Sein, Logos und Veränderung
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Sein, Logos und Veränderung

Eine systematische Untersuchung zu Aristoteles' Metaphysik

  1. 339 Seiten
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Eine systematische Untersuchung zu Aristoteles' Metaphysik

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Die Arbeit bietet eine einheitliche und systematische Interpretation zu Aristoteles' Metaphysik. Die Autorin fasst diese als Substanz- bzw. Prinzipienlehre auf und überwindet somit die islamisch-scholastische Entzweiung von metaphysica generalis und metaphysica specialis. Dabei wird der Chiasmus als wichtige Einteilungsmethode wiederentdeckt und Aristoteles' Proportionalitätsanalogie von Thomas' Attributionsanalogie klar unterschieden.

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Information

Jahr
2019
ISBN
9783110663495

1 Metaphysik

1.1 Metaphysik als Prinzipienlehre

Wenn man sich mit der Metaphysik befasst, stellt sich in erster Linie die Frage, was Metaphysik im Aristotelischen Sinne überhaupt ist. Ohne ihr einen Namen zu geben, begründet Aristoteles tatsächlich eine Wissenschaft, die über die Physik hinausgeht. Da wir den Anspruch haben, die aristotelische Metaphysik systematisch darzustellen, nehmen wir dementsprechend die Klassifikation der Wissenschaften als Ausgangspunkt. Denn erst durch diese Einteilung wird deutlich, wo die Metaphysik lokalisiert ist, sodass sowohl Gegenstand als auch Umfang der Metaphysik festgelegt werden können. Bemerkenswert ist, dass Aristoteles die Wissenschaft dreifach unterteilt, nämlich in die theoretische, die poietische und die praktische Wissenschaft (θεωρητική, ποιητική, πρακτική).15 Um den Gedankengang des Aristoteles nachzuvollziehen, soll nicht nur die Einteilung an sich, die Aristoteles in der Metaphysik zum Ausdruck bringt, sondern auch das Kriterium der Einteilung und die Vorgehensweise dabei betrachtet werden.
Außer der Dihairese (διαίρεσις), bei der sich die übergeordnete Gattung in die untergeordneten Arten ausdifferenziert, gibt es noch eine andere Klassifikationsmethode. Diese wird zwar von Aristoteles umfassend angewendet,16 aber erstaunlicherweise von den meisten Kommentatoren und Forschern übersehen. Nur Porphyrius hebt die Einteilungsmethode hervor und gibt ihr einen entsprechenden Namen, nämlich den Chiasmus (χιαστή).17 Um z. B. das Lebendige zu klassifizieren, müssen zwei Paare von Unterscheidungskriterien vorliegen. Die beiden Paare sind Gegensatzpaare, nämlich Vernünftigkeit-Unvernünftigkeit und Sterblichkeit-Unsterblichkeit. Ein Chiasmus kommt dadurch zustande, dass sich die zwei Gegensatzpaare, d. h. die vier Elemente, miteinander kreuzen. Bei dem Versuch, beliebige dieser vier Momente miteinander zu verknüpfen, ergeben sich insgesamt sechs Kombinationsmöglichkeiten, von denen vier Möglichkeiten gültig sind (Tab. 1). Zwei Kombinationen müssen deswegen ausgeschlossen werden, weil die beiden Gegensätze an sich nicht kompatibel sind.18
Tab. 1:Einteilung des Lebendigen.
θνητόν ἀθάνατον
λογικόν ἄνθρωπος θέος
ἄλογον ζῷον
Anhand des Chiasmus ist das Lebendige in drei Klassen einzuteilen, die jeweils durch zwei unterschiedliche und kompatible Eigenschaften gekennzeichnet sind: Gott ist vernünftig und unsterblich; der Mensch ist vernünftig und sterblich; das Tier ist unvernünftig und sterblich. Da Porphyrius das Lebendige von Anfang an als beseelte und wahrnehmungsfähige Substanz bestimmt (ἔστι γὰρ τὸ ζῷον οὐσία ἔμψυχος αἰσθητική – Porphyrii Isagoge 10.6), wird die Pflanze, die kein Wahrnehmungsvermögen hat, ausgeschlossen. Um die Pflanze ins Spiel zu bringen, stellt Porphyrius einen anderen Chiasmus auf (Tab. 2). Dadurch, dass sich Beseeltes-Unbeseeltes (ἔμψυχος-ἀψύχον) und Wahrnehmungsfähiges-Wahrnehmungsunfähiges (αἰσθητική-ἀναίσθητος) überkreuzen, ergibt sich Folgendes: Das Tier ist beseelt und wahrnehmungsfähig; die Pflanze ist beseelt und nicht wahrnehmungsfähig; der natürliche Stoff, z. B. Stein, Holz usw., ist weder beseelt noch wahrnehmungsfähig.19 Wie Porphyrius’ Beispiele zeigen, bringt der Chiasmus eine vierfache Teilung zustande. Der Grund dafür, dass das Einteilungsresultat dreifach zum Vorschein kommen kann, liegt darin, dass die vierte Kombinationsmöglichkeit entweder irrelevant ist oder in manchen Fällen als Paradox ausgeschlossen werden muss. Es gibt weder das Seiende, das unvernünftig und unsterblich ist, noch das Seiende, das unbeseelt und wahrnehmungsfähig ist.
Tab. 2:Einteilung des Lebewesens.
αἰσθητική ἀναίσθητος
ἔμψυχος ζῷον φυτόν
ἀψύχον ὕλη πέφυκεν
Die Physik, die eine theoretische Wissenschaft vertritt, sowie die poietische und die praktische Wissenschaft (φυσική, ποιητική, πρακτική) sind differenziert, je nachdem wie die natürliche Entstehung, die handwerkliche Herstellung oder die menschliche Handlung thematisiert werden (φύσις, ποίησις, πρᾶξις). Weiterhin sind Naturentstehung, Herstellung und Handlung anhand der verschiedenen Wirkursachen zu unterscheiden, nämlich danach, dass das Naturseiende kraft seiner selbst entstanden ist, das Artefakt durch die Kunst hervorgebracht und die menschliche Praxis durch das Zusammenspiel von Verstand und Zufall vollzogen wird (φύσις, τέχνη, διάνοια/τύχη). Die Einteilung der Wissenschaften hängt von der Klassifikation der Gegenstände ab, die wiederum nach der Wirkursache sortiert werden (ἐπιστήμη→ἐπιστητόν/ὄν→ἀρχὴ τῆς κινήσεως).
Einerseits befindet sich die Wirkursache entweder in der gemachten Sache (τῷ ποιουμένῳ) oder in dem Machenden bzw. Handelnden (τῷ ποιοῦντι ἢ τῷ πράττοντι). Je nachdem, ob die Wirkursache innerhalb oder außerhalb des zugrundeliegenden Seienden liegt, ist sie entweder innerlich oder äußerlich (ἐντός-ἔξω).20 Andererseits vollzieht sich die Wirkursache entweder auf notwendige Weise oder auf zufällige Weise (καθ’ αὑτό-κατὰ συμβεβηκός).21 Demzufolge sind zwei Paare von Einteilungskriterien vorhanden.22 Indem sich Innerlichkeit-Äußerlichkeit und Notwendigkeit-Zufälligkeit miteinander überkreuzen, lassen sich die Wirkursachen anhand des Chiasmus vierfach unterteilen (Tab. 3):
Tab. 3:Einteilung der Wirkursachen bzw. der Wissenschaften.
τῷ ποιουμένῳ τῷ ποιοῦντι
καθ’ αὑτό φύσις τέχνη
κατὰ συμβεβηκός αὐτόματον τύχη
Durch das chiastische Verfahren sind φύσις, τέχνη, αὐτόματον und τύχη jeweils durch eine innere Notwendigkeit, eine äußere Notwendigkeit, eine innere Zufälligkeit und eine äußere Zufälligkeit gekennzeichnet. Anhand der jeweiligen Wirkursache vollzieht sich eine natürliche Entstehung, eine handwerkliche Herstellung, eine widernatürliche Zeugung und eine menschliche Handlung. Während die natürliche Kontingenz außer Betracht bleibt, werden Naturentstehung/Naturding, Herstellung/Artefakt und menschliche Praxis thematisiert. Den drei Untersuchungsgegenständen φύσις, ποίησις und πρᾶξις entsprechend werden die drei Wissenschaftsdisziplinen als φυσική, ποιητική und πρακτική benannt.
Die Physik als theoretische Wissenschaft zielt auf die Erkenntnis des Naturseienden ab, dessen Wirkursache innerlich und notwendig ist. Beim einzelnen Naturseienden sind sowohl die Bewegungsursache als auch das Entstehungsprinzip in ihm selbst enthalten (Phys. B1, 192b13–15; Metaph. Δ4, 1014b18–20, 1015a13–15; Θ8, 1049b8–10), so dass das einzelne Lebewesen immer etwas Gleichartiges erzeugt (ἄνθρωπος ἄνθρωπον γεννᾷ – Metaph. Z7, 1032a25; Z8, 1033b32). Außerdem lässt sich die Notwendigkeit der natürlichen Wirkursachen damit aufzeigen, dass die vier Grundelemente nach einer bestimmten Reihenfolge ineinander übergehen (ὕδωρ→ἀὴρ→πῦρ→γῆ – Gen. et Corr. B4, 331a12–331b11). Der Himmelskörper läuft unaufhörlich im Kreis (ὁ δ’ οὐρανὸς ἀΐδιος καὶ ἡ κύκλῳ φορά – Phys. Z10, 241b16–20; De Cae. B5, 287b24–28; Metaph. Λ6, 1071b10–11; Λ7, 1072a21–23), bedarf aber einer äußerlichen Bewegungsursache. Aufgrund der vorliegenden Kriterien, bei denen die Wirkursache innerlich ist, soll der Himmelskörper nicht von der Physik, sondern von der Astronomie thematisiert werden.
Die poietische Wissenschaft zieht das Artefakt in Betracht, dessen Wirkursache zwar außerhalb der Sache bleibt, aber mit einer gewissen Notwendigkeit ausgestattet ist. So liegt die Wirkursache des Artefaktes nicht im hergestellten Produkt, sondern im Hersteller. Außerdem ahmt die Techne die Physis darin nach, ein bestimmtes Ziel zu setzen und es schrittweise zu erreichen. Denn das Artefakt kann nicht durch den individuellen Willen, sondern nur kraft des allgemeinen Verstandes regelmäßig und kontinuierlich produziert werden. Indem der menschliche Verstand die natürliche Zweckmäßigkeit imitiert, wird der Herstellung eine gewisse Notwendigkeit zugeteilt.23 Die Herstellung wird in die wissenschaftliche Untersuchung einbezogen, nicht um der Herstellung des konkreten Artefakts willen, sondern um die notwendige Verwirklichung der technischen Gestalt zu erkennen. Im Laufe der Argumentation dient die Erörterung über die Herstellung auch dazu, die hylemorphistische Struktur des Naturdings zu verdeutlichen, die sich am offenkundigsten beim Artefakt zeigt.
Die praktische Wissenschaft nimmt die Handlung zum Untersuchungsgegenstand, deren Wirkursache τύχη genannt wird. Die τύχη als Handlungsursache ist nicht nur mit der äußeren Wahrscheinlichkeit verknüpft, sondern auch mit dem menschlichen Verstand. Einerseits setzt Aristoteles die Tradition der griechischen Philosophie fort, indem die τύχη die Zufälligkeit zugesprochen erhält. Jedoch ist sie sowohl fern vom göttlichen Willen, womit das Schicksal gemeint ist, als auch vom Naturzustand, der nach der platonischen Tradition mit Chaos und Kontingenz verbunden ist.24 Stattdessen ist die Zufälligkeit der τύχη gegen die Wahrscheinlichkeit der menschlichen Handlung gerichtet. Im praktischen Bereich tritt die Wahrscheinlichkeit ständig auf, da es immer möglich ist, sich anders zu verhalten.25 Andererseits kann man sich nur dann richtig entscheiden und vernünftig handeln, wenn die Entscheidung (προαίρεσις), die sich an einem bestimmten Ziel orientiert (οὗ ἕνεκα), durch eine vernünftige Überlegung (ἀπὸ διανοίας) getroffen wird, sowie die daraus folgende Handlung davon geprägt ist.26 Darum weist die τύχη als Wirkursache nicht nur die Wahrscheinlichkeit, sondern auch die Vernünftigkeit der menschlichen Handlung auf. Das natürliche Zufällige kann zwar nicht zur Kenntnis genommen werden, weil die theoretische Wissenschaft nur dasjenige Seiende thematisiert, das sich immer oder in den meisten Fällen in gleicher Weise verhält (Metaph. K8, 1065a4–6). Dennoch hindert uns die Wahrscheinlichkeit der menschlichen Handlung nicht daran, Medizin, Ethik, Ökonomik und Politik als Wissenschaftsdisziplinen aufzustellen. Da die ärztliche, die moralische, ökonomische und die politische Praxis mithilfe des Verstands durchgeführt werden müssen, wird der entsprechenden Wissenschaft eine bestimmte Notwendigkeit zugemessen. Außerdem zielt die praktische Wissenschaft nicht darauf ab, die absolute Wahrheit zu begreifen, sondern nur darauf, wie man in konkreten Fällen richtig handeln soll,27 sodass sie nicht die gleiche Genauigkeit wie die theoretische Wissenschaft verlangt (EN A1, 1094b12–13).
Wie gesagt ist die Wissenschaft dreifach einzuteilen. Vor dem Hintergrund der Dreiteilung ist die Physik weder der praktischen, noch der poietischen, sondern der theoretischen Wissenschaft zugehörig, da sie nicht auf die menschliche Handlung oder die handwerkliche Herstellung, sondern nur auf die spekulative Betrachtung der natürlichen Substanzen abzielt. Einen Schritt weitergehend ist die theoretische Wissenschaft dreifach zu unterteilen (Tab. 4).
Tab. 4:Einteilung der theoretischen Wissenschaften.
χωριστά ἀχωρίστα
κίνητα φυσική
ἀκίνητα θεολογική μαθηματική
Anhand der Kriterien von Trennbarkeit-Untrennbarkeit und Bewegtem-Unbewegtem teilen sich die Untersuchungsgegenstände chiastisch auf und dementsprechend ist die theoretische Wissenschaft in Physik, Theologie und Mathematik einzuteilen.28 Die Physik nimmt Seiendes zum Gegenstand, das vom Stoff untrennbar ist und immer bewegt wird.29 Die Theologie thematisiert das Getrennte und Unbewegte (Metaph. E1, 1026a15–16; K7, 1064a33–1064b1). Die Mathematik zieht Seiendes in Betracht, das an sich weder von Materie noch von sensibler Substanz trennbar ist (Metaph. N3, 1090a28–30; N6, 1093b25–29; Phys. B2, 193b22–25). Nur durch Abstraktion können die mathematischen Entitäten als das Getrennte und Unbewegte betrachtet werden (Metaph. E1, 1026a7–10; Z10, 1036a9–12; K3, 1061a28–1061b4; M3, 1078a21–30; Phys. B2, 193b31–35). Die Mathematik gehört zwar zur theoretischen Wissenschaft, aber nicht zur Metaphysik. Denn sie macht nicht die Substanz, d. h. das Seiende als Ganzes, sondern nur einen Teil, d. h. die quantitative Bestimmung des Seienden, zum Thema (Metaph. Γ1, ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Title Page
  2. Copyright
  3. Contents
  4. Vorwort
  5. Abkürzungsverzeichnis
  6. Einleitung
  7. 1 Metaphysik
  8. 2 Zweite Philosophie (Physik)
  9. 3 Erste Philosophie (Theologie)
  10. 4 Schluss
  11. Literaturverzeichnis
  12. Namensregister
  13. Sachregister