Mythisches Erzählen bei Hermann Hesse und Thomas Mann
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Mythisches Erzählen bei Hermann Hesse und Thomas Mann

Literarische und philosophische Analysen zu Mythos und Rationalität

  1. 471 Seiten
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Mythisches Erzählen bei Hermann Hesse und Thomas Mann

Literarische und philosophische Analysen zu Mythos und Rationalität

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Über dieses Buch

Die Studie befasst sich mit der Verhältnisbestimmung von Mythos und Rationalität im modernen philosophischen und literarischen Diskurs. Ausgehend von einer Analyse der philosophischen Auseinandersetzung mit dem Phänomen Mythos um den Beginn des 20. Jahrhunderts werden zunächst Hermann Hesses und Thomas Manns jeweiliger Mythosbegriff untersucht, um im Anschluss daran ihr literarisches Mythenerzählen anhand von ausgewählten Romanen und Erzählungen zu beleuchten.
Obwohl Hesse und Mann beide in der Verbindung von Mythos und Psychologie einen humanistischen Zugang zum Mythos sehen, unterscheiden sich ihre Strategien zum Umgang mit mythischem Erzählen grundlegend. Während man Hermann Hesses Ansatz mit dem Schlagwort 'Mythos als Psychologie' umschreiben könnte, hat Thomas Mann für sein eigenes Mythenerzählen selbst die Formel 'Mythos plus Psychologie' geprägt. So sieht Mann in Mythen einen Ausdruck des Irrationalen, der durch psychologische Durchleuchtung und Ironisierung erst "ins Humane umfunktioniert" werden muss, um sich der politischen Instrumentalisierung entziehen zu können. Hermann Hesse dagegen schließt sich an C. G. Jung an und interpretiert Mythen als Verbildlichung psychischer Prozesse und transrationaler Erfahrung, en die bereits inhärent humanistisch sind.

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Information

Jahr
2019
ISBN
9783110657142
Auflage
1

1„Im Anfang war der Mythos“: Mythos und Moderne

1.1Mythos und Rationalität in der Moderne

In Zeiten wie der heutigen zeigt sich sowohl den überkommenen religiösen Bekenntnissen wie auch der Gelehrten-Philosophie gegenüber eine allgemeine Ungeduld und Enttäuschung; die Nachfrage nach neuen Formulierungen, neuer Sinngebung, neuen Symbolen, neuen Begründungen ist unendlich groß. In diesem Zeichen steht das Geistesleben unserer Zeit:
Schwächung der überkommenen Systeme, wildes Suchen nach neuen Deutungen des Menschenlebens, Aufblühen zahlloser gutbesuchter Sekten, Propheten, Gemeinschaftsgründer, feistes Gedeihen des tollsten Aberglaubens.“1
Hermann Hesse
Unsere höhere Literatur kommt mir vor wie ein hastiges Resümieren und parodierendes Rekapitulieren des abendländischen Mythos, rasch noch vor Einbruch der Nacht.2
Man muss dem intellektuellen Faszismus den Mythos wegnehmen und ihn ins Humane umfunktionieren. Ich tue längst nichts anderes mehr.3
Thomas Mann
In Bezug auf die Rolle des Mythos in der Moderne legen die beiden hier zitierten Aussagen Hermann Hesses und Thomas Manns zweierlei nahe: Erstens charakterisieren sie die Moderne als Epoche, in der eine irrationale ‚Mythos-Mode‘ in all ihren geistigen, gesellschaftlichen und politischen Ausformungen Hochkonjunktur hat. Zweitens grenzen sich beide von dieser Zeitströmung ab, ohne deshalb jedoch das Erzählen von Mythen aus ihrem literarischen Schaffen zu verbannen. Im Gegenteil: Beide Autoren setzten mythisches Erzählen auf ganz unterschiedliche Art und Weise als humanistische ‚Gegenwehr‘ ein, die sich gegen die politische Instrumentalisierung von Mythen und eine geistesgeschichtliche Strömung des Irrationalismus wendet.
Die Tendenz zur „Remythologisierung“4 kann für die literarische Moderne allgemein als konstitutiv betrachtet werden: Im Sinne der ‚Dialektik der Aufklärung‘ gewinnt mythisches Erzählen in der Moderne trotz – oder gerade wegen – der aufklärerisch-rationalistischen Abkehr vom Mythos eine neue Aktualität. Das Spiel mit Formen des mythischen Erzählens erscheint zu Beginn des 20. Jahrhunderts geradezu als Modeerscheinung in Literatur und Philosophie, die im Kontrast zu der von Max Weber postulierten ‚Entzauberung der Welt‘ zu stehen scheint. Das belegt nicht nur die Fülle literarischer Neubearbeitungen mythischer Stoffe und Topoi (beispielsweise bei Hugo von Hofmannsthal, Rainer Maria Rilke, Alfred Döblin, James Joyce oder André Gide), sondern auch die Beschäftigung einer Vielzahl von Disziplinen mit dem Phänomen Mythos im 20. Jahrhundert – angefangen von der Philosophie und der Psychoanalyse über die klassische Philologie bis hin zur Ethnologie und Anthropologie. Nicht zuletzt ist auch die politische „parareligiöse fiebrige Aktualität“ des Mythischen „mit ihren faschistischen Obertönen“5 zu Beginn des Jahrhunderts ein Produkt der modernen ‚Mythos-Mode‘. Die Relevanz des Mythos als Bewältigungsform existentieller Unsicherheit wird angesichts der sich rasant steigernden Komplexität der Wirklichkeit gerade in der Moderne besonders virulent.6 Der exponentielle technische Fortschritt in Verbindung mit politischen Umwälzungen und der fortschreitenden Säkularisierung lässt eine Verunsicherung entstehen, die sich aus dem Rückgriff auf den Mythos eine ‚neue Sinngebung‘ verspricht, wie Hermann Hesse es formuliert. In einem Brief von 1927 beklagt er, dass die moderne Lebenswelt „unendlich rasch häßlich geworden“ sei und er glaube, dass „noch nicht oft innerhalb von 30 bis 40 Jahren das ganze Gesicht der Erde und Menschheit sich so verändert“7 habe.
Die neuerliche Auseinandersetzung mit Mythen in der Moderne lässt sich aber nicht nur auf den Versuch reduzieren, auf Altvertrautes zur Absicherung gegen eine immer komplexer werdende Welt zurückzugreifen, sondern sie ist vor allem auch eine Auseinandersetzung mit den Grenzen der neuzeitlichen Rationalität. Im modernen Diskurs über den Mythos ist ein Überdruss am Vernunftbegriff der Aufklärung spürbar, dessen Wahrheitsanspruch nun zu absolut erscheint. Das Interesse am Mythos als „Gegenpol des Intellektualismus“8 dominiert die Literatur, Philosophie und Politik zu Beginn des 20. Jahrhunderts: seien es die Lebensphilosophie in der Nachfolge Nietzsches, die euphorische Bachofen-Rezeption der zwanziger Jahre, die Dämonisierung des städtischen Lebens mithilfe von mythischer Metaphorik in der expressionistischen Lyrik oder die Atlantis-Spekulationen eines Alfred Rosenberg. Mythen und mythisches Erzählen kommen immer dann zum Einsatz, wenn rationales Denken an seine Grenzen stößt oder seine Erklärungshoheit eingebüßt hat. Während die wissenschaftliche Erforschung des Phänomens Mythos noch im 19. Jahrhundert vor allem an der Rolle von Mythen als einer Art historisch überholtem „primitive[m] Gegenstück zur Wissenschaft“9 interessiert scheint, rückt im 20. Jahrhundert die Andersartigkeit des ‚mythischen Denkens‘ im Vergleich mit rationaler Erkenntnis in den Vordergrund. Der Mythos erscheint als „Gegenmodell“, das dazu dienen kann, „nach den Defiziten [der] eigenen Rationalität“10 zu fragen. Gleichzeitig lädt die Beschäftigung mit ‚mythischem Denken‘ aber auch dazu ein, „Kritik und Verstand für minderwertig zu halten und abzulehnen, und dafür das Herz und die Begeisterung zu preisen“11, wie Hermann Hesse diagnostiziert. Sowohl im philosophischen wie im politischen Bereich macht sich in der Moderne eine irrationalistische Strömung bemerkbar, die mythische Versatzstücke heranzieht, um das durch die Säkularisierung neu entstandene metaphysische Bedürfnis zu stillen. So werden beispielsweise die Nationalidee oder die nationalsozialistische Rassen-Ideologie „mit religiösen, heilsversprechenden Attributen versehen“ und germanische Mythen werden dazu herangezogen, die „kulturelle und rassische Überlegenheit“12 eines Volkes zu behaupten. Diese politische Instrumentalisierung von Mythen und der hohe Stellenwert, den ‚mythisches Denken‘ als Sehnsuchtsmotiv einer gegen die neuzeitliche Rationalität gerichteten Philosophie einnimmt, veranlasst Thomas Mann dazu, die Moderne als Epoche zu charakterisieren, die von einer „Reformation des Mythos und des erneuten Kultus des Unteren“13 geprägt sei.
Die Aktualität des Mythos in der Moderne, die in den beiden eingangs zitierten Aussagen Hermann Hesses und Thomas Manns in ihrer ganzen Spannweite anklingt – von den Auswüchsen des ‚tollsten Aberglaubens‘ bis hin zur vielzitierten ‚Humanisierung‘ des Mythos als Gegengift zu seiner faschistischen Vereinnahmung –, bildet den Ausgangspunkt der vorliegenden Studie. Dabei soll in einem Dialog zwischen dem philosophischen und dem literarischen Mythosdiskurs zum einen gezeigt werden, dass die Beschäftigung mit dem Mythos in der Moderne dazu dient, sich mit den Grenzen der Rationalität auseinanderzusetzen. Zum anderen soll nachgewiesen werden, dass die Bewertung des Verhältnisses von Mythos und Rationalität maßgeblich dazu beiträgt, eine Verschiebung in der Funktionalisierung mythischen Erzählens zu bewirken. Während in der Literatur um die Jahrhundertwende die Behandlung mythischer Stoffe im Zeichen ihrer „Ästhetisierung“14 steht, gewinnt mythisches Erzählen bei Hermann Hesse und Thomas Mann im Lichte der politischen Instrumentalisierung des Mythos einen normativen Charakter. In ihrer Auseinandersetzung mit philosophischen Mythostheorien entwickeln beide Autoren ein jeweils eigenes Konzept zum Verhältnis zwischen mythischem Erzählen und rationaler Erkenntnis, was sich auch in ihrem literarischen Schaffen niederschlägt. Ausgehend von einer Analyse des philosophischen Mythosdiskurses in der Moderne lässt sich die Genese dieser Mythos-Konzepte rekonstruieren und ihre Relevanz für die Funktion mythischen Erzählens in den Romanen und Erzählungen Hesses und Manns nachzeichnen.

1.2Stand der Forschung

Die Forschungslage zum Verhältnis von Mythos und Rationalität in der Moderne ist ambivalent: Zwar befassen sich einerseits zahlreiche Studien im Allgemeinen mit der Stellung mythischen Erzählens in der modernen Literatur, allerdings gibt es andererseits kaum Arbeiten, die sich auf das Verhältnis von mythischem Erzählen und rationaler Erkenntnis im Speziellen beziehen. So finden sich neben den Bemühungen, eine interdisziplinär gültige Definition ‚des Mythos’ zu liefern15, eine Vielzahl von literaturwissenschaftlichen Untersuchungen, die die Stellung mythischen Erzählens in der modernen Literatur allgemein verorten16. Der Einbezug des philosophischen Diskurses ermöglicht im Vergleich zu rein literaturwissenschaftlich angelegten Untersuchungen dagegen einen tieferen Blick in den geistesgeschichtlichen Hintergrund der Mythos-Debatte. Die Kategorisierung der philosophischen Ansätze hinsichtlich ihrer Bewertung des Verhältnisses von Mythos und Rationalität stellt für die literaturwissenschaftliche Untersuchung ein Instrumentarium bereit, mit dessen Hilfe sich präzise nachvollziehen lässt, wie diese Bewertung auch den literarischen Einsatz von Mythen beeinflusst. Anhand einer Analyse der im Rahmen dieser Studie ausgewählten Romane von Thomas Mann und Hermann Hesse lassen sich zwei exemplarische Reaktionen auf den philosophischen Mythosdiskurs nachvollziehen, die für einen modernen ‚Umgang‘ mit dem Mythos charakteristisch sind.
Wirft man einen Blick auf den Stand der Forschung zum Verhältnis Thomas Manns und Hermann Hesses zum Mythos, so bietet sich allerdings auch hier ein zweigeteiltes Bild: Während Thomas Manns Verhältnis zu Mythos und mythischem Erzählen in zahlreichen Einzelstudien erforscht worden ist17, beschäftigen sich nur einige wenige Arbeiten übergreifend mit der Rolle des Mythos im Werk Hermann Hesses18. Seine Auseinandersetzung mit dem Mythos ist kaum systematisch erfasst, was gerade im Vergleich zur hochgradig ausdifferenzierten Thomas-Mann-Forschung besonders deutlich wird. Dieser Befund kann kaum überraschen – ist doch die Thomas-Mann-Forschung im Allgemeinen weitaus breiter aufgestellt als die Hermann-Hesse-Forschung: Die Abwertung Hesses in der deutschen Germanistik setzt bereits in den fünfziger Jahren ein, als der vielzitierte Spiegel-Artikel Im Gemüsegarten19 erscheint, der ein verzerrtes Bild von Hesse als blumenaufbindendem Greis malt, der „Gegenstand [eines] Kults“20 geworden sei, indem er in seinen Werken „seine Leser unentwegt gleichsam die Pubertätszeit repetieren“21 lasse. Bis heute halten sich Vorurteile dieser Art – von wenigen Ausnahmen abgesehen – bis in den Wissenschaftsdiskurs hinein.22 Einen Beitrag zur ernsthaften Auseinandersetzung mit der Stellung von Hesses Werk in der Moderne zu leisten, ist vor diesem Hintergrund auch ein Anliegen dieser Arbeit.
Die Funktion des mythischen Erzählens in Hermann Hesses Romanen zu erforschen, hat Theodore Ziolkowski in seiner kurzen Abhandlung zu Mythos und Logos bei Hesse und seinen Kritikern ber...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Widmung
  5. Danksagung
  6. Inhalt
  7. Abkürzungsverzeichnis
  8. 1 „Im Anfang war der Mythos“: Mythos und Moderne
  9. 2 Der Mythosdiskurs in der modernen Philosophie
  10. 3 Mythos und Psychologie: Der Mythosbegriff bei Hermann Hesse und Thomas Mann
  11. 4 Sinceritas und Ironie: Mythisches Erzählen bei Hermann Hesse und Thomas Mann
  12. 5 Zur Normativität mythischen Erzählens bei Hermann Hesse und Thomas Mann
  13. Literaturverzeichnis
  14. Index