Eine Vielzahl der bewaffneten Konflikte weltweit wird derzeit im arabischen Raum ausgetragen. In ihrer Gewalttätigkeit haben sie sich über die letzten Jahre erwiesenermaßen zunehmend verstärkt. Ihre Folgen sind in den westlichen Gesellschaften direkter erfahrbar, insbesondere durch die Flüchtlingsströme, die mediale Berichterstattung und die Verunsicherung durch den transnationalen Terrorismus. Im Folgenden werden nun neuere Entwicklungen in den ethnopolitischen und religiösen Konflikten der Region aufgezeigt. Außerdem werden aktuelle Fragestellungen der Transformationsforschung sowie das Forschungskonzept vorgestellt, und es wird in die Mediationen eingeführt.
2.1Ethnopolitische Konflikte in der arabischen Welt
Der Raum spannt sich weit: Von der westlichen Küste Nordafrikas über die Sahelzone, den Nahen Osten, die Arabische Halbinsel bis Iran reicht die Großregion, die als MENA-Region bezeichnet wird und die die Länder der arabischen Kultur fasst. Auch Mauretanien, der Sudan und Somalia werden in einer weiteren Definition der Region mit einbezogen. Ihre Bevölkerung wächst stetig und liegt nach den Bevölkerungsstatistiken der United Nations Organization (UNO) von 2016 bei mittlerweile 430,4 Millionen Einwohnern (vgl. istizada.com). Wesentliche einende Momente sind die durch das semi-, voll- und hyperaride Klima geprägten Lebensformen, die arabische Sprache und die diversen Strömungen des Islam. Aber auch verschiedenen ethnischen und religiösen Minderheiten bietet die Region eine Heimat.
In dieser Großregion wird derzeit eine Vielzahl von ethnopolitischen Konflikten ausgetragen, in denen sich rivalisierende Gruppen militärisch organisieren und gegenseitig bekämpfen. Dabei werden Merkmale der Gruppe wie ethnische Zugehörigkeit, Religion, Sprache und Kultur überhöht und zur Stärkung des Gruppenzusammenhalts, zur Abgrenzung von der gegnerischen Seite sowie zum Aufbau von Feindbildern genutzt. Kennzeichen der Konflikte ist es, dass sie innerstaatlich bzw. Staatsgrenzen übergreifend durch substaatliche Gruppen ausgetragen werden. Damit gehören sie zu den non state conflicts, die in den letzten Jahren massiv zugenommen haben. Seit 2011 liegt der Wert für nichtstaatliche Konflikte nach dem Uppsala Conflict Data Program konstant über dem der staatlichen Konflikte. Waren im Jahr 2008 weltweit noch 36 nichtstaatliche Konflikte registriert worden, so stieg ihre Zahl im Jahr 2015 schon auf 64 (vgl. ucdp.uu.se: Number of Conflicts).
Nicht nur die Anzahl der nichtstaatlichen Konflikte ist gestiegen, auch in ihrer Gewaltsamkeit haben sie sich dramatisch gesteigert. Nach Erhebungen des International Institute for Strategic Studies (IISS) in London hat sich in den Jahren von 2008 bis 2015 die Anzahl der Toten in bewaffneten Konflikten weltweit verdreifacht. Die schwersten Konflikte finden in der MENA-Region statt. Syrien und Irak haben mit Abstand die meisten Toten zu betrauern, aber auch in Somalia und im Jemen sind erheblich mehr Menschen als zuvor umgekommen (vgl. iiss.org 2016: Armed Conflict Survey). Dieser Anstieg der Gewalt wird mitverursacht durch Militärinterventionen regionaler und internationaler Mächte, die einerseits unternommen werden, um die Konflikte zu beenden, andererseits aber wird für die Durchsetzung eigener Interessen in der Region die Verlängerung der Konflikte und die Nichtachtung von Menschen- und Völkerrechten in Kauf genommen.
Auf die Frage, worum so erbittert gekämpft wird, gibt es verschiedene Antworten. Zum einen sind es die Georessourcen, die so schwer umkämpft sind. Gerade an Erdöl ist die Region reich. Im Mittleren Osten machen die nachgewiesenen Erdölreserven mit 47,3 % im Jahr 2015 fast die Hälfte der weltweiten Erdölreserven aus. Die größten Reserven weisen Saudi-Arabien, Iran, Irak und Kuwait auf. So verwundert es nicht, dass der Mittlere Osten auch der größte Erdölexporteur ist. Von der Arabischen Halbinsel aus werden alle Kontinente mit Öl beliefert. In Nordafrika ist Libyen das erdölreichste Land. Auch die weltweit größten Erdgasvorkommen befinden sich im Mittleren Osten, hier liegt der weltweite Anteil im selben Jahr bei 42,8 %. Algerien, Ägypten und Libyen führen die Erdgas-Statistiken der nordafrikanischen Länder an (vgl. bp.com 2016: BP Statistical Review).
Die Region ist ebenfalls reich an Erzen wie Kupfer, Platin und Gold. In der Sahelzone liegt zudem rares und begehrtes Coltan, das bei der Herstellung elektronischer Geräte wie Handys und Laptops Verwendung findet. Die Erze, Erdöl und Erdgas ermöglichen den nordafrikanischen Ländern wie auch denen des Mittleren Ostens wirtschaftliche Wachstumsraten, welche stabil die der europäischen Länder und die der USA weit übersteigen. Die Bodenschätze sind für die westliche Welt von strategischer Bedeutung, soll die Versorgung der Bevölkerung gesichert und der Lebensstandard zumindest annähernd beibehalten werden. Das vor allem im Niger und in Mali vorkommende Uran ist wahrscheinlich die als strategisch am bedeutungsvollsten eingeschätzte Ressource, da durch sie die westliche militärische Überlegenheit aufrechterhalten werden kann. Sie ist zu großen Teilen noch unerschlossen und weckt darum Begehrlichkeiten nach Kontrolle über die entsprechenden Gebiete (s. a. aljazeera.com 2016: Shadow War).
Denn darum geht es eben auch: um den Erhalt und den Ausbau von politischer Macht und Einflussnahme. Auf der lokalen Ebene kämpfen strukturell benachteiligte Gruppen für mehr politisches Mitbestimmungsrecht und wirtschaftliche Teilhabe, dabei verlaufen die Konflikte vor allem entlang lokal relevanter ethnischer, religiöser und politischer Konfliktlinien. Auf der regionalen Ebene geht es um die Vormachtstellung in einer Region. Über den Aufbau strategischer Bündnisse mit lokalen und überregionalen Mächten soll die regionale Macht erweitert und gesichert werden. Hier kommt es bereits zu größerer Blockbildung im ethnischen, religiösen und politischen Bereich wie dem von Sunniten und Schiiten im Mittleren Osten. Letztendlich haben auch Großmächte ihre Interessen in der Region, die sie strategisch verfolgen und dazu mit den aussichtsreichsten Akteuren Bündnisse schließen. Auf der internationalen Ebene geht es derzeit um nicht weniger als um die Vormachtstellung in einer sich neu etablierenden Weltordnung. So werden lokale Rivalitäten von regionalen und internationalen Hegemonialbestrebungen überlagert.
Dahinein weben sich die zunehmenden Bemühungen der Staaten der Region, sich aus strukturellen Abhängigkeiten, welche sich im Zuge der Kolonialzeit und danach entwickelten, zu lösen und eine selbstbestimmtere Politik voranzutreiben. Es geht um mehr Unabhängigkeit von westlicher Politik und um die Ausbildung stärkerer nationaler Identitäten, um Freiheit und Selbstausdruck. Innerhalb der Gesellschaften ist dieses Thema präsent im Ringen der Bevölkerung mit den Führungseliten, und innerhalb des Staatensystems ringen die Regierungen mit den internationalen Zwängen. Wo Staaten erstarken konnten, wird neue Motivation freigesetzt. Rückschläge hingegen lösen Frustrationen aus. Verhandelt wird über die Konflikte also auch der Umgang der westlichen Welt mit der erstarkenden Region.
Zu den Unabhängigkeitsbestrebungen der Region ist ebenfalls der zunehmende transnationale Terrorismus zu rechnen. Die islamistischen Organisationen, die sich z. T. aus Untergrundbewegungen gegen die Politik der Kolonialmächte und aus Gruppen, die im Kalten Krieg für Stellvertreterkriege instrumentalisiert wurden, gebildet haben, nutzen die durch die Konflikte entstehenden rechtsfreien Räume, um sich auszubreiten und neue Basislager zu errichten, von denen aus sie Anschläge vor Ort, in Europa und in den USA planen. Die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) gibt folgende Ziele der islamistischen Gruppierung al-Qaida und der noch radikaleren Schwesterorganisation im Jemen al Qaida on the Arabian Peninsula (AQAP) an: destabilisieren, Gebiete unter die eigene Kontrolle bringen, einen islamischen Staat errichten, in dem das Scharia-Gesetz gilt, den Rückzug der USA aus der islamischen Welt erzwingen (vgl. Steinberg 2015, 2).
Die Konflikte bieten dabei so manchem Akteur ein einträgliches finanzielles Geschäft. Forschungen zu Kriegsökonomien in der Großregion zeigen, dass sich die lokalen Gruppen ökonomisch sehr gut organisieren und gezielt Gebiete besetzen, in denen Ressourcen zur Kriegsfinanzierung gefördert werden können. Über Förderung und Vertrieb der Ressourcen und die Beschaffung von militärischem Material entstehen Netzwerke und Strukturen, in denen die Bevölkerung Arbeit und Lohn und eine relativ stabile Versorgung finden kann. Geiselnahmen sind ein weiteres Mittel, um Gelder bzw. Konzessionen der gegnerischen Partei zu erpressen. Auch hier kommt es zum Aufbau von Strukturen, welche die Fortsetzung der kriegerischen Auseinandersetzungen als erstrebenswert erscheinen lassen (vgl. Le Billon In: zeit.de 2014: Das Geschäft).
In viel umfangreicherem Maße und zu großen Teilen legalisiert findet das Geschäft auf der regionalen und internationalen Ebene statt. Eine Studie des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) belegt eine Zunahme des internationalen Handelsvolumens mit Rüstungsgütern in dem Zeitraum von 2011–2015 um 14 % gegenüber dem Zeitraum von 2006–2010. Die Tendenz ist weiter steigend. Die fünf größten Rüstungsexporteure sind die USA, China, Russland, Frankreich und Deutschland. Unter den fünf größten Abnehmern finden sich Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (vgl. books.sipri.org 2016: Trends). Die Einnahmen aus dem Rüstungsgeschäft stabilisieren westliche Gesellschaften auf der einen Seite, da sie für Arbeitsplätze und die Erhöhung des BIPs sorgen sowie Großspenden an Parteien ermöglichen. Auf der anderen Seite werden Gegenbewegungen geschürt, die sich z. B. in Form von terroristischen Anschlägen und Flüchtlingsströmen ausdrücken und die Gesellschaften verunsichern und finanziell herausfordern.
In die wirtschaftliche und machtpolitische Interessenpolitik mischen sich immer auch die Bestrebungen politischer Akteure, seien es Einzelpersonen, Nongovernmental Organizations (NGOs), Staaten oder internationale Organisationen, die für Frieden und die Wahrung von Menschen- und Völkerrecht eintreten und proaktiv tätig werden. Durch ihr Engagement kommt es ebenfalls zur Ausbildung von Strukturen, die Konfliktberuhigungen begünstigen und tiefgreifende Konflikttransformationen ermöglichen. Nicht selten verfolgt ein politischer Akteur neben seinem Einsatz für den Frieden in der Region auch eigene Interessen, was zu kontradiktorischen Handlungen, zu offizieller und inoffizieller Politik führt. So entsteht ein vielschichtiges, die verschiedenen politischen Ebenen durchziehendes interkonnektives Interessen- und Handlungsgeflecht, das sich zum Teil offen und transparent, zum Teil hintergründig und undurchsichtig zeigt.
Es bildet die komplexe Umgebung, in der Konflikttransformationen heute stattfinden, und vermittelt einen kleinen Eindruck von der anspruchsvollen Aufgabe, gelingende Konflikttransformationen mitzugestalten. Dass die Konflikte beendet und ihre Ursachen auf friedlichem Wege bearbeitet werden, ist vor allem im Interesse der Bevölkerung der Gebiete, in denen die Konflikte militärisch ausgetragen werden. Sie leidet am meisten unter den Folgen der kriegerischen Auseinandersetzungen, unter dem Tod von Familienangehörigen und Menschen aus ihren engeren und weiteren Beziehungsnetzwerken, unter der Zerstörung von Infrastrukturen und Lebensräumen, unter einer zumeist drastisch verschlechterten Gesundheitsversorgung, unter Mangelernährung und Vertreibung aus der Heimat inklusive der massiven Zunahme von Lebensunsicherheit.
Aber auch der Verwüstung ganzer Landstriche durch Kriegshandlungen sollte ein Ende bereitet werden. Die bereits zerstörten Kulturschätze – seien es die altassyrischen Städte Palmyra in Syrien und Ninive im Irak mit über 5.000 Jahre alten Siedlungsbefunden, seien es Bauten altsüdarabischer Könige wie der Königin von Saba im Jemen oder die Königsgräber von Timbuktu in Mali – sind zum Großteil unwiederbringlich verloren. Das ist nicht nur für die Gesellschaften, die sie hervorgebracht haben, ein Verlust kulturellen Erbes, sondern für die gesamte Menschheit. Es sind Zeugnisse einer reichen vorislamischen und vorchristlichen Geschichte, die vor Ort identitätsstiftend wirken und auf den frühen Austausch der Kulturen und eine gemeinsame vielfältige Entwicklungsgeschichte verweisen. Sie gilt es zu erhalten.
Im Interesse westlicher Staaten dürfte die Abnahme des transnationalen Terrors liegen, der vor allem über die konkreten und vermehrt ausgeübten Attentate und die durch sie ausgelöste verstärkte Lebensunsicherheit Einzug in ihr Alltagsleben gehalten hat. Aber auch über die mediale Berichterstattung, eine sich verschärfende Überwachung und Polizeipräsenz, über das verstärkte Schutz- und Abgrenzungsbedürfnis inklusive der daraus resultierenden veränderten politischen Orientierungen verändern die islamistischen Übergriffe das Gesicht der Gesellschaften. Nach Europol steigt die Anzahl der terroristischen Anschläge gegenüber den Vorjahren weiter an. Im Jahr 2015 wurden in Europa 211 gescheiterte, vereitelte und durchgeführte Anschläge gelistet. Die meisten Anschläge aber werden immer noch in Nordafrika und dem Mittleren Osten selbst verübt, wo sie zur Destabilisierung beitragen und einen weiteren Grund für Flucht und Migration liefern (vgl. Europol 2016, 6 u. 10).
Der Bedarf an gelingenden Konflikttransformationsprozessen ist also offensichtlich. Die Tragweite von Misslingen und Gelingen kann erahnt werden. Gewonnen werden aber kann viel: Die negativen Trends können gestoppt werden, wie der Anstieg der Anzahl nichtstaatlicher Konflikte, die Gewaltzunahme in ethnopolitischen Konflikten, die Aufrüstung, die Verbreitung des internationalen Terrorismus etc. Rückläufige Bewegungen können eingeleitet werden, sodass mit dem Aufbau der zerstörten Regionen, der Belebung der Gemeinden, der friedlichen Bearbeitung der Konfliktursachen begonnen und ein kooperativeres und respektvolleres Verhalten unter den Staaten eingeübt werden kann. Dazu würden u. a. Aushandlungsprozesse über die Nutzung von vorhandenen Ressourcen zählen, die auf einen gemeinsamen Gewinn orientiert sind und kumulative Wachstumsprozesse in Gang setzen, von denen alle Gesellschaften profitieren können. Dazu würde auch die verstärkte gegenseitige Achtung der Souveränität der Staaten, ihrer gesellschaftliche...