Das Gute
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Das Gute

  1. 245 Seiten
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Über dieses Buch

Im Mainstream der gegenwĂ€rtigen Moralphilosophie bleibt es letztlich rĂ€tselhaft, weshalb Menschen danach streben sollten, Gutes zu tun und gut zu sein. Es wird nĂ€mlich nicht mehr verstanden, wie Moral und praktische RationalitĂ€t die Natur des Menschen ausmachen können, weil nicht mehr verstanden wird, wie Natur etwas anderes sein könnte als die bloss naturwissenschaftlich beschreibbare Natur. Zudem wird die praktische RationalitĂ€t des Menschen lediglich als instrumentelle RationalitĂ€t aufgefasst, die bloss die geschickte Verwirklichung beliebiger subjektiver Ziele ist. Dabei scheint die QualitĂ€t, die sie fĂŒr Menschen im Allgemeinen haben, keine
Rolle zu spielen. Damit einher geht die nonkognitivistische Auffassung, dass moralische Urteile nicht wahrheitsfĂ€hig sind und es demnach auch keine objektiv bestehenden moralischen Tatsachen geben kann, sondern bestenfalls intersubjektiven Konsens. All dies fĂŒhrt zu einem Bild von Moral und praktischer RationalitĂ€t, das ihrer Rolle im Leben von Menschen nicht gerecht wird. In Das Gute wird das alternative Bild eines hermeneutischen Naturalismus skizziert, der begreifbar macht, wie die Natur des Menschen das fĂŒr ihn praktisch Gute und wie Moral natĂŒrlicherweise gut fĂŒr Menschen sein kann.

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Information

Jahr
2014
ISBN
9783110385731

1 Einleitung

1. Im Laufe der Moderne sind sowohl in der Philosophie als auch im AlltagsverstĂ€ndnis vier Grundgedanken immer dominanter geworden, die unsere Vorstellungen der praktischen Vernunft, der Ethik und der Moral geprĂ€gt haben. Diese vier Grundgedanken wurden im 20. Jahrhundert, einzeln oder miteinander kombiniert, in teils sehr unterschiedlichen philosophischen AnsĂ€tzen mal mehr und mal weniger aus- und nachdrĂŒcklich vertreten. Wollten wir diesen Grundgedanken Namen geben, so könnten wir sie mit folgenden Ismen versehen: „metaethischer Nonkognitivismus“, „rationaler Instrumentalismus“, „ethischer Subjektivismus“ und „moralischer Intersubjektivismus“.
Diese vier Grundgedanken erzeugen jeder fĂŒr sich, aber insbesondere alle zusammen, ein bestimmtes Bild von der Rolle, die Vernunft, Ethik und Moral in unserem Leben spielen. Dieses Bild gibt uns philosophische RĂ€tsel auf, die scheinbar nach wie vor ihrer Lösung harren und daher den modernen Moralphilosophen auch bestĂ€ndig Stoff fĂŒr neue Diskussionen liefern. Denn es scheint nach wie vor strittig, wie sich im Allgemeinen bestimmen lĂ€sst, was gut und richtig ist und warum man ĂŒberhaupt Gutes beabsichtigen und richtig handeln sollte. Wollten wir uns an den etwas sperrigen Titel von Friedrich Schillers Jenaer Antrittsvorlesung anlehnen, könnten wir sagen, dass die moderne Moralphilosophie nach wie vor eine Antwort auf die Frage sucht: Was heißt es und aus welchem Grunde sollte man danach streben, gut zu sein?
Im Folgenden will ich keineswegs den insolenten Versuch wagen, diese Frage erschöpfend zu beantworten. Stattdessen möchte ich vielmehr einen Vorschlag machen, der einige RĂ€tsel der modernen Moralphilosophie nicht löst, sondern nach Möglichkeit auflöst.1 Letzteres soll dadurch erreicht werden, dass die Skizze eines anderen Bilds an eben jene Stelle gesetzt wird, die noch immer von dem etablierten Bild der modernen Moralphilosophie in Beschlag genommen wird. Die Skizze des neuen Bilds soll allerdings nicht dazu dienen, bessere Darstellungen dessen zu liefern, was ohnehin schon auf dem alten Bild zu sehen ist. Anders als in jenem etablierten Bild der modernen Moralphilosophie, das uns nach wie vor gefangen hĂ€lt, sollen Ethik und Moral nicht lĂ€nger nonkognitivistisch, instrumentalistisch, subjektivistisch und intersubjektivistisch schimmern. Vielmehr sollen sie in einem anderen Licht erscheinen: in einem anti-anti-realistischen Licht, das sie in natĂŒrlicher ObjektivitĂ€t erstrahlen lĂ€sst.
Die mit diesem Unterfangen verbundene Hoffnung besteht darin, dass wir davor bewahrt werden, philosophische RĂ€tsel dort zu sehen, wo es keine gibt. Sehen wir nĂ€mlich keine RĂ€tsel, so drĂ€ngt uns auch nichts zu ihrer Lösung. Und das kann in der Philosophie von Vorteil sein. Denn nur allzu oft fĂŒhrt uns die philosophische Krankheit, erklĂ€ren zu wollen, zu philosophischen Lösungen, die ihre RĂ€tsel erst hervorbringen.2

2. FĂŒgt man die vier genannten Grundgedanken der modernen Moralphilosophie, die heutzutage nahezu selbstverstĂ€ndlich erscheinen, zusammen, so ergibt sich ein Bild von Ethik und Moral, das mindestens ebenso selbstverstĂ€ndlich und fraglos zu gelten scheint, wie seine einzelnen Komponenten. Obgleich seine Geltung scheinbar kaum hinterfragt werden kann, ist es jedoch zugleich eigentĂŒmlich nebulös und schwer zu fassen. Das liegt daran, dass es ein dominantes Bild ist und keine einzelne Theorie. Es ist das, was viele und en detail womöglich auch recht unterschiedliche Theorien verbindet. Nicht jede einzelne Theorie, die im Zuge der modernen Moralphilosophie prĂ€sentiert wurde, enthĂ€lt daher notwendig alle vier genannten Grundgedanken als explizite Komponenten – auch dann nicht, wenn sie zweifelsohne dazu beitrĂ€gt, das dominante Bild zu erzeugen. Die einzelnen Theorien, die sich zu einem Bild fĂŒgen, stehen vielmehr im VerhĂ€ltnis der „FamilienĂ€hnlichkeit“ zueinander, wie man mit Ludwig Wittgenstein sagen könnte.3
Ein philosophisches Bild ist daher diffuser als die meisten philosophischen Theorien. Der Zusammenhang seiner Bestandteile ist unbestimmter, und seine Angriffspunkte sind oft weniger klar auszumachen. Dies macht es ungleich schwerer, ein Bild zu verabschieden, als eine Theorie anzugreifen. Dennoch lohnt der Versuch, ein lieb gewordenes Bild, das uns nur schlimm und arg verwirrt, ins Meer der Geschichte hinab zu senken und darauf zu hoffen, dass der Sarg auch groß genug sein mag, um die alten, bösen RĂ€tsel zu begraben. Denn letzten Endes sind es immer bestimmte Bilder, nicht einzelne Theorien, die uns in der Philosophie zu den großen und schweren RĂ€tseln fĂŒhren und verfĂŒhren.
Theorien können wir als solche nĂ€mlich relativ klar ausmachen. Wir können mehr oder minder genau sagen, wo sie beginnen, wo sie aufhören und worin ihr Inhalt besteht. Wir können sie ziemlich schnell als einen thematischen Gegenstand vor uns bringen. Und sofern wir sie fĂŒr falsch, inkohĂ€rent, kontraintuitiv oder fĂŒr ĂŒber GebĂŒhr reduktionistisch halten, können wir uns ihrer auch mit Argumenten entledigen, so wie wir uns kleiner oder mittelgroßer Dinge entledigen können, indem wir sie aus unserer Umgebung entfernen oder wir uns aus ihrer. Denn Theorien sind be- und abgrenzbar. Wir können ihre Grenzen ausmachen, was es uns ermöglicht, sie als einzelne GegenstĂ€nde zu betrachten. Philosophische Bilder sind verwirrender und gefĂ€hrlicher als Theorien, gerade weil sie diffuser und oftmals unthematisiert sind.
HĂ€lt uns ein Bild gefangen, so können wir uns zumeist nicht einfach dadurch von ihm befreien, dass wir es, wie eine Theorie, aufgrund dieser und jener systematischen UnzulĂ€nglichkeit zurĂŒckweisen. Denn oft merken wir gar nicht, dass uns ein Bild gefangen hĂ€lt, da wir weder seine Grenzen kennen noch das, was hinter ihnen liegt. Sind wir Gefangene des Bildes, ohne es zu merken, so erscheint uns das Bild (anders als eine Theorie) als selbstverstĂ€ndlich und fraglos gĂŒltig. Anstatt das Bild kritisch zu betrachten, halten wir es von vornherein fĂŒr die unhinterfragbare Wirklichkeit, innerhalb derer kritische Betrachtungen ĂŒberhaupt nur angestellt werden können. Dann wird das Problematische des Bildes durch unsere kritischen Betrachtungen oftmals aber gerade nicht aufgedeckt, sondern geradezu verschleiert. Wir diskutieren dann kritisch einzelne Theorien, die immer schon im Bilde sind.
Ich versuche mich nachfolgend eher mit philosophischen Bildern zu beschĂ€ftigen, als mit einzelnen Theorien. Gehe ich gelegentlich etwas detaillierter auf die Position dieses oder jenes Philosophen ein, so nur deshalb, weil sie mir paradigmatisch fĂŒr ein bestimmtes Bild erscheint. Denn wird unser Denken letztlich nicht so sehr von einzelnen philosophischen Theorien gefangen gehalten als vielmehr von bestimmten philosophischen Bildern, so sollten wir auch weniger einzelne Theorien und ihre Details diskutieren, sondern uns wieder stĂ€rker auf die grundlegenderen Probleme konzentrieren, die uns philosophische Bilder bereiten.
In der Gegenwartsphilosophie, mit ihren Myriaden von unverbunden nebeneinander stehenden Sub-Diskursen der Spezialisten, ist der Drang zum theoretischen Detail freilich ungebrochen. Aber es wĂ€re meines Erachtens schon eine sehr merkwĂŒrdige Auffassung von Philosophie, betrachtete man es als Selbstzweck, etwa dafĂŒr zu argumentieren, dass David Chalmers’ Bestimmung des Type-E-Dualism unzulĂ€nglich ist, weil sie Frank Jacksons Ansichten zum ontologischen Status von Qualia nicht angemessen wiedergibt.4 Statt philosophische Landkarten zu zeichnen, auf denen man fein sĂ€uberlich die Positionen von Chalmers, Jackson und allen anderen an der Qualia-Diskussion beteiligten Philosophen eintrĂ€gt, sollte man sich hier besser fragen, ob die philosophische Erfindung des Quale, die vielen Philosophen so attraktiv erscheint, ĂŒberhaupt kohĂ€rent vorgestellt werden kann. Denn erst Fragen solcher Art – wie sie etwa Wittgenstein oder John McDowell stellen5 – haben das Zeug, unser Denken von den RĂ€tseln dominanter Bilder zu erlösen.

3. Um uns aus der Gefangenschaft eines philosophischen Bildes befreien zu können, mĂŒssen wir zuallererst versuchen, das schwer zu fassende Bild als solches zu erkennen, indem wir damit beginnen, die FamilienĂ€hnlichkeiten derjenigen Theorien ausfindig zu machen, die das Bild und seine RĂ€tsel erzeugen. Daher versuche ich im zweiten Kapitel, Moderne Moralphilosophie, die Probleme und RĂ€tsel in den Blick zu bekommen, die der metaethische Nonkognitivismus, der rationale Instrumentalismus, der ethische Subjektivismus und der moralische Intersubjektivismus hervorbringen.
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Im dritten Kapitel, Moralische Wahrheiten, werde ich die nonkognitivistische These fehlender WahrheitsfĂ€higkeit moralischer Urteile nĂ€her betrachten. Denn meines Erachtens ist die Ansicht, dass moralische Urteile nicht wahrheitsfĂ€hig sein können, zwar nicht der Grund allen Übels, aber zumindest die Grundierung desjenigen Bildes, das uns zu falschen Vorstellungen ĂŒber die Rolle der Moral in unserem Leben treibt. Ich werde argumentieren, dass es zwar auf der Ebene einer formalen Wahrheitssemantik fĂŒr die SĂ€tze einer bestimmten Sprache keine grĂ¶ĂŸeren Probleme gibt, die Wahrheitsbedingungen von SĂ€tzen anzugeben, mit denen wir moralische Urteile artikulieren können. Aber ganz abgesehen von der Frage, ob eine formale Wahrheitssemantik fĂŒr natĂŒrliche Sprachen ĂŒberhaupt ein erhellendes bedeutungstheoretisches Projekt der Sprachphilosophie sein kann, werde ich deutlich zu machen suchen, dass man auch als moralphilosophischer Kognitivist schlecht beraten wĂ€re, glaubte man, sich dadurch von einem robusten Nonkognitivismus befreien zu können, dass man auf die Möglichkeiten einer formalen Wahrheitssemantik verweist. Denn ein robuster Nonkognitivismus muss die Möglichkeit einer formalen Wahrheitssemantik fĂŒr SĂ€tze, durch deren Äußerung man moralische Urteile fĂ€llen kann, gar nicht bestreiten. Was durch einen robusten Nonkognitivismus vielmehr bestritten wird, ist die Möglichkeit des objektiven Bestehens moralischer Tatsachen und Eigenschaften in der natĂŒrlichen Welt.
Einerlei, was man von korrespondenztheoretischen Versuchen der Wahrheitsdefinition halten mag – und ich halte davon nicht sehr viel –, muss man das nonkognitivistische Verneinen der Möglichkeit des objektiven Bestehens moralischer Tatsachen und Eigenschaften in der natĂŒrlichen Welt ernst nehmen, will man angemessen auf den Nonkognitivismus reagieren. Und das heißt, so die Quintessenz des dritten Kapitels, dass man sich nicht mit wahrheitssemantischen oder wahrheitstheoretischen, sondern vor allem mit ontologischen (und auch erkenntnistheoretischen) Fragen auseinandersetzen muss, die die Möglichkeit des Bestehens moralischer Tatsachen in der natĂŒrlichen Welt betreffen.
Im vierten Kapitel, Szientistische Seltsamkeit, setze ich mich daher mit der Ansicht auseinander, die Vorstellung des objektiven Bestehens moralischer Eigenschaften und somit moralischer Tatsachen in der natĂŒrlichen Welt sei ontologisch (und epistemisch) „queer“, also höchst seltsam. Ich versuche zu zeigen, dass diese Ansicht nur die ethische Schattenseite einer erkenntnistheoretischen und ontologischen Medaille ist, auf deren Vorderseite empiristisch-szientistische Auffassungen zum verlĂ€sslichen Wissen und zur natĂŒrlichen Welt glĂ€nzen. Diese Auffassungen haben ihren etwas verblassten Ursprung im klassischen britischen Empirismus (insbesondere David Humes), wĂ€hrend ihr Glanz im letzten und leider auch noch in diesem Jahrhundert vom logischen Positivismus Wiener Provenienz (vor allem Rudolf Carnaps) herrĂŒhrt. Ich argumentiere dafĂŒr, dass beide Seiten der Medaille – deren Vorderseite in der zweiten HĂ€lfte des 20. Jahrhunderts vor allem von Willard Van Orman Quine und seinen Nachfolgern krĂ€ftig poliert wurde – unplausibel sind, wobei die schattige UnplausibilitĂ€t einer nonkognitivistischen Ethik sich nur aus der glĂ€nzenden UnplausibilitĂ€t einer szientistischen Ontologie ergibt, die ich „szientistischen Naturalismus“ nenne.
Obgleich es mir hier zuvorderst um die Möglichkeit des Bestehens objektiver moralischer Tatsachen als solcher in der natĂŒrlichen Welt geht, kann man das, was im dritten und im darauf folgenden fĂŒnften Kapitel gesagt werden wird, auch als den allgemeineren Versuch auffassen, den Begriff der Tatsache insgesamt aus seinem allzu engen empiristischen Korsett zu befreien. Dazu muss man nicht bestreiten, dass wir es mit höchst unterschiedlichen Sachverhalten zu tun haben, wenn es entweder darum geht, dass gerade ein Kaninchen an einem GebĂŒsch vorbeihoppelt, oder darum, dass Diebstahl schlecht ist. Und man muss freilich ebenso wenig bestreiten, dass die Art und Weise, wie wir die entsprechenden Urteile oder Aussagen rechtfertigen wĂŒrden, höchst unterschiedlich ist. Denn es wĂ€re nicht nur eine sehr beschrĂ€nkte Sicht auf die Welt, sondern geradezu absurd, glaubte man ernsthaft, es gĂ€be so etwas wie eine einheitliche Methode, mit der man sowohl Urteile ĂŒber das Vorbeihoppeln von Kaninchen als auch ĂŒber die Schlechtigkeit von Diebstahl verifizieren könnte. Aber daraus folgt keineswegs eo ipso, dass es nicht ebenso eine objektiv bestehende Tatsache in der natĂŒrlichen Welt sein kann, dass Diebstahl schlecht ist, wie es eine objektiv bestehende Tatsache in der natĂŒrlichen Welt sein kann, dass gerade ein Kaninchen an einem GebĂŒsch vorbeihoppelt.
Mir scheint, dass man nur dann geneigt ist, den Begriff der Tatsache mehr oder minder exklusiv fĂŒr FĂ€lle letzterer Art zu reservieren, wenn man bereits –unter der Hand oder ausdrĂŒcklich – den Tatsachenbegriff bestimmten empiristischen Dogmen unterworfen hat. Das sind zum einen Dogmen, die ganz bestimmte Verfahren und Methoden der Rechtfertigung von Urteilen bzw. Aussagen vor vielen anderen Arten der Rechtfertigung und BegrĂŒndung auszeichnen, die wir tagtĂ€glich in unserer gewöhnlichen Praxis vollziehen. Und es sind zum anderen Dogmen, die schon ganz bestimmte ontologische Festlegungen beinhalten, was als Teil der natĂŒrlichen Welt und als natĂŒrliche Welt zu gelten habe – Festlegungen, die von einer naturwissenschaftlich dominierten Sicht der Welt und des in ihr Seienden herrĂŒhren.
Eine solche Sicht, die sich dem szientistischen Naturalismus fĂŒgt, ist zwar heutzutage populĂ€r, aber sie ist deshalb nicht auch schon selbstverstĂ€ndlich. Und daher ist man meines Erachtens auch nicht ohne weiteres dazu gezwungen, den Begriff der Tatsache von vornherein als einen empiristischen Begriff auszubuchstabieren –und damit unter anderem das Bestehen objektiver moralischer Tatsachen als solcher in der natĂŒrlichen Welt von vornherein unmöglich zu machen. Stattdessen kann man auch so frei sein, den heutzutage wohl leider eher waghalsigen Versuch zu unternehmen, ein Bild der Welt zu skizzieren, in dem diese als vollstĂ€ndig natĂŒrlich dargestellt wird, ohne dabei vollstĂ€ndig naturwissenschaftlich dargestellt zu werden.
Das fĂŒnfte Kapitel, Geistreiche Welt, ist einem solchen Versuch gewidmet. Denn in diesem Kapitel bemĂŒhe ich mich, eine Alternative zum gegenwĂ€rtig nahezu uneingeschrĂ€nkt anerkannten szientistischen Naturalismus zu skizzieren, die ich „hermeneutischer Naturalismus“ nenne. Das ontologische Bild, das ich dabei zu zeichnen suche, lehnt sich an Hans-Georg Gadamers, Martin Heideggers und Wittgensteins Begriff der Sprache an. Es stĂŒtzt sich auf Heideggers „Erschlossenheit“, Gadamers „Welt“, Aristoteles’ „ousia“ und Georg Wilhelm Friedrich Hegels Begriff des Begriffs. Und es macht auch, gewissermaßen „zur HĂ€lfte“, Gebrauch von McDowells Begriff der second nature. Ausgiebig Gebrauch wird nĂ€mlich von derjenigen HĂ€lfte gemacht, die von der Natur handelt, wĂ€hrend jene, die Ordinalia...

Inhaltsverzeichnis

  1. Grundthemen Philosophie
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. 1 Einleitung
  6. 2 Moderne Moralphilosophie
  7. 3 Moralische Wahrheiten
  8. 4 Szientistische Seltsamkeit
  9. 5 Geistreiche Welt
  10. 6 NatĂŒrliche NormativitĂ€t
  11. 7 Menschliche GĂŒte
  12. 8 Nachwort
  13. Anmerkungen
  14. Literatur
  15. Namensregister
  16. Sachregister