1. Einleitung
Was auch in gemeinen bĂŒrgerlichen vnd politischen hendln / oder im weltlichen Regiment vnd hauĂstande fĂŒr vngelegenheit / irrung vnnd schaden von dieser newen correction herrĂŒhret / ist nicht verborgen oder heimlich. Und es bekennen die Scribenten / das so offt von der zeitenderung disputieret vnd gezancket/vnd die Jahrordnungen turbieret wurden bey den Griechen so wol als bey den Römern vnd Deutschen / allezeit trawrige verenderungen / grosser schaden/vnd ein sonderlich vnglĂŒck in der welt erfolget sey.
So urteilt der Danziger Arzt, Mathematiker und Astrologe David Herlitz im Jahr 1605 ĂŒber die Folgen der Gregorianischen Kalenderreform, die im Oktober 1582 die christliche Welt der FrĂŒhen Neuzeit in zwei Zeitzonen aufgespalten hatte. Papst Gregor XIII. hatte im Februar des Jahres âmandirtâ, von Donnerstag dem 4. Oktober unverzĂŒglich auf Freitag den 15. Oktober ĂŒberzugehen. WĂ€hrend die katholischen LĂ€nder diese Reform im Laufe der nĂ€chsten beiden Jahre ĂŒbernahmen, lehnten die Protestanten Europas sie ĂŒberwiegend ab. Vom Disput, dem Zank und den âturbationesâ, die diese umwĂ€lzende âzeitenderungâ im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation verursachte, nimmt die vorliegende Arbeit ihren Ausgang. Dabei werden insbesondere die Ebene der Wahrnehmung der Reform, wie sie uns etwa in Herlitzâ Worten entgegentritt, sowie der Aspekt der Ăberwindung der Zeitspaltung im Heiligen Römischen Reich eine wichtige Rolle spielen.
Weshalb kam es ĂŒberhaupt zu einer Kalenderreform? Kurz zur Ausgangslage: Der christliche Kalender stellt eine Kombination aus solarem und lunarem Kalender dar und vereint zwei Funktionen. Erstens dient er der DatumszĂ€hlung, d. h. der Zeitrechnung auf astronomischer Grundlage, zweitensâund dies war lange Zeit der bedeutendere Aspektâder religiösen Festrechnung. FĂŒr die christliche Chronologie und Computistik war zur korrekten Berechnung der an Mond- und Sonnenlauf gebundenen kirchlichen Feiertage ein astronomisch möglichst genauer Kalender entscheidend. Basis des christlichen Solarkalenders ist der von Julius CĂ€sar im Jahr 46 v. Chr. reformierte römische Kalender. Da jedoch die tropische JahreslĂ€nge in diesem âJulianischenâ Kalender um 11 Minuten und 14 Sekunden zu lang angesetzt worden war, verlor sich im Laufe der Jahrhunderte die SynchronitĂ€t zwischen kalendarischem und astronomischem Jahr, sie drifteten etwa alle 128 Jahr um einen Tag auseinander.
Trotz mancher Zweifel, wird die Festlegung der noch heute verbindlichen Regel zur Berechnung des Osterfestes gemeinhin auf das Konzil von NicĂ€a im Jahr 325 n. Chr. zurĂŒckgefĂŒhrt. Die Regel besagt, die Auferstehung Christi solle am ersten Sonntag nach dem ersten Vollmond nach FrĂŒhlingsbeginn (d. h. nach Eintreffen des FrĂŒhlings-Ăquinoktiums) gefeiert werden. Bis zum Ende des 16. Jahrhunderts war der Julianische Kalender dem Sonnenjahr allerdings um zehn Tage enteilt. Die mittelalterliche Osterregel war vom 21. MĂ€rz als dem Datum der FrĂŒhlings-Tag-und Nachtgleiche ausgegangen, diese war jedoch im Jahr 1582 etwa am 11. MĂ€rz zu beobachten. Zudem war auch der der Osterberechnung zugrunde gelegte Mondzyklus nicht fehlerlos, so dass die exakte Berechnung und regelgemĂ€Ăe Feier des Osterfestes unmöglich geworden war. Man war sich des Problems zumindest seit dem 13. Jahrhundert bewusst. Mehrere AnlĂ€ufe, den Kalender, und so die Berechnung der beweglichen Feiertage, wieder zurechtzurĂŒcken, waren jedoch gescheitert. Das Konzil von Trient erklĂ€rte daher eine Reform des Festkalenders zur drĂ€ngenden Aufgabe, woraufhin seit den 1570er Jahren eine Kommission von Mathematikern, Astronomen und Theologen in Rom an einem exakten und praktikablen Kalender arbeitete.
Es ging also darum, sowohl den Sonnenkalender als auch den Mondkalender wieder ins Lot zu bringen und vor allem ein erneutes Anwachsen der Differenz kĂŒnftig zu verhindern. Zur Korrektur des Sonnenkalenders rĂŒckte man zunĂ€chst das FrĂŒhlingsĂ€quinoktium an den kalendarischen Ort, an dem es etwa zu Zeiten des Konzils von NicĂ€a beobachtet worden war: den 21. MĂ€rz. Um dies zu erreichen, wurden zehn Kalendertage gestrichenâdie bekannteste MaĂnahme der Gregorianischen Kalenderreform. Zur Fixierung dieses Kalenderstandes modifizierte man die julianische Schaltjahresregelung. Da durch die julianische Regelung auf lange Sicht zu viele Tage eingeschaltet worden waren, sollten kĂŒnftig im Zeitraum von 400 Jahren drei Schaltjahre ausgelassen werden. Dies bedeutet, dass seither nicht mehr jedes vierte Jahr automatisch als Schaltjahr gilt: in den Hunderterjahren wird nur dann ein zusĂ€tzlicher Tag eingeschaltet, wenn diese durch 400 teilbar sind. Das Jahr 1600 war folglich ein Schaltjahr in beiden Kalenderstilen, wohingegen das Jahr 1700 zwar im Julianischen Kalender, nicht aber im Gregorianischen Kalender ein Schaltjahr war. Julianischer und Gregorianischer Kalender bewegen sich also weiterhin auseinander, inzwischen betrĂ€gt die Differenz 13 Tage. Zur Vorausberechnung des Ostertermins hatte sich schlieĂlich der von Dionysius Exiguus im 6. Jahrhundert fĂŒr seine Ostertafel angewandte alexandrinische 532jĂ€hrige Zyklus, der sog. GroĂe Osterzyklus, durchgesetzt, der den 28jĂ€hrigen Sonnen- mit dem 19-jĂ€hrigen Mondzyklus (dem Metonischen Zyklus) verband. Letzterer beruhte auf der Beobachtung, dass 19 Sonnenjahre etwa 235 synodischen Monaten entsprechen â alle 19 Jahre treffen die Mondphasen wiederum auf das gleiche Datum, das Mondalter kann somit tabellarisch, ohne Himmelsbeobachtung, bestimmt werden. Allerdings fuĂte der Zyklus auf einem etwas zu langen Mondjahr. Trotz der in den Tabellen regelmĂ€Ăig eingeschobenen Schaltungen, die die gleichbleibende Position der Monate innerhalb der Sonnenjahre sichern sollte, summierte sich der Fehler im Mondzyklus etwa alle 310 Jahre zu einem ĂŒberschĂŒssigen Tag. Mit der Gregorianischen Kalenderreform wurde daher auch der Mondkalender um drei Tage angepasst. Zur anhaltenden Korrektur des Mondzyklus und zu dessen dauerhafter Synchronisation mit dem korrigierten Solarkalender wurde zudem eine neue Art der Epakten-Rechnung, d. h. Mondalter-Rechnung, eingefĂŒhrt. Diese löste die in den Kalendarien das Mondalter anzeigende, im Mittelalter etablierte âGoldene Zahlâ ab. Der Kalender blieb damit weiterhin zyklisch organisiert â ein Aspekt der in der Diskussion um die Kalenderreform bis ins 18. Jahrhundert hinein eine groĂe Rolle spielte. Diese, hier nur in ihren Umrissen sehr knapp skizzierte Kalenderreform war, auf Basis eines Vorschlages von Aloysius Lilius, von der erwĂ€hnten Kommission ĂŒber mehrere Jahre hinweg ausgearbeitet worden. Am 24. Februar 1582 wurde die fĂŒr Oktober 1582 geplante Kalenderverbesserung schlieĂlich von Papst Gregor XIII. mit der Bulle Inter Gravissimas verkĂŒndet, eine ausfĂŒhrliche Darstellung der Reform wurde dabei nicht gegeben.
Die konfessionellen Spannungen verhinderten die europaweite Akzeptanz der Reform. Ab Oktober 1582 war das christliche Europa, ab 1583 auch das Alte Reich, folglich in zwei konfessionelle Zeitzonen aufgeteilt. Erst mit dem 1699 gefĂ€llten Entschluss der protestantischen StĂ€nde, im darauf folgenden Jahr ebenfalls eine Kalenderverbesserung vorzunehmen, wurde die bĂŒrgerliche DatumszĂ€hlung im Heiligen Römischen Reich wieder vereint. Die Methode der Osterfestberechnung blieb weiterhin konfessionell verschieden, doch hatte dies nur zweimal, anlĂ€sslich der konfessionell getrennten Osterfeiern der Jahre 1724 und 1744, spĂŒrbare Konsequenzen. Ab dem Jahr 1776 schlieĂlich wurde der Gregorianische Kalender im Reich allgemein beachtet â allerdings zunĂ€chst unter dem Namen Allgemeiner Reichskalender.
Bei historischen Recherchen begegnet die Kalenderspaltung in der Regel in Form der hĂ€ufigen Doppeldatierung von Dokumenten der Jahre 1583 bis 1700 oder aber von Schwierigkeiten frĂŒhneuzeitliche Quellen zu datieren. Gerade etwa bei der Rekonstruktion der Kalenderreformverhandlungen auf Reichsebene zeigte sich dies auch anlĂ€sslich dieser Arbeit. Manchmal erfreut man sich dann an kleinen zufĂ€lligen Nebengeschichten: So wandte sich Philipp Ludwig von Pfalz-Neuburg im Jahr 1603 an Christian II. von Sachsen und bat um Auskunft, wie dieser sich in der am Reichstag aufgeworfenen Frage einer Kalendervereinigung zu verhalten gedenke. Philipp-Ludwig schrieb diesen Brief in Neuburg an der Donau am 20. Mai 1603. Den höflichen Gepflogenheiten der schriftlichen Kommunikation entsprechend, ĂŒbersandte er zur Information zusĂ€tzlich eine Kopie des kaiserlichen Schreibens, mit dem dieser von Prag aus âebenfalls am 20. Mai 1603â die StĂ€nde zur Kalendervereinigung angehalten hatte. Nur dass mit diesem âkaiserlichen 20. Maiâ ein Tag, zehn kalendarische Tage vor dem Neuburger Datum bezeichnet worden war âdas kaiserliche Schreiben hatte bis zum âNeuburger 20. Maiâ bereits den Postweg von Prag nach Neuburg hinter sich gebracht, war vom Pfalzgraf und seinen RĂ€ten gelesen und vom Schreiber kopiert worden.
Den Zeitgenossen bereitete die Reform gröĂere Schwierigkeiten, zumindest in der Phase der Durchsetzung und Implementation der Reform. Dabei kam es neben den bekannten groĂen Auseinandersetzungen um die EinfĂŒhrung bzw. Einhaltung des Gregorianischen Kalenders, wie etwa dem Augsburger Kalenderstreit, zu zahlreichen Unsicherheiten und Verwirrungen im Zuge der Kalenderumstellung. In Riga hatte man angeblich nicht beachtet, dass trotz des Ăberspringens von zehn Tagen die WochentagszĂ€hlung unverĂ€ndert weiterlief und so feierte man dort, dies berichten Martin Chemnitz und David Herlitz, den ersten Sonntag des Gregorianischen Kalenders an einem Mittwoch. Im Jahr der Kalenderanpassung war es zudem umstĂ€ndlicher als gewohnt, die Dauer von ArbeitsverhĂ€ltnissen oder den korrekten Lohn zu bestimmen. In der Diskussion um die EinfĂŒhrung des Gregorianischen Kalenders im Hochstift EichstĂ€tt willigte das Domkapitel erst in die Reform ein, als man beschlossen hatte, auch den Verdienst fĂŒr die âin dem neuen Calendario ĂŒberhupftenâ Tage zu gewĂ€hren. In Bozen ĂŒberlegte man lange, ob der traditionelle Egidi-Markt auf ein neues Datum verlegt werden sollte. Es handelte sich hier um einen Herbstmarkt, auf dem Obst gehandelt wurde, dessen Reife gewĂ€hrleistet sein musste und auch der erste Wein (FrĂŒhmost) bereits fertig zum Verkauf stehen sollte. Auch die Termine weiterer MĂ€rkte, wie des St. AndrĂ€-Markt Ende November, standen zur Disposition. Man behielt beide Daten bei, verlegte also die MĂ€rkte faktisch um zehn Tage im Jahreslauf, allerdings verlĂ€ngerte man den Egidi-Markt um einige Tage.
Doch auch bei der zweiten Kalenderreform im Reich, dem Wechsel der protestantischen Gebiete vom Julianischen zum Verbesserten Kalender im Jahr 1700, konnten Schwierigkeiten auftreten: Die Frankfurter Buchmesse sah sich nach der Kalenderumstellung dem Problem gegenĂŒber, dass am neuen Termin nach dem Verbesserten Kalender die Hochwassergefahr des Mains um ein Vielfaches gestiegen war. Man verschob also die Messe um drei Wochen, woraufhin sie mit der Leipziger Buchmesse kollidierteâwas wesentlich dazu beitrug, dass die Frankfurter Messe an Bedeutung verlor. NiederlĂ€ndische Matrosen weigerten sich Ende des 16. Jahrhunderts, einen Navigationsatlas zu benutzen, der die Positionsbestimmungen auf der Basis neuen Kalenders vornahm, und in einem Dorf in der Lausitz wechselte man in der zweiten HĂ€lfte des 17. Jahrhunderts angeblich jĂ€hrlich den Kalenderstil, da die Kirche halb auf katholischem, halb auf protestantischem Grund und Boden lag. 118 Jahre lang war die öffentliche Zeitordnung im Heiligen Römischen Reich in zwei Zeitzonen aufgeteilt und die Bandbreite an Reaktionsmöglichkeiten auf diese zeitliche Pluralisierung war offensichtlich sehr groĂ.
Weder in der Erinnerungskultur noch der historischen Forschung ist die Kalenderreform allerdings besonders prĂ€sent. Des 400-jĂ€hrigen JubilĂ€ums der Gregorianischen Kalenderreform gedachte man zwar mit einer Sonderbriefmarke der Deutschen Post, einer Sonderausstellung der Badener Landesbibliothek und einem Festkolloquium des Vatikan. Sowohl Ausstellung als auch Kolloquium brachten teils wertvolle ForschungsbeitrĂ€ge hervor, doch fĂŒr lange Zeit blieb dies die einzig nennenswerte BeschĂ€ftigung mit dem Thema. Erst um das Jahr 2000 erwachte das Interesse an den Grundlagen der abendlĂ€ndischen Chronologie erneut. Die Zeit, Zeitordnungen, der Kalenderâ im tĂ€glichen Leben sind sie selbstverstĂ€ndliche und wenig hinterfragte, vermeintlich naturgegebene Konstanten. Nur zu besonderen AnlĂ€ssenâ den systemimmanenten âStolperstellenâ, wie der jedes halbe Jahr erfolgenden Zeitumstellung, einem Schaltjahr oder besonderen JubilĂ€enâ wird das Menschengemachte der Ordnungen bewusst und reflektiert. Man erinnert sich des Systems also anlĂ€sslich seiner eigenen Wegmarken; das die Jahrtausendwende erst zur solchen erklĂ€rende kalendarische System und seine letzte groĂe VerĂ€nderung, die Gregorianische Kalenderreform, erlangte damit zeitweilig verstĂ€rkte Aufmerksamkeit. Trotz dieses auch in der historischen Forschung kurzfristig aufgekeimten Interesses an den frĂŒhneuzeitlichen Kalenderreformen, und obwohl Forschungen zum Thema Zeit in all ihren Schattierungen, etwa zu Zeitempfinden, Zeitbewusstsein, Zeitkonzepten oder Zeitnutzung, insbesondere seit der kulturalistischen Wende Konjunktur haben und die einschlĂ€gigen BeitrĂ€ge kaum noch zu ĂŒberblicken sind, gibt es nach wie vor vergleichsweise wenige Studien zu den europĂ€ischen Kalenderreformen der FrĂŒhen Neuzeit und Neuzeit. Eine ausfĂŒhrliche Studie zur Gregorianischen Kalenderreform und ihrer Rezeption im Heiligen Römischen Reich fehlte bislang völlig. âCalendar Reform is an unlikely subject of researchâ. Diesem Befund Robert Pooles, des Spezialisten fĂŒr die Kalenderreform in England, ist nach wie vor zuzustimmen.
In den HandbĂŒchern und Ăberblicksdarstellungen zum 16. und 17. Jahrhundert wird die Kalenderreform zwar in der Regel erwĂ€hnt, doch es fehlt eine tiefergehende Diskussion oder Analyse der durch sie hervorgerufenen Debatten und Konfliktlinien, im besten Fall wird die problematische Rezeption der Reform immerhin kurz thematisiert. Aus der knappen Darstellung resultieren in diesen Werken oft Ungenauigkeiten und dem Thema nicht angemessene, pauschalisierende Wertungen. Vor allem jedoch blieb die zweite Kalenderreform, der von den evangelischen StĂ€nden des Reichs im Jahr 1700 vollzogene Kalenderwechsel zum sogena...