Teil 1: Text
dp n="12" folio="" ? dp n="13" folio="3" ? 1 Einleitung
An der Wende vom 4. zum 3. vorchristlichen Jahrtausend erfasste das Phänomen der Kugelamphorenkultur weite Teile Mittel- und Osteuropas. Die Verbreitung der mit ihr assoziierbaren Hinterlassenschaften reicht von der holsteinischen Ostseeküste im Westen bis zum Dnjepr im Osten. Obwohl sukzessiv die Vorlage des gesamten Fundmaterials für deren westliche Ausprägung erfolgte, liegt die letzte umfassende Studie zur Westlichen Kugelamphorenkultur durch H. Priebe bereits über 70 Jahre zurück. Seit damals ist die Zahl der bekannten Fundstellen auf derzeit weit über eintausend angestiegen. Daher war es nun an der Zeit, sich dieser erneut in ihrer Gesamtheit zu widmen. Mit der Etablierung der Geographischen Informationssysteme (GIS) in der Prähistorischen Archäologie steht nun auch das geeignete Werkzeug zur Bewältigung derartig fund- und fundstellenreicher Kulturerscheinungen zur Verfügung.
Die Durchführung dieses Dissertationsprojekts erfolgte an der Freien Universität Berlin im Rahmen des Exzellenzcluster Topoi und war innerhalb dessen thematisch in der Forschungsgruppe A-II, die sich mit den räumlichen Auswirkungen technischer Innovationen und sich wandelnder Lebensweisen beschäftigte, eingebunden. Das gemeinsame Ziel der Projektgruppe war die Untersuchung der zur Entstehung großräumiger Kulturkomplexe führenden Ursachen, Mechanismen und Prozesse durch einen möglichst breiten, interdisziplinären Ansatz. Der räumliche Fokus der involvierten Studien lag dabei primär auf den westlichen und nördlichen Schwarzmeerregionen, jedoch wurden – je nach Methodik und Fragestellung – ebenfalls unterschiedliche Nachbarregionen mit einbezogen. Neben der Erforschung von Mobilitätsmustern prähistorischer Bevölkerungsgruppen in verschiedenen Zeitscheiben mittels isotopenchemischer Analysen und Genetik, sollten auch durch die Ausschöpfung des archäologischen Informationspotentials neue Erkenntnisse gewonnen werden. Eine direkte Interaktion zwischen der Kugelamphorenkultur und der im Nordpontikum zeitgleich anzusiedelnden Jamnaja-Kultur, die ebenfalls einen Untersuchungsschwerpunkt innerhalb der Topoi-Forschergruppe bildete, lässt sich zwar nur in ihrem östlichen Verbreitungsgebiet mittels einer Reihe von Kontaktsituationen belegen, dennoch deuten sich innerhalb beider Kulturkomplexe auch generell ähnliche Phänomene an. So werden beide Kulturen jeweils vom Aufkommen neuer, charakteristischer Bestattungstraditionen geprägt, welche in relativer Einheitlichkeit innerhalb kurzer Zeitspannen weiträumig auftreten. Die Kenntnisse zum Siedlungswesen sind hingegen beiderseits äußerst limitiert. Dennoch wird für die beiden Kulturkomplexe eine spezialisierte Viehwirtschaft als primäre Subsistenzgrundlage vermutet und in Folge dessen eine halbnomadische Lebensweise der Bevölkerungsgruppen in Betracht gezogen. Schließlich könnte sich diese dadurch gesteigerte Mobilität der Gemeinschaften in den Wagengräbern der Jamnaja-Kultur bzw. in der Deponierung von Rindergespannen bei der Kugelamphorenkultur manifestiert haben.
dp n="14" folio="4" ? Die Westliche Kugelamphorenkultur bot aufgrund der umfangreichen und zugänglichen Materialbasis, des relativ guten Forschungsstandes bezüglich der kulturellen Verhältnisse im räumlichen und zeitlichen Umfeld sowie aufgrund der sich abzeichnenden Parallelen zum westeurasischen Steppenraum ideale Voraussetzungen, sich der übergeordneten Fragestellung auf einem rein archäologischen Weg anzunähern. Der räumliche Rahmen dieser Studie musste sich aber auf das Fundvorkommen westlich von Oder und Neiße beschränken, obwohl sich der Verfasser der essentiellen Bedeutung der Fundstellen Westpolens durchaus bewusst ist. Doch hätte jedoch eine fundierte Erforschung der Übergangserscheinungen zwischen der Westlichen und der Zentralen Kugelamphorenkultur im deutschpolnischen sowie tschechisch-polnischen Grenzgebiet eine intensivere Materialkenntnis und -aufarbeitung der beiden großräumigen Territorialgruppen vorausgesetzt.
Nachdem zunächst die aus den vorangegangenen regionalen Aufarbeitungen gewonnenen Informationen über das Fundmaterial in einer Datenbank gebündelt wurden, erfolgte deren chorologische und chronologische Auswertung mit Hilfe der Korrespondenzanalyse sowie GIS-basierten Kartierungen und Dichteanalysen. Ausgehend von dieser überregionalen Perspektive, welche die Westliche Kugelamphorenkultur in ihrer Gesamtheit zu erfassen vermochte, ist es schließlich möglich, die übergeordneten, kulturgeschichtlichen Fragestellungen zu erörtern. Die individuelle Beurteilung der mannigfaltigen Kulturkontakte sowie deren zeitliche Fixierung gestatten schließlich, einen neuen Vorschlag zur Rekonstruktion der Genese, Expansion und Ablösung der Westlichen Kugelamphorenkultur zu unterbreiten.
Um einerseits in die Thematik und damit verbundene Problematik einzuführen und um andererseits den Generationen von Forschern, die sich bereits mit diesem Thema auseinandergesetzt haben, gerecht zu werden, wird nun zunächst die Forschungsgeschichte zur Kugelamphorenkultur, insbesondere ihrer Westgruppe, behandelt. In Kapitel 3 folgt die Klassifikation des charakteristischen Fundmaterials dieses Kulturkomplexes, wobei der Schwerpunkt erwartungsgemäß im Bereich der Gefäßkeramik und ihrer Ornamentik liegt, sämtliche andere Gruppen von Artefakten aber ebenso mit einbezogen werden. Sodann schließt sich im vierten Kapitel eine Untersuchung der Fundplätze der Westgruppe an. Neben der geographischen Abgrenzung des Verbreitungsgebiets begreift es den Kenntnisstand zum Siedlungs- und Wirtschaftswesen sowie zum Grab- und Bestattungsbrauchtum einschließlich der Deponierungen ein. Auf den Erkenntnissen der vorangegangenen Kapiteln aufbauend wird im 5. Kapitel ein neuer Vorschlag sowohl zur räumlichen als auch zeitlichen Differenzierung des Untersuchungsgegenstandes unterbreitet. In Kapitel 6 wird daraufhin die kulturelle und anthropologische Identität der als Westliche Kugelamphorenkultur bezeichneten archäologischen Erscheinung hinterfragt. Dies beinhaltet einerseits sozioarchäologische Fragestellungen in Bezug auf die sich hinter diesem Terminus verbergenden Gemeinschaften, andererseits soll das kulturelle Phänomen der Kugelamphorenkultur selbst im Kontext der Problematik des archäologischen Kulturbegriffs zum Gegenstand der Untersuchung werden. Zudem erfolgt eine individuelle Beurteilung der Kontaktphänomene mit den zeitgleichen, benachbarten archäologischen Kulturkomplexen. Abschließend wird im 7. Kapitel der Versuch unternommen, in einer Synthese aus den Erkenntnissen der einzelnen Abschnitte Antworten auf die Fragen nach der Entstehung, der Ausbreitung und dem Ende der Westlichen Kugelamphorenkultur zu liefern. Dabei wird nicht nur ein Vorschlag zur Rekonstruktion ihres Expansionsprozesses unterbreitet, sondern es werden auch die zu Grunde liegenden Mechanismen differenziert betrachtet und mögliche Ursachen erörtert.
2 Überblick zur Forschungsgeschichte
Im Folgenden werden die wesentlichen Entwicklungen und Ereignisse im Laufe der Erforschung der Kugelamphorenkultur herausgestellt, da forschungsgeschichtliche Aspekte auch innerhalb der einzelnen Gliederungspunkte Berücksichtigung finden werden.
Den Grundstein für die systematische Erforschung der Kugelamphorenkultur legte A. Götze bereits im Jahre 1900, als er als Erster erkannte, dass sich hinter dieser „scharf ...