Interesse am Anderen
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Interesse am Anderen

InterdisziplinÀre BeitrÀge zum VerhÀltnis von Religion und RationalitÀt

  1. 854 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfĂŒgbar
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InterdisziplinÀre BeitrÀge zum VerhÀltnis von Religion und RationalitÀt

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Quellenangaben

Über dieses Buch

Die KlĂ€rung des VerhĂ€ltnisses von Religion und RationalitĂ€t gehört zur Kernaufgabe religionsphilosophischer und theologischer VerstĂ€ndigung bzw. SelbstverstĂ€ndigung. Die in diesem Band aus Anlass des 60. Geburtstages von Heiko Schulz versammelten BeitrĂ€ge aus Theologie, Philosophie und Geschichtswissenschaft widmen sich dieser Aufgabe in Detailstudien ebenso wie in ĂŒbergreifenden Kontexten und eröffnen ĂŒberdies ethisch-moralische Perspektiven.

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Information

Jahr
2019
ISBN
9783110660036

II Einsichten

Klang der Seele

Zur Bedeutung von rationalitas bei Hildegard von Bingen
Eveline Waterboer
„Aber sowohl im Verstand als auch im Willen zeigt sich
gleichsam als Klang der Seele die Vernunft.“1
Seit einigen Jahren, besonders seit dem JubilĂ€umsjahr 1998, in dem ihr 900. Geburtstag gefeiert wurde, belegen zahlreiche Publikationen ein verstĂ€rktes Interesse an Hildegard von Bingen (1098 – 1179), der berĂŒhmten Äbtissin und ‚Seherin‘ des 12. Jahrhunderts. Diese betrachten Hildegard aber zumeist losgelöst von ihrem theologischen Gesamtwerk, sodass bei der Rezeption Hildegards hĂ€ufig Gesichtspunkte in den Vordergrund gelangen, die als Einzelaspekte gegenwĂ€rtig zwar gefragt, aber im Blick auf Hildegard nur bedingt angemessen sind.2 Mit der Rezeption Hildegards wird hĂ€ufig ihr theologisches Anliegen durch aktuelle WĂŒnsche und Begriffe ĂŒberlagert und ihre Verwurzelung im 12. Jahrhundert ĂŒbergangen.
Am 10. Mai 2012 erklĂ€rte Papst Benedikt XVI. per Dekret (Litterae decretales) Hildegard von Bingen zur Heiligen der römisch-katholischen Kirche und am 7. Oktober 2012 erfolgte Hildegards Erhebung zur Kirchenlehrerin.3 Dieser Vorgang lĂ€sst eine WertschĂ€tzung erkennen, die nicht nur ihre Person, sondern auch ihr Werk und ihre Lehre als wesentlich fĂŒr den christlichen Glauben betont. In diesem Sinne erweist sich eine AnnĂ€herung an die theologischen Aussagen Hildegards als lohnenswert und sogar spannend – auch fĂŒr die evangelische Theologie.
Es waren Visionen, die Hildegard bereits zu ihrer Zeit berĂŒhmt gemacht haben, und die sie in ihren Visionsschriften beschrieb und erlĂ€uterte. Die drei Werke, in denen Hildegard die von ihr erlebten Visionen und die mit ihnen verbundenen Auditionen schildert, haben zwar unterschiedliche Schwerpunkte, sind aber inhaltlich so miteinander verknĂŒpft, dass sie oft als „Visionstrilogie“ bezeichnet werden. FĂŒr die Abfassung einer jeden Schrift benötigte sie mehrere Jahre: An der Schrift Scivias („Wisse die Wege“) arbeitete sie von 1141 bis 1151, Liber vite meritorum („Das Buch der Lebensverdienste“) wurde zwischen 1158 und 1163 verfasst und Liber divinorum operum („Das Buch der göttlichen Werke“) schließlich entstand zwischen 1163 und 1174. Hildegard wurde und wird in der Literatur – auch in der Forschungsliteratur – wegen ihrer Visionen vor allem als ‚Seherin‘ mit dem PhĂ€nomen ‚Sehen‘ (visio) in Verbindung gebracht. Zu bedenken ist aber, dass es gerade das Hören der Stimme Gottes war, das Hildegards Visionserfahrung wesentlich prĂ€gte. Es reicht also nicht, Hildegards ‚Schauungen‘ allein als Visionen zu betrachten, vielmehr ist es notwendig, ihre Visionen als gehörte Visionen wahrzunehmen. D. h. Hildegards Visionen entsprachen Audio-Visionen, die mit einer unmittelbaren Gotteserfahrung verbunden waren.
Hildegards Werk enthĂ€lt eine theologische Welt- und Daseinsdeutung, die sich in den vielen Visionen der Visionsschriften zu einer theologischen Lehre entfalten; erst in der Summe lĂ€sst sie sich als Theologie im klassischen Sinne, nĂ€mlich als ‚Komposition des Ganzen einer visionĂ€ren Theologie‘ erkennen, die alle theologischen Bereiche wie z. B. kosmologische und schöpfungstheologische Gedanken umfasst. Hinzu kommen Hildegards Überlegungen zur Inkarnation des Gotteswortes, zu Gotteslehre und TrinitĂ€t, zu SĂŒnde und ErlösungsbedĂŒrftigkeit des Menschen sowie zur heilsgeschichtlichen Bedeutung der Kirche. Wichtig ist, dass es Hildegard nicht um eine ‚rational-intellektuelle Darstellung‘ von Gott, Kosmos, Mensch und Heilsgeschichte ging; ihre Absicht bestand vor allem darin, als von Gott berufene Prophetin die Menschen zur Umkehr aufzurufen und zu sittlich verantwortetem Handeln aufzufordern. Als prophetische Theologin hatte Hildegard damit grundsĂ€tzlich in allen theologischen Bereichen die Heilsgeschichte und das zukĂŒnftige Heil der Menschheit im Blick. Hildegards Worte waren mithin Predigt- und Mahnworte, die, geprĂ€gt von einer biblisch orientierten symbolisch-allegorischen Sprache, oft schwer verstĂ€ndlich wirken. Da sie im Umgang mit Begriffen weder logisch noch analytisch vorging, sondern ihre Begrifflichkeiten durch Bilder und Vergleiche vermittelte, entsprechen ihre Gedanken und Deutungen keinem dogmatischen Konzept mit klar definierten Aussagen, weshalb sich ihre AusfĂŒhrungen nur bedingt systematisch darstellen lassen.
Dennoch ist es gerade die Sprache, die Hildegards GenialitÀt und KreativitÀt und somit das Besondere und Einzigartige ihrer Schriften belegt: Mit Hilfe der symbolisch-allegorischen Methode entfaltete sie terminologische Neuschöpfungen, indem sie traditionelle Bedeutungen in neue ZusammenhÀnge stellte, sodass der von ihr verwendete Begriff durch zusÀtzliche Nuancen sich zu etwas Neuem entwickelte. Trotz ihres Eingebundenseins in die Theologie ihrer Zeit hat Hildegard auf diese Weise eine einzigartige theologische Bildersprache geschaffen, die ungewöhnliche, von der Tradition abweichende Aspekte und Perspektiven bietet. Dazu gehört auch der Begriff rationalitas.

I Die ‚geschaffene‘ und die ‚ungeschaffene rationalitas‘

Der Begriff rationalitas, der das Werk Hildegards wie ein „Leitmotiv“4 durchzieht, gehört zu den wichtigsten ‚SchlĂŒsselwörtern‘ Hildegards. Auch wenn die NĂ€he zum Begriff ratio ins Auge fĂ€llt, lĂ€sst sich rationalitas nur bedingt mit dem modernen Begriff ratio bzw. ‚RationalitĂ€t‘ vergleichen, da es bei rationalitas nicht um unser modernes VernunftverstĂ€ndnis geht, damit also weder eine Form der kritischen Vernunft noch logisches Denken angesprochen wird. Vielmehr handelt es sich bei diesem Begriff um eine der „merkwĂŒrdigen terminologischen Neuschöpfungen Hildegards“5.
Den Begriff rationalitas gab es zwar bereits in der frĂŒhchristlichen und mittelalterlichen Literatur,6 doch bei Hildegard erfuhr er eine Erneuerung im Sinne einer Erweiterung, d. h. Hildegard fĂŒgte der traditionellen Bedeutung eine ungewöhnliche Unterscheidung hinzu: In ihrem Werk ist die Rede von einer ‚geschaffenen‘ und einer ‚ungeschaffenen rationalitas‘. Mit dieser Differenzierung bezog Hildegard rationalitas zum einen auf den Menschen, zum anderen auf Gott. WĂ€hrend nĂ€mlich die ungeschaffene rationalitas dem ‚Vernunft-Sein‘ Gottes entspricht, erweist sich die geschaffene rationalitas als höchste geistige Kraft im Menschen. Diese wurde ihm bei der Schöpfung zusammen mit dem ‚tönenden Wort‘ als ‚Hauch‘ Gottes eingegeben, d. h. die geschaffene, menschliche rationalitas spiegelt – einem Abbild gleich – die göttliche Vernunft wider. So verbindet rationalitas also Gott und Mensch miteinander und macht das Göttliche im Menschlichen möglich.
Da die Vernunft Gottes sein Denken, seine Gedanken impliziert und da Gedanken, um zur Wirkung zu kommen, des (gesprochenen) Wortes bedĂŒrfen, sah Hildegard die Notwendigkeit, dass Gottes Wille in seinem Wort erklingen, d. h. ‚Laut‘ (sonus) werden muss. FĂŒr Hildegard war das Wort nicht nur gedachte Sprache, nicht nur Gedanke, sondern sie betrachtete das Wort bzw. verbum in Anlehnung an den Ternar7 sonus – virtus – flatus als ein Geschehen, zu dem auch der Vollzug der Sprache, das Sprechen gehört, um als vox bzw. sonus hörbar zu werden. Auf diese Weise beschrieb Hildegard rationalitas als das von Gott gesprochene ‚tönende Wort‘ ‚fiat‘, das das Schöpfungsgeschehen als ein sprachliches Ereignis darstellt, und den mit ‚fiat‘ verbundenen sonus als Impuls und Anstoß fĂŒr das Schöpfungsgeschehen. Demnach entfaltete das innergöttliche Denken mit dem Schöpfungswort seine schöpferische Kraft und ließ die Welt in einem klingenden Wortgeschehen entstehen. Mit der Aussage, dass die göttliche Vernunft sich im Schöpfungsgeschehen als kommunikative und wirkende Kraft erwiesen habe, brachte Hildegard schließlich zum Ausdruck, dass alles Lebendige in der ungeschaffenen rationalitas Gottes wurzelt.
Im Folgenden soll vor allem die anthropologische Perspektive, die geschaffene rationalitas, im Vordergrund stehen. Es geht also um Hildegards Begriff von der menschlichen Vernunft, die deshalb ‚vernĂŒnftig‘ ist, weil sie von der göttlichen rationalitas abstammt und somit ‚göttlicher Natur‘ ist. Hildegard brachte damit zum Ausdruck, dass der Mensch durch Teilhabe an der göttlichen Vernunft in der Lage sei...

Inhaltsverzeichnis

  1. Title Page
  2. Copyright
  3. Contents
  4. Vorwort
  5. I KlĂ€rungen
  6. II Einsichten
  7. III RationalitĂ€t im Diskurs
  8. IV IrrationalitĂ€t, NichtrationalitĂ€t und Nichtrationalisierbarkeit
  9. V Folgen
  10. AbkĂŒrzungsverzeichnis/List of Abbreviations
  11. Personenregister/Index of Persons
  12. Sachregister/Index of Subjects
  13. Verzeichnis der Beitragenden/List of Contributors