- 470 Seiten
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Über dieses Buch
Ausgehend von der Diagnose einer gleichzeitigen Krise und Konjunktur der Erinnerung in der Ästhetik der Moderne diskutiert die Studie literarische und theoretische Texte Walter Benjamins als Dokumente, die diese Konstellation paradigmatisch formulieren, der literarischen Erinnerung jedoch auch neue Wege angesichts der Katastrophenerfahrungen des 20. Jahrhunderts aufweisen. Benjamin schließt dabei an die Traditionen der rhetorischen Mnemotechnik wie der Schriftmetaphorik des Gedächtnisses von Platon über Hegel zu Freud an. Diese Traditionslinien prägen seine bislang noch nicht umfassend erschlossene literarische Produktion aus Tagebüchern, Erzählungen, Sonetten usw. Gerade ein Text wie die intertextuell strukturierte und nie endgültig fixierte "Berliner Kindheit" ist aber als Absage an einen rekonstruktiven autobiographischen Duktus zu lesen. Deshalb stellt der Autor der 'Poetik der Erinnerung' die Konzeption einer 'Poetik der Destruktion' entgegen. Sie ergibt sich aus der Dekonstruktion der dichotomischen literarischen Erinnerungsfiguren von Allegorie und correspondance und vollzieht sich in einer an Proust und Benjamins Erzähltheorie anschließenden Poetik des 'gestischen' Schreibens. Benjamins "Passagen-Werk" kann dann gerade in seiner 'Unschreibbarkeit' als Manifest einer offenen, unabschließbaren Erinnerung gelesen werden: Nur in ihrer zerstörerischen Geste entgeht sie dem Vorwurf der Vereinnahmung und vermag zum stummen Eingedenken der schweigenden Opfer der Geschichte zu werden. Dergestalt prägt Benjamins Poetik auch den Diskurs über die (Un-)Möglichkeit der Erinnerung nach dem Zweiten Weltkrieg, wie z.B. noch die gegenwärtige Debatte um das Holocaust-Mahnmal in Berlin.
Häufig gestellte Fragen
Information
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung
- »Wem sich das Leben in Schrift verwandelt hat...« Einleitung in eine Konstellation literarischer Erinnerung
- TEIL I »Die gangbare Form dieses Fortlebens...« Zur Ordnung der Erinnerung
- 1. Kapitel Gedächtnis und Schrift
- 1.1 Die memoria der Tradition: Metaphorologie
- 1.2 Die Tradition der memoria: Medialität
- 1.3 Antike Mnemotechniken
- 1.4 Moderne Modelle
- 1.5 Das Gedächtnis der Texte
- 1.6 Die Gerechtigkeit der Intertextualität
- 2. Kapitel Schreiben und Erinnern
- 2.1 Die Zeitlichkeit des Erinnerns
- 2.2 Narrative Wiederholbarkeit
- 2.3 Rhetorische Zeiten
- 2.4 Ego sum qui memini
- 2.5 Allobiographien
- 3. Kapitel Die graphé der memoria
- 3.1 Die écriture der Erinnerung
- 3.2 Verräumlichung und Temporalisierung
- 3.3 Der Körper der Schrift
- 3.4 Die Geste der Überschreitung
- 3.5 Die zwei Hände der memoria
- 3.6 Die andere Seite der écriture: Graphologie und Kabbala
- 3.7 Zu einem Benjaminschen Schriftbegriff: die graphé
- 4. Kapitel Destruktive Diskurse
- 4.1 Die Topologie der Destruktion
- 4.2 Destructio destructionis
- TEIL II »Ein graphisches Schema meines Lebens...« Die Erinnerung der Literatur
- 5. Kapitel Schreiben im Jetzt: Die Tagebücher
- 5.1 Die memoria im Tagebuch
- 5.2 »Kurven eines Lebens«
- 6. Kapitel Das epische Gedächtnis: Die »Kunst zu erzählen«
- 6.1 Der erzählte Erzähler
- 6.2 Die Stimme des Erzählers
- 6.3 »Dem Staub, dem beweglichen eingezeichnet«
- 7. Kapitel Topographien: Die »Stadt als mnemotechnischer Behelf«
- 7.1 Eine Stadt der Erinnerungen
- 7.2 Die Stadt als Text
- 7.3 Der Text als Stadt
- 8. Kapitel Transgressionen: Rausch und Traum
- 8.1 Die »Kräfte des Rauschs«
- 8.2 »Profane Erleuchtungen«
- 8.3 Halt, stillgeschreibt. »Prosaförmige Produktivität«
- 8.4 Traumkunst
- 8.5 Traumtheorien
- 8.6 Traumerzählungen
- 9. Kapitel Stumme Überlieferung und schweigendes Erinnern: Briefe und Sonette
- 9.1 Denkmäler der Kommunikation
- 9.2 »Lebendige Überlieferung«
- 9.3 Aus dem Gedächtnis in vierzehn Zeilen
- 9.4 Wortlose Lieder
- 10. Kapitel Panorama der Kindheit im Labyrinth der Schrift: Das Projekt Berliner Kindheit
- 10.1 Textgeschichten
- 10.2 Antiautobiographie
- 10.3 Bilder des Erinnerns
- 10.4 Die téchne der Mnemosyne
- 10.5 Sinnbilder
- 10.6 Schriftbilder
- TEIL III »Einschuß einer Vergangenheit in die Textur der Gegenwart...« Eine Poetik des Eingedenkens im Jetzt der Schrift
- 11. Kapitel Die Kunst der ›Geschichte‹
- 11.1 Die Theorie der Historie
- 11.2 Die Geschichten der Kunst
- 11.3 Das Erzählen der Geschichte
- 11.4 Proust als Modell
- 11.5 Baudelaire als Differenz
- 12. Kapitel Allegorie und correspondances
- 12.1 »Die Welt im Stand der Ähnlichkeit«
- 12.2 Das Aufbrechen des Kontinuums
- 12.3 Die Dekonstruktion einer Opposition in der Erinnerung
- 13. Kapitel Schreiben als Erinnern
- 13.1 Die Erinnerung der Sprache
- 13.2 Sprache und Erzählen
- 13.3 Das Medium des Eingedenkens: Der Zwischenraum der graphé
- 13.4 Mnemographie
- TEIL IV »Die Zerstörung als das Klima echter Humanität...« Eine Poetik der Destruktion
- 14. Kapitel Der destruktive Charakter der Erinnerung
- 14.1 Zerstörung als Eröffnung
- 14.2 Die andere Geschichte
- 14.3 Die Kunst der Ent-Setzung
- 14.4 Die allegorische Intention
- 14.5 Die Sprachlosigkeit der Erinnerung
- 15. Kapitel Das Schreiben der Destruktion: Pariser Passagen
- 15.1 Phantasmagorien: Das Projekt der Urgeschichte
- 15.2 Die Absolutheit des Entwurfs: Die ›zwei Hände‹ der Exposés
- 15.3 ›Zeigen statt Sagen‹: Probleme der Formierung
- 15.4 Baudelaire als Charakter: Programm einer destruktiven Literatur
- 15.5 Die Stimme des 19. Jahrhunderts: Über-Schreiben der Geschichte
- 15.6 Das Gegenkonzept Benjamins: Programm einer Archäologie
- 15.7 Die Bibliotheksphantasie: Aufschub des synthetischen Schreibens
- 15.8 Jenseits der Rekonstruktionen: Nichts Geschriebenes bleibt
- »..., die mögen diese Schrift nun rückwärts lesen.« Schlußbetrachtungen und Ausblicke zur destruktiven literarischen Erinnerung nach Walter Benjamin
- Literaturverzeichnis