1Einleitung
Warum schon wieder ein neues Lehrbuch zur Digitaltechnik? Diese Frage wurde mir zu Beginn dieses Buchprojektes einige Male gestellt. Die daraus resultierenden Gespräche mit Kollegen haben deutlich zu Tage gebracht, dass vielfältige Gründe für ein neues Buchkonzept vorliegen, die ich im Folgenden skizzieren werde.
Obwohl die Grundlagen der Digitaltechnik im letzten Jahrzehnt weitgehend unverändert blieben, so haben sich die Vorlesungs- und Praktikumsinhalte in diesem Fach an den Hochschulen in den letzten Jahren doch erheblich verändert. Dies liegt an neuen Methoden, die sich beim Entwurf digitaler Schaltungen und Systeme weitgehend durchgesetzt haben. Eine digitale Schaltung wird nur noch im Ausnahmefall mit diskreten Logikbausteinen aufgebaut und deren Funktion auf einer Platine nachträglich überprüft. Die stark gestiegenen Anforderungen an die Komplexität digitaler Systeme, zusammen mit den Anforderungen eines geringen Platzbedarfs und niedriger Stromaufnahme haben dazu geführt, dass in umfassendem Maße reprogrammierbare Bausteine zur Implementierung digitaler Logikfunktionen eingesetzt werden.
Bild 1.1: Entwicklung des Integrationsgrads digitaler Schaltungen (gestrichelte Linie) und Entwurfsproduktivität der Schaltungsentwickler (durchgezogene Linie). Wesentliche Veränderungen der Entwurfsmethoden sind dargestellt (nach [28])
Eine wesentliche Kraft zur Veränderung der Entwurfsverfahren war und ist bis heute das unter dem Begriff „Design Productivity Gap“ zusammengefasste Problem, dass die Produktivität der Schaltungsentwickler nicht mehr mit den technologischen Möglichkeiten bei der Halbleiterfertigung Schritt halten kann (vgl. Bild 1.1). Während durch umfangreiche technologische Innovationen der Integrationsgrad von der Medium Scale Integration MSI mit einigen 1000 Transistoren pro Chip Anfang der 1980er-Jahre über die Very Large Scale Integration VLSI auf die heutige Ultra Large Scale Integration ULSI mit einem mittleren jährlichen Produktivitätszuwachs etwa 60% auf mehr als 1 Milliarde Transistoren pro Chip angestiegen ist, konnte die Entwicklerproduktivität nicht in diesem Maße gesteigert werden. Obwohl damals bereits von jedem Entwickler pro Monat nur etwa hundert Transistoren entworfen und verdrahtet wurden und dies heute im Mittel mehr als Hunderttausend sind, reicht die jährliche Steigerung der Entwicklerproduktivität von ca. 21% bei Weitem nicht aus, um den technologischen Fortschritt ausschöpfen zu können. Wie Bild 1.1 zeigt, ist die enorme Verbesserung der Entwicklerproduktivität auf die Einführung neuer Methoden des Digitalentwurfs zurückzuführen. Dabei übernehmen Softwarewerkzeuge nicht nur die Platzierung und Verdrahtung sowie die Optimierung der Logik, sondern sie werden auch eingesetzt, um aus „Programmierdateien“, die das gewünschte Verhalten einer Schaltung beschreiben, weitgehend automatisch eine Schaltungsimplementierung zu generieren. Für den Entwurf moderner digitaler Systeme, die auf einem Chip mehrere miteinander kommunizierende Prozessorelemente besitzen, wurden in den letzten Jahren unter der Bezeichnung ESL (Electronic-System-Level) [52] besondere Entwurfsmethoden entwickelt bei denen die Entwurf der Hard- und Prozessorsoftware in der gleichen Entwicklungsumgebung angestrebt wird. Bild 1.1 zeigt auch, dass in Zukunft dringend weitere Innovationen bei den Entwurfsverfahren benötigt werden, wenn der Abstand zum technologischen Fortschritt bei der Halbleiterfertigungstechnik nicht noch größer werden soll.
Nun wird von Studierenden, die eine Grundlagenvorlesung in Digitaltechnik absolviert haben, sicher nicht erwartet, dass sie in der Lage sind, Digitalschaltungen mit einer derartigen Komplexität zu entwerfen, allerdings werden heute durchaus verbreitet im Rahmen von Diplom- oder Masterarbeiten Digitale Systeme mit mehr als 100.000 Transistoren entworfen.
Entsprechend hat dieses Lehrbuch den Anspruch, neben den unabdingbaren Grundlagen der Digitaltechnik auch eine Einführung in die Verhaltensbeschreibung digitaler Schaltungen mit der Hardwarebeschreibungssprache VHDL (Very High Speed Integrated Circuit Hardware Description Language) auf Register-Transfer-Abstraktionsniveau (Register-Transfer-Level, RTL) zu geben. Eine Einführung in die Synthese von Systemachitekturen (High-Level-Synthese) muss dagegen weiterführenden Lehrveranstaltungen und entsprechender Literatur zum Entwurf Digitaler Systeme überlassen bleiben [7], [15].
Für dieses, in meiner Lehre bereits seit vielen Jahren eingesetzte Konzept existieren nach meiner Überzeugung bisher keine geeigneten deutschsprachigen Lehrbücher. Die bisher auf dem Buchmarkt erhältlichen Lehrbücher behandeln die Einführung in VHDL in der Regel überwiegend in ergänzenden Kapiteln und nicht als integralen Bestandteil bei der Vermittlung der digitaltechnischen Konzepte.
Das nun vorliegende Lehrbuch, welches sich aus den Lehrveranstaltungen Digitaltechnik und Digitale Systeme speist, die von mir seit vielen Jahren an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg gehalten werden, soll diese Lücke füllen: Grundkonzepte der Hardwarebeschreibungssprache VHDL werden in nur zwei speziellen Kapiteln eingeführt, weitere syntaktische und semantische Erweiterungen dieser Sprache werden jeweils direkt im Zusammenhang mit dem Grundwissen über die digitalen Grundbausteine vermittelt. Entsprechend kann das Lehrbuch auch nicht den Anspruch auf eine vollständige VHDL-Darstellung erfüllen. Dazu gehört auch, dass die VHDL-Konstrukte überwiegend mit Beispielen und nicht durch vollständige Syntaxbeschreibungen vorgestellt werden.
Dieses Lehrbuch kann somit als Kompromiss zwischen einem Standardlehrbuch zur Digitaltechnik und einem Lehrbuch zur Einführung von VHDL aufgefasst werden. Dabei musste selbstverständlich auf einige Vertiefungen, wie sie sich z.B. in [5] und [6] finden, verzichtet werden. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass die gewählte Stoffauswahl einen guten Kompromiss darstellt.
Die im Buch gewählten Anwendungsbeispiele sind durch das Symbol
herausgehoben, sie wurden unter dem Aspekt ausgewählt, dass sie einen praktischen Bezug zu wichtigen Grundschaltungen der Digitaltechnik haben. Dabei konnte leider nicht in allen Fällen vermieden werden, dass ein Vorgriff auf Lehrinhalte erfolgte, die erst an späterer Stelle des Lehrbuchs umfassend erläutert werden. In jedem Fall wurde jedoch versucht, die notwendigen Informationen bereits an dieser Stelle zu vermitteln. An einigen Stellen des Textes sind durch das Symbol
markierte Aufgaben eingebettet, mit denen das gerade Erlernte vertieft werden soll. Durch das Symbol
sind Tipps markiert, die den Lehrstoff in einem erweiterten Zusammenhang erscheinen lassen. Das Ende derartiger Einschübe ist durch das Symbol
gekennzeichnet.
1.1Die Hardwarebeschreibungssprache VHDL
Als Hardwarebeschreibun...