Einsamkeit und Pilgerschaft
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Einsamkeit und Pilgerschaft

Figurationen und Inszenierungen in der Romantik

  1. 298 Seiten
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Einsamkeit und Pilgerschaft

Figurationen und Inszenierungen in der Romantik

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Über dieses Buch

"Einsamkeit", bereits vor 1800 diskutiert, wird als Kulturtechnik im romantischen Kunstverständnis adaptiert, wie Arnims Titelentwürfe für die Zeitung für Einsiedler zeigen: "Welteinsamkeit", "Der Einsiedler in der Gesellschaft", "Der Einsiedler auf Reisen". Einsame und Fremde, Einsiedler und Pilger sind bevorzugte literarische und bildkünstlerische Figuren bei Arnim, Tieck, Clemens Brentano, A. W. Schlegel, C. D. Friedrich u.a.m.

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Information

Jahr
2019
ISBN
9783110631425

1Der Pilger auf Wanderschaft: Einsamkeit, innere Suche und Schau-Lust

Lothar Ehrlich

Reisende, Pilger und Einsiedler

Arnims Drama Halle und Jerusalem
Ludwig Achim von Arnims Doppeldrama Halle und Jerusalem entstand 1809/10 in Berlin, wurde im Februar 1810 für den Druck abgeschrieben, obwohl der Dichter den zweiten Teil noch im Mai „in der Feile“22 hatte, bei Mohr und Zimmer in Heidelberg im September gedruckt und Anfang Dezember 1810, mit der Jahreszahl 1811, ausgeliefert. Im Impressum steht: „Seinen Freunden und Gevattern C. Brentano und J. Görres widmet dieses Trauerspiel in zwei Lustspielen zur Erinnerung guter und böser Tage in Heidelberg der Verfasser“.23 Verweist die Genrebezeichnung „Trauerspiel in zwei Lustspielen“ auf die dramen- und theaterästhetische Spezifität der Dichtung, so erinnert eine beigegebene „Anzeige“ an Arnims alten, seit dem Besuch bei Ludwig Tieck Ende November 1804 in Ziebingen verfolgten Plan der Herausgabe einer Alten deutschen Bühne.24 Und bereits im Februar 1805 schwebte ihm überdies vor, im Kontext seiner editorischen Bemühungen um barocke Literatur, Gryphius’ Cardenio und Celinde nachzudichten. Schrieb er damals an Brentano „geändert soll so wenig wie möglig werden, nur weggelassen dieser oder jener Sonnenflecken, der den reinen Ton dieses wunderbaren Himmels durchschattet“,25 so entstand 1809 allerdings keine Nachdichtung, sondern ein eigenständiges Kunstwerk, das Roger Paulin dramaturgisch zutreffend charakterisiert hat: „Die Form des Dramas basiert auf dem Shakespeare und Calderón vereinigenden, universalpoetisch-synthetischen religiösen Großdrama der romantischen Theorie und Praxis.“26
In konzeptioneller Übereinstimmung mit dem gleichzeitig entstandenen Roman Armut, Reichtum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores (1810), reagierte Arnim in Halle und Jerusalem am Beispiel der Liebe auf die mit großer Sensibilität wahrgenommene Krise der zwischenmenschlichen Beziehungen als gravierendem Symptom der gesellschaftlichen Entwicklung nach der Französischen Revolution. Während der Besetzung Preußens durch Napoleon nach der Schlacht bei Jena und Auerstedt 1806 war Arnim bestrebt, durch Poesie im Geiste seines „grossen Lebensplanes“ vom 9. Juli 1802,27 „die geistige, ethische und religiöse Erneuerung des Staates“28 zu unterstützen. Insofern kulminiert das Doppeldrama im mythischen „Pilgerabenteuer“ Jerusalem in der utopischen Transfiguration eines humanistischen Tat-Ethos, das Ulfert Ricklefs komplex und differenziert in seinen weitverzweigten ordens- und geheimgesellschaftlichen sowie christlichen Motiven, Intentionen und Horizonten analysiert hat.29 Der christliche, sich gleichermaßen auf die traditionellen konfessionellen (katholischen, protestantischen, pietistischen) sowie auf moderne religiöse Tendenzen beziehende Autor setzt sich in Halle und Jerusalem mit dem problematischen Zustand des Glaubens zu seiner Zeit kritisch-produktiv auseinander. Schon 1803 nahm Arnim in Genf Chateaubriands einflussreiche ästhetisierende Abhandlung Der Genius des Christentums und die Schönheiten der christlichen Religion (1802) zur Kenntnis,30 von der er sich programmatisch abgrenzt, denn, so am Ende des Dramas formuliert, „Doch des Lebens Ziel ist Handeln“ (S. 298).
Ermöglicht und verstärkt wird das aktive religiöse Verhältnis zur Welt für Arnim vornehmlich durch innere Läuterung des Individuums, durch tiefe Frömmigkeit, die im zweiten Drama durch die Demonstration von Buße und Entsagung in einer symbolisch aufgeladenen Pilgerfahrt zur Grabeskirche in Jerusalem ihren Ausdruck findet. Dass Arnim nach den weitgehend realistisch geschilderten Geschehnissen und Konflikten zwischen den Figuren im Gegenwartsdrama Halle im sich anschließenden historisch-mythischen Drama Jerusalem ein phantastisches „Pilgerabenteuer“ (so die Genrebezeichnung) spielerisch entfaltet, verweist auf seine religiöse Intention, die dramaturgisch die traditionellen Gattungsgrenzen überschreitet. In den nicht mehr konkret topografisch, sondern vorwiegend abstrakt topologisch strukturierten dramatischen Räumen31 erlebt der Leser (das Drama wurde nie aufgeführt) die von Halle nach Jerusalem Fahrenden in „Einsamkeitsorten“, auf dem Meere, dann in Wüsten und anderen „monotonen Umgebungen“,32 zunehmend in symbolischen Orten Palästinas und Syriens, auf divergierende Weise, denn nicht jeder „Reisende“ begreift sich als „Pilger“ im christlichen Wortsinn. Die vier Hauptfiguren der Liebes- und Ehehandlung des ersten Teils, Cardenio und Celinde, Lysander und Olympie, stehen, neben Ahasverus, als religiöse Pilger im Zentrum der Handlung, allerdings mit durchaus verschiedenen Motiven und Argumenten.
Daneben zeigt der Autor, im ideellen und ästhetischen Kontrast zur Reflexion der physischen und metaphysischen Liebesthematik, einige Nicht-Pilger, eben bloß „Reisende“. Bei aller Differenzierung zwischen Cardenio und Celinde einerseits sowie Lysander und Olympie anderseits, denen sich der englische Admiral Sidney Smith zuordnet, der zusammen mit Olympie zum Vorbild avanciert, lassen sich im Grunde zwei Gruppen erkennen: die „Pilger“, mit denen der „Einsiedler“ Ahasverus (4. Szene) und der „Einsiedler“ in der 8. Szene verwandt sind, und die „Reisenden“. Dazu gehören die halleschen Studenten Waisenhäuser, Kümmeltürke und Dienemann33 aus dem ersten Teil sowie, erst im zweiten Teil auftretend, ein „reicher Pilger“ (2. „Die Pilger auf dem Meere“), „ein moderner Reisender“ bzw. „Der Reisende“ (12. „Die Nacht in der Herberge zu Jerusalem“, 13. „Der Ritterschlag am heil’gen Grabe“). Obwohl für die religiöse Strategie von Jerusalem vor allem die ethischen Impulse der „Pilger“ konstitutiv sind, zumal das mythische Drama durch die szenische Integration des Napoleonischen Feldzuges im Vorderen Orient 1798/99 (Sieg der Engländer und Türken über die Franzosen bei Acre unter der Führung von Sidney Smith, die erste Niederlage Napoleons als Antizipation der Befreiungskriege von 1812/13) zusätzlich eine zeitgeschichtliche Dimension erhält, nehmen die „Reisenden“ insofern eine markante Stellung ein, weil sie sich prinzipiell nicht erneuern (keine Buße tun, sondern unverändert weiterzuleben versuchen). Diese kontrastierende Nebenhandlung ist auch deswegen von interpretatorischem Belang, weil in ihr nicht allegorische Figurationen szenisch vorherrschen, sondern ironische, groteske und mitunter geradezu absurde Elemente, die Arnims tragikomisches Theaterkonzept („Trauerspiel in zwei Lustspielen“ [S. 48]) verwirklichen: „Ernst verwandelt sich in Spiel, /Dieses ist der Worte Ziel“ (S. 298). Allerdings dominieren die Pilger und die religiöse Atmosphäre in den 13 Szenen des Dramas, denn in lediglich vier gewinnen die Kontrastfiguren der Reisenden an ästhetischem Profil.
Während Cardenio und Celinde, Lysander und Olympie für ihre durch egoistisches Liebesbegehren verursachte Schuld zu büßen willens sind, sehen die Studenten und die anderen „Reisenden“ keinerlei Anlass, ihr ethisch ohnehin nicht verantwortetes, ausschließlich materiell orientiertes Leben zu ändern. Die sich auf dem Weg nach Jerusalem vollziehenden oder nicht vollziehenden und am Heiligen Grab abgeschlossenen seelischen Wandlungen der einzelnen Figuren lassen sich nur erkennen, wenn die in Halle gewohnte Lebensweise gegenübergestellt wird. Der Hauptsünder des ersten Dramas, der ungezügelte Intellektuelle Cardenio, dem das „Ehejoch“ „verhaßt“ ist (S. 53), begehrt zunächst in „reine[r] Liebe“ (S. 79) Olympie, die bereits Lysander, der gesteht, „hier in Olympiens Nähe wird mir’s Gemeine ganz verhaßt“ (S. 81), versprochen ist und auch heiratet. Aber selbst Olympie schwankt zwischen „strenge[r] Tugend“ und ihrem vermeintlich „schlechtre[n] Teil, den die Natur Cardenio bestimmte“, was einer Sünde entspräche (S. 102). Als Cardenio nach der christlichen Trauung von Olympie und Lysander definitiv nicht zum Zuge kommt, wendet er sich mit „wilder Leidenschaft“ (S. 127) einer anderen Frau, Celinde, zu, die vom Rechtsgelehrten Baron Viren seit Jahren umworben wird, den sie ebenso wie nun neuerdings Cardenio liebt. Auch sie vermag nicht, sich für eine Beziehung zu entscheiden. Cardenio wiederum genießt die sinnliche Liebe zu Celinde, ist zugleich aber von Olympiens „lichte[r] Himmelswelt“ (S. 142) eingenommen und stellt im Hinblick auf diese Dissonanz fest: „Es ist ein ekelhaftes Wesen diese Welt, dem Herrlichsten liegt ach das Schmutzigste so nah […].“ (S. 156) An den egoistischen Ansprüchen und realen Erfahrungen der vier Hauptgestalten reflektiert Arnim in zugespitzter Weise (und mit partiell gewalttätigen Folgen) die Ambivalenzen erotischer Beziehungen, wobei er sich in dieser Dichtung (wie in seiner eigenen Biographie) letztlich zu einer religiös grundierten Identität von Liebe und Ehe bekennt.
Ahasverus, von Arnim in die Dramenhandlung als geheimnisvolle sagenhafte Figur eingeführt, wird zum Katalysator für die angestrebte Buße der in unlösbare Liebes- und Ehekonflikte verstrickten Gestalten. Was er Celinde im Sinne des Autors empfiehlt, gilt auch für die anderen, trotz aller Abstufung in der eigenen Wahrnehmung von Schuld und Sünde:
So zieh zum Heiligen Grabe unsres Herrn, zum Mittelpunkt der ganzenWelt, er lösete schon manches Pilgers Schuld, der gläubig zu ihm hingewallet, du bist nur eine Sünderin wie viele. Entsagung kann dir Keuschheit wiederbringen. (S. 185)
Im Unterschied zu den durch maßloses erotisches Begehren Schuld auf sich gezogenen Cardenio, ein „von vier Seelen Angeklagter, den schon die weltliche Gerechtigkeit verfolgt“ (S. 146), und Celinde, begeben sich Olympie und Lysander einsichtsvoll auf Pilgerschaft, denn „die Liebenden sind sich ein Volk und Vaterland und bleiben ihrem Volk und ihrem Vaterland getreu […].“ (S. 192) Daher ist ihr Weg nach Jerusalem ein anderer als der von Cardenio und Celinde: Während in der 3. Szene „Die Taufe auf dem Meer“ das Kind von Olympie und Lysander in symbolischer Harmonie mit dem Himmel getauft wird, zeigt die folgende Szene in der Wüste im Gegensatz dazu „das tote Sündenkind“ von Cardenio und Celinde. Und im letzten Tableau („Der Ritterschlag am heil’gen Grabe“) sterben beide (aber auch Lysander) durch ihre Pilgerschaft gesühnt, und „drei helle Kreuze erscheinen über den Gräbern“ (S. 298). Olympie beabsichtigt hingegen, in ein Kloster zu gehen („ich bin dem Himmel schon vermählt“, S. 286) und übergibt Sidney („Ich bin die deine im Gebet“, S. 296) ihr Kind, damit er es auf „Taten“ im „Leben“ (S. 286) vorbereiten möge. Der Guardian (Vorsteher) des Klosters in Jerusalem schlägt den englischen Feldherrn, der seiner Liebe zu Olympie entsagt („Olympie, nimm der Trauer und des Abschieds Kuß, er schließet meinen Mund für jede Frau“, S. 296) zum „Ritter“ des „Heil’gen Grabes“ (S. 294). Sidney wird, als Konsequenz der Vereinigung von mythischem Pilgerzug und historischem „Kriegszug“ der Engländer gegen die Franzosen (vgl. insbesondere die 6. Szene „Die Belagerung“ von Acre 1799), auf Basis seiner Frömmigkeit und politischen Tätigkeit zum visionären zeitgeschichtlichen Repräsentanten des Kampfes gegen Napoleon stilisiert – und das in einem zu transzendentaler Allegorik neigenden religiösen Drama, welches vor allem von Schuld und Sünde handelt und erzieherisch auf Reinigung durch Buße und Entsagung zielt. Mit dieser in die Gesellschaft wirkenden Konzeption setzt der Autor seine unmittelbar nach der militärischen Niederlage Preußens im Aufsatz Was soll geschehen im Glücke formulierten patriotischen Vorstellungen eines „neuen Rittertums des Geistes und der Wahrheit“ fort.34
Unter den „Reisenden“, die eben keine „Pilger“ sind, befinden sich aus dem Personal von Halle namentlich die Studenten Kümmeltürke, Waisenhäuser und Dienemann, die im Zentrum der satirischen 5. Szene „Die Reisenden und die Jungfrau mit dem Storche“ stehen. Wenn Kümmeltürke bedauert, dass sie sich nicht weiter um „das letzte hübsche Mädchen im Wirtshaus“ ge...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Vorwort
  6. 1 Der Pilger auf Wanderschaft: Einsamkeit, innere Suche und Schau-Lust
  7. 2 Einsiedler und Einzelgänger:Inszenierung und Weltunsicherheit
  8. 3 Geteilte Einsamkeit: Sprache, Schreiben, Dasein
  9. 4 Wegweiser in die Moderne: Der Einsiedler im Stadtgetümmel
  10. Literaturverzeichnis
  11. Autorenverzeichnis