Kontroversen gegen Dai Zhen
Es folgen die Übersetzungen der Kontroversen zwischen Fang Dongshu und Dai Zhen. Seit dem Erscheinen des von Zhu Weizheng editierten Hanxue Shicheng Ji (wai er zhong) von 1998 liegt eine sehr brauchbare interpungierte Edition des Textes vor, die hier als Grundlage verwendet wurde. Die Übersetzung der zehn Kontroversen gegen Dai Zhen erfolgt in der Originalreihenfolge des Hanxue Shangdui.
Erste Kontroverse: Rechte Ordnung, Rechter Weg und das Herz
Die erste Kontroverse, bei der Fang Dongshu Dai Zhen direkt angreift, ist die vierte Kontroverse des zweiten Kapistels (vgl. Fang Dongshu 1998, 274–276). Das zitierte Eröffnungsstatement Dais ist ungewöhnlich kurz.
Das Problem mit der hier zitierten Textstelle ist, dass sie sich in keiner der Schriften Dai Zhens ausmachen lässt. Der Text findet sich als Zitat markiert in Jiang Fans Biographie Dai Zhens im Hanxue Shicheng Ji, unmittelbar vor dem Werksverzeichnis, und wird dort als Quintessenz von Dais Schrift Yuan Shan bezeichnet (Hanxue Shicheng Ji (Wai Er Zhong) 1998, 105). Aber eine kursorische Lektüre beider Yuan Shan-Texte Dais Zhens ergab, dass der zitierte Text in keiner Form, auch nicht in abgeänderter Formulierung, erscheint. M.E. handelt es sich bei diesem vermeintlichen Ausspruch Dai Zhens um eine Zusammenfassung seiner Gedanken durch Jiang Fan. Das Auftaktzitat ist demnach eher eine Zuschreibung als eine wörtliche Wiedergabe. Hierfür spricht neben der Tatsache, dass sich der Text bei Dai nicht finden lässt auch, dass er bei Jiang Fan nicht als Zitat markiert erscheint.1 Bis andere Evidenzen gefunden werden, gilt der folgende Auftakttext der ersten Kontroverse also als Paraphrase der Gedanken Dai Zhens durch Jiang Fan.
Aussage Dai Zhens
戴氏震曰﹕以理為學,以道為統,以心為宗,探之茫茫, 索之冥冥,不如反而求之六經。
Herr Dai Zhen sagte:2 Wer sich die Rechte Ordnung zum Studium macht, den Rechten Weg zur Leitlinie und das Herz als Grundlage nimmt, für den ist besser als im Vagen zu forschen und im Dunklen zu stochern, sich umzuwenden und bei den Sechs Klassikern zu suchen.
Dais Aussage lässt sich in drei Abschnitte unterteilen: Ein Spiel mit den Begriffen li, dao und xin, bzw. deren Verwendung seit der Song, bzw. Mingzeit. Als zweites folgt eine Aussage zur Verwendung dieser Begriffe und als drittes folgt ein Ratschlag, der entsprechend Dai Zhens Meinung eine Alternative vorzeichnet. Von diesen drei philosophischen Begriffen thematisiert Dai Zhen in seinem Hauptwerk Mengzi Ziyi Shuzheng 孟子字義疏證 nur li und dao, nicht aber xin. Dao wird sogar als Einzelwort diskutiert (Abschnitte 32–35) und als Teil des Binoms tiandao (Abschnitte 16–19). In seiner Diskussion von dao zitiert er vor allem die klassischen Texte Yi Jing Zhong Yong und kommt dann im dialogischen Teil zur der Frage, wie er sich dazu stelle, dass „die songzeitlichen Konfuzianier die Begriffe Schicksal, menschliche Natur und Rechter Weg alle durch die Rechte Ordnung ersetzen wollten” (宋儒於命、於性、於道,皆以理當之). Diese Auftaktfrage definiert bereits den Ton, in welchem die Diskussion stattfindet. Die Lektüre des Mengzi Ziyi Shuzheng macht deutlich, dass nicht Fang Dongshu den angriffigen und aggressiven Ton in die Diskussion brachte, sondern dass er die Vorgaben Dais aufnahm.
Li
Der erste Teil zielt ab auf die drei Begriffe lixue 理學, daotong 道統 und xinzong 心宗. Die ersten beiden sind Schlüsselbegriffe der daoxue, xinzong ist ursprünglich eine Bezeichnung für den Zen-Buddhismus, sie wird hier aber als Hinweis auf die xinxue verstanden. Li, dao und xin sind Begriffe, die in den konfuzianischen Klassikern vorkommen, insbesondere auch im Mengzi. Mit der Neuinterpretation des songzeitlichen daoxue wurden sie zu zentralen Begriffen des Konfuzianismus, und deshalb war es auch für Dai eine Selbstverständlichkeit, diese zu thematisieren. Wogegen er sich ausspricht ist, aus li durch Hinzufügung eines xue den binomischen Begriff lixue zu prägen, also aus der Kosmischen Rechten Ordnung eine Lehre zu abstrahieren. Stattdessen will er die Rechte Ordnung in den Klassikern suchen, wo er Aussagen über deren ursprünglichen Charakter zu finden meint. Der Unterschied zwischen li und lixue ist aus der Sicht Dais ein fundamentaler: li ist ein Ausdruck der konfuzianischen Klassik, der an wichtigen Stellen der klassischen Schriften thematisiert wird, während lixue die Herangehensweise der daoxue an den Begriff li bezeichnet. Innerhalb der daoxue wird li immer als tian li 天理 verstanden, als materielles wie auch moralisches Ordnungsprinzip vo...