Schillers Theaterpraxis
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Über dieses Buch

Schiller ist ein Meister der theatralischen Performanz. Die Zeichensprache des Theaters dirigiert er in seinen Regiebemerkungen, die er zu einem Anweisungsregister der Bühnenkunst ausbaut. Internationale Expertinnen und Experten erfassen Schillers Theater aus gattungsspezifischer, bühnenästhetischer und anthropologischer Sicht.

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Information

Jahr
2019
ISBN
9783110667608

I Dramaturgie

Der große Menschheitsaugenblick

Zu Schillers politischer Publikumsdramaturgie in Don Karlos
Helmut J. Schneider

1 Posa vor König Philipp: Rhetorische Machtergreifung der Gesellschaft

In der Mitte des Don-Karlos-Dramas, dem zehnten Auftritt des dritten Akts, findet die Begegnung des Marquis Posa mit König Philipp statt. Der Marquis nutzt den ihm überraschend eröffneten Zugang zum Zentrum der absolutistischen Macht, um dort sein republikanisches Ideal und die Sache der niederländischen Freiheit vorzubringen. Dabei appelliert er an Philipp als „Mensch[en]“. Der König habe, so Posa, indem er sich zum irdischen Gott erhob, seiner eigenen Menschlichkeit Gewalt angetan: „Sie blieben selbst noch Mensch − / Mensch aus des Schöpfers Hand. Sie fuhren fort / als Sterblicher zu leiden, zu begehren; […] Sie brauchen Mitgefühl […]“ (FA, 3, 313, 3717–3721). Posa weiß nicht, dass der König ihn eben um dieser Bedürftigkeit willen zu sich gerufen hatte. Von seiner Eifersucht auf die ihm heimlich mitgeteilte Liebe seines Sohns zur jungen Königin gequält und von den offensichtlich egoistischen Manipulationen der Hofkamarilla abgestoßen, war sein Blick auf den unabhängigen Außenseiter gefallen – einen Menschen, wie er hoffte, der ihm Wahrheit geben kann, „den seltnen Mann mit reinem, offnem Herzen, / mit hellem Geist und unbefangnen Augen“ (FA, 3, 297, 3314–3315). Umso stärker muss er jetzt von Posas, freilich prinzipiell und politisch gemeinter, Ermahnung berührt sein, die sich auf die Gleichheit aller Menschen unter dem Schöpfer und das aus ihrer Sterblichkeit resultierende Bedürfnis nach Mitgefühl beruft. Die „eine Feuerflocke Wahrheit“ (FA, 3, 305, 3493), die Posa „kühn“ „in des Despoten Seele“ wirft (FA, 3, 305, 3494), zündet zwar nicht in dessen politischer Einsicht, wohl aber seinem verwundeten Gemüt. Der Marquis erfasst den Augenblick mit sicherem Instinkt und unterbricht seine flammende Rede, um sich dem König noch unmittelbarer zuzuwenden: „Er [Posa] nähert sich ihm [Philipp] kühn und faßt seine Hand, indem er [Posa] feste und feurige Blicke auf ihn [Philipp] richtet“, so die Szenenanweisung (FA, 3, 317, nach 3847). Posa spricht eindringlich:
O könnte die Beredsamkeit von allen
den Tausenden, die dieser großen Stunde
teilhaftig sind, auf meinen Lippen schweben,
den Strahl, den ich in diesen Augen merke,
zur Flamme zu erheben!
(FA, 3, 317, 3848–3852)
Posa fährt fort, indem er die absolutistische Allmacht beschwört: „Ein Federzug von dieser Hand, und neu / erschaffen wird die Erde. Geben Sie / Gedankenfreiheit“ (FA, 3, 317, 3860–3862).
Diese Freiheit, in deren Forderung sich ein Jahrhundert politischer Aufklärung zuspitzt, hat Posa sich in ebendiesem Augenblick genommen, da er den Audienzsaal zur Arena seiner politischen Vision macht. Posas für seine rhetorische Virtuosität berühmter Auftritt hat den Charakter einer performativen Selbsterfüllung. Hierfür ist der Appell an die Tausende, die die „große[] Stunde“ teilen und deren Stimmen er in seiner eigenen versammeln will, entscheidend. Sie sind metonymisch als Publikum hier und jetzt im Theatersaal gegenwärtig. Posas Worte vereinigen Bühne und Zuschauer in einem großen Theateraugenblick, in dem sich so etwas wie eine Machtergreifung ereignet: die symbolische Machtergreifung der Gesellschaft gegen den absolutistischen Staat.1
„Gesellschaft“ wird hier verstanden als ein durch den egalitären Wert des „Mitgefühl[s]“ (FA, 3, 313, 3721) oder der Empathie bestimmter Innenbereich, im Gegensatz zu einem Außen der im Monarchen verkörperten absoluten Macht. Der Marquis wirft dem König vor, den „Menschen aus des Schöpfers Hand“ (FA, 3, 313, 3718) in das „Werk“ (FA, 3, 313, 3714) seiner eigenen Hände verwandelt und sich „dieser neugegoßnen Kreatur / zum Gott“ (FA, 3, 313, 3715–3716) gegeben zu haben; er aber wolle nicht Werkzeug – „Meißel“ (FA, 3, 308, 3576) – in der Hand eines anderen, sondern selbst Schöpfer sein. Die neue Ordnung der Gleichheit beansprucht für alle Bürger die Freiheit zu autonomem Schöpfertum, die der Monarch als Monopol usurpiert hat. „Werden Sie / von Millionen Königen ein König“ (FA, 3, 317, 3846–3847), ruft Posa Philipp zu, unmittelbar bevor die zitierten Verse ihn selbst als Sprecher der Tausenden zugunsten der neuen Ordnung ermächtigen.
Posas Vision einer freiheitlich-egalitären Gesellschaft und der von Philipp repräsentierte absolutistische Staat stehen sich in dem Auftritt jedoch nicht unvermittelt gegenüber, sondern sie sind im Austausch der beiden Männer widersprüchlich miteinander verschränkt. Der König sucht menschlichen, vom egoistischen Interesse eines Hofakteurs unbeeinflussten Rat und erhält stattdessen eine menschheitspolitische Lektion, für die ihn sein Gefühlszustand aber ein gutes Stück weit öffnet: „Bei Gott, / er greift in meine Seele!“ (FA, 3, 314, 3748–3749). Umgekehrt gerät dem Marquis das „Gemälde“ (FA, 3, 311, 3673) seiner weltbürgerlichen Utopie mehr und mehr zu einer autosuggestiven Selbstermächtigung, die von der angegriffenen Macht seines Gegenübers zehrt und sich ihrerseits ein Stück weit mit ihr verbindet. Erschien es Posa anfangs schwer, das, „was ich als Bürger dieser Welt gedacht, / in Worte Ihres Untertans zu kleiden“ (FA, 3, 307, 3533–3534), so verschmilzt schließlich seine überbordende Rhetorik geradezu mit dem von ihm evozierten, aus dem königlichen „Füllhorn“ (FA, 3, 317, 3844) „strömen[den]“ (ebd.) „Menschenglück“ (FA, 3, 317, 3843). „Ein Federzug von dieser Hand, und neu / erschaffen wird die Erde“ (FA, 3, 317, 3860–3861), verspricht Posa dem König. Laut Szenenanweisung hält der Marquis dabei die Hand des Monarchen „[ge]faßt“ (FA, 317, nach 3847), als wolle er selbst sie vor den Augen und Ohren der als Verbündete angerufenen Zuschauer führen.
Die „große[] Stunde“ dieses Auftritts steht im Handlungsverlauf des Dramas zunächst relativ isoliert und in sich geschlossen da; Kritiker haben schon früh moniert, dass in ihr die Handlung stillstehe. Einerseits ist ihr äußeres Zustandekommen nur schwach motiviert (beim Durchblättern seines Notizbuchs fällt Philipps Blick zufällig auf Posas Namen), und andererseits trägt sie keine Frucht für die niederländische Freiheitsaktivität. So ragt die Szene als ein grandioses, einen weiten politisch-weltanschaulichen Horizont aufreißendes rhetorisches Glanzstück aus dem Bühnengeschehen hervor, das sie in gewisser Weise sogar unterbricht: Während die beiden Handlungsstränge des Liebeskonflikts um Karlos und Elisabeth sowie der politischen Aktion im Überwachungsraum des Hofs einer strikten Verschwiegenheit und Geheimhaltung unterliegen, erscheint die im Innersten der Macht stattfindende Audienz als Insel der Redefreiheit. Freilich liegt ihr die Täuschung Philipps darüber zugrunde, dass ausgerechnet der von ihm als unparteiisch Erwählte zutiefst in die verdächtigten Verhältnisse verwickelt ist. Für die eingeweihten Zuschauer und Zuhörer aber rufen Posas beredte Anklagen des Despotismus und seine dagegengehaltene utopische Glücksvision den Freiheitsenthusiasmus der vorangegangenen Szenen mit dem Freund und der Königin wach; ihr Echo verstärkt die republikanische Rhetorik.
Dagegen ist Philipps ursprüngliches, ebenfalls nur dem Zuschauer bekanntes intimes Anliegen schon nahezu vergessen, als er es spät zur Sprache bringt und nun, in einer überraschenden Wende, Posa zum Spion über das verdächtigte Liebespaar bestellt. Geradezu zynisch erscheint es, wenn er den Marquis als eine Art Vorzeige-„Mensch“ unter seinen Untertanen auszeichnet: „Sie selbst, Sie sollen,/ Sich zur Beschämung, unter meinen Augen/ fortfahren dürfen, Mensch zu sein.“ (FA, 3, 320, 3942–3944) Der menschliche Ratgeber, der Philipp mit menschheitspolitischen Forderungen konfrontierte, wird mit dem Zeichen der Gunst des Königs und dem Geheimauftrag zur Ausforschung seiner Familienmitglieder entlassen. Der Weltbürger Posa, der die absolutistische Macht rhetorisch zu vereinnahmen suchte, wird in ihr System kooptiert. „Ich will nicht heimlich tun mit meinem Wohlgefallen“ (FA, 3, 347, 4560), bekräftigt der König später seine Auszeichnung, als Posa sich auf den Status eines privaten Freundes zurückziehen will, und raubt diesem Wort „Freund“ seinen emotionalen Wert: „[D]as Siegel meiner königlichen Gunst/ soll hell und weit auf eurer Stirne leuchten./ Ich will den Mann, den ich zum Freund gewählt,/ beneidet sehn.“ (FA, 3, 347, 4561–4564)
Im pragmatischen Handlungskontext ist der große Auftritt, der den Republikaner und den Monarchen verbindet, also zweifach unterminiert, nämlich einerseits durch Philipps Täuschung und andererseits durch Posas Anstellung. Auch wenn Posa nicht die Seiten wechselt, so ist er doch von der plötzlich gewonnenen Machtposition bestochen. Sie verführt ihn zu einem vermessenen Spiel als scheinbarer Doppelagent, in das er sich zunehmend verstrickt und dem er schließlich zum Opfer fällt (genauer: das er durch sein Selbstopfer doch noch zu einem erfolgreichen Ende zu führen sucht). Er lässt Karlos über seine Beziehung zum König im Unklaren und setzt sich selbstherrlich über die Gefühle des Prinzen und der Königin hinweg. Der „Abgeordnete […] der ganzen Menschheit“ (FA, 3, 182, 165), wie er sich zu Beginn seinem früheren Studienfreund Karlos eingeführt hatte, erhebt sich unter dem Schirm königlicher Protektion zum Dirigenten einer Palastintrige, deren abstraktes Fernziel die konkrete Menschlichkeit ausblendet. Der idealistische Gegner höfischer Machtpolitik wird zum Verräter an seinen moralischen Prinzipien. An diesem Punkt setzt bekanntlich die schon vom Autor Schiller selbst (in den Briefen über Don Karlos, 1788) begonnene und bis heute anhaltende Diskussion über Posa als Repräsentanten eines inhumanen Idealismus, nach der Formulierung von Schillers Freund Körner eines „Despotismus der Aufklärung“,2 an. Die Widersprüchlichkeit seines Handelns und seiner Motivation macht Schillers Protagonisten zu einer der faszinierendsten Gestalten des deutschen klassischen Dramas.3
Posas schillernder Charakter ist aber zugleich Ausdruck seiner Funktion in der Handlung.4 Er verknüpft die beiden Schwerpunkte des familiären und politischen Konflikts und überträgt das bürgerliche Ethos der Empfindsamkeit (Freundschaft, Liebe, Empathie) in die staatliche Sphäre. Gegensatz und Bezogenheit dieser Sphären, und hiermit auch das gattungshistorische Verhältnis von bür...

Inhaltsverzeichnis

  1. Title Page
  2. Copyright
  3. Contents
  4. Siglenverzeichnis
  5. Einleitung
  6. I Dramaturgie
  7. II Psychologie
  8. III Grenzgänge