Verfilmte Trümmerlandschaften
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Verfilmte Trümmerlandschaften

Nachkriegserzählungen im internationalen Kino 1945-1949

  1. 342 Seiten
  2. German
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Verfilmte Trümmerlandschaften

Nachkriegserzählungen im internationalen Kino 1945-1949

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Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Zwischen gestern und morgen: Der Titel eines deutschen Spielfilms von 1947 kennzeichnet die Umbruchs- und Übergangsphase der unmittelbaren Nachkriegszeit. Die Autorinnen und Autoren des Bandes analysieren Spielfilme aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten, die für die filmische Verarbeitung der Vergangenheit sowie der Gegenwartsprobleme und Zukunftserwartungen charakteristisch sind. Damit leistet das Buch einen Beitrag zur vergleichenden Geschichte der Nachkriegsgesellschaften und ist zugleich ein Plädoyer für den zeithistorischen Quellenwert von Spielfilmen.

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Information

Jahr
2019
ISBN
9783110632774
Auflage
1

Teil III: Identitäten

Aus Ruinen zu einem neuen Leben

Gerhard Lamprechts Film Irgendwo in Berlin (1946)
Johannes Hürter
„Irgendwo in Berlin auf den Trümmern eines zerstörten Garagenhofes und zwischen den Wunden dieser zum Krüppel geschossenen Stadt spielen Kinder, und was spielen sie? ‚Krieg‘. Ein findiger Krämer, der um die Ecke wohnt, macht sich ein Geschäft daraus, den halbwüchsigen Jungen irgendwo verlagert gewesene Feuerwerkskörper gegen Lebensmittel zu vertauschen, die von den Bengels ihrerseits den Müttern gestohlen wurden.
Die Mütter haben es nicht leicht, die Männer sind noch nicht aus der Kriegsgefangenschaft zurück, sie selbst müssen schwer arbeiten, und so bleibt wenig Zeit übrig, den Kindern vernünftige und friedliche Spiele beizubringen.
Gustav Iller ist der aufgeweckteste und gleichzeitig besinnlichste dieser Jungen, der schon zu Anfang ein großes Abenteuer hat. Er versteckt einen flüchtigen Dieb, der ihm als Inbegriff des heldenhaften Verfolgten erscheint. Sein Kopf ist noch ganz von den falschen Idealen der zu früh zum Kriegsspiel erzogenen Jugend erfüllt. So ist er anfangs auch sehr enttäuscht, als er in einem müden abgerissenen Heimkehrer seinen sehnsüchtig erwarteten, von heldenhaftem Glanz umstrahlten Vater erkennt.
Der Heimkehrer Iller ist zunächst ganz zu Boden getreten, und als er im Zusammenhang mit einer Brieftasche, die der Dieb in seiner Wohnung versteckt hat, den großen Undank vieler heutiger Menschen erkennt, wird er noch mißmutiger und hoffnungsloser. Da geschieht etwas, das die Jungen und gleichzeitig ihn auf den rechten Weg bringt.
Im Bestreben, sich vor seinen kleinen Kameraden auf die übliche heldenhafte Weise groß zu tun, stürzt Willi, der beste Freund des kleinen Gustav, von einer hochragenden Häuserruine und stirbt. Gustav ist der erste, der mit sich Einkehr hält. Auch die übrigen Jungen, die noch gerade zuvor mit ihrem Unfug beinahe die schönen aufbauenden Bilder eines alten Malers zerstört haben, sehen das Sinnlose und Gefährliche ihrer kriegerischen Spiele ein.
Erst langweilen die Jungens sich furchtbar, denn sie wissen mit sich nichts Rechtes anzufangen, dann beginnen sie, mehr zum Zeitvertreib als aus Überzeugung, den Garagenhof von Gustavs Vater wieder aufzubauen. Damit ist das Eis gebrochen. Der Heimkehrer Iller sieht in der Jugend die Vorposten einer glücklicheren Zukunft und packt selbst mit an, um sich seine Existenz wieder aufzubauen.“1
So fasste das offizielle Filmbegleitheft den Inhalt des dritten Spielfilms der im Mai 1946 gegründeten DEFA zusammen: Irgendwo in Berlin.2 Seine Erstaufführung am 18. Dezember 1946 war beinahe ein Staatsakt ohne Staat. Die Kulturfunktionäre der sowjetischen Besatzungsmacht und der SED hatten mit dem Admiralspalast einen Rahmen gewählt, der so festlich wie symbolträchtig war. Hier residierte die ausgebombte Staatsoper, und hier hatte im April 1946 der Vereinigungsparteitag von SPD und KPD stattgefunden. Auf der Grundlage des guten Teils eines reichhaltigen Kulturerbes sollte auch im Kino etwas Neues aufgebaut werden, progressiv und sozialistisch. Ein plumper Propagandafilm war bei der vorweihnachtlichen Festaufführung jedoch nicht zu sehen. Wie die erste DEFA-Produktion, Wolfgang Staudtes Die Mörder sind unter uns (1946), am 15. Oktober 1946 ebenfalls im Admiralspalast uraufgeführt, spielt auch Irgendwo in Berlin in den Trümmern der Gegenwart, bevölkert von beschädigten und traumatisierten Überlebenden des Krieges. Und wie beim ersten deutschen Nachkriegsfilm hatte mit Gerhard Lamprecht auch bei der neuen Produktion ein früherer Ufa-Regisseur sowohl die Regie geführt als auch das Drehbuch verfasst, als ob er sich in die neue Zeit hineinschreiben wollte. Es war sein Film, fast schon ein Autorenfilm.
Irgendwo in Berlin wird im vorliegenden Beitrag als Projekt der Selbstverortung eines durch seine NS-Vergangenheit belasteten Künstlers in der Nachkriegsgesellschaft gelesen. Der Film war zugleich als Angebot an das Publikum konzipiert, sich ebenfalls mit einem veränderten Bewusstsein in ein anderes Deutschland einzufügen. Es diente also einer doppelten Identitätsfindung, der des Regisseurs und der seines Publikums. Es ging ihm um die Rekonfiguration von Biografien nach Krieg und NS-Diktatur, um die Erziehung zu neuem Denken und Handeln. Um zu verstehen, welchen Transformationsprozess der Regisseur selbst vollzog und wie es ihm gelang, biografische Kohärenz zu konstruieren, muss zunächst auf die Biografie und die Filme Lamprechts bis 1945 eingegangen werden. Anschließend wird die Produktionsgeschichte seines ersten Nachkriegsfilms dargestellt, um dann wesentliche Aspekte des Films zu analysieren. Wie zu zeigen sein wird, spielte bei Lamprechts filmischer Selbstvergewisserung und „Erziehung zu richtigem Denken“ die Auseinandersetzung mit Kriegskindheiten und mit den „falschen Idealen“ einer militärisch konnotierten Männlichkeit eine zentrale Rolle.

1 Ein Regisseur von Weimar zu Hitler – und (fast) wieder zurück

„Das Kriegsende erlebte ich in Berlin. Im Augenblick, da die Russen Friedenau einnahmen, am 27. April 1945 (es wurde nicht verteidigt) kam ich aus dem Keller in meine Wohnung, setzte mich an den Schreibtisch und begann zu arbeiten.“3 So lapidar beschrieb der Regisseur Gerhard Lamprecht im Rückblick seinen Übergang in die offene Situation der Nachkriegszeit. Seine Wohnung befand sich in einem Mietshaus in der Stubenrauchstraße 3 im bürgerlich-gründerzeitlichen Stadtteil Friedenau. In dem Haus hatten in den vergangenen Jahren zeitweise Täter und Opfer Tür an Tür gelebt: jüdische Mitbürger, die zwischen 1941 und 1943 von der Gestapo abgeholt und in ihre Vernichtung nach Osten deportiert wurden, und, im scharfen Kontrast dazu, mit dem SS-Obersturmbannführer Andreas Weggel ein führender Mitarbeiter des SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamts.4 Auch Joseph Goebbels wohnte ganz in der Nähe. Lamprecht selbst war irgendwo dazwischen, „verstrickt“, wie es bald verharmlosend und exkulpierend hieß. Der Regisseur hatte sich nach 1933 ohne Probleme in die systemstabilisierende Unterhaltungsmaschinerie der Ufa in Babelsberg integriert.
Die Fähigkeit, sich mit der eigenen Biografie in ein neues politisches System einzufügen, hatte Lamprecht bereits nach dem Ersten Weltkrieg bewiesen.5 Der Sohn eines Gefängnispfarrers, geboren am 6. Oktober 1897 in Berlin, war seit früher Jugend ein leidenschaftlicher Cineast, der alles sammelte, was mit Kino zu tun hatte, und sich um Jobs in der noch jungen Filmindustrie bemühte. Dem ordnete er sein Studium der Neueren Philologie in Berlin unter, das er schließlich abbrach. Den Krieg erlebte er 1917/18 als Soldat bei einer Nachschubabteilung und schließlich, nach Krankheiten nur noch „garnisonsverwendungsfähig“, in der Heimat. Während der Revolution arbeitete Lamprecht als Chefdramaturg bei der Berliner Rex-Film-Gesellschaft, wo er das Filmgeschäft in all seinen Aspekten kennenlernte. Den Aufschwung der Filmindustrie in der Weimarer Republik wusste er für sich zu nutzen. Bereits 1920 drehte er seinen ersten Film und gründete 1925 seine eigene Produktionsfirma. Er entwickelte sich zu einem der erfolgreichsten Regisseure der Weimarer Republik, mit dem Ruf, handwerklich hervorragend, wenn auch nicht innovativ zu sein.
Lamprecht zeigte in seinen über dreißig Filmen bis 1933 die Bandbreite eines Allrounders, der Liebeskomödien, Melodramen und Kriminalfilme ebenso konnte wie Literaturverfilmungen und Historienfilme. Erfolge feierte er etwa mit der ersten, von Thomas Mann als „strohdummes und sentimentales Kino-Drama“6 kritisierten Verfilmung der Buddenbrooks (1923), mit zwei Fridericus-Rex-Filmen mit Otto Gebühr (Der alte Fritz, in zwei Teilen 1927/28) und mit dem „vaterländischen“ Ufa-Film Der schwarze Husar (1932), der sich mit seinen deutschnationalen Tönen und kriegerischem Gehabe in die Auflösungsphase der Republik fügte. Angesichts solcher Preußen- und Historienschwelgerei ist kaum zu glauben, dass Lamprecht Mitte der 1920er Jahre mit einer Trilogie von Berliner „Milljöh“-Filmen Aufsehen erregt hatte. In ihnen schilderte er, inspiriert durch das Werk Heinrich Zilles, recht unverblümt den prekären Alltag der unteren Schichten in der Großstadt.7 Seine Begabung, mit Kinderdarstellern zu arbeiten, bewies Lamprecht insbesondere in Die Unehelichen (1926) über das Elend von Pflegekindern. Auch wenn die Milieuschilderungen dieser Filme eine sozialkritische Note enthielten, vermied der Regisseur eine politisch progressive Aussage, sondern ließ seine „Geächteten“ am Ende von der großbürgerlichen Elite retten.8 Die lebensnahe Beschreibung des Berliner Alltags gehörte auch zu den Stärken von Lamprechts größtem Erfolg, der Verfilmung von Erich Kästners 1929 erschienenem Kinderbuch-Bestseller „Emil und die Detektive“. Der Ufa-Film von 1931, für den Billy Wilder unter Mitwirkung des Autors das Drehbuch schrieb, wurde zu einem Welterfolg und Klassiker des Kinderfilms.9
Genauso routiniert, wie er in der Weimarer Republik die Genres wechselte, wurde Lamprecht im „Dritten Reich“ zum reibungslos funktionierenden Regisseur von Unterhaltungsfilmen der Ufa. Sein Filmwerk in der NS-Diktatur, insgesamt 17 vollendete Spielfilme, zeigt den für ihn charakteristischen Mix aus Literaturverfilmungen, Abenteuer- und Kostümfilmen, Melodramen etc., alle handwerklich gekonnt und mit der ersten Riege der Ufa-Schauspieler in Szene gesetzt. Propagandaminister Joseph Goebbels äußerte sich in seinen Tagebüchern mehrmals über seine Werke, meist wohlwollend, wobei ihn allerdings die Schauspielerinnen oft mehr interessierten als die „harmlosen“ Filme.10 Dass diese scheinbare Harmlosigkeit, mit der die Filme Lamprechts in diesen Jahren assoziiert werden, insbesondere im Krieg vom Regime gezielt dazu eingesetzt wurde, auf die Stimmung der „Volksgemeinschaft“ einzuwirken und Normalität vorzutäuschen, deutete Goebbels in einer Notiz über Mädchen im Vorzimmer (1940) an.11
Ob Lampr...

Inhaltsverzeichnis

  1. Title Page
  2. Copyright
  3. Contents
  4. Einleitung: Kino der Ambivalenz
  5. „Ein Film ist schwer zu erklären, weil er leicht zu verstehen ist“ Spielfilme als zeithistorische Quelle
  6. Teil I: Vergangenheiten
  7. Teil II: Persönliche Beziehungen
  8. Teil III: Identitäten
  9. Teil IV: Religion
  10. Personenregister