Die Theologie der Stoa
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Die Theologie der Stoa

  1. 429 Seiten
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Die Theologie der Stoa

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Über dieses Buch

Die stoische Philosophie bildet für nahezu alle Disziplinen der Theologie einen Verständnishintergrund, der in der Forschung für ein vornehmlich theologisches Publikum bisher allerdings kaum prinzipiell untersucht ist.
Ausgehend von der stoischen Theologie wird daher eine Interpretation der Philosophie der Stoa im Ganzen geboten. Die einzelnen Teilgebiete der stoischen Philosophie (Prinzipienlehre, Naturphilosophie, Anthropologie/Kosmologie, Ethik und Gotteslehre) werden von dem theologischen Prinzip der Stoa her in je einem eigenen Kapitel erschlossen und gedeutet. Dadurch wird es möglich, die divergenten stoischen Texte einem einheitlichen Verständnis zuzuführen und trotzdem ihre Eigenständigkeit zu beachten. Die Studie gipfelt in der Erörterung, wie sich stoisch die Fragen nach Freiheit, Sinn und Gott beantworten lassen.
Als Grundlagenwerk richtet sich der Band an WissenschaftlerInnen aller theologischen und religionsphilosophischen Disziplinen, die von einer einheitlichen Interpretation der stoischen Philosophie her ihren eigenen Forschungsschwerpunkt konzentriert angehen wollen, ohne dabei die stoischen Fragmente erst systematisieren zu müssen.

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Information

Jahr
2015
ISBN
9783110431803

1 Prinzipienlehre

Das philosophische System der alten Stoa ist ohne Zweifel ein in sich geschlossener und stimmiger Komplex. Die einzelnen Systemteile stehen untereinander in einem untrennbaren Zusammenhang. Die Stoiker identifizieren dabei einheitlich drei Teile des Gesamtsystems: Physik, Ethik und Logik.95 Alle Teile gelten als unveräußerlich, so dass keiner von ihnen ohne Schaden für das Gesamtsystem beiseitegelassen werden kann.96 Zugleich herrscht in der stoischen Schule Uneinheitlichkeit, was die Hierarchie der drei Teile für das philosophische Gesamtsystem anbelangt. Gilt allen die Dreiheit als unaufgebbar, so differieren die Meinungen in Bezug auf den vorzüglichsten Part im System.
Sowohl die Dreiheit als auch die Wertung in der Anordnung der Teile werden besonders deutlich in den von Diogenes Laertios gesammelt aufgeführten Vergleichsbildern.97 Das erste Bild vergleicht die Philosophie als ganze mit einem Lebewesen, wobei die Logik für Knochen und Sehnen, die Ethik für das Fleisch und die Physik für die Seele (ψυχή) steht. Ein zweites Bild nimmt ein Ei als Vergleichspunkt, so dass die Schale von der Logik, das Eiweiß von der Ethik und der Dotter von der Physik gebildet wird. Im Vergleich mit einem fruchtbringenden Acker schließlich stellt die Logik die Umzäunung, die Ethik die Frucht (καρπόν) dar, wohingegen die Physik durch Boden und Bäume symbolisiert wird. Eine tatsächliche hierarchische Anordnung ist den angeführten Vergleichen nicht zu entnehmen und soll ihnen wohl auch nicht zu entnehmen sein. Als Ziel muss ja die Kohärenz und wechselseitige Bezogenheit der Systemteile aufeinander vorstellig werden. Gewisse Tendenzen zeichnen sich mit der Benennung der Physik als ψυχή und der Ethik als καρπόν jedoch eindeutig ab. Dass die unterschiedlichen Teile verschiedene Funktionen im Gesamtsystem wahrnehmen, lässt sich unschwer erkennen. Am deutlichsten ist die Logik als der das System zusammenhaltende, es stabilisierende Teil benannt. Insofern dürfte dieser Part auch in den Anfängen der stoischen Philosophie von hervorragender Bedeutung gewesen sein.98 Für dieStimmigkeit und Aufstellung des Gesamtsystems kommt der Logik mithin ein prominenter Platz zu. Für die Vertreter der sog. mittleren Stoa, namentlich Panaitios und Poseidonios, wird hingegen ein Systembeginn mit der Physik überliefert.99
Lässt sich somit keine Präferenz des einen Teils vor dem anderen ermitteln und soll dies sogar systemintern genau so sein, so muss dennoch aus systematischen Gründen eine Unterscheidung eingezogen werden, die zwar nicht die irreduzible Dreiheit des einen Systems verlustig gehen lassen möchte, die funktionale Ausdifferenzierung der Teile jedoch in eine Skala einordnet. Andernfalls wäre ein ,Einstieg‘ in das stoische System schlechterdings unmöglich gemacht, da gewissermaßen im Zirkel der drei Teile niemals eine Stelle auffindbar wäre, an der der Zugang gelingen könnte. Bereits die angeführten Bilder, die Diogenes Laertios zitiert, lassen Ethik und Physik als die intima des Systems erkennen, denen von der Logik das Gerüst bzw. der Schutz gegeben wird. Die Logik stellt sozusagen das begriffliche Material zur Verfügung und beschäftigt sich mit einem, wenn nicht dem Zentralbegriff der stoischen Philosophie, dem λόγος. Allerdings bedarf die logische Systemkonstruktion einerseits eines Gehaltes, den sie aufbereitet, und setzt bereits einen Begriff ihrer selbst – eben den λόγος – voraus. Die Ethik hinwiederum kann zwar als der Systemteil benannt werden, der letztlich das Ziel stoischer Philosophie als eudämonistische Lehre darstellt, an sich jedoch nur unter den entsprechenden prinzipiellen Voraussetzungen Überzeugungskraft zu gewinnen vermag – bleiben doch die berühmten stoischen Paradoxa gänzlich unverständlich und werden notwendig missverstanden, wenn ihnen nicht bereits definitorische Vorbestimmungen vorangehen.
Die Physik befasst sich mit der Erkenntnis der Natur,was im stoischen Kontext sowohl naturwissenschaftliche Aspekte wie auch metaphysische Überlegungen einschließt. Naturforschung und Metaphysik stellen dabei für die Stoa insofern keine unterschiedlichen Betrachtungsperspektiven dar, als die eine Natur aus beiden Blickwinkeln gleichermaßen das Objekt ist. Daher koinzidieren Naturphilosophie – inklusive dem, was unter dem modernen Begriff der Naturwissenschaft gefasst werden kann –, Kosmologie, Anthropologie und Theologie letztlich im Begriff der Physik. Aufgrund dieses, den gesamten κόσμος betreffenden Zusammenhanges bietet die Physik den wohl fundierendsten Zugang in das stoische System. Zudem hat hier die Prinzipienlehre als der Teil, der es – im wahrsten Sinne des Wortes – mit dem ,Anfang‘ der Physik zu tun hat, eine exponierte Stelle inne. Die Untersuchung hebt im Folgenden daher von der Prinzipienlehre aus an und entfaltet die systematischen Grundlagen von dieser Systembasis aus. Dabei – dies bleibt unbenommen – wird stets auf die anderen Hauptteile des Gesamtsystems der Stoa zu rekurrieren sein, weil andernfalls das angestrebte umfassende Verständnis nicht erzielt werden könnte. Theologische Aspekte werden in den Prinzipfragen bereits deutlich anklingen, ihre Explikation allerding erst in späteren Kapiteln erfahren können.

1.1 Der Prinzipdual von ποιοῦν und πάσχον

Die Lehre von den stoischen ἀρχαί mutet bereits im ersten Zugang – auch und gerade dem mit der stoischen Philosophie Vertrauten – insofern seltsam an, als nicht eine Lehre von einem einzigen Prinzip, sondern eben von zwei ἀρχαί geboten wird. Dieser Umstand verwundert deshalb, weil wohl keine antike Philosophenschule sich derart um die Einheit des Systems bemüht hat wie die der Stoiker. Bevor auf diesen der monistischen Grundannahme der Stoa widersprechenden Umstand eingegangen wird, sei zur Klärung vorab kurz das Prinzipiengefüge der Stoa vorgestellt.
Unterschieden wird auf der einen Seite ein ποιοῦν und auf der anderen ein πάσχον. Unmittelbar identisch wird mit diesen Definitionen das Begriffspaar von λόγος/θεός einerseits und ἄποιος οὐσία/ὕλη andererseits eingeführtd.100 Bleibt man zunächst bei der ersten, allgemeinen Definition der beiden ἀρχαί, so handelt es sich um ein aktives und um ein passives Prinzip, welche voneinander unterschieden werden.101 Beide Prinzipien werden darüber hinaus als ungeworden und ewig bestimmt.102 Letzteres hebt auf die tatsächliche Prinzipialität der Prinzipien ab, d. h. sie sind ihrerseits nicht von Bestehendem ableitbar und gleichzeitig als in Ewigkeit überdauernd gedacht. Schwieriger scheint die bereits erwähnte Identifikation der Prinzipien mit dem Logos-bzw.Gottesbegriff und einer ,qualitätslosen Substanz‘ resp. Materie. Dass die Stoa diese Identifikation jedoch tatsächlich vorgenommen hat, wird exemplarisch an Seneca deutlich: “Dicunt, ut scis, Stoici nostri duo esse in rerum natura ex quibus omnia fiant, causam et materiam.
Materia iacet iners, res ad omnia parata, cessatura si nemo moveat; causa autem, id est ratio, materiam format et quocumque vult versat, ex illa varia opera producit. Esse ergo debet unde fiat aliquid, deinde a quo fiat: hoc causa est, illud materia.“ 103 Die Übersetzung in causa und materia geht mithin bereits über den rein abstrakten Bestand von ποιοῦν und πάσχον insofern hinaus, als das rein leidende Prinzip schon exklusiv mit der Übersetzung von ὕλη in Zusammenhang gebracht wird, causa jedoch noch auf den Abstraktbegriff ποιοῦν rekurriert. Zugleich wird die Unbestimmtheit des πάσχον in qualitativer Hinsicht nahezu als Beliebigkeit definiert (materia iacet iners, res ad omnia parata). Auf das starke Gefälle in fast schon schöpferischer Hinsicht, das die Interpretation der stoischen Prinzipienlehre bei Seneca erfährt, wird noch später in diesem Kapitel zurückzukommen sein.
Zunächst sei jedoch einen Schritt früher als in der zitierten Seneca-Stelle angesetzt, um die eigentliche Problematik, die in der Prinzipienlehre vorliegt, zu verdeutlichen. Gerade die anglo-amerikanische Stoaforschung bezeichnet – ähnlich dem zitierten Textabschnitt bei Seneca, nur noch stärker zugesteigert – die beiden Prinzipien als ,god and matter‘104 Diese vereinfachte Sicht auf die Prinzipienlehre setzt aber bereits zwei resp. drei Übersetzungsvorgänge voraus: Der matter-Begriff ist die Übertragung von πάσχον in ὕλη und verwendet damit den Materiebegriff unmittelbar identisch mit der allgemeinen Prinzipbeschreibung des passiv-leidenden Momentes. Dieses Translationsunternehmen hat durchaus seine Berechtigung im Anschluss an die Darstellungen von Diogenes Laertios und Seneca, muss sich aber seiner vorgenommenen Ableitung bewusst bleiben. Schwieriger wird es im Falle des anderen Prinzips. Das ποιοῦν wird – wie gesehen – einerseits mit λόγος, andererseits mit θεός identifiziert. Hier lässt sich letztlich ein dreifacher Schritt ansetzen, indem das aktive Prinzip mit dem Logischen in eins gesetzt wird, das Logische als solches aber für die Stoa wiederum als das Göttliche vorstellig wird. Doch auch dieser Dreischritt lässt sich weiter problematisieren: Die Begriffe von λόγος und Gott finden ihrerseits wiederum ausgesprochen polysemantische Verwendung in der Stoa, wie es auch beim Begriff der φύσις der Fall ist.105 Identifiziert man nun ποιοῦν mit λόγος oder gar θεός, so wäre in jedem Fall zu fragen, welchen Logos- bzw. Gottesbegriff man eigentlich ansetzt. Oder anders formuliert: Es gilt für jedweden Einzelfall auszumachen, ob eine Identifikation der Begriffe sinnvoll und das Systemverständnis der Stoiker treffend ist. Die Verbindung und enge Verbundenheit der genannten Begriffe soll dabei nicht in Frage gestellt werden – allerdings sei auf die Gefahr einer Sinnverfälschung hingewiesen, die eintreten kann, sofern man ohne Klärung die stoischen Begriffe miteinander identifiziert.
Die Problematik der scheinbar harmlosen Ansetzung der stoischen Prinzipienanlage als ,god and matter‘ erweist sich bereits gleich zu Beginn im Umgang mit der Prinzipienlehre. Für die Stoa lassen sich beide Prinzipien nämlich niemals unter Absehung des jeweils anderen Prinzips explizieren.106 Betrachtet man mithin eines der beiden Prinzipien für sich, so wird es aus stoischer Sicht zu einem reinen Abstraktbegriff. Eine Realaussage über ein Prinzip abgesehen von dem anderen Prinzip lässt sich somit nicht mehr tätigen. Sofern man nun die Prinzipien je für sich einer Betrachtung unterziehen möchte, käme dies aber dem gleich, was die Stoa vehement an philosophischen Annahmen platonischer Provenienz, insbesondere ihre Ideenlehre betreffend, ablehnt, nämlich einer doppelten Realität von Idee- und Realbegriffenf.107 Just ein solches Vorgehen verbietet der nominalistisch-monistische Grundzug der Stoa, welcher Abstraktbegriffen bzw. Universalien keine Realexistenz und damit – dies ist der entscheidende Punkt – auch keinerlei Wirkmöglichkeit zusprechen kann und darff.108
Ist jedoch die permanente Verknüpfung beider Prinzipien die Grundannahme der Stoa, ja lassen sich daher die Prinzipien per se nur als Abstraktionen von dem bestimmen, als was sie real in ihrer Verknüpftheit vorstellig werden, so depravierten λόγος/θεός und ὕλη – also ,god and matter‘ – zu reinen Abstraktbegriffen ohne jegliche Wirkung, setzte man sie unmittelbar identisch mit den Begriffen von ποιοῦν und πάσχον. Dies bedeutet, dass in einer bestimmten Weise durchaus von dem aktiven Prinzip als Gott und von dem passiven als Materie gesprochen werden kann. Allerdings sollte diese Redeweise nicht generalisiert verwendet werden. Andernfalls wäre die Göttlichkeit Gottes insofern in Gefahr, als Gott seines Aktionspotentials gänzlich verlustig ginge, was – wohl auch und gerade aus stoischer Sicht – unvereinbar mit Gott wäre; zudem verkäme die Materie zu einer bloßen Idee, was die Welt an sich zu einem reinen Schein machen würde – beides ist jedoch keinesfalls die Meinung oder gar das argumentative Ziel der Stoa. Eine unmittelbare Aufteilung und Trennung der Prinzipien sowie ihre damit verbundene Benennung als Gott und Materie greift mithin zu kurz und widerspricht stoischen Grundannahmen schlechthin, weil genau das, worum es in der Prinzipienlehre gehen soll – nämlich um eine noch näher zu bestimmende Wirkung zweier Prinzipien aufeinander – durch eine abstrakte Fixierung der Prinzipien, wie es durch die Begriffe von Gott/Logos und Materie geschieht, völlig verunmöglicht wird. Zu demselben Ergebnis wie für die Begriffe von Gott und Materie gelangt man konsequenterweise auch in Bezug auf die Bezeichnung der Prinzipien als ποιοῦν und πάσχον. Diese dürfen gleichfalls nicht unmittelbar als Allgemeinbegriffe, die schlicht Aktion und Passion als Abstracta vorstellig machen, missverstanden werden. Setzte man sie als Prinzipien dennoch in reiner Generalität an, so verfielen auch sie dadurch der internen stoischen Kritik, dass sie als reine Ideebegriffe nicht das vorstellen können, was ihnen eigentlich wesensmäßig eignen sollte.
Nach dieser ersten, wichtigen Interpretation der Prinzipien und ihrer Feststellung als schlechthin un-abstrakt, bleibt zu fragen, wie die stoische Prinzipienlehre exponiert werden soll,wenn sich ein bloß,prinzipiell-allgemeiner‘ Zugang zu ihr aus systeminternen Gründen strengstens verbietet. Anders formuliert: Was sind Prinzipien, wenn sie gerade nicht eine generalisierte Allgemeinvorstellung zum Ausdruck bringen sollen und dürfen? Erste Anhaltspunkte auf dem Weg zu einer Lösung dieses Problems wurden bereits in der bisherigen Begriffserörterung ermittelt: Die Stoa ist – wie gesehen – ja durchaus in der Lage, ihre Prinzipien mit Gott und Materie zu identifizieren – nur darf dies eben nicht unmittelbar und in genereller Aussageform geschehen. Dies bedeutet hinwiederum, dass zwischen Wesen der Prinzipien in Allgemeinheit und dem unterschieden werden muss, was sie wesenhaft in Anschauung bringen. Mit anderen Worten: Prinzip und im Prinzip Prinzipiiertes sind derart zu unterscheiden, dass das im Prinzip Prinzipiierte vermittels Abstraktion durchaus in ein Prinzip überführbar bleibt, als generalisiertes Prinzip dann aber nicht mehr das meinen kann, was seinem Wesen in Realität entspricht. Für das stoische Verständnis lässt sich also zwischen abstrakter Form und konkretem Wesen der Prinzipien differenzierend.109 Ein solcher Zugang zu den stoischen Prinzipien, der die angeführten aporetischen Abwege meidet, muss aber anders gewonnen werden, als dies bisher in der Stoaforschung favorisiert wurde: Den Ausgangspunkt muss die stete Einheit, ja unvordenkliche wechselseitige Durchdringung beider Prinzipien bildend.110 Hiervon ausgehend ergeben sich drei aufeinander aufbauende Thesen, die für die weitere Prinzipanalyse der Stoa von grundlegender Bedeutung sind:
(1) Beide Prinzipien bilden ein irreduzibles Gesamtgefüge, das als solches unaufgebbar ist, möchte man nicht des Gesamtansatzes verlustig gehen.
(2) Echte Wesensverwirklichung der beiden ἀρχαί ist ausschließlich in ihrem wechselseitigen Zusammenspiel, d. h. in ihrer Irreduzibilität möglich.
(3) Daraus ergibt sich als Endkonsequenz, dass die Rede von den Prinzipien in exklusiver Zweiheit das eigentliche Anliegen der stoischen Prinzipienlehre nicht zu treffen vermag, weil es der Stoa nicht um abstrakte Bestimmungen, sondern um konkrete Realisierung geht.
Lassen sich diese Thesen im Horizont des gesamten stoischen Systemgebäudes halten,111 so folgt daraus, dass es recht verstanden in der Stoa nicht um eine Doppelheit im prinzipiellen Beginnen geht, sondern präzise gesprochen um eine Prinzipienpolarität. Beschrieben als polare Struktur erfüllt die Kombination von ποιοῦν und πάσχον das, worum es der stoischen Prinzipienlehre zu tun ist: Einerseits lässt sich tatsächlich von zwei Prinzipien als den Momenten des Prinzips sprechen. Zum anderen sind diese Prinzipien dann aber auch immer die Momente des einen Prinzips, was der monistischen Grundbedingung stoischen Denkens entgegenkommt. Moment meint in diesem Zusammenhang die Gestalt der Einzelprinzipien als Pole innerhalb der Polarität. Momente können mithin nur als Punkte innerhalb eines Polaritätsprozesses verstanden werden, die zwar an sich durchaus Bedeutung haben – allerdings nur, wenn sie im Rahmen der Polarität verbleiben. Momenthaftigkeit meint also immer das Sich-Befinden innerhalb eines prinzipiellen Spannungsverhältnisses. Spricht man von einer Prinzipienpolarität, so wird die duale Ausprägung des Prinzips nicht einfach unterlaufen, weil echte Polarität ausschließlich bestehen kann, sofern sie – mindestens – zwei Pole in sich vereint. Dies entspricht insbesondere der obigen These (1). Zudem ist die prinzipielle Polarität nicht einfach ein abstraktes Gedankenspiel, das sich aus der Problematik zweier ἀρχαί ergibt; vielmehr bedarf es – wie These (2) vorstellt – der prinzipiellen Irreduzibilität gerade deswegen, damit das Wesen beider Prinzipmomente allererst zur Verwirklichun...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Half Title
  3. Theologische Bibliothek Töpelmann
  4. Title
  5. Copyright Page
  6. För Gloria
  7. Vorwort
  8. Contents
  9. Einleitung
  10. 1 Prinzipienlehre
  11. 2 Naturlehre
  12. 3 Kosmologie und Anthropologie
  13. 4 Ethische Konsequenzen
  14. 5 Gott und Gotter
  15. 6 Theologische Reflexionen
  16. Epilog: Das stoische System als theologischer Ansatz
  17. Hinweise zur Zitation und Abkurzungsverzeichnis
  18. Footnotes
  19. Footnotes1
  20. Footnotes2
  21. Footnotes3
  22. Literaturverzeichnis
  23. Namenindex
  24. Sachregister