›Furor satiricus‹
Verhandlungen über literarische Aggression im 17. und 18. Jahrhundert
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›Furor satiricus‹
Verhandlungen über literarische Aggression im 17. und 18. Jahrhundert
Über dieses Buch
Aggressive Schreibweisen – Polemik, Invektive, vor allem aber "Satire" – sind seit der Antike einem Rechtfertigungsdruck ausgesetzt, der letztlich im Tabu der Kultur über Gewalt wurzelt. Die vorliegende Arbeit versteht Theoriebildung und Praxis "satirischen" Schreibens als Resultate einer produktiven Kraft dieses Aggressionstabus, die ein – über zwei Jahrhunderte verfolgtes – kulturelles Verhandlungsgeschehen in Gang setzt. Sie nimmt damit einen methodologischen Leitbegriff beim Wort, den das literaturgeschichtliche Denken des New Historicism eingeführt hat: Grenzen und Lizenzen "satirischen" Schreibens gilt es im (oft kontroversen) Dialog mit gesellschaftlichen Mächten erst auszuhandeln. In einer Reihe von "Korrelationsgeschichten" wird den vielfältigen Verknüpfungen literarischer, poetologischer und außerliterarischer Diskurse und Praktiken auf Schauplätzen nachgegangen, auf denen sonst einander fremde Instanzen im symbolischen Haushalt der Kultur miteinander kommunizieren: Literatur und Poetik mit dem Recht, der Medizin, der Pädagogik, der "Psychologie" und der Theologie ihrer Zeit. Die "extensiven" Rekonstruktionen werden durch drei intensive Analysen literarischer Texte abgerundet, die solche Verhandlungen in sich selbst austragen und zugleich deren Unabschließbarkeit dokumentieren: Christian Thomasius' »Ostergedancken« (1695), ein Stück aus Bodmer/Breitingers »Mahler der Sitten« (1746) und Theodor Haeckers »Dialog über die Satire« (1927).
Häufig gestellte Fragen
Information
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- 1. Literarische Destruktivkraft
- 1. Überlegungen zu einer Theorie literarischer Aggression
- 1.1 Die Erzeugung einer normativ-klassifikatorischen Ordnung
- 1.2 Poetologisch-kulturelle Verhandlungen
- 1.3 Zum Begriff ›literarische Aggression‹
- 1.4 Methodik und forschungspragmatische Beschränkungen
- Exkurs: Vis comica. Codierungen von Gewalt in Selbst- und Fremdreflexion der Satire
- II. Legitimationsmodelle literarischer Aggression
- 1. Satirische Strafe
- 1.1 Legitimationsbedingungen literarischer Gewalt
- 1.2 Die Beziehung von Strafrecht und Satire
- 1.3 Poenae mensura. Der satirische »Code des Leidens«
- 1.4 Generalpräventive Funktion der Satire
- 1.5 Die Grenze des Strafmodells: Die Strafrechtsreform des Humors bei Jean Paul
- 2. Satirische Therapeutik
- 2.1 Medicina mentis. Denkbedingungen der satirischen Seelenmedizin
- 2.2 Moralmedizinische Pathologie, Semiotik und Therapeutik: Christian Weise und die ›Sitten-Arzney-Kunst‹ des Vincentius Placcius
- 2.3 Methoden der literarischen Therapeutik
- 2.4 Satirische Arznei und Pharmakotherapie im 17. und 18. Jahrhundert
- 2.5 Satirische Katharsis
- 2.6. Die List der sanativen Vernunft
- 2.7 Narrenspital und Irrenanstalt im 17. und 18. Jahrhundert
- 2.8 Satirische Chirurgie
- 2.9 Die Grenze des Therapiemodells
- 3. Satirische Didaktik
- 3.1 Infinität und Notwendigkeit satirischer Erziehung
- 3.2 Die ›kleine Gewalt‹ der Erziehungsstrafen
- 3.3 Pädagogik des Spottes
- 3.4 Unpassionierte Didaktik
- 3.5 Die Grenze des Erziehungsmodells. Autonomieästhetische Kritik der satirischen Didaktik
- III. Furor satiricus. Zur Psychologie literarischer Aggression im 17. und 18. Jahrhundert
- 1. Poetik und Psychologie
- 2. Ethik und Ökonomie des Lachens
- 2.1 Neustoische Lachaskese und rhetorische Konzessionierung der Komik
- 2.2 Die Suspektheit des satirischen Charakters
- 3. Die Renaturalisierung der Gewalt
- 3.1 »Imperet hoc natura«. Die Naturnotwendigkeit der Satire bei Horaz, Persius und Juvenal
- 3.2 Satirische Naturen im 18. Jahrhundert: Johann Christoph Gottsched und Friedrich Rudolph Ludwig von Canitz
- 3.3 Die Diskretion des Fühlens
- 4. »A characteribus agnoscere«. Typologie und Psychologie satirischer Schreibweisen
- 4.1 indignatio und admiratio
- 4.2 Die »admiration« in der cartesischen Psychologie
- 4.3 Gefühl und Verstand: Schillers Traktat ›Ueber naive und sentimentalische Dichtung‹
- 4.4 Intellektualität und Harmlosigkeit der Komik. Die Begründung der Arbeitsteilung zwischen Satire und Tragödie aus dem Geist der aristotelischen Psychologie
- 5. Die Gemütsbeschaffenheit des Satirikers
- 5.1 Barthold Feinds poetologische Temperamentenlehre
- 5.2 Von der Temperamentenlehre zur modernen Psychologie
- 6. »Impulsus ad scribendum«. Zur Phänomenologie des satirischen Leitaffekts im 18. Jahrhundert
- 6.1 Zorn und Haß in der philosophischen und medizinischen Anthropologie
- 6.2 Die Grausamkeit im Herzen des Satirikers
- 6.3 Das Gesicht des Satirikers. Physiognomik in Karl Philipp Moritz’ ›Magazin zur Erfahrungsseelenkunde‹
- 7. Zur Psychodynamik der satirischen Kommunikation
- 7.1 Die psychologische Leseranweisung als paratextuelles Regulativ
- 7.2 Selbstkritik und ethische Parität: Der Adhortativus inclusivus der Satire
- 8. Zur Psychologie des Pasquillanten
- 8.1 Der affekttheoretische Ort der maledicentia
- 8.2 Logische Immanenz der Spottsucht. Vom Furor des Archilochos zum Wahnsinn Jonathan Swifts
- 8.3 Furor und Ars, Affekt und Kalkül
- IV. Poeto-Theologie der Satire
- 1. Denkbedingungen der theologischen Satirekritik
- 1.1 Lachaskese und Zeitökonomie. Monastische und neustoische Tradition. Gotthard Heideggers ›Mythoscopia ro- mantica‹
- 1.2 Christus als Spottopfer und der Genitiv Salomos: ›Gott spottet der Spötter‹
- 2. Satirischer Zorn und ira dei: Selbstbehauptung als Stellvertretung
- 2.1 Spott und Rache
- 2.2 Der heilsgeschichtliche Ort der Satire
- 3. Das Problem der Vokation
- 3.1 Zwischen Poesie und Prophetie. Nicodemus Frischlin
- 3.2 Praktische Satiretheologie. Die Lehre von der correptio fraterna
- 4. Das Heilige und das Lächerliche. Satire und Predigt
- 4.1 Das Problem des Kirchenschlafs
- 4.2. Satirischer Protestantismus. Johann Balthasar Schupp und die Homiletik im 17. und 18. Jahrhundert
- 5. Christliche Nächstenliebe und literarische Aggression
- 5.1 Moraltheologie der Satire. Johann Franz Buddeus’ ›Institutio theologiae moralis‹ und Johann Lorenz von Mosheims ›Sitten-Lehre der Heiligen Schrift‹
- 5.2 Im Spannungsfeld von Moral und Nutzen. Christian Weises Rechenschaft vom satirischen Wort
- 5.3 Am Ende der Einheit von Moral und Nutzen. Der Utilitarismus der Satire im 18. Jahrhundert
- 5.4. Superbia als satirische Ursünde
- 5.5 Biblische Ironismen und satirische Heilige. Blaise Pascals ›Lettres Provinciales‹
- Exkurs: Skizze zu einer Satanologie der Satire
- V. Vorgezogenes Schlußwort. Literarische Selbstverhandlungen über Satire
- 1. Sacrificium saturae. Christian Thomasius’ literarische Konversion in den ›Ostergedancken/ Vom Zorn und der bitteren Schreib-Art wider sich selbst‹
- 2. Ironische Konversion. Boileaus IX. Satire und Bodmer/Breitingers ›Mahler der Sitten‹
- 3. Satirische Selbstbehauptung. Theodor Haeckers ›Dialog über die Satire‹
- Literaturverzeichnis
- A. Quellen
- 1. Juristische Texte
- 2. Medizinische Texte
- 3. Pädagogische Texte
- 4. Theologische Texte
- 5. Satirische, poetologische und andere Texte
- B. Forschungsliteratur
- C. Nachschlagewerke
- Bilderverzeichnis
- Namenregister