Informationelle Kompetenz
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Informationelle Kompetenz

Ein humanistischer Entwurf

  1. 302 Seiten
  2. German
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Informationelle Kompetenz

Ein humanistischer Entwurf

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Über dieses Buch

Diskussionen um Datennetze und Informationstechnik drehen sich häufig um kompetentes Handeln. In der Publikation werden Voraussetzungen eines autonomen informationellen Handelns gezeigt: Abstrahieren, Analogien bilden, Plausibilitäten beachten, Schlussfolgern und kreativ sein. Informationelle Kompetenz ist gelebte Informationelle Autonomie. Es lassen sich Konsequenzen für ein zukünftiges Menschenbild in informationstechnischen Umgebungen ziehen.

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Information

1Informationstechnik und Menschenbild

If a machine is expected tobe infallible, it cannot also be intelligent.
Alan M. Turing2

1.1Informationelle Autonomie in Gefahr

Seit mehreren Jahrzehnten werden wir regelmäßig mit Charakterisierungen für die Gesellschaftsform eines neuen Zeitalters konfrontiert, das als Ergebnis von Innovationen in der Informationstechnik vermeintlich angebrochen ist. Typische Etikettierungen dafür sind Informationsgesellschaft, Wissensgesellschaft oder sogar die Google-Gesellschaft. Ein Telekommunikationskonzern bringt es so auf den Punkt:
Wir treiben die Entwicklung zur Gigabit-Gesellschaft voran. Weil wir glauben, dass die Digitalisierung unser Leben positiv verändern wird.3
Jede dieser angeblich neuen Gesellschaftsformen enthält auch Verheißungen für den Menschen. Fortschritte im Bildungsbereich, im Arbeitsleben und für die Freizeit werden prognostiziert. Ein dabei immer mit gedachter Trend zum ,schlauer werden‘ wird nur zu gern billigend in Kauf genommen.
Bevor jedoch recht klar wird, welche konkreten Konsequenzen sich für den einzelnen Menschen ergeben werden – Anmutungen und Anforderungen erschließen sich eher indirekt –, wird das eine Modell schon durch das nächste abgelöst. Ein halbwegs stabiles Bild vom mündigen Menschen in der informationstechnisch geprägten Zivilgesellschaft hat sich trotz breit gefächerter Diskussionen nicht entwickelt. Die Vorstellungen von der zukünftigen Entwicklung des Menschen wechseln wie Modeerscheinungen. Gemeinsam ist den Modellen bislang noch die Fokussierung auf den Menschen als Individuum und damit die Überzeugung, dass die Strukturen der Gesellschaft durch handelnde Subjekte gestaltet werden. Die Veränderungen sollen Erleichterungen und Verbesserungen bringen, neue Menschenbilder positive Einflüsse haben.
Das könnte sich jedoch ändern. Das nächste Zeitalter könnte mit grundsätzlichen Umkehrungen traditioneller Vorstellungen verbunden sein, denn Modeströmungen (Pseudo-Philosophien?) wie Dataismus oder Transhumanismus betrachten den Menschen eher als funktionalisiertes Objekt denn als gestaltendes Subjekt. Seine Legitimation erhält der Mensch hier nur noch aus seinen Beiträgen für den Datenstrom des universellen Netzwerks und deren Auswertung zur Ableitung von Verhaltensregeln. Erstaunlich ist dabei nicht, dass solche Ideen entwickelt und verbreitet werden, erstaunlich ist eher die Resonanz, die diese als gleichsam unausweichliche Folge eines informationstechnischen Geschehens wertet. In dem als Kultbuch eines neuen Zeitalters angepriesenen Buch Homo Deus entwirft Yuval Noah Harari die wenig freundliche Zukunftsvision unter den Bedingungen der Datenreligion:
Der Dataismus ist weder liberal noch humanistisch. Er ist deshalb freilich keineswegs antihumanistisch. Er hat nichts gegen menschliche Erfahrungen. Er glaubt nur nicht, dass sie für sich genommen einen Wert haben.4
Dem Dataismus zufolge besteht das Universum aus Datenströmen, und der Wert jedes Phänomens oder jedes Wesens bemisst sich nach seinem bzw. ihrem Beitrag zur Datenverarbeitung.5
Der Dataismus ist die erste Bewegung seit 1789, die einen wirklichen neuen Wert geschaffen hat: die Freiheit der Information. Diese Informationsfreiheit dürfen wir nicht mit dem alten liberalen Ideal der Meinungsfreiheit verwechseln. Meinungsfreiheit wurde den Menschen gewährt und schützte ihr Recht, zu denken und zu sagen, was sie wollten – dazu gehörte auch das Recht, nichts zu sagen und seine Gedanken für sich zu behalten. Informationsfreiheit dagegen wird nicht Menschen gewährt, sondern der Information.6
Unabhängig davon, wie viel Bedeutung oder realistische Zukunftsprognose man diesen Ansichten beimisst, eine Auseinandersetzung damit scheint geboten. In der Bewertung sind sich Für- und Widersprecher grundsätzlich uneinig. Die Polarisierung ist dabei angesichts der wenig greifbaren Substanz der Vision sehr ausgeprägt. Die Fürsprecher sehen in ihr den endgültigen Sieg der Demokratie. Da im Datenstrom alles und jeder transparent wird, wird angeblich allen Übeln unserer Zeit die Geschäftsgrundlage entzogen. Die Vision wird zur Heilsbotschaft. Die Widersprecher sehen mit solchen Vorstellungen eher den Beginn eines neuen Totalitarismus beschrieben, in dem es keine Freiheitsrechte eines handelnden Subjekts mehr gibt, sondern nur funktionalisierende Unterwerfung unter Massengeschmack und intransparente Algorithmen.7
In seinem Buch Leben 3.0 beschäftigt sich Max Tegmark mit künftigen Lebensbedingungen unter den Einflüssen der Künstlichen Intelligenz. Er glaubt, dass Künstliche Intelligenz in der Lage ist (oder sein wird), Entscheidungen auf rationaler Basis unter Beachtung moralischer Bewertungen vorzunehmen. Damit gäbe es für den Menschen zum ersten Mal eine Konkurrenz auf einem Gebiet, für das er bislang das Monopol beanspruchte. Für diese Welt unter den Bedingungen der Künstlichen Intelligenz entwirft Tegmark verschiedene Szenarien:
Eroberer:
Künstliche Intelligenz übernimmt die Macht und entledigt sich der Menschheit mit Methoden, die wir noch nicht einmal verstehen.
Der versklavte Gott:
Die Menschen bemächtigen sich einer superintelligenten künstlichen Intelligenz und nutzen sie, um Hochtechnologien herzustellen.
Umkehr:
Der technologische Fortschritt wird radikal unterbunden und wir kehren zu einer prätechnologischen Gesellschaft im Stil der Amish zurück.
Selbstzerstörung:
Superintelligenz wird nicht erreicht, weil sich die Menschheit vorher nuklear oder anders selbst vernichtet.
Egalitäres Utopia:
Es gibt weder Superintelligenz noch Besitz, Menschen und kybernetische Organismen existieren friedlich nebeneinander.8
Bei Tegmark fehlt ein Szenario, in dem eine Gruppe von Menschen den Verlockungen erliegt und sich aus Bequemlichkeit in eine selbst erzeugte Informationelle Abhängigkeit begibt und eine andere Gruppe dieses Verhalten im Rahmen totalitärer Strukturen zu ihrem Nutzen funktionalisiert. Dieses Szenario einer neuen Elitenbildung wird von Harari berücksichtigt:
Die dritte Bedrohung für den Liberalismus besteht darin, dass einige Menschen sowohl unentbehrlich als auch unentschlüsselbar bleiben, aber sie werden eine kleine und privilegierte Elite optimierter Menschen bilden. Diese Übermenschen werden über unerhörte Fähigkeiten und beispiellose Kreativität verfügen, was sie in die Lage versetzen wird, viele der wichtigsten Entscheidungen auf der Welt zu treffen. […] Die meisten Menschen jedoch werden eine solche ,Aufwertung‘ nicht erleben und folglich zu einer niederen Kaste werden, die von den Computeralgorithmen ebenso beherrscht wird wie von den neuen Übermenschen.9
Auch wenn man die Ansichten von Harari und Tegmark nicht teilt, sie möglicherweise sogar für überspannte Gedanken Technologie getriebener Fantasten hält, muss man doch zur Kenntnis nehmen, dass es viele solcher und ähnlicher Darstellungen gibt. Prognosen über die zu erwartenden Veränderungen durch die Informationstechnologie haben Konjunktur. Dabei kommt es häufig zu einer Art von gedanklichem Kurzschluss zwischen vier Konzepten:
Information – Informationstechnik – Fortschritt – Zukunft
Das erinnert fatal an den Streit der zwei Wissenschaftskulturen bei C. P. Snow – die Naturwissenschaften auf der einen, die Literatur- und Geisteswissenschaften auf der anderen Seite –, dessen Essay Die zwei Kulturen in dem berühmt gewordenen Satz kulminiert: „Die Naturwissenschaftler haben die Zukunft im Blut.“10
Die Gestaltung der Zukunft erfordert Ideen. Solche Ideen wurden zur Entstehungszeit des Essays (basierend auf einem Vortrag von 1959) durch die Naturwissenschaften stärker eingebracht als durch andere Disziplinen. Das kann sich wieder ändern. Entscheidend ist, ob und welche Ideen zur Lösung von Zukunftsproblemen vorhanden sind. Damit diese entwickelt werden können, darf die Fähigkeit nicht verloren gehen, zwischen zu lösenden Zukunftsproblemen und weniger wichtigen Problemstellungen zu unterscheiden.
Heute scheint allein die Erwähnung eines bildungsbezogenen Informationsverständnisses schon auszureichen, um als Bewahrer oder Bedenkenträger und nicht als Fortschrittsgestalter gesehen zu werden. Wer möchte sich schon in der Rolle einer Zukunftsbremse sehen, wenn doch nahezu überall die Begriffe Zukunft und Informationstechnik gleichsam synonym verwendet werden? Dann orientiert man sein Verständnis doch lieber an einem Konzept, das man vielleicht gar nicht versteht, das einem aber die Teilhabe an der Zukunft verspricht. Vor allem in einer Zeit, in der sich Zukunft mehr und mehr über den Faktor Renditeerwartung definiert.
Da Informationstechnologie durch den Einsatz Computer basierter Vorgehensweisen ermöglicht wird, kommt diesem Werkzeug eine fast mythische Bedeutung zu. Die Computermetapher wird zum Ausdruck von IT-Gläubigkeit. Ist dies ausreichend für die Gestaltung der Zukunft? Eher nicht. Betrachtet man Zukunftsgestaltung als menschliche Aufgabe, so ist es kaum angebracht, die kognitiven Informationsprozesse als Bedingungen des Denkens und Handelns einem Leitbild technischer Informationsverarbeitung zu unterwerfen.
Vielfach wird ein Vokabular verwendet, das die Position des Menschlichen entweder als bedrohlich oder verheißungsvoll relativiert. Es ist dabei etwa die Rede von der Mensch-Maschine-Konvergenz, vom Gefühlscomputing als Befreiungstechnologie oder von einem ,affective computing‘ ohne Empathie.11 In der Regel wird zum Ausdruck gebracht, dass der Mensch durch die fortschreitende Entwicklung der Informationstechnologie sein vormaliges Alleinstellungsmerkmal zum Erbringen höherwertiger kognitiver Leistungen verlieren wird oder bereits verloren hat. Das Spektrum der dabei berücksichtigten Leistungen beschränkt sich nicht mehr nur auf die rationale Intelligenz, sondern umfasst inzwischen auch die Gefühlsebene und das Bewusstsein bis hin zur Seele. Es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, bis das derzeit für den Menschen noch respektierte Alleinstellungsmerkmal der Einheit von Rationalität, Gefühl und Bewusstsein vollständig aufgegeben und durch die einzelnen Bestandteile ersetzt oder als Merkmal auch Maschinen zugeschrieben wird.
Besonders bedenklich ist es, wenn die maschinellen Beschreibungsmerkmale als Computermetapher verwendet und zur Charakterisierung menschlicher kognitiver Leistungsfähigkeit genutzt werden. Insbesondere im Kontext des KI-Gedankens einer Nachbildung der Funktionen des menschlichen Gehirns werden kognitive Vorgänge auf der Basis eines Modells mit funktionaler Trennung in Hard- und Software beschrieben.12 Diese Vorstellung wird durch die aktuelle Hirnforschung nicht gestützt. Thomas Metzinger hält fest:
Die Computermetapher des menschlichen Geistes ist tot. Die Idee, dass Geist und Gehirn sich wie Software und Hardware zueinander verhalten und als zwei Ebenen klar voneinander getrennt werden können, vertritt in der Kognitionswissenschaft niemand mehr.13
Katrin Amunts (Hirnforscherin und Chair of the Science and Infrastructure Board of the Human Brain Project) sagt zur gleichen Frage in einem Interview vom 18.02.2017:
Welty: Der Vergleich drängt sich ja auf: Gehirn und Computer, das sind die Hardware, aber was genau macht die Software des Menschen aus? Ist das so etwas wie Intelligenz, Geist, Bewusstsein?
Amunts: Also diese Vergleiche zwischen dem Computer und dem Gehirn, die scheinen natürlich erst mal ganz toll und sehr naheliegend zu sein, aber das sind schon zwei völlig unterschiedliche Dinge. Ein Computer ist dafür gemacht, dass er etwas berechnet, basierend eben auf mathematischen Modellen, basierend auf bestimmten Algorithmen. Das Gehirn, das ist ein Teil von uns, von uns Menschen, und wir sind ja nicht nur das Gehirn. Wir haben ja noch eine gewisse Peripherie: Wir haben Arme, Beine, Organe – all das macht uns ja als Persönlichkeit aus, und das Organ Gehirn ist darin eingebettet und hat sich über eine ganz lange Evolution entwickelt mit ganz vielen vielleicht auch Irrwegen, nicht immer geradeaus, und das ist also etwas, was keine Maschine ist, ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Dedication
  5. Vorwort
  6. Inhaltsverzeichnis
  7. Abbildungsverzeichnis
  8. Tabellenverzeichnis
  9. 1 Informationstechnik und Menschenbild
  10. 2 Bausteine kognitiver Informations- und Wissensverarbeitung
  11. 3 Externalisierung und Rezeption von Information
  12. 4 Elemente Informationeller Kompetenz
  13. 5 Informationelle Kompetenz in Aktion
  14. 6 Informationelle Kompetenz: Gelebte Informationelle Autonomie
  15. 7 Gefahren für die Informationelle Autonomie
  16. 8 Schluss
  17. Glossar
  18. Literaturverzeichnis
  19. Sach- und Personenregister