Deutsche Exilliteratur im niederländisch-deutschen Beziehungsgeflecht
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Deutsche Exilliteratur im niederländisch-deutschen Beziehungsgeflecht

Eine Geschichte der Kommunikation und Rezeption 1933-2013

  1. 450 Seiten
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Deutsche Exilliteratur im niederländisch-deutschen Beziehungsgeflecht

Eine Geschichte der Kommunikation und Rezeption 1933-2013

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Über dieses Buch

Das Buch verfolgt die Kommunikation von Autoren und Verlegern, die ab 1933 aus den deutschsprachigen Gebieten in die Niederlande flohen, und erforscht ihre Rezeption und Weiterwirkung in den Perioden vor, während und nach dem Krieg. Durch die Exilverlage Querido und Allert de Lange wurde Amsterdam zum Zentrum der Produktion und des Vertriebs der Exilliteratur. Die niederländisch-deutschen Verflechtungen waren international vernetzt, aber der Markt für die Bücher innerhalb der Niederlande war relativ groß und niederländische Übersetzer und Rezensenten bemühten sich um ihre Verbreitung. Einige Autoren ließen sich langjährig in Holland nieder. Fallbeispiele einzelner Schriftsteller und Verleger bilden ein Gewebe von Lebens- und Rezeptionsgeschichten bis heute.


Durch die verlängerte Zeitperspektive unterscheidet sich dieses Buch von der bisherigen Exilforschung. Es zeigt Veränderungen in der Wahrnehmung der Exilliteratur unter sich wandelnden gesellschaftlichen und politischen Bedingungen. Durch die Verknüpfung individueller Geschichten wurde versucht, einer modernen Darstellung der Literaturgeschichte gerecht zu werden.

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Information

Jahr
2014
ISBN
9783110370058

1 Ouvertüre: „Ein vreemdeling steht in Amsterdam. Wohin.“

Auf der Flucht vor den Nazis schlich Kurt Lehmann sich 1934 über die niederländische Grenze. Lehmann, 1908 geboren, studierte Jura in Berlin und war doppelt gefährdet: Er hatte einem verfolgten Freund geholfen und war Jude. Völlig mittellos stand er in den Niederlanden und musste sehen, wie er seine Existenz rettete in einem Land, das unter einer Wirtschaftskrise und hoher Arbeitslosigkeit litt. Er schlug sich als Knecht auf einem Bauernhof durch und brachte es fertig, auch sein erst vor kurzer Zeit angefangenes literarisches Handwerk fortzusetzen. Seine eigenen Erlebnisse verarbeitete er in einem Roman, der fragmentarisch in Briefen und Tagebuchnotizen das Leben eines deutsch-jüdischen Flüchtlings verdichtet und suggestiv vorführt. Die dramatischen Erfahrungen sind überlagert von anekdotischen und manchmal grotesken Ereignissen. Dabei sind fast beiläufig unterschiedliche Positionen zum Nationalsozialismus innerhalb und außerhalb der Niederlande eingearbeitet. Lebendig zeugt das Buch von den Mühen, sich mit einer fremden Kultur und Sprache vertraut zu machen. In Sprachspielen und Sprachvermischungen drückt sich die Zwischenposition eines „vreemdeling“/Fremden aus, der recht-und staatenlos in einem Akkulturationsprozess verwickelt wird. Das Buch erschien 1936 unter dem Titel Ein Mensch fällt aus Deutschland im deutschen Querido Verlag in Amsterdam und trug den Untertitel Mein Vater ist für Deutschland gefallen / Sein Sohn ist aus Deutschland gefallen. In diesem Untertitel ist raffiniert die Vermischung des Autobiographischen („mein“) und der Fiktionalisierung („sein Sohn“) mit dem historischen Werdegang Deutschlands über zwei Generationen verknüpft. Die ich-Form ist in den Briefen und Tagebuchnotizen präsent; sonst ist der Roman in der dritten Person geschrieben, wobei „Winter“, der Name des Protagonisten, halb Vorname, halb Nachname, symbolischer Phantasiename bleibt. Bezeichnend ist, dass Lehmann von Anfang an unter dem Pseudonym Konrad Merz geschrieben hat. Dieser Name, dessen Identität vom Verlag geheim gehalten wurde, rettete ihn in den ersten Kriegsjahren, weil er nicht ausfindig gemacht werden konnte.1
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Merz hatte das Glück, dass einer der bedeutendsten niederländischen Kritiker, Menno ter Braak, sich des Manuskriptes annahm. Er war es, der die Ausgabe durchsetzte und nach Erscheinen in einer Besprechung ausführlich lobte. Ter Braak setzte sich von Anfang an sehr für die sogenannte deutsche „Emigrantenliteratur“ ein, doch blieb immer kritisch und verriss öffentlich Werke, die er abgegriffen und der Aktualität unangemessen fand. Ihn enttäuschte die erste Flut der Bücher, die in den Exilverlagen erschienen, weil sie in seinen Augen der gewandelten Lage Europas und den Erfahrungen des Exils nicht gerecht würden. Als der damalige Leiter des deutschen Querido Verlages, Fritz Landshoff, in einem Interview im niederländischen Fernsehen 1982 auf die Bedeutung ter Braaks für die Exilliteratur zurückblickte, lächelte er ein wenig ironisch und meinte, ter Braak habe damals nicht beachtet, dass die geflüchteten Autoren ihre gerade fertiggestellten Manuskripte mit ins Exil gebracht hatten und verzweifelt versuchten, diese möglichst schnell unterzubringen. Er habe wohl nicht bedacht, dass es eine Weile braucht, bis man neue Erfahrungen literarisch umsetzen könne.2 Aber in Merz’ Roman erblickte ter Braak den ersten eigentlichen Exilroman, das heißt, einen Roman, der aus dem Exil hervorgegangen sei. Sein Erstling trug Merz also einen gewissen Erfolg ein, der ihm auch eine Position im literarischen Leben verschaffte: Das Buch wurde mehrfach rezensiert, auch lernte er andere Schriftsteller in den Niederlanden kennen. Die Kritikerin Eva Maria Walsing, selbst Emigrantin, fragte sich in ihrer Rezension des Buches, ob die Emigration nur eine Form des Daseins oder die Barrikade des Geistes sei, auf der die großen Exilierten aller Zeiten, von Dante bis zum Prinzen Eugen und von Victor Hugo bis zu Masaryk und Lenin gestanden und gekämpft hätten.3 Damit war der junge Merz sogar in eine lange geschichtliche Tradition gestellt und seine der Aktualität entlehnte Thematik in eine zeitlose ausgeweitet. Bald fing Merz auch einen zweiten Roman an, doch dieser wurde nicht mehr gedruckt und blieb nach dem Ausbruch des Krieges liegen – lange galt das Manuskript als verschollen, bis es nach vielen Jahren wieder auftauchte und 1999, im Jahr seines Todes, unter dem Titel Generation ohne Väter im Aufbau-Verlag erschien.
Merz war einer der wenigen Exilschriftsteller, die sich nach dem Krieg definitiv in Holland niederließen. Während er sich den Lebensunterhalt als medizinischer Masseur verdiente, setzte er seine schriftstellerische Arbeit über lange Jahre hin fort. Aber erst in fortgeschrittenem Alter trat er in deutschsprachigen Verlagen mit neuen und früher geschriebenen Werken hervor. Die Exilantenexistenz und seine Erlebnisse während des Krieges hatten Lehmanns Leben geprägt und haben ihn nie ganz losgelassen. Auch in seinem späteren Werk bilden sie die Substanz oder den Hintergrund. Lehmanns Biographie und Bibliographie repräsentieren demnach ein Exilantenschicksal in der deutsch-niederländischen Geschichte, das mehr als 65 Jahre umspannt. Wie ist es dem Schriftsteller und seinem Werk im niederländischen und im deutschen Kontext weiter ergangen, wie hat sich sein Œuvre entwickelt und zu welchem kulturellen Austausch hat sein Werk „zwischen den Sprachen“ geführt? Dass Merz’ Werk in irgendeiner Form in die niederländische Literatur integriert wurde, dafür sind keine Zeichen zu finden. Obwohl er sein Leben lang in den Niederlanden wohnte und, allerdings auf Deutsch, über sein Leben in Holland schrieb, findet sich in niederländischen Literaturgeschichten kein einziger Hinweis auf sein Werk. Das hat Merz wohl erbittert. Schon während seines Lebens entschloss er sich, seinen Nachlass dem Land, zu dem er nicht hatte zurückkehren wollen, zu überlassen. Seine Tagebücher, Dokumente, Briefe und Manuskripte wurden dem Marbacher Literaturarchiv übergeben. Obwohl ihm auch in Deutschland kein großer Ruhm zuteil wurde, ist sein Werk in kleinerem Kreis verbreitet und hat sich sein Lebenslauf herumgesprochen. Am 24. Juni 2011 berichtete Jürgen Kaube in der FAZ unter der Schlagzeile „Erinnert ans Exil“ über einen Aufruf der Nobelpreisträgerin Herta Müller an Bundeskanzlerin Angela Merkel, in Deutschland ein „Museum des Exils“ zu ermöglichen. Müllers Aufruf ist auf der gleichen Seite abgedruckt. Anlass war die Entscheidung, ein „Zentrum gegen Vertreibungen“ zu stiften. Müller, die sich den Exilanten sehr nahe fühlt, plädierte für eine Gedenkstätte, welche, die vorhandenen Sammlungen und Zentren übersteigend und vereinend, „sich mit allen Facetten des Exils und seiner Konsequenzen in Sammlungen, Ausstellungen und Diskussionen widmet“. Sie wies auf die Lebensläufe von Nelly Sachs, Thomas Mann und Hermann Hesse hin, die nach dem Krieg nicht nach Deutschland zurückkehren wollten. Allenfalls waren kurze Besuche möglich. „Das“, so verfolgte sie in ihrem öffentlichen Brief an Merkel,
konnte auch Konrad Merz, der schon 1934 in die Niederlande floh und in einem Schrank versteckt die deutsche Besatzung Überlebte. Ich habe ihn noch getroffen und ihn eingeladen und immer erleben müssen, wie dem alten Mann die Tränen kamen, wenn er an seine Jugend in Berlin dachte und den Verlust seiner Heimatstadt. Aber zurück konnte auch er nicht. Konrad Merz, der damals noch Kurt Lehmann hieß, war wahrscheinlich einer der ersten Emigranten, der zudem den ersten Roman über das Leben im Exil schrieb. ErEr heißt „Ein Mensch fällt aus Deutschland“.
Allerdings war Merz nicht der einzige deutschsprachige Flüchtling, dessen Schicksal mit den Niederlanden verwoben war. Nach der Machtergreifung Hitlers im Januar 1933 zogen viele „nicht-arische“ und in ideologischer Hinsicht nicht-kompatible Schriftsteller, Künstler und Intellektuelle aus Deutschland weg. Manche glaubten, die bedrohliche Lage würde wohl nicht allzu lange dauern, und flüchteten sich zunächst in die benachbarten Länder. Manchmal bestanden bereits geschäftliche oder freundschaftliche Beziehungen. Anfangs waren die Bedingungen für die Emigration in die Niederlande noch relativ günstig. In den Niederlanden hofften die Flüchtlinge eine verwandte Kultur und Sprache zu finden. Manche kannten das Land aus den Ferien, waren doch Badeorte wie Scheveningen und Noordwijk von jeher beliebt. Außerdem waren die Niederländer mit der deutschen Sprache vertraut. Die deutsche Literatur wurde in den Niederlanden bereits seit langem vom Bildungsbürgertum zur Kenntnis genommen und in der Schule unterrichtet. Deutsch galt zusammen mit Französisch als Kultursprache, die Literatur wurde von der Kritik besprochen, und die Werke erfolgreicher Schriftsteller erschienen in niederländischen Übersetzungen. Hohe Auflagen erreichten in der Periode nach dem Ersten Weltkrieg zeitgenössische Autoren wie Stefan Zweig, Jakob Wassermann, Erich Maria Remarque und Lion Feuchtwanger. Diese Gesamtsituation bildete 1933 eine relativ feste Grundlage für die rasche Gründung zweier der größten Exilverlage in Amsterdam, die sich bestehenden niederländischen Verlagen angliederten: Querido und Allert de Lange. Für sie wurden drei Mitarbeiter des Kiepenheuer Verlages, Fritz Landshoff, Walter Landauer und Hermann Kesten, als Verleger angeworben. Daneben gab es auch andere verlegerische Initiativen. Der Verlag Sijthoff gab zum Beispiel Werke deutscher Wissenschaftler heraus (Abb. 1.1). Die Kontakte kamen durch die Vermittlung von Rudolf Kayser zustande. Kayser war der ehemalige Redakteur von der Neuen Rundschau, dem Hausorgan des S. Fischer Verlages. Auch er war in die Niederlande geflüchtet. Ein kleinerer Verlag mit links-engagiertem Profil wurde von dem Augsburger Buchhändler Hein(z) Kohn in Hilversum gegründet. Zusätzlich gaben etwa fünfzig andere niederländische Verlage vereinzelt Werk deutscher Emigranten heraus.4 Auch ausländische Projekte wurden gelegentlich aus den Niederlanden unterstützt. Der niederländische Jurist Johan Warendorf finanzierte die in Paris erscheinende Wochenzeitung Das Neue Tage-Buch und setzte sich für ihre Verbreitung ein. Durch diese Aktivitäten entwickelten sich die Niederlande zu einem betriebsamen verlegerischen Zentrum im internationalen Netzwerk der Exilliteratur und Exilpresse. Ein reger kommunikativer Verkehr entstand zwischen Autoren, Verlegern, Kritikern und anderen Instanzen, die für die Produktion und den Vertrieb von Büchern nötig waren. Solange es noch möglich war, reiste man hin und her. Dass man in die Niederlande übersiedelte, war eher die Ausnahme als die Regel – man traf sich in europäischen Kulturstädten wie Paris, Zürich, London, Brüssel. Aber auch wurde viel, sehr viel korrespondiert.
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Abb. 1.1: Inserat des Verlages Sijthoff, 1934.
Obwohl während des Krieges viele Schriftstücke verloren gingen, verdanken wir diesen Umständen heute eine Vielzahl von Briefen, die in den nach und nach gegründeten Archiven aufbewahrt werden. Inzwischen ist daraus eine reiche Ernte schöner und ergreifender Brief- und Dokumentausgaben hervorgegangen. Sie lassen uns nachvollziehen, welche Mühen es kostete, das Schreiben, Verlegen, Vertreiben und Lesen unter den schwierigsten Bedingungen im Ausland fortzusetzen. Die schriftstellerischen Fähigkeiten in diesen Kreisen verleihen mancher Korrespondenz selbst literarische Qualitäten, doch auch eilig geschriebene und scheinbar bedeutungslose Zeilen sind manchmal aufschlussreich.
Briefe – bereits veröffentlichte wie auch unveröffentlichte – bilden das Herzstück im vorliegendem Buch, das zum Ziel hat, die deutsch-niederländischen Verflechtungen im Zusammenhang mit der deutschen Exilliteratur über eine längere Zeitstrecke zu rekonstruieren und zu veranschaulichen. Die ausgewählten Briefe zeigen Momentaufnahmen aus dem Strom der Ereignisse und fordern den heutigen „fremden“ Leser auf, die Lebenssituation, aus der sie entstanden, zu vergegenwärtigen. Die Textgattung Brief ist vielgestaltig. Sie kann privaten, geschäftlichen, sowie öffentlichen Charakter haben. Auch Briefe, die einer Geschäftskorrespondenz entstammen, können die dramatische Lebenslage, in der die Briefschreiber sich im Exil häufig befanden, verraten. Sie zeigen die Strategien, um sich als Schriftsteller, Verleger oder Übersetzer in der internationalen Arena durchzuschlagen, und geben persönliche Bekümmernisse preis. Aus geschäftlichen Verbindungen entwickelten sich häufig auch freundschaftliche Beziehungen, wobei allerdings, wie sich zeigen wird, Loyalität nicht immer selbstverständlich war. Ausgehend von den Briefen lassen sich „Geschichten“ (re)konstruieren, denen im historischen Zusammenhang eine repräsentative Bedeutung abzugewinnen ist. Jede dieser Geschichten zeigt bestimmte Facetten im Geflecht der literarischen Beziehungen auf und verweist auf andere. Zusammen bieten sie ein breites Spektrum von Aktionen und Interaktionen, das sich unter den wechselnden zeitlichen Bedingungen jeweils anders gestaltet. So werden Aspekte einer langjährigen Rezeption und Weiterwirkung der Exilliteratur sichtbar, die zwar im niederländischen Kontext ansetzen, aber manchmal weit darüber hinausgehen. „Protagonisten“ sind nicht nur Schriftsteller, sondern auch Literaturvermittler – Verleger, Übersetzer, Buchgestalter, Agenten, Kritiker – ohne die ein literarisches Leben im Exil gar nicht möglich gewesen wäre.
Der Begriff des Exils ist schon häufig diskutiert worden. Das Exil ist nicht eindeutig abzugrenzen. Für diejenigen, die in den dreißiger Jahren zur Flucht gezwungen wurden, war das Exil nicht abrupt zu Ende, als sie nach dem Krieg die Möglichkeit hatten, in ihre frühere Heimat zurückzukehren. Der Bruch in ihrer Existenz, das bedrohte Leben als Flüchtling und das Dasein in fremden Ländern zeichneten sie und ihr Werk für den Rest ihres Lebens. Wenn sie sich dazu entschlossen, zurückzukehren, wurden sie mit einer zerrütteten und veränderten Heimat konfrontiert. Falls sie sich für eine neue Heimat entschieden, mussten sie mit einer fremden Kultur und Sprache zurechtkommen. Ihr altes Werk war verboten und verbrannt worden, neueres Werk entstand unter den schwierigsten Umständen, während das Werk, das diejenigen, die überlebt hatten, nach dem Krieg schrieben, unvermeidlich auf das Zeitgeschehen und die eigenen Erfahrungen Bezug nahm. Auch nach vielen Jahren blieb man durch das Schicksal geprägt. Gina Kaus – sie blieb nach ihrer Flucht aus Wien in Amerika – drückte es in ihren Erinnerungen (1979) so aus:
Was uns Emigranten einigt, uns unbewußt verbindet, ist das gemeinsame Erlebnis. Der große Bruch. Daß wir alle in der Mitte unseres Lebens umlernen, neu anfangen mußten. Wir sprechen seit vielen Jahren nicht darüber, wir sprechen, wie die meisten anderen Menschen, über Tagesereignisse, über erfreuliche oder unerfreuliche Dinge in unserem Leben, über uns selbst, über Bücher, über Filme, über Kunst. Ich glaube, den wenigsten von uns ist bewußt, daß wir auf unausgesprochene, unaussprechliche Weise mi...

Inhaltsverzeichnis

  1. Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur
  2. Titel
  3. Impressum
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. Vorwort
  6. Abkürzungsverzeichnis
  7. 1 Ouvertüre: „Ein vreemdeling steht in Amsterdam. Wohin.“
  8. 2 Kontakt der Kulturen: Kommunikation und Transfer
  9. 3 Wandel der literarischen Wechselbeziehungen
  10. 4 Vorgeschichte
  11. 5 Verzweiflung, Aufbruch und Neubeginn
  12. 6 Vermittlungen
  13. 7 Auffächerung des Polysystems
  14. 8 Der Zweite Weltkrieg
  15. 9 Nachgeschichte
  16. 10 Spuren in der Gegenwart
  17. Verzeichnis der unveröffentlichen Dokumente nach Namen der Verfasser
  18. Abbildungsverzeichnis
  19. Namenregister