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Über dieses Buch
Die Melancholie hat in nahezu allen Epochen der europäischen Kulturgeschichte ein besonderes Interesse erfahren - unabhängig davon, ob sie als psychophysische Erkrankung, als dauerhafte Charakteranlage oder als transitorische Seelenstimmung betrachtet wurde.
Auch Goethe setzt sich in seinem literarischen Werk intensiv mit den unterschiedlichen Erscheinungsformen der Melancholie auseinander. Bemerkenswert ist dabei vor allem, wie konsequent er auf antike, mittelalterliche und zeitgenössische Melancholiekonzepte zurückgreift, wie exakt er die Protagonisten seiner Dichtungen nach diesen Mustern modelliert und wie umfassend er über die Möglichkeiten einer "melancholiefreien" Existenz nachdenkt.
Die vorliegende Studie untersucht Goethes Romane von den »Leiden des jungen Werther« über »Wilhelm Meisters Lehrjahre« bis zu den »Wahlverwandtschaften«; das Singspiel »Lila« sowie die Dramen »Torquato Tasso« und »Faust« vervollständigen das Spektrum. Alle Dichtungen werden im Horizont ihrer jeweils spezifischen Melancholie-Thematik analysiert und einer ebenso differenzierten wie weitausgreifenden Gesamtinterpretation unterzogen. Goethes literarisches Schaffen rückt erstmals in einen psychologischen, philosophischen und medizinischen Problemzusammenhang, der für das späte 18. und frühe 19. Jahrhundert von fundamentaler Bedeutung ist.
Häufig gestellte Fragen
Information
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung
- 1. Melancholie und Melancholiker im Werk Goethes
- 2. Goethe als Melancholiker
- 3. Melancholie als Zeiterscheinung des ausgehenden 18. Jahrhunderts
- 4. Goethe und die Melancholie im Fokus der Literaturwissenschaft
- II. Europäische Melancholietraditionen und ihre Rezeption im Werk Goethes
- 1. Die Entfaltung der Vier-Säfte-Lehre im ›Corpus Hippocraticum‹
- 2. Die Einheit von Melancholie und Genie in den pseudoaristotelischen ›Problemata‹
- 3. Die Melancholie im medizinischen Diskurs der römischen Kaiserzeit
- 4. Die Lehre von den vier Temperamenten
- 5. Die Wiederbelebung der pseudoaristotelischen Melancholieauffassung in der italienischen Renaissance
- 6. Melancholie als Seelenstimmung
- 7. Empfindsamer Melancholiekult in England und Deutschland
- 8. Medizinische Neuansätze in der Psychopathologie des 18. Jahrhunderts
- 9. Antimelancholische Behandlungsmethoden der Goethezeit
- 10. Der Melancholiebegriff in Zedlers Lexikon und Adelungs Wörterbuch
- III. Melancholie als ›Krankheit zum Tode‹ – ›Die Leiden des jungen Werther‹
- 1. Werthers Leiden im Spiegel der Forschung
- 2. Werthers melancholische Veranlagung
- 3. Werthers melancholische Erkrankung
- 4. Tödliche Melancholie – Werthers Selbstmord
- 5. Scheiternde Therapieversuche
- 6. Empfindsame Melancholie
- IV. Die Geburt der Dichtung aus dem Geist der Melancholie – ›Torquato Tasso‹
- 1. Tasso – ein ›gesteigerter Werther‹
- 2. Die Forschungsdebatte zu Goethes ›Torquato Tasso‹
- 3. Die historische Tasso-Gestalt und ihre Bedeutung für Goethes Drama
- 4. Tassos melancholischer Charakter
- 5. Tassos Melancholie – heilbar oder unheilbar?
- 6. Melancholie und Utopie – Tassos Künstlertum
- V. Die Überwindung der Melancholie im Therapiespiel – ›Lila‹
- 1. Goethes ›Lila‹ im Kontext der zeitgenössischen Melancholie-Debatte
- 2. Die drei Fassungen der ›Lila‹ und ihr biographischer Hintergrund
- 3. Lilas Melancholie – Pathogenese und Therapie
- VI. Panoptikum der Melancholie – ›Wilhelm Meisters Lehrjahre‹
- 1. Die Forschungsdiskussion zu ›Wilhelm Meisters Lehrjahren‹
- 2. Frühe Melancholie – Wilhelms Kindheit und Jugend
- 2.1. Eskapistischer Rückzug in fiktive Sonderwelten
- 2.2. Die Katastrophe der ersten Liebesbeziehung
- 3. Wilhelms Melancholie in leitmotivischer Spiegelung – das Bild vom kranken Königssohn
- 4. Emphatische Identifikation und kritische Distanzierung – Wilhelm und Hamlet
- 5. Strategien der Melancholieabwehr
- 5.1. Kontinuierliche und planmäßige Tätigkeit
- 5.2. Verzicht auf weitabgewandte Introspektion
- 5.3. Selbstrelativierung und Selbstbeschränkung
- 6. Aurelie als Melancholikerin
- 6.1. Psychosoziale Frustration und melancholische Erkrankung
- 6.2. Aurelie als Parallel- und Kontrastfigur zu Wilhelm
- 7. Melancholie und Wahnsinn – der Harfner
- 7.1. Künstlertum und Einsamkeit
- 7.2. Schuldverstrickung und pathologische Wahnbildung
- 7.3. Die psychotherapeutische Behandlung des Harfners nach den Grundsätzen des ›moral management‹
- 7.4. Die Vorgeschichte des Harfners und ihre Spiegelfunktion für Wilhelms Entwicklung
- 8. Die Ambivalenz des Schlußbildes
- VII. Trauma und Tod – Melancholie in den ›Wahlverwandtschaften‹
- 1. Die Forschungskontroverse zu den ›Wahlverwandtschaften‹
- 2. Müßiggang, Sinnverlust, Langeweile – die Koordinaten der Ausgangssituation
- 3. Melancholieprophylaxe durch Tätigkeit und Selbstdisziplinierung – der Hauptmann
- 3.1. Der Hauptmann als Therapeut
- 3.2. Die Fernwirkungen eines Jugendtraumas
- 4. Versäumtes Leben, verdrängter Tod - Charlotte als Melancholikerin
- 4.1. Das Trauma der ersten Ehe
- 4.2. Die Illusionen der zweiten Ehe
- 4.3. Ästhetische Entmachtung des Todes
- 5. Pathologie der Leidenschaft – Eduards Liebesmelancholie
- 5.1. Egoismus und Dilettantismus
- 5.2. Verzweifelte Leidenschaft – zerstörerische Melancholie
- 6. Ottilie als Melancholikerin – »eine gar anmutige Penserosa«
- 6.1. Ottilie als soziale Außenseiterin
- 6.2. Antimelancholische Therapeutika
- 6.3. Todessehnsucht und Selbstnegation
- 6.4. Ottilie und Mignon – zwei Schwestern im Zeichen der Melancholie
- VIII. Melancholie als Gelehrtenkrankheit – ›Faust. Der Tragödie erster Teil‹
- 1. Faust als Melancholiker – Positionen der Forschung
- 2. Pathographie der Gelehrtenexistenz – Fausts Auftrittsmonolog
- 2.1. Fausts Absage an die Wissenschaften
- 2.2. Euphorie und Depression
- 3. Therapeutisches Zwischenspiel – der Ostermorgen
- 4. Melancholischer Nihilismus – Fausts Pakt mit Mephisto
- 4.1. Vergebliche Bibellektüre – die erste Studierzimmer-Szene
- 4.2. Höhepunkt der Melancholie – die zweite Studierzimmer-Szene
- IX. Literaturverzeichnis
- 1. Goethe-Ausgaben
- 2. Primärtexte, Quellen und Dokumente
- 3. Forschungsliteratur