Der Majuskelgebrauch im Deutschen
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Der Majuskelgebrauch im Deutschen

Groß- und Kleinschreibung theoretisch, empirisch, ontogenetisch

  1. 430 Seiten
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Der Majuskelgebrauch im Deutschen

Groß- und Kleinschreibung theoretisch, empirisch, ontogenetisch

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Inhaltsverzeichnis
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Die Arbeit stellt die Funktionsweise und den Erwerb der deutschen Groß- und Kleinschreibung auf theoretischer und empirischer Grundlage dar. Den Ausgangspunkt bildet eine textpragmatische Verallgemeinerung bisheriger graphematischer Ansätze, die zu einem übergreifenden Modell des Majuskelgebrauchs im Deutschen erweitert werden und dabei auch nicht-orthografische Teilbereiche einschließen (Versalsatz, Kapitälchen, Binnenmajuskel etc.).

Im empirischen Teil der Arbeit werden die orthografischen Leistungsdaten von ca. 5.700 Probanden verschiedener Altersklassen (4. Klasse bis Erwachsenenbildung) untersucht und zu einem allgemeinen Erwerbsmodell der Groß- und Kleinschreibung ausgebaut. Mit Hilfe neuronaler Netzwerksimulationen werden unterschiedliche Lernertypen unterschieden und Diskontinuitäten im Kompetenzerwerb nachgewiesen, die auf qualitative Strategiewechsel in der Ontogenese hindeuten. Den Abschluss bilden orthografiedidaktische und rechtschreibdiagnostische Reflexionen der Daten.

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Information

Jahr
2016
ISBN
9783110459265

1 Einleitung

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Mitunter manifestiert sich in einem gewöhnlichen und unscheinbaren Alltagstext die gesamte Bandbreite eines sprachlichen Phänomens. Die Abbildung oben zeigt eine jener Werbekarten, wie sie in größeren Städten täglich in Tausenderauflagen an private Fahrzeugfenster gesteckt werden. Sie bildet gleichzeitig auf erstaunlich vollständige Weise ein Kompendium des deutschen Majuskelgebrauchs: Eine überschriftartige Einleitungszeile, anschließend mehrere satzartige Propositionen – einige grammatisch vollständig, andere elliptisch, manche eher Stichpunkten gleichend und ohne Satzschlusszeichen, aber stets mit satzinitialer Majuskel; innerhalb der Sätze mehrere Nomina – Konkreta, Abstrakta, Derivate – schließlich Abkürzungen und Kurzwörter, Höflichkeitsanreden, ja sogar ein orthografischer Normverstoß.
Anzahl und Verteilung der Majuskeln in dieser kurzen Werbeanzeige sind kein Zufall, sondern das Produkt der kommunikativen Absichten des Emittenten und nur im textlichen Zusammenhang zu interpretieren. Unter Berücksichtigung dieser kommunikativen Absichten lässt sich der gewählte Majuskelgebrauch allerdings recht schlüssig herleiten. So fasst ausgerechnet der normwidrig großgeschriebene Infinitiv Verkaufen die appellative Intention des Textproduzenten stimmig zusammen. Die vermeintliche Überschrift erweist sich bei genauer Betrachtung eher als schriftsprachliche Initiierung eines angestrebten Kundenkontaktes, auf den so viel Wert gelegt wird, dass die Begrüßungszeile nicht nur überschriftentypisch in Versalien gesetzt und mit weiteren graphetischen Auszeichnungsmitteln angereichert wird, sondern ihre kommunikative Funktion noch durch das Bild des Händedrucks ikonisch unterstützt wird. Andere in Versalien ausgeführten Textabschnitte beantworten vorauseilend mögliche Fragen oder Befürchtungen des Rezipienten, die dem Zustandekommen des Kundenkontaktes im Weg stehen könnten: Bezahlung erfolgt sofort, Abmeldung wird unkom pliziert vom Käufer erledigt, Erreichbarkeit ist jederzeit gewährleistet. Hohe Kilometerstände sind kein Hinderungsgrund (an dieser Stelle ist nicht mehr nur die Normkonformität der Schreibung „KM“ fraglich, sondern die gesamte Grammatikalität der Phrase bricht zusammen – ohne allerdings die Verständlichkeit der Botschaft ernstlich zu gefährden).
Der Majuskelgebrauch dieses Beispiels schriftsprachlicher Kommunikation ist offenbar fest verwoben mit der Textsorte, dem Textthema und den kommunikativen Absichten des Emittenten. Diese Verknüpfung von grafischer Form und kommunikativer Funktion illustriert die Grundidee dieser Arbeit, die Idee nämlich, zur Deutung der Systematik der deutschen Groß- und Kleinschreibung einmal die gut gesicherten wortkategorialen und syntaktischen Interpretationsansätze zu verlassen und stattdessen eine stärker funktional-gebrauchsbezogene Perspektive einzunehmen. Die vorliegende Arbeit ist das Ergebnis dieses Perspektivwechsels und zeigt, dass sich über einen veränderten Blickwinkel neue und tragfähige Deutungen des Gesamtsystems entwickeln lassen, über die bisher schwer erklärbare empirische Phänomene integriert werden können.
In den folgenden Kapiteln werden die Grundzüge des Majuskelgebrauchs im Deutschen zunächst theoretisch, später mit immer stärker ausgeprägtem empirischen Fokus dargestellt, um in einer umfangreichen statistischen Erhebung zum satzinternen Majuskelgebrauch von Schülerinnen und Schülern insbesondere der 4. bis 12. Jahrgangsstufe sowie erwachsener Schreibender zu münden. Kapitel 2 fasst Ergebnisse der orthografietheoretischen Forschung zusammen. Nach einem kurzen Abriss zur historischen Entwicklung des Majuskelgebrauchs werden etablierte grammatische Modelle und Funktionshypothesen des Majuskelgebrauchs diskutiert. Kapitel 3 stellt grundlegende Gebrauchsformen der Majuskel im Deutschen vor. Obwohl nur ein Teil dieser Gebrauchsformen Gegenstand der orthografietheoretischen Forschung ist, zeichnet sich dabei insgesamt ein kohärentes und differenziertes Gesamtbild ab. Gleichzeitig lädt der sprachwissenschaftlich wenig untersuchte Versalsatz zu einer ersten empirischen Untersuchung buchtypografischer Regelmäßigkeiten ein (Kap. 3.2.1.2).
Kapitel 4 ist einer funktionsbezogenen Interpretation des orthografischen Majuskelgebrauchs gewidmet. Es wird versucht, alle initialen Verwendungsweisen der Majuskel auf eine gemeinsame textpragmatische Grundfunktion zurückzuführen. Das Kapitel versteht sich als funktionales Pendant zu den grammatischen Modellen aus Kap. 2.5.
In den folgenden beiden Kapiteln werden Lehr- und Übungsmaterialien (Kap. 5) sowie empirische Untersuchungen (Kap. 6) zum Erwerb und der Verwendung der deutschen Groß- und Kleinschreibnorm untersucht. Die Analysen eröffnen damit die didaktische Perspektive auf den Majuskelgebrauch, der sich diese Arbeit nicht nur themenbedingt verpflichtet fühlt. Beide Kapitel bereiten den Boden für die späteren empirischen Untersuchungen und die ontogenetische Interpretation.
Kapitel 7 stellt m. W. ein methodisches Novum in der orthografiedidaktischen Forschung dar. Die amtliche Norm des satzinternen Majuskelgebrauchs wird mithilfe künstlicher neuronaler Netzwerke simuliert, um prototypische und periphere grammatische Muster zu unterscheiden und die Auswirkungen unterschiedlicher orthografietheoretischer Modelle auf den Majuskelgebrauch vorauszusagen. Die Ergebnisse der Simulationsstudie sind nicht nur ein Indiz für die Adäquatheit der Prototypentheorie in Bezug auf den Majuskelgebrauch, sondern entpuppen sich im Folgekapitel auch als valide Datenbasis für die Diskriminierung unterschiedlicher Lernertypen, da sich zeigt, dass die Fehlermuster fragmentierter neuronaler Netzwerke wesentliche Ähnlichkeiten mit den Fehlermustern natürlicher Personengruppen aufweisen.
Die Darstellung dieser Befunde ist Aufgabe von Kapitel 8, welches das empirische Herzstück der Arbeit bildet. Anhand eines Datenkorpus von etwa 5700 Versuchspersonen insbesondere der 4. bis 12. Klassenstufe werden schriftsprachliche und personenbezogene Einflussfaktoren auf den Majuskelgebrauch dargestellt, die Rückschlüsse auf mentale Verarbeitungsstrategien zulassen. Über die Bildung von Kompetenzstufen erfolgt abschließend in Kapitel 9 eine ontogenetische Interpretation der Daten, deren Kern die Aufzeigung mehrerer qualitativer Strategiewechsel im Laufe der Kompetenzentwicklung ist. Aus dieser Deutung ergeben sich didaktische, diagnostische und orthografietheoretische Konsequenzen, die den Abschluss der Arbeit bilden.

2 Funktionen und Modelle des Majuskelgebrauchs

Die Majuskel, auch Versal oder Großbuchstabe genannt, bildet innerhalb der deutschen Schriftsprache ein eigenes schriftsprachliches Register, das im Kontrast zum parallelen Register der Minuskel, auch Gemeine oder Kleinbuchstabe, steht. Jedem Zeichen im Majuskelregister ist eine äquivalente Minuskel zugeordnet. Zusätzlich verfügt das deutsche Minuskelregister über das ß, dem als einzigem die Entsprechung innerhalb des Majuskelregisters fehlt. Obwohl historisch älter, ist der Majuskelgebrauch im deutschen Schriftsystem der markierte Fall. Das hat historische Gründe, die in Kap. 2.3 dargestellt werden.

2.1 Majuskelgebrauch zwischen Orthografie, Typografie und Graphetik

Die Verwendung schriftsprachlicher Zeichen unterliegt in allen Schriftsystemen spezifischen Restriktionen, unter denen die orthografischen Regeln die prominentesten, aber keineswegs die einzigen sind. Der Großteil der über den Gegenstandsbereich der Orthografie hinausgehenden Verwendungsregeln hängt von der Wirkungsabsicht des Zeichenproduzenten und mithin von pragmatischen Gesichtspunkten ab. Dies betrifft Teile der Zeichensetzung, der Verwendung von Spatien und anderen Leerräumen, aber auch den Einsatz graphetischer Gestaltungsmittel wie Schriftart, Schriftschnitt und Schriftgröße. Der Einsatz graphetischer Mittel wird nicht zum Gegenstandsbereich der Orthografie gezählt, sondern der typografischen Gestaltung zugeschrieben. Allerdings ist eine klare Trennung zwischen den Domänen nicht immer zweifelsfrei möglich.
Unter Orthografie wird in der vorliegenden Arbeit die Normierung der Verwendungsweisen schriftsprachlicher Zeichen verstanden. Gegenstandsbereich der Orthografie ist die Abgrenzung normkonformer und normwidriger Kodierungs- und Kombinationsweisen von Schriftzeichen, die in der Regel sprachstrukturell begründet wird. Sie unterliegt in gewissen Grenzen der willkürlichen, aber nicht arbiträren amtlichen Kodifizierung. Ihre normierende Kraft ist hinreichend, dass Verstöße von der Sprachgemeinschaft als objektive Fehler eingeschätzt werden.
Unter Typografie1 wird das auf graphetischen Mitteln basierende System der Zeichengestaltung verstanden. Gegenstandsbereich der Typografie ist die Präsentation der Zeichen im konkreten Verwendungszusammenhang. Typografische Arbeit setzt eine abgeschlossene orthografische Strukturierung des Textes voraus und überformt diese nach eigenen, textsortenspezifischen und textinternen Gesetzmäßigkeiten. Obwohl die Typografie ähnlich verbindliche Normen wie die Orthografie aufweist, gelten Zuwiderhandlungen nicht als objektive Fehler, sondern als Verstöße gegen mehr oder weniger subjektive ästhetische Prinzipien. Diese Sichtweise ist zwar nicht immer angemessen, da sich typografische Normverstöße ähnlich klar objektivieren lassen wie orthografische Fehler (vgl. Kap. 3.2.1), sie resultiert aber aus dem Umstand, dass Normrichtigkeit in der Typografie kein dichotomes, sondern ein graduelles Merkmal ist. Die Typografie verfügt über einen großen Vorrat graphetischer Gestaltungsmittel, deren Kombination im aktuellen Kontext unterschiedlich angemessen sein kann.
Sowohl das orthografische als auch das typografische System dienen in erster Linie dem Zweck, die Textrezeption zu optimieren. Verstöße gegen geltende Gebrauchsnormen führen in beiden Systemen zu Rezeptionsstörungen, die umso gravierender ausfallen, je schwerer der Normverstoß ist. Aus der gemeinsamen Zweckbestimmung von Orthografie und Typografie resultiert, dass sich beide Systeme im Einzelnen nicht vollständig voneinander abgrenzen lassen. Für den Majuskelgebrauch gilt dies in besonderem Maße, weil das System der Groß- und Kleinschreibung der einzige Teilbereich der deutschen Orthografie ist, bei dem im Alltagsgebrauch typografische Wirkungsabsichten in nennenswerter Häufigkeit orthografische Regeln außer Kraft setzen. Das betrifft etwa die Kleinschreibung oder den nichtinitialen Majuskelgebrauch in gebrauchsgrafischen Kontexten, die regelmäßig mit dem Einsatz spezifischer weiterer typografischer Mittel einhergehen; ferner auch den bewussten Majuskelverzicht aus ästhetischen oder sprachpolitischen Gründen, so in literarischen Werken und Sachtexten der 20er und 30er Jahre2 sowie in orthografietheoretischen Veröffentlichungen mit normkritischer Intention, exemplarisch etwa in den Arbeiten MENTRUPS (1979).
Unscharf ist die Grenze zwischen Orthografie und Typografie darüber hinaus dadurch, dass nicht ohne Berücksichtigung pragmatischer Gesichtspunkte gesagt werden kann, welche grafischen Mittel der Struktur des Textes selbst zuzurechnen sind und welche lediglich seine aktuelle Präsentationsweise betreffen, das heißt: welche gestalterischen Spielräume Emittent und Rezipienten für einen Text akzeptieren. Die Vorstellung, dass graphetisch unterschiedliche Aufbereitungsarten ein und desselben Textes dennoch „im Grunde“ denselben Text repräsentieren, erweist sich als vorschnelle Simplifizierung und wird von der modernen Editionspraxis zunehmend infrage gestellt. Nur für wenige zentrale graphetische Mittel haben sich bereits heute allgemein akzeptierte Normen herausgebildet. So gilt etwa die typografische Hervorhebung durch Kursivschnitt als textspezifisch und muss für eine adäquate Zitation eines Textauszuges übernommen werden. Dabei ist nicht die Wahl des grafischen Mittels ausschlaggebend, sondern der graphetische Kontrast zum Kontext. Andererseits können genuin orthografische Texteigenschaften wie Wortschreibung und Zeichensetzung je nach editorischen Richtlinien der aktuell gültigen Norm angepasst werden. Ein allgemein anerkannter Standard zum Umgang mit ungebräuchlich gewordenen orthografischen Normen hat sich noch nicht vollständig durchgesetzt.
Unscharf wird die Grenze zwischen Orthografie und Typografie schließlich im Bereich der künstlerischen Textproduktion, insbesondere der Lyrik, in der die textkonstituierende Verwendung typografischer Gestaltungsmittel eine lange Tradition hat (etwa in den Figurengedichten des Barock). Viele dieser Texte sehen eine ganz bestimmte graphetische Textrepräsentation zwingend vor.3 Ein Verstoß gegen die vorgesehene grafische Präsentation kann hier als objektiver Fehler betrachtet werden, der einem orthografischen Normverstoß vergleichbar ist. Bei der Untersuchung der geltenden orthografischen Normen in Kap. 3 werden sich weitere Anwendungsbereiche zeigen, in denen Orthografie und Typografie nicht vollständig trennbar sind.

2.2 Grundfunktionen der Majuskel im Deutschen

Der Majuskelgebrauch des Deutschen lässt sich auf zwei grundlegende Funktionen zurückführen, die das Fundament dieser Arbeit bilden. Ihre Existenz ist keine Frage der empirischen Gegebenheiten, sondern der axiomatischen Definition, welche im Folgenden entwickelt wird. Sie bilden das analytische Instrumentarium, mit dem der Majuskelgebrauch des Deutschen in dieser Arbeit untersucht wird. In der ersten, historisch älteren Funktion tritt das Majuskelregister innerhalb einer umgrenzten schriftsprachlichen Entität singulär auf. Sie wird in der Folge als Auszeichnungsfunktion bezeichnet. In der zweiten, historisch jüngeren und aus der ersteren abgeleiteten Funktion treten Majuskeln in Mischung mit dem Minuskelregister auf. Da der Anwendungsbereich der Majuskel in dieser Funktion bis auf wenige Ausnahmen ausschließlich der jeweils erste Buchstabe einer schriftsprachlichen Entität ist, wird sie als Initialisierungsfunktion bezeichnet. Auch bestimmte Teile des nichtinitialen Majuskelgebrauchs lassen sich bei genauer Betrachtung auf die Initialisierungsfunktion zurückführen (vgl. etwa. Kap. 3.2.2). Beide Funktionen stehen in historisch bedingtem Zusammenhang, der sich bis in den heutigen Gebrauch nachweisen lässt.

2.2.1 Die Auszeichnungsfunktion der Majuskel

Im Rahmen der Auszeichnungsfunktion des Majuskelgebrauchs werden orthografische Wörter, Textabschnitte oder Texte ausschließlich mithilfe des Majuskelregisters realisiert. Eine Mischung mit Minuskeln findet nicht statt, bis der Geltungsbereich der Auszeichnungsfunktion verlassen wird. Diese Verwendungsweise des Majuskelregisters wird in der Typografie als Versalschreibung oder Versalsatz bezeichnet.
Die Auszeichnungsfunktion bildet die grundlegendste Verwendungsweise des Majuskelregisters im Deutschen. Sie überlagert alle anderen Verwendungsweisen und bricht deren Restriktionen. Daraus resultiert der auf den ersten Blick paradox anmutenden Umstand, dass die Schreibung eines Wortes mit einer initialen Majuskel ein orthografischer Normverstoß sein kann, die Schreibung im Versalsatz hingegen nicht. Die Auszeichnungsfunktion ist nicht Gegenstand der Orthografie. Dennoch ist der Majuskelgebrauch innerhalb der Auszeichnungsfunktion festen Regeln unterworfen, die allerdings nicht amtlich, sondern durch typografische Konventionen kodifiziert sind. Daneben haben sich in jüngster Zeit innerhalb konzeptionell mündlich geprägter Kommunikationsformen im Rahmen der neuen Medien (E-Mail-Verkehr, SMS, Chat) Verwendungsweisen der Auszeichnungsfunktion etabliert, die sich nicht qualitativ, wohl aber quantitativ von etablierten typografischen Konventionen unterscheiden.
Die Auszeichnungsfunktion dient dazu, Textteile grafisch hervorzuheben und damit ihre Besonderheit zu signalisieren. Der Signalcharakter der Auszeichnungsfunktion beruht auf dem Kontrast zum jeweiligen Kontext. Ist ein Text gänzlich in Versalsatz ausgeführt, wird der Kontext, vor dem die Auszeichnungsfunktion ihren Signalcharakter entfaltet, durch Intertextualität und textsortenspezifische Gebrauchsnormen hergestellt.
Die Besonderheit von Textteilen, auf welche die Auszeichnungsfunktion angewendet wird, kann inhaltlicher oder textstruktureller Natur sein. So wird Versalsatz in der nichtgewerblichen Schriftproduktion häufig verwendet, um die inhaltliche Bedeutung einer Textpassage hervorzuheben. In der modernen Buchtypografie gilt diese Verwendungsweise heute als obsolet. Dagegen wird die Auszeichnungsfunktion vor allem zur Hervorhebung textfunktional herausgehobener schriftsprachlicher Entitäten wie Gliederungsmarkierungen, Überschriften oder bibliografische Verweise verwendet.
Der durch die Auszeichnungsfunktion verursachte Signalcharakter kann nicht nur durch Anwendung von Versalsatz, sondern auch durch andere graphetische Mittel erreicht werden, so etwa Schriftsatz, Schriftgröße, ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. 1 Einleitung
  6. 2 Funktionen und Modelle des Majuskelgebrauchs
  7. 3 Formen und Normen des Majuskelgebrauchs
  8. 4 Ein textpragmatisches Modell des Majuskelgebrauchs
  9. 5 Majuskelgebrauch in didaktisch orientierten Lehrwerken
  10. 6 Empirische Datenlage zum Majuskelgebrauch
  11. 7 Majuskelgebrauch in der neuronalen Netzwerksimulation
  12. 8 Der satzinterne Majuskelgebrauch empirisch
  13. 9 Ontogenetische und didaktische Deutung der Daten
  14. 10 Schluss
  15. Literaturverzeichnis
  16. Abkürzungs – und Notationsverzeichnis
  17. Materialanhang
  18. Index
  19. Fußnoten