative Faktoren geknüpft ist, immer in die Textproduktion einfließt. Letztlich ist es wichtig, „das Erwartbare vom weniger Erwartbaren zu unterscheiden“ (Dern 2009: 161). Dort, wo für die Emittenten Wahlmöglichkeiten bzw. Handlungsoptionen bestehen, muss die Stilanalyse als Methode der Forensischen Linguistik ansetzen, um mögliche Erkenntnisse über die Identität der Autoren zu gewinnen. Dort machen sie sich gegebenenfalls durch ihren Sprachgebrauch erkennbar.
Im Folgenden werden insbesondere die sprachstrukturellen Ähnlichkeiten zwischen Erpresserschreiben und Geschäftsbriefen genauer untersucht. Es geht darum herauszufinden, auf welche Muster aus der Textsorte Geschäftsbrief beim Verfassen von Tatschreiben zurückgegriffen wird. Kapitel 2 führt zunächst in die Konzepte Textsorte und Stil ein. Um sich der Textsorte Erpresserbrief zu nähern, werden in Abschnitt 2.1 zunächst die in der Forschungsliteratur zusammengetragenen Merkmale von Erpresserschreiben vorgestellt und diskutiert, bevor in 2.2 die typischen Merkmale von Geschäftsbriefen beschrieben werden. In Abschnitt 2.3 liegt der Schwerpunkt auf der performativen Kraft der Höflichkeit und wie dieser Aspekt für die Tatschreibenanalyse bisher berücksichtigt wurde. Anschließend wird in Kapitel 3 anhand eines Korpus von Erpresserschreiben des BKA aus den Jahren 2007 bis 2010 untersucht, welche sprachstrukturellen und textsortenkonstituierenden Merkmale von Geschäftsbriefen tatsächlich in Erpresserschreiben relevant sind. Unter 4 werden die Befunde im Kontext der Performativität des Textsortenwissens abschließend diskutiert. Kapitel 5 legt nochmal Wert auf die Herausarbeitung der performativen Muster. Sprachmusterwissen führt zur konkreten Umsetzung von Sprachhandlungen in Textform und schafft damit Tatsachen (Wirth 2002: 10f.).

2Textsorten, Varietäten und Stil

In der Textlinguistik ist es allgemeiner Konsens, dass Texte sprachliche Handlungen sind. Diese sind in Kommunikationssituationen eingebettet, die ebenfalls analysiert werden müssen, wenn man Textstrukturen adäquat verstehen will (vgl. Brinker 2014: 15–18; Krieg-Holz / Bülow 2016; Kienpointner 2005: 195). Insbesondere im Falle einer Erpressung ist es notwendig, die sozialen und situativen Voraussetzungen gut einzuschätzen, um die Sprachstruktur der Autoren entsprechend bewerten zu können. Das Zusammenspiel von situativen Faktoren und Textsorten spielt dabei eine große Rolle.
Auf der Grundlage des sprechakttheoretisch begründeten Textbegriffs können Textsorten als konventionalisierte Muster für komplexe sprachliche Handlungen definiert w...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Vorwort
  5. Inhalt
  6. Einleitung
  7. Auf dem Feld des Rechts sprachlich handeln
  8. Vertragstheorie und sprachliche Performativität
  9. Pragmatik und Semantiken des sprachlichen Handelns auf dem Feld des Rechts
  10. Das performative Potenzial von Textstil und Grammatik
  11. Autorenverzeichnis
  12. Index
  13. Fußnoten