Ambivalentes Erzählen - Ambivalenz erzählen
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Ambivalentes Erzählen - Ambivalenz erzählen

Studien zur Poetik des frühneuhochdeutschen Prosaromans

  1. 422 Seiten
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Ambivalentes Erzählen - Ambivalenz erzählen

Studien zur Poetik des frühneuhochdeutschen Prosaromans

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Über dieses Buch

Die Studie untersucht Formen und Funktionen von Ambivalenz generierenden Erzählverfahren in Romanen des 15. und 16. Jahrhunderts, den sogenannten frühneuhochdeutschen Prosaromanen. Sie setzt an den für diese Textsorte vielfach postulierten Widersprüchen, Mehrdeutigkeiten und Ambiguitäten an, die bisher primär als Ausdruck eines wenig elaborierten und anderen narrativen Logiken folgenden Erzählens oder aber als epochenspezifische Dokumentationen zeitgenössischer Wandelerscheinungen in den Blick geraten sind. In der Untersuchung werden sie hingegen als spezifische Erzähl- und Textbausteine analysiert und als Elemente eines ambivalenten Erzählens bestimmt. Im Vordergrund steht daher nicht ihre sozial- und kulturhistorische Kontextualisierung, sondern ihre systematische narratologische Beschreibung und Analyse. Diese zeigt im Ergebnis das literarische Potential und die vielfältigen Funktionen ambivalenten Erzählens und bietet damit eine andere Perspektive auf die narrativen Strategien vormoderner Texte sowie auf deren theoretische und methodische Erfassung im Rahmen einer historischen Narratologie.

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Information

Jahr
2020
ISBN
9783110672701

1 Einleitung

Widerspruch, Ambiguität, Polyvalenz, Hybridität, Ambivalenz – diese hier nur exemplarisch genannten Kategorien zielen allesamt auf eine Erfassung, Beschreibung und Analyse von solchen literarischen Phänomenen, in denen sich eine „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“1 manifestiert. Ihre terminologische wie konzeptionelle Diversität zeugt von einem ausgeprägten interdisziplinären Interesse an der Thematik, das sich erst in jüngerer Zeit auch in der mediävistischen Forschung beobachten lässt. Während nämlich vermeintliche Inkohärenzen und Inkonsistenzen im Zuge sowohl der breit geführten Alteritätsdebatte als auch einer verstärkten Hinwendung zu narratologischen Fragestellungen schon früh in den Fokus der germanistischen Mediävistik geraten sind,2 wurde das literarische Potential von Zwei- oder Mehrdeutigkeiten, von (scheinbaren?) Gegensätzen und Widersprüchen, von Ambiguität und Doppelsinn bisher primär für Einzeltexte erkannt;3 als umfassendere Konzepte, als poetische Prinzipien auch vormodernen Erzählens sind solche Phänomene erst jüngst und nur vereinzelt in den Blick genommen worden. Eine mögliche Ursache dafür mag dabei unter anderem die anhaltende Wirksamkeit jenes ästhetischen Forschungsparadigmas sein, das „Polyvalenz, Mehrdeutigkeit und ‚Offenheit‘“4, aber auch Widersprüche und Gegensätze5 zu Epochenspezifika der Moderne oder Postmoderne erklärt.
Eine Revision dieser Einschätzung intendiert der 2016 erschienene, interdisziplinär ausgerichtete Band Ambiguität im Mittelalter, der sich dezidiert „bewusst intendierten und/oder inszenierten“6 Formen von Ambiguität in der vormodernen Literatur widmet und diskutiert, „inwiefern Ambiguität als generelles Signum für die vormoderne Literatur fruchtbar gemacht werden kann.“7 Im Gegensatz zu anderen mediävistischen Arbeiten gehen die Herausgeber von einer positiv lizensierten und aus einer effektvollen Inszenierung von Konträrem resultierenden Ambiguität auch in vormoderner Literatur und ihr inhärenten, je eigenen Sinnpotentialen aus.8 An möglichen Relationen zwischen Bedeutungskonstitution und spezifischen Formen von Unvereinbarkeit setzt auch das von Elisabeth Lienert initiierte Bremer Explorationsprojekt Widerspruch als Erzählprinzip an: Ausgehend von der Feststellung einer Omnipräsenz von Widersprüchen in der mittelalterlichen Erzählliteratur9 möchte es die Erscheinungsformen, Verfahren und Funktionen „von Phänomenen der Unvereinbarkeit, des Widerspruchs und Einspruchs auf und zwischen Erzählebenen“10 untersuchen und den „Widerspruch als Denk- und Erzählform“11 auch für die Vormoderne etablieren. Beide Ansätze bzw. Forschungsvorhaben fokussieren trotz einer je anderen terminologischen Bestimmung der zu untersuchenden Phänomene, die gleichwohl auf sehr ähnliche Arrangements zu zielen scheinen,12 die literarischen Potentiale solcher narrativer Inszenierungen und unterstellen ihre produktionsseitige Intentionalität. Diese Einschätzung ermöglicht nicht nur einen gänzlich anderen Blick auf ambige bzw. heterogene Textphänomene und die sie generierenden Verfahrensweisen, sondern eröffnet grundsätzlicher auch eine neue Perspektive auf die Konstitutionsbedingungen und Erzählstrategien vormodernen Erzählens.
Die diesen aktuellen Positionen zugrundeliegende Beurteilung von Widerspruch, Ambiguität oder Heterogenität in vormoderner Literatur kennzeichnet auch das vorliegende Untersuchungsvorhaben, das derartige narrative Konstellationen mit dem Begriff der Ambivalenz fasst und als spezifisches Erzählprinzip versteht. Im Fokus steht die narrative Inszenierung ambivalenter Textarrangements im frühneuhochdeutschen Prosaroman13, dem zwar stets eine besondere Affinität zu den genannten Phänomenen – zu Widerspruch, Mehrdeutigkeit und Ambivalenz – attestiert wurde, der aber weniger aufgrund seiner spezifischen narrativen Struktur und Poetik als vielmehr aufgrund seiner besonderen Relationen zu seinen außerliterarischen Kontexten mit diesen Attributen in Verbindung gebracht worden ist. Nach wie vor lässt sich die Tendenz beobachten, widersprüchliche bzw. ambivalente Phänomene als Ausdruck der vielfältigen Veränderungen am Übergang vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit, als Verweise auf die Prozesse des Wandels in Gesellschaft, Politik, Technik und Religion, auf die institutionellen, sozialen und diskursiven Modifikationen und Neuformationen und nicht zuletzt als Auseinandersetzungen mit einer allumfassenden Erfahrung von Kontingenz zu bewerten.14 Gerade dieser letzte Aspekt hat zum Teil einige problematische Implikationen hinsichtlich des literarhistorischen und literarästhetischen Status der Erzählungen mit sich gebracht. Lebensweltliche Kontingenzerfahrung fungiert nämlich zuweilen als Erklärung für chaotisch und regellos wirkende Erzählwelten, für paradoxe und heterogene Erzählstrukturen und konträre Sinnentwürfe; die Bestimmung von Kontingenz als die Handlung steuernder Mechanismus, als Erzählprinzip, verkennt aber die Relevanz der narrativen Konstruktion, die eine solche Lektüre, den rezeptionsseitigen Eindruck einer kontingenten Erzählwelt, allererst generiert. Sie verkennt darüber hinaus den einer solchen Gestaltung zugrundeliegenden Reflexionsgrad, die Differenziertheit der Narration und die Intentionalität der Inszenierung ambivalenter Textarrangements. Auch diese narrative Dimension solcher Konstellationen ist aber höchst relevant, möchte man sie nicht ausschließlich auf ihre sozialhistorische und kulturelle, sondern auch auf ihre literarische Signifikanz hin befragen. Ihre Funktionalisierung für eine Reflexion einer kontingenten Erfahrungswelt lässt sich zwar durchaus beobachten, aber weder bloß auf eine solche reduzieren, noch als alleinige Prämisse ihrer Inszenierung verstehen. Obwohl die „forcierte quantitative Aktualisierung [von Formen literarischer Ambiguität, Anm. d. Verf.] […] an kulturelle Kontexte gebunden [ist], die Prozesse der Infragestellung, Reflexion und Kritik von scheinbar Eindeutigem befördern“15, und der frühneuhochdeutsche Prosaroman durchaus in einem solchen, jene Prozesse fördernden und dynamisierenden kulturellen Kontext zu verorten ist, erklärt sich der literarische Gehalt solcher Aktualisierungen nicht ausschließlich aus ihren kulturellen oder auch pragmatischen Rahmenbedingungen16 – dies schon deshalb nicht, weil Formen literarischer Ambivalenz genuines Merkmal fiktionalen Erzählens sind, eine seiner Grundkonstanten.
Aus diesem Grund soll ambivalenten Textarrangements in dieser Arbeit zunächst in ihrer narrativen Faktur, als Textelementen und Erzählbausteinen, begegnet werden. Die Virulenz und Komplexität genannter Phänomene in den frühneuzeitlichen Erzählungen legt nämlich nahe, sie als Elemente eines spezifischen poetischen Programms und als Manifestationen einer besonderen literarischen Ästhetik zu begreifen. Neben der Frage nach der jeweiligen Funktionalisierung ambivalenter Textarrangements gilt es dementsprechend vor allem, die für ihre Konstituierung eingesetzten narrativen Techniken und Erzählstrategien nachzuzeichnen, die konträre Konstellationen generierenden Verfahren zu untersuchen. In der Regel sind jene Arrangements nämlich erst Resultat eines Zusammenspiels von solchen auf verschiedenen Ebenen des Textes wirksamen erzählerischen Verfahren: der Konkurrenz unterschiedlicher Handlungsmotivierungen, der Widersprüche zwischen Erzählerkommentaren und Figurenrede, der Gleichzeitigkeit expliziter und impliziter Wertungen etc. Die vorliegende Untersuchung möchte dabei den Versuch unternehmen, eine erzähltheoretische Kategorie ambivalentes Erzählen für die Beschreibung und Analyse solch interagierender und in dieser Interaktion Ambivalenz konstituierender narrativer Strategien und Erzählverfahren fruchtbar zu machen. Er basiert mithin auf der Annahme, dass ein in der Diskussion um die frühneuhochdeutschen Prosaromane in seiner narrativen Dimension bisher nur wenig beachtetes Phänomen mittels einer solchen interpretatorischen Kategorisierung präzise und zunächst ohne kulturhistorische Implikationen erfasst und beschrieben werden kann und eine Berücksichtigung dieser Kategorie womöglich zu einer Erhellung der Poetik der Romane beitragen könnte.
An diesem Vorhaben sind der Aufbau der Arbeit und die Textauswahl orientiert: In einem ersten Kapitel soll in Auseinandersetzung mit einzelnen Forschungspositionen und der daraus abgeleiteten Hypothese der Notwendigkeit einer den narrativen Gehalt berücksichtigenden Interpretationspraxis die analytische Konzeptualisierung der Kategorie Ambivalenz bzw. ambivalentes Erzählen sowie eine Diskussion der diese leitenden methodischen und theoretischen Prämissen erfolgen. Da es für eine Erprobung des interpretatorischen Gewinns einer solchen Kategorie wenig ergiebig erscheint, eine möglichst umfassende Zusammenschau verschiedener ambivalenter Textpassagen zu erstellen, sollen im Anschluss Formen und Erscheinungsweisen eines ambivalenten Erzählens in der exemplarischen und vertiefenden Analyse von zwei Erzählungen, der Melusine Thürings von Ringoltingen und des Apollonius Heinrich Steinhöwels, untersucht werden. Dieser Analyse der Interaktion verschiedener narrativer Techniken geht die Untersuchung ihrer einzelnen, jeweils konstituierenden Erzählverfahren anhand einer weiteren Erzählung, des Fortunatus, voraus; ihr folgt ein abschließender, die Ergebnisse der Analyse zusammenfassender und den interpretatorischen Mehrwert des ambivalenten Erzählens anhand des Tristrant-Romans diskutierender Ausblick.
Bei den hier untersuchten Romanen handelt es sich ausnahmslos um Erzählungen, in denen Ambivalenz im Rückgriff auf verschiedene narrative Verfahren explizit exponiert wird, die aber in genetischer Hinsicht aus völlig verschiedenen Erzähltraditionen stammen.17 Soll der interpretatorische Nutzen einer Analysekategorie aber nicht nur für einen Einzeltext, sondern für verschiedene Texte oder gar Textgruppen erprobt werden, erscheint es sinnvoll, dies an unterschiedlichem Material, an solchen sich hinsichtlich ihrer Stoffgeschichte und Erzähltradition unterscheidenden aber einer literarischen Reihe18 angehörenden Texten vorzunehmen. Auf diese Weise lassen sich meines Erachtens der tatsächliche Mehrwert und das Erklärungspotential einer analytischen Kategorie besonders gut ermitteln. Wenn solche aus unterschiedlichen Erzähltraditionen stammenden Erzählungen dabei eine gemeinsame Überlieferungstradition aufweisen, wie es bei der Melusine und dem Apollonius der Fall ist, scheint eine Überprüfung potentieller, über mögliche rezeptionsseitige Interessen hinausgehender Gemeinsamkeiten gerade auch im Hinblick auf ihre literarische Gestalt und narrative Faktur besonders vielversprechend.19 Es liegt somit nahe, diesen beiden Erzählungen verstärkte Aufmerksamkeit zu widmen.
Trotz der Differenzen zwischen dem Fortunatus, der Melusine, dem Apollonius und dem Tristrant sei zuletzt noch ein weiterer Aspekt erwähnt, der sich im weitesten Sinne als verbindendes Merkmal der auf den ersten Blick so unterschiedlichen Erzählungen bezeichnen ließe: ihr zeitgenössischer Erfolg. Jede dieser Erzählungen ist in zahlreichen Auflagen erschienen und hat eine beachtliche Wirkungsgeschichte vorzuweisen.20 Es liegt nahe, dies als Resultat eines spezifischen zeitgenössischen Lesebedürfnisses zu verstehen, dem die Erzählungen jeweils entsprochen zu haben scheinen. Ob der sich in diesem rezeptionsseitigen Interesse manifestierende literarische Reiz letztlich auch auf die besondere narrative Gestaltung der Prosaromane zurückzuführen ist, lässt sich nicht mit Sicherheit beantworten. Es könnte in Anlehnung an die Überlegungen Joachim Küppers allerdings in Erwägung gezogen werden, ob nicht die – im Folgenden nachzuweisende – Potenzierung der einem jeden literarischen Text inhärenten semantischen Offenheit ein wesentlicher Grund für den Erfolg der Erzählungen gewesen sein könnte.21

Inhaltsverzeichnis

  1. Title Page
  2. Copyright
  3. Contents
  4. Dank
  5. 1 Einleitung
  6. 2 Problemstellung und methodische Vorüberlegungen
  7. 3 Zur narrativen Inszenierung von Ambivalenz
  8. 4 Thüring von Ringoltingen: Melusine
  9. 5 Heinrich Steinhöwel: Apollonius
  10. 6 Ambivalentes Erzählen im frühneuhochdeutschen Prosaroman: Schlussbetrachtung und Ausblick
  11. Literaturverzeichnis
  12. Personenregister