Städtebau und Legitimation
eBook - ePub

Städtebau und Legitimation

Debatten um das unbebaute historische Warschauer Zentrum, 1945-1989

  1. 405 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub

Städtebau und Legitimation

Debatten um das unbebaute historische Warschauer Zentrum, 1945-1989

Angaben zum Buch
Buchvorschau
Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Jahrzehntelange Freiflächen als Ausdruck des Ringens der kommunistischen Machthaber der Volksrepublik Polen um Legitimation: Die Autorin untersucht an zwei historischen, bemerkenswert unbebauten Plätzen im Zentrum Warschaus den Konflikt um revolutionären Neuanfang, nationale Traditionen und städtebauliche Modernisierung. Dieser Fokus bringt kontroverse, erstaunlich öffentliche Debatten zwischen Experten, Politik und Gesellschaft ans Licht.

Häufig gestellte Fragen

Gehe einfach zum Kontobereich in den Einstellungen und klicke auf „Abo kündigen“ – ganz einfach. Nachdem du gekündigt hast, bleibt deine Mitgliedschaft für den verbleibenden Abozeitraum, den du bereits bezahlt hast, aktiv. Mehr Informationen hier.
Derzeit stehen all unsere auf Mobilgeräte reagierenden ePub-Bücher zum Download über die App zur Verfügung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die übrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Mit beiden Aboplänen erhältst du vollen Zugang zur Bibliothek und allen Funktionen von Perlego. Die einzigen Unterschiede bestehen im Preis und dem Abozeitraum: Mit dem Jahresabo sparst du auf 12 Monate gerechnet im Vergleich zum Monatsabo rund 30 %.
Wir sind ein Online-Abodienst für Lehrbücher, bei dem du für weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhältst. Mit über 1 Million Büchern zu über 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nächsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja, du hast Zugang zu Städtebau und Legitimation von Jana Fuchs im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten Büchern aus Geschichte & Osteuropäische Geschichte. Aus unserem Katalog stehen dir über 1 Million Bücher zur Verfügung.

Information

Jahr
2019
ISBN
9783110641011

1 Einleitung

Architektur und Stadtplanung sind nicht nur ein Symbol oder ein Symptom politischer Verhältnisse. Sie sind vielmehr ein wichtiges Ausdrucksmittel staatlicher Politik.1 Orte erweisen sich „als der angemessenste Schauplatz und Bezugsrahmen, um sich eine Epoche in ihrer ganzen Komplexheit zu vergegenwärtigen“.2 Jede stadtplanerische Setzung, jedes öffentliche Bauwerk erfüllt einen funktionalen Zweck und gilt gleichzeitig als bauliche Manifestation des Strebens nach politischer Repräsentation und Legitimation. Auf diese Weise kann Städtebau Aufschluss geben über die Intentionen der Verantwortlichen, über ihren Regierungsstil und ihr Menschenbild.3 Das gilt besonders für Warschau, wo der Aufbau der fast komplett zerstörten Hauptstadt nach dem Zweiten Weltkrieg große praktische und legitimatorische Bedeutung hatte.
Der Plac Teatralny und der Plac Zwycięstwa (heute Plac Piłsudskiego), die hier untersucht werden, sind ungewöhnliche Forschungsobjekte.4 Denn infolge der Kriegszerstörungen und Nachkriegsabrisse waren sie vor allem von unbebauten Freiflächen geprägt.5 Doch gerade das macht ihre Qualität für die Forschung aus. Denn in den Diskursen um die (Wieder-)Bebauung der Freiflächen an den Plätzen manifestierte sich das Ringen der kommunistischen Machthabenden um Legitimation. Hier traten die Bruchlinien zwischen revolutionärem Neuanfang, nationalen Traditionen und städtebaulicher Modernisierung besonders offensichtlich wie schwerwiegend zutage. Diese Arbeit argumentiert, dass die Verantwortlichen für diesen zentralen repräsentativen Raum keine überzeugenden Konzeptionen fanden, obwohl Städtebau gerade im fast komplett zerstörten Warschau entscheidend war und obwohl es sich um ein zentralistisch organisiertes Einparteiensystem handelte. Zudem, das ist ein zweiter Fokus der Arbeit, waren die Pläne bereits während ihrer Entstehungszeit in der Kritik. Diese wurde durchaus öffentlich geäußert. Mehr noch: Seit Ende der siebziger Jahre waren die Plätze selbst nicht nur Gegenstand, sondern auch Schauplatz dieser Verhandlungen um die Deutungsmacht von städtischem Raum im Speziellen und legitimatorisch relevanter Fragen im Allgemeinen.
Das Besondere an den Freiflächen des Plac Teatralny und des Plac Zwycięstwa ist, dass sie nicht inhaltslos waren. Im Gegenteil repräsentierten sie Abwesenheit – der zerstörten repräsentativen historischen Gebäude sowie der ehemaligen Funktion und Nutzung der Plätze. Sie waren in repräsentativer wie lebenspraktischer Hinsicht die wichtigsten Plätze der Zwischenkriegszeit und spielten eine bedeutende Rolle in verschiedenen Phasen des Zweiten Weltkriegs. Infolge des politischen Bruchs nach dem Zweiten Weltkrieg wurden sie zu neuralgischen Orten. Hier, wo seit 1946 vor allem das Narrativ des Sieges über das nationalsozialistische Deutschland seine Repräsentation im städtischen Raum fand, klaffte für alle sichtbar über Jahrzehnte eine deutliche Lücke zwischen dem Gestaltungsanspruch des Regimes und seinem tatsächlichen Gestaltungvermögen. Die Arbeit zeigt, dass der Anspruch der Partei auf die Kontrolle über den öffentlichen Raum, welcher in ihrem Selbstverständnis gleichbedeutend mit offiziellem Raum6 war, ab einem gewissen Punkt kaum noch der Wirklichkeit entsprach. Stattdessen stützten die Plätze, die bisher staatlicher Repräsentation gedient hatten, spätestens ab 1979 die Botschaften der Opposition. Interessant ist zu fragen, inwiefern es sich um „konzeptuelle Leerräume“ handelte, auf denen sich „der ungelöste Konflikt zwischen den im Lauf der Geschichte wechselnden Ideologien“7 physisch manifestierte.
Die PolitikerInnen der Polnischen Arbeiterpartei PPR (Polska Partia Robotnicza, ab 1948 Polnische Vereinigte Arbeiterpartei PZPR, Polska Zjednoczona Partia Robotnicza) standen im Kampf um die Vorherrschaft vor einer komplexen Herausforderung. Trotz erster Erfolge beim Aufbau des Landes und der eigenen Machtstabilisierung, die die KommunistInnen der PPR vor allem mithilfe der Präsenz sowjetischer Truppen und massiver, teilweise gewaltsamer Einschüchterung der politischen GegnerInnen erreichten, sahen sie sich einer extrem skeptischen Bevölkerung gegenüber. So standen sie vor einem Dilemma, das der Historiker Marcin Zaremba treffend aufgefächert hat und das den Ausgangspunkt der Arbeit bildet:
Anscheinend standen die polnischen Kommunisten nämlich vor demselben Dilemma, das zu bewältigen bereits allen ihren revolutionären Vorläufern schwergefallen war. Gleich diesen standen ihnen zwei Wege offen. Den ersten gab die revolutionäre Gesinnung vor, die gebot, mit der vorrevolutionären vollständig zu brechen. Den zweiten wiesen dagegen die politischen Realitäten. Dazu gehörte vor allem das im Krieg noch weiter geschärfte Nationalbewusstsein der Polen. Darüber hinaus waren einige polnische Kommunisten der Überzeugung, dass der vollständige Bruch mit der Tradition eine revolutionäre Utopie und nur in der Theorie möglich sei.8
Die daraus hervorgehende grundsätzliche Unsicherheit für die um Legitimation ringenden KommunistInnen war also die Frage nach dem angemessenen Verhältnis von Neuanfang und Tradition: Welche Traditionen konnten in das eigene, revolutionäre Narrativ eingebunden werden? Und welche Art von Modernisierung, die immer auch einen Bruch mit den alten Gewohnheiten bedeutete, war vertretbar oder stärkte gar die politische Legitimation der neuen Machthabenden?
Diese Fragen untersucht die Arbeit am Beispiel der Planungsgeschichten9 der beiden Plätze. Sie gelten nicht nur als Orte der politischen Inszenierung, sondern auch der gesellschaftlichen Auseinandersetzung, um „Rückschlüsse über städtebauliche Haltungen, gesellschaftliche Kritik und den Umgang mit Geschichte“ während des gesamten Bestehens der Volksrepublik Polen zu ziehen.10 Denn am Städtebau lassen sich sowohl die Intentionen der Verantwortlichen als auch die gesellschaftlichen Reaktionen darauf ablesen: „[…] the meaning of a piece of art, especially an official building and its architecture, is multifaceted and […] is also construed in the discourse on its meaning through a process of acculturation […].“11 Um diese heute schwer zugänglichen Diskurse zu rekonstruieren, erwies sich vor allem der Nicht-Städtebau auf den beiden Plätzen, also die besonders zahlreichen, nicht realisierten Entwürfe für die vielen unbebauten Freiflächen, als aufschlussreich. Die dabei rekonstruierte Debatte zeigt eine rege Beteiligung, einen erstaunlichen Grad an Kritik und somit zahlreiche Kollisionen des offiziellen Narrativs mit öffentlichen Stellungnahmen und Handlungen anderer AkteurInnen.
Der Plac Zwycięstwa und der Plac Teatralny lagen im Dazwischen. Nördlich der Plätze liegt die wiederaufgebaute Altstadt, die für die historische Selbstvergewisserung des Regimes sorgen sollte. Im Süden markierten der Plac Konstytucji (Platz der Verfassung) und vor allem der Kulturpalast den grundlegenden politischen und gesellschaftlichen Neuanfang im Stadtbild. Doch nicht nur räumlich, sondern auch im übertragenen Sinne waren sie undefiniert. Davon zeugen überdurchschnittlich viele Architekturwettbewerbe im Zeitraum von 1945 bis 1989, davon allein sechs für den Plac Zwycięstwa und vier für den Plac Teatralny. Fast jeder Wettbewerb verfolgte komplett neue Ansätze. Lediglich zwei wurden tatsächlich realisiert. Die Arbeit etabliert also insofern eine ungewöhnliche Perspektive, als sie nicht nur bauliche Resultate unter die Lupe nimmt, sondern dezidiert „unbuilt buildings, utopian projects, competition entries that were not selected, and proposals that were never funded“ in die Untersuchung einschließt.12 Gerade diese unklare Zukunft der zwei historisch bedeutsamen Plätze und die daraus resultierenden Freiflächen werden als besonders fruchtbare Kategorie für die (Stadt-)Geschichtsschreibung entdeckt, weil sie den Blick auf die Diskussionen und die dahinterstehenden Einstellungen der Beteiligten ermöglicht. Die Freiflächen sind so ergiebige Forschungsgegenstände, weil die Diskussionen über die möglichen Zukünfte nicht verebben, solange nichts gebaut ist.
Abb. 1.1: Warschauer Übersichtsplan von 1956. 1: Plac Teatralny, 2: Plac Zwycięstwa, 3: Altstadt, 4: Plac Defilad mit Kulturpalast, 5: Plac Konstytucji (Ausschnitt und Nummerierung durch die Autorin).
Die Freiflächen und die nicht realisierten Wettbewerbe zeigen die Diskrepanz zwischen dem Anspruch der PZPR auf die Kontrolle über den städtischen Raum und der Wirklichkeit. Diese wird in der Untersuchung weniger dazu genutzt, um das dynamische und komplexe Beziehungsgeflecht der Entscheidungsinstanzen zu rekonstruieren, das hinter den Nicht-Entscheidungen stand. Vielmehr bieten die Plätze Gelegenheit, sich wandelnde Perspektiven, Haltungen und Prioritäten in Bezug auf diesen zentralen städtischen Raum mitsamt der Interpretation seiner Geschichte zu rekonstruieren. Mithilfe der Fokussierung auf die zwei Plätze und ihre Freiflächen kann ein (abhängig von der Quellenlage unterschiedlich) facettenreiches Mosaik an Meinungen und Perspektiven entstehen, das sich über den Zeitraum von 1945 bis 1989 erstreckt. So können zudem die bisher wenig untersuchten gesellschaftlichen Reaktionen auf den Warschauer Aufbau analysiert werden, die einen Beitrag zur Erforschung der „Welt der kollektiven Vorstellungen, Ansichten und Gefühle“13 leisten. Dabei handelt es sich nicht nur um Stellungnahmen zu Architektur, von der im Warschau der fünfziger Jahre jeder ein bisschen Ahnung hatte, so wie im 19. Jahrhundert in Alaska vom Goldschürfen, um es mit dem Schriftsteller Leopold Tyrmand auszudrücken.14 Es geht eher um die am heftigsten diskutierten Fragen nach nationalen Traditionen, vor allem zur Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg. Die Freiflächen werden zu Projektionsflächen, denn „nach den Abrissen [blieben] leere Plätze, die gleichzeitig das Fehlen von etwas Altem, Erinnertem, Bekanntem sowie die Potentialität von etwas Neuem, das erst irgendwann auftaucht, bedeuten“.15
Der Fokus liegt zum einen auf der Auf- und Entwertung historischer Architektur und den dahinterliegenden Zuschreibungsprozessen. Dabei wird explizit untersucht, welche Gebäude dauerhaft verschwanden. Letztere Frage ist genauso wichtig, wird aber selten untersucht, gerade so, als führe die physische Abwesenheit direkt ins Vergessen des vorhergehenden Prozesses. Auch das agenslose Verb „verschwinden“ verschleiert, dass AkteurInnen aktiv gegen den Wiederaufbau oder für den Abriss entschieden. Der Literaturwissenschaftler Philip Fisher plädiert für eine Geschichte des Verschwindens: „The history of neglect is just as essential as the histories of preservation or transformation. Neglect is a form of passive vandalism […]. In every art we need not only a history of creation, but also a history of disappearance, of the particular formulas of neglect, later selection and later disinterest.“16 Zum anderen kann diese Analyse Aufschluss geben über die Vorstellungen von Zukunft, die den Bauplänen zugrunde lagen. In welchen Phasen fußten Stadtplanung und Architektur auf modernisierenden Grundsätzen, die eventuell bereits vor dem Krieg von PlanerInnen ins Spiel gebracht worden waren? Welchen Zweck sollten die beiden Plätze im städtischen Gefüge und in der städtischen Gesellschaft übernehmen? Inwiefern sollte hier an die historische Rolle der Plätze angeknüpft und in welcher Hinsicht mit dieser gebrochen werden, um neue Funktionen einzuführen? Welchen Umgang fanden die Verantwortlichen also mit dem Dilemma des adäquaten Verhältnisses von Tradition und Modernisierung – gestalterisch und funktional?
Bei all dem interessieren besonders die Diskussionsprozesse, die hinter diesen Fragen selbst standen. Welche Stimmen waren in den Diskussionen wann und wie vernehmbar? Welche Art von Kritik war wann möglich? Die Antworten auf diese Fragen sind deshalb relev...

Inhaltsverzeichnis

  1. Title Page
  2. Copyright
  3. Contents
  4. Vorwort
  5. 1 Einleitung
  6. 2 Tabula Rasa oder Tradition? Trauer, Chancen und Machtkämpfe (1945 bis 1949)
  7. 3 Radikale Pläne ohne Programm: Die Stalinisierung des städtischen Raums (1949 bis 1956)
  8. 4 Modernisierung und Erinnerung in Zeiten des „fortschrittlichen Nationalismus“ (1956 bis 1970)
  9. 5 Prestigeprojekte und Opposition im historischen Zentrum (1970 bis 1989)
  10. 6 Schlussbemerkung
  11. Abkürzungsverzeichnis
  12. Quellen- und Literaturverzeichnis
  13. Personenregister
  14. Ortsregister