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Thomas Mann, Deutschland und die Juden
Über dieses Buch
Thomas Manns Bild von den Juden folgt dem Auf und Ab der Geschichte und enthüllt diese zugleich, 1897 freilich anders als 1918 oder gar 1933. Übernommene Klischées verblassen und scheinen in Krisenzeiten erneut auf. Als Sohn seiner Zeit neigt Thomas Mann (1875–1955) dazu, mit wissenschaftlich anmutender Akribie biologische Merkmale und Unterschiede aufzuzeichnen. Nicht zuletzt auch aus ästhetischem Interesse umreißt er rassische Wesenszüge einer bunt schillernden Andersartigkeit, ohne jedoch Rassenideologie zu betreiben. So entsteht eine Typologie, die sich wie eine Folge von Variationen über ein und dasselbe Thema laufend wandelt. Auf Grund vermeintlicher Besonderheiten erhalten die Juden in Thomas Manns Denken und in seiner epischen Welt eine Schlüsselstellung an den Dreh- und Angelpunkten der Moderne.
Inmitten der großen Debatten des 20. Jahrhunderts über Krieg, Kapitalismus, Marxismus, Nationalismus, Rassismus sind jüdische Stimmen nicht zu überhören, so daß Motive, die zunächst nur am Rande und zart angedeutet vorkommen, sich nun voll entfalten, Symbolträchtiges mitführen und sich mit den großen Themen des schriftstellerischen Werkes verflechten. Von Naphta und Krokowski im »Zauberberg«, über Joseph und Moses führt eine ununterbrochene Verbindungslinie bis zu Fitelberg und Breisacher im »Doktor Faustus«, wobei sich eine schon längst vorbereitete Parallelisierung zwischen Juden und Deutschen abzeichnet. Das chronologische Vorgehen hebt zugleich Kontinuität und Wandlung von Ansichten hervor, die zunächst von Faszination und Vorurteilen geprägt, sich im Laufe der Zeit verfeinern. Das Augenmerk richtet sich auf die Erhellung von Motivgeflechten und auf die komplizierten Beziehungen und Auseinandersetzungen eines Bildungsdeutschen mit namhaften Juden seiner Zeit. Diese Studie (die französische Orginalausgabe erschien 1995) ergründet eine strukturelle Einheit des Gesamtwerkes, die bisher vernachlässigt worden ist, und leistet einen Beitrag zur Erforschung von Mentalitäten.
Häufig gestellte Fragen
Information
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Erster Teil: Die Ausgangssituation
- 1. Faszination der »Rassen«
- 2. Die kulturelle Erblast
- 2.1. Der Antisemitismus im ausgehenden 19. Jahrhundert
- 2.2. Die Situation in Lübeck
- 2.3. Die geistigen Erzieher
- 3. Erste Kontakte mit Juden
- 4. Ein heikles Unterfangen: Das Zwanzigste Jahrhundert
- 4.1. Heinrich Mann: Beispiel und Vorbild
- 4.2. Thomas Manns Mitarbeit
- 5. Erster literarischer Niederschlag: Der Wille zum Glück (1896)
- 6. Judengestalten
- 6.1. Geldjuden
- 6.2. Ärzte und Juristen
- 6.3. Intellektuelle
- 7. Wälsungenblut (1906)
- 7.1. Die Familie Pringsheim
- 7.2. Zwischen Realität und Fiktion
- 7.3. Das Verhängnis der Herkunft
- 7.4. Ansätze einer Reflexion
- Zweiter Teil: Ausarbeitung einer jüdischen Thematik
- 1. Einzigartigkeit des jüdischen Schicksals
- 1.1 Der Essay von 1907
- 1.2. Königliche Hoheit
- 2. Jüdischer Geist im Zwielicht der Vorurteile
- 2.1. Die Polemik mit Theodor Lessing
- 2.2. Vom jüdischen Geist
- 2.3. Der jüdische Literat
- 3. Kampf dem Radikalismus
- 3.1. Im Kriegsrausch
- 3.2. Der Stolperstein des Antisemitismus
- 3.3. »Welsche« Zivilisation
- 3.4. Die Religion des Westens
- 3.5. Hintergrund zu den Betrachtungen eines Unpolitischen
- 3.6. Im kriegerischen Affekt
- 4. Die revolutionäre Nachkriegskrise im Tagebuch (1918-1921)
- 4.1. Direkte Angriffe auf den Literaten
- 4.2. Groll auf die internationale Geldherrschaft: Freimaurerei, Plutokratie
- 4.3. Zorn auf die sozialistische Internationale: Juden als Unruhestifter
- 4.4. Angst vor dem jüdisch-bolschewistischen Schreckgespenst
- 4.5. Juden in der Politik
- 5. Befangenheit im Kampf gegen den Antisemitismus der zwanziger Jahre
- 5.1. Juden in Thomas Manns Alltag
- 5.2. Natur und Geist: Goethe und Tolstoi
- 5.3. Verlagerung des Judenbildes: der Intellektuelle
- 6. Der Zauberberg
- 6.1. Der internationale Berghof
- 6.2. Im Banne des Ostens
- 6.3. Juden in Ost und West
- 6.4. Konfrontation zwischen Orient und Okzident
- 6.5. Offenheit als Selbstfindung ohne Selbstverleugnung
- Dritter Teil: Kampf gegen Nationalsozialismus und Antisemitismus
- A. Lotte in Weimar
- 1. Leben und Kunst
- 2. Deutsches Literatentum
- B. Joseph und seine Brüder
- 1. Die Wiege der Menschheit
- 1.1. Beweggründe und ursprüngliche Absichten
- 1.2. Genealogie der Religion: das Volk des Geistes
- 1.3. Genealogie der Moral: das Volk des Gesetzes
- 2. Der Schatten des Nationalsozialismus: völkische Abkapselung und Rassenkult
- 2.1. Der Bund: ein Teufelspakt
- 2.2. Antisemitische Klischees: materielles Denken, Hinterlist, Ehrgeiz
- 3. Vom Partikularismus zum Universalismus
- 3.1. Das Geheimnis der Sphinx: Das Gesetz der Zeit
- 3.2. Der »Sprößling der Verheißung«: Israels Verweltlichung
- 4. Israels Saga und Deutschlands Wirklichkeit
- 4.1. Ägypten und Deutschland
- 4.2. Israel: Modell und Gegenmodell
- 4.3. Nationalismus und Rassismus
- 5. Das Hebräerbild zwischen Volksidylle und völkischem Greuel
- 5.1. Umwertung des Materials
- 5.2. Grundsätzliche Zweideutigkeiten
- C. Das Gesetz
- 1. Israels Erbe
- 2. Die Kehrseite
- 3. Hebräische Saga und deutsche Wirklichkeit
- D. Doktor Faustus
- 1. Die Erzählerfigur Serenus Zeitblom und das jüdische Thema
- 2. Das jüdische Problem im Tagebuch
- 3. Jüdisches Figurenensemble im Roman
- 3.1. Jüdische Kreise
- 3.2. Chaim Breisacher: ein jüdischer Intellektueller
- 3.3. Der Impresario Saul Fitelberg
- 3.4. Schoeps’ konservatives Denken
- 3.5. Zwischenbilanz
- 4. Der Kridwiß-Kreis
- 4.1. Analogie zu den jüdischen Literaten
- 4.2. Irrationalismus und intellektueller Totalitarismus
- 4.3. Von jüdischer Verteufelung zur deutschen Veijudung
- 5. Diabolica sive judaica Germania
- 5.1. Der Teufel, ein Literat: Kerr – Kretschmar – Adorno – Schönberg
- 5.2. Teufelswerk und Zivilisation
- 5.3. Mimikry und Syphilis
- 5.4. Des Teufels Geist
- 6. Osmose
- 6.1. Deutschlands Verhängnis
- 6.2. Deutschland-Leverkühn zwischen Gott und Teufel
- 6.3. Jüdisch-Lateinisches: Ergänzung und Gefahr
- 6.4. Deutsches Los: vom Zionsberg zum Rohmsbühl
- 7. Von jüdischen zu deutschen Literaten
- 7.1. Der Humanist Serenus Zeitblom
- 7.2. Hiob-Leverkühn: Naphta redivivus
- 8. Nachspiel
- Vierter Teil: Jüdische Symbolik im Spätwerk. Der Erwählte. Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull
- Abschließende Bemerkungen
- Literaturverzeichnis
- A. Texte von Thomas Mann
- B. Ausgewählte Studien über Thomas Mann
- C. Sonstiges
- Personenregister