»Volkhafte Sprachforschung«
Studien zum Umbau der Sprachwissenschaft in Deutschland zwischen 1918 und 1945
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»Volkhafte Sprachforschung«
Studien zum Umbau der Sprachwissenschaft in Deutschland zwischen 1918 und 1945
Über dieses Buch
Die vorliegenden Studien verfolgen den 'semantischen Umbau' der Sprachwissenschaft in Deutschland vom Krisendiskurs der Geisteswissenschaften in der Weimarer Republik bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. Nach 1918 dominiert bei den deutschen Sprachwissenschaftlern eine hoch ambivalente Einstellung: Das stolze Bewußtsein, einer angesehenen und sehr 'deutschen' Wissenschaft anzugehören wechselt mit der Einsicht, daß die überkommenen Themen, Methoden und Begriffe des Faches keine Zukunft haben. Hinter den Formeln von 'Geist', 'Volk' und 'Ganzheit' sammeln sich die deutschen Sprachwissenschaftler, mit dem Ziel, nach dem politischen Machtverlust des Reiches wenigstens die 'geistige' Vorherrschaft Deutschlands wiederherzustellen und den französischen 'Positivismus' auszustechen. Um so größer sind die Erwartungen, welche das krisengebeutelte Fach in den nationalsozialistischen Staat investiert. Bereits in der Weimarer Republik beschleunigt sich jedoch die Engführung von Professionalisierung und Ideologisierung der Sprachwissenschaft. Diese Engführung vollzieht sich im Zeichen des 'Sprachkampfes' und der Sprachrechte der Grenz- und Auslandsdeutschen. So etabliert sich ein widersprüchlicher Komplex von fachlichen Themen und Deutungsmustern, der die deutsche Sprachwissenschaft weit über den Nationalsozialismus hinaus bis in die 1960er Jahre hinein prägt: im Zeichen von 'Muttersprache' und 'Sprachgemeinschaft'.
Häufig gestellte Fragen
Information
Inhaltsverzeichnis
- 0.1 Zur Einführung
- a. Zur Einleitung
- b. Methode und Gegenstand der Untersuchung
- c. Sprachwissenschaft im Nationalsozialismus
- d. Forschungstand
- Teil 1: Die Weimarer Krisenpolyphonie - Versuch, Boden unter die Füße zu bekommen
- 1.1 Der sprachwissenschaftliche „Positivismus“ als Feindbild und die antipositivistischen Fahnenwörter
- a. Definitorisches
- b. Was man von den Verteidigern des „Positivismus“ lernen kann (Nehring, Behaghel)
- c. Programmatische Gegenbegriffe
- 1.2 Sprachwissenschaft als Kultur- und Wesenskunde der Völker
- a. Zur Einführung
- b. Eine Sonde: die semantische Transformation der Vossler-Schule in den 20er Jahren
- c. Der neusprachliche Unterricht an den Gymnasien
- d. Der semantische Übergang zur Gegnerforschung
- 1.3 „Muttersprache“ und „Sprachgemeinschaft“: das neue Bezugssystem
- a. Vorbemerkung
- b. „Muttersprache“ um 1933: die Entfaltung konnotativer Räume
- c. „Zentralknoten“
- 1.4 Sprachkampf, Sprachminderheit, Sprachgeltung, Zweisprachigkeit: das Bezugssystem „Grenz- und Auslandsdeutschtum“
- a. Meillet (1918) und die Folgen
- b. Zweisprachigkeit als Konfliktfeld
- c. Sprachgrenze als Mythos und als Paradigma
- d. Sprachgeltung, Sprach- und Kulturpropaganda im Ausland
- e. Versachlichung und Professionalisierung im Nationalsozialismus
- 1.5 Semantische Variationen zum Thema „Ganzheit“ (Gestalt, Struktur, System)
- a. Zur Einführung
- b. Die Sprachwissenschaft geht „aufs Ganze“
- c. Die Ganzheitslinie knickt ab (1936/37)
- 1.6 Die Sprachphilosophie als Freund und Helfer und als Gefäß für resonante Motive
- a. Die zaghafte Wiederkehr der Sprachphilosophie
- b. Von der „Wirklichkeit des Geistes“ zur Sprach- und Volksgemeinschaft
- 1.7 Substrat und Superstrat oder: die „Urheimat der Indogermanen“
- a. Das zeitbedingte Gewicht der Frage nach der „Urheimat“
- b. Das ursprungsmythologische Reinheitsgebot und seine Folgen
- c. Die Indogermanistik siegt sich zu Tode
- 1.8 Resonanzkrise und Programmbedarf: Der Publikationstyp „Stand und Aufgabe der Sprachwissenschaft“ bis 1933. Oder: Die Sprachwissenschaft auf dem Weg vom krisengeschüttelten Orchideenfach zur „lebendigen Kraft unserer Zeit"
- a. Verunsicherung und „Krise“
- b. Wiederkehrende Motive der Programm- und Krisenschriften
- c. Die Sprachwissenschaft als „lebendige Kraft unserer Zeit“
- d. Schluss
- 1.9 Demonstrativer Konsens und kleinster gemeinsamer Nenner: „Volkhafter Sprachbegriff“ und Geisteswissenschaft im Dienste des kämpfenden Volkes. Implizite Fronten: französische und angelsächsische Sprachwissenschaft als Pfahl im Fleische
- a. „Volk“ als Gegenstand, als generatives Prinzip und Verpflichtung
- b. Die Wahrnehmung der massendemokratischen Transformation als Bedrohung und Herausforderung in der Sprachforschung
- c. Transformation des Wissenschaftsverständnisses
- Teil 2: Nach 1933: Geduldete Mehrstimmigkeit von oben und ungeduldige völkische Radikalisierung von unten
- 2.1 „Mutter Sprache“: Der Streit um Georg Schmidt-Rohr
- a. Vorab
- b. Sprachliche Inklusion
- c. Rezensionen
- d. Nachtrag: Hochsprache und Schrift
- 2.2 Von der „Geistesbildung“ zur „Gesamtkultur“: Programmatische Ausweitung der fachlichen Ansprüche nach 1933
- a. Vorab
- b. Weisgerbers große Absichten „Sprache und Gesamtkultur“; Abspaltung der sprachpolitischen Motive vs. Engfuhrung von politischen Erwartungen und fachlichen Interessen
- c. Ernüchterung
- 2.3 Außenseiter: die „naturwissenschaftliche“ Richtung (ein Exkurs)
- a. Sprechen Sie Schimpansisch?
- b. Ein zukunftsträchtiger Mix: Technologie und Kollusion
- 2.4 Von der Modernisierungsmarke zum diskursiven Entscheidungsfeld: Rassesemantik in der Sprachwissenschaft vor und nach 1933
- a. Geistesgeschichtliche Umkontextualisierungen
- b. Frühstart im Erziehungswesen
- c. Modernisierungsmarke mit doppelter Konnotation: völkisch und naturwissenschaftlich
- d. Ernüchterungsfigur und folgenarme Ersatzbildung für: Stil, Kultur, Persönlichkeit
- e. Vorbehalte bei den (geistesmeritokratischen) Mandarinen
- f. Gleiche Brüder mit ungleichen Kappen
- g. Politische Vorbehalte gegen „Rasse“ bei völkischen Aktivisten
- h. Sprache - Rasse - Kultur: eine ursprungsmythologische Einheit
- i. Die rassische „Artikulationsbasis“ (Kainz, Ginneken, Ammann; auch Zwirner)
- j. Kompromissformeln: „Rasse" im gestuften Volksbegriff
- k. „Rasse“ als diskursives Haifischbecken im Nationalsozialismus-Diskurs nach 1933
- 2.5 Kriegsbedingte Umbauten: Vom „Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften“, einem Anwendungsschub und der verstärkten Mythenproduktion
- a. Die neue Ressourcenkonstellation der Sprachwissenschaft in den ersten Kriegsjahren
- b. Der „Kriegseinsatz“ und die Produktion von Deutschtumsmythen
- c. Die Jahrbücher für deutsche Sprache und ihre Themenverschiebungen
- d. Die Stunde der Unterrichtspraktiker
- 2.6 Exkurs: Von der Erkenntniskrise zur nationalen Gewissheit – Zur Wissenschaftsauffassung der deutschen Sprachwissenschaften gegen Ende der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus
- a. Die Ressource „Wissenschaft" und das Feld, in dem sie sich entfaltet
- b. Noch einmal: Der Krisendiskurs in der Sprachwissenschaft
- c. Von der Kritik des Trügerischen zur Feier des Gemeinschaftlichen: Zum Umbau der Sprachauffassung vor 1933
- d. NS-Wissenschaftsrhetorik im Krieg und Vorkrieg: Radikalisierung der Prämissen
- e. Schluss
- 2.7 Der sprachpolitische Hauptwiderspruch und seine fachlichen Implementierungen: „exklusive“ oder „inklusive“ Sprachgemeinschaft?
- a. Die Herausbildung der neuen sprachpolitischen Konstellation in den 20er Jahren
- b. Die Verschiebung des sprachpolitischen Bezugssystems nach 1933
- c. Fazit
- 2.8 Mundartforschung/Dialektologie: eine „semantische Rutschbahn“ zwischen Spezialwissenschaft und Tagespolitik
- a. Die Dialektologie: ein sprachwissenschaftliches Zentralgebiet
- b. Die Fraktionen und Gruppierungen des Mundartendiskurses
- c. Der Disput um die dialektologischen Leitbegriffe
- d. Resonanz und Trägerschicht
- e. Sprachinselforschung
- f. Landnahme- und Raumforschung
- g. Fazit
- Primärquellen
- Sekundärliteratur
- Namenregister (Primärquellen)