1 Einleitung
Enossale Zahnimplantate gehören heute zum festen Bestandteil der zahnärztlichen Therapie. Obwohl die Verwendung von Implantaten als prothetische Pfeiler aus medizinischer Sicht nur in seltenen Fällen dringend erforderlich ist und nahezu jeder Behandlungsfall auch konventionell prothetisch gelöst werden kann, wird von den betroffenen Patienten der festen prothetischen Lösung oftmals der Vorzug gegeben.
So verwundert es nicht, dass die Zahl der Implantatinsertionen von Jahr zu Jahr deutlich zunimmt. Parallel dazu haben sich auch die Möglichkeiten der Fortbildung und das Angebot an Implantatsystemen so stark vervielfacht, dass der Zahnarzt in der Praxis den Überblick verloren hat.
Nahezu im gleichen Maß, wie die Zahl der Implantationen zunimmt, wächst auch die der Komplikationen, Misserfolge und Implantatverluste und damit die Häufigkeit von rechtlichen Auseinandersetzungen mit den Patienten.
Die Kenntnis des speziellen Vorgehens mit dem angewendeten Implantatsystem sowohl bei der chirurgischen Insertion als auch bei der Herstellung der prothetischen Suprakonstruktion ist eine wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Anwendung am Patienten.
Misserfolg muss dabei nicht erst der Implantatverlust sein. Schon eine Abweichung von dem geplanten und erzielbaren Ergebnis kann als Misserfolg gewertet werden. Nicht selten führen Missverständnisse, Unkenntnis von Begleitumständen oder eine ungünstige Abfolge von Ereignissen oder Versäumnissen zum Implantatverlust. In vielen Fällen stellt sich dabei die Frage, ob Misserfolge vorhersehbar und damit gegebenenfalls vermeidbar gewesen wären.
Im Folgenden werden Misserfolge und andere Behandlungsfälle aus eigener Praxis und aus der Fallsammlung des Autors in seiner Eigenschaft als Gerichtssachverständiger vorgestellt, bei denen die Komplikationen von Anfang an nicht erkannt bzw. nicht vorhergesehen wurden. Die Befunde und die Fallbeispiele wurden nach klinischen Gesichtspunkten ausgewählt und zusammengestellt, der Behandlungsverlauf mit knappen Erläuterungen kommentiert. Weitergehende Therapiekonzepte werden hier nur gestreift und können an anderer Stelle nachgearbeitet werden.
Die Auswahl der vorgestellten klinischen Fälle soll nicht nur einen überblick über mögliche Schwierigkeiten und Probleme geben, sondern auch der Erfahrung Ausdruck verleihen, dass Fehler nicht immer vermeidbar sind.
In einigen Kapiteln werden Komplikationen und Verluste von Implantaten vorgestellt, die durchaus vermeidbar gewesen wären. Gewisse Fehlentscheidungen, Unkenntnis, fehlende Erfahrung und das Fehlen evidenzbasierter Hinweise sowie wirtschaftliche Zwänge haben in diesen Fällen dazu beigetragen, dass es zum Misserfolg gekommen ist.
Die Schilderung der Behandlungsabläufe wurde bewusst kurz und zum Teil stichwortartig gehalten. Dafür sind, soweit verfügbar, klinische, radiologische und andere Originalbefunde beigefügt. Auch wenn die Dokumentation verständlicherweise nicht lückenlos ist und die Qualität der Bilder mitunter Wünsche offenlässt, kann der Sachkundige die jeweilige Problematik der vorgestellten Fälle leicht erfassen.
Dem Anfänger im Fach soll bereits zu Beginn seiner implantologischen Tätigkeit eine gewisse Sensibilität für mögliche Gefahren und Probleme vermittelt werden. Der erfahrene Leser mag aus den beschriebenen ungünstigen Verläufen seine eigenen Schlussfolgerungen ziehen und gegebenenfalls ähnliche Fälle aus der eigenen Praxis darin wiedererkennen.
Kapitel 2
Ursachen für Misserfolge
2 Ursachen für Misserfolge
Indikationen und Kontraindikationen für den Einsatz von enossalen Zahnimplantaten sind auf der Grundlage umfangreicher Erfahrungen in den letzten drei Jahrzehnten erarbeitet worden.
Neben generellen medizinischen Gegebenheiten, die den chirurgischen Eingriff für den Patienten zu einem Risiko machen können, beispielsweise Störungen der Blutgerinnung oder Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems, werden auch lokale Risiken definiert. Zu den letzteren gehören Störungen der Wundheilung, wie sie z. B. beim schlecht eingestellten Diabetes mellitus oder nach einer Strahlenbehandlung des Kieferknochens auftreten.
Aus diesem Grund sind gewisse Vorbereitungsmaßnahmen für eine Implantatinsertion unerlässlich (Tab. 2-1).
Neben den medizinischen Daten müssen auch die forensischen Risiken gesehen werden, die im Wesentlichen in der Planung, der Aufklärung des Patienten, der Dokumentation und der Organisation der Therapie begründet sein können.
Da es sich bei der implantatgetragenen Suprakonstruktion um eine Wahlleistung handelt, die nur sehr selten medizinisch notwendig ist, sind Komplikationen und Misserfolge hier eher rechtlich konfliktträchtig, als dies bei einer medizinisch notwendigen Therapie der Fall ist.
Nicht selten lösen Aussagen nachbehandelnder Kollegen oder solche von Beratern der Kostenträger den Konflikt aus, sodass es in der Folge zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Patienten mit seinem Zahnarzt kommt.
Hinzu kommt in vielen Fällen der Umstand, dass eine unzureichende Aufklärung über die möglichen Risiken erfolgt ist und dass der Patient deshalb von einem Erfolg der Behandlung und bei Komplikationen oder nach Implantatverlust von einem Fehler seitens des Behandlers ausgeht. Häufig sucht er dann andere Fachkollegen auf und wird möglicherweise in seinem Verdacht gestützt. Nicht selten baut sich der Verdacht zu einem handfesten rechtlichen Streit auf, der erst in einer Gerichtsverhandlung entschieden wird.
Vor der Implantation
• medizinische Abklärung
• Diagnostik der lokalen Verhältnisse
• Dokumentation aller Daten
• Aufklärung und schriftliche Vereinbarung der Therapie und Kosten
• schonende OP-Technik (und kurze OPDauer)
• adäquate Suprakonstruktion
• Mundhygienekonzept und dessen Etablierung
• Recall
Nach der prothetischen Versorgung
• rechtzeitige Diagnostik bei Verdacht auf eine Komplikation
• adäquate Therapie
• Indikation zur Explantation
• schonende Explantation
• prothetisches Umstellungskonzept oder erneute Planung
Tab. 2-1 Übersicht über die medizinische Abklärung und Langzeitbetreuung von Implantatpatienten.
Die Einteilung der Misserfolge in der Implantologie erfolgt nicht einheitlich, sondern kann nach unterschiedlichen Gesichtspunkten vorgenommen werden.
In der Tabelle 2-2 sind die Möglichkeiten für einen Implantationsmisserfolg zusammengestellt.
Arten von Komplikationen und Misserfolgen am Implantat
• Frühmisserfolge (in der Einheilphase, vor der prothetischen Versorgung
• Spätmisserfolge (nach der prothetischen Versorgung)
• Misserfolge durch Materialfehler (z. B. Implantatherstellung)
• falsche Implantatauswahl (z. B. Dimensionsprobleme, Implantatdesign)
• Misserfolge aufgrund von dentaltechnischen Fehlern (z. B. Löten)
• Misserfolge durch prothetische Fehler (z. B. Mikrospalt)
• Misserfolge wegen Hygieneunfähigkeit des Zahnersatzes
• ästhetische Misserfolge
• patientenverschuldete Misserfolge
Tab. 2-2 Übersicht über mögliche Komplikationen und Misserfolge im Zusammenhang mit enossalen Implantaten.
In den meisten Fällen sucht der betroffene Patient nach den Gründen, die den Misserfolg herbeigeführt haben, wobei ein Implantatverlust nach mehreren Jahren Verweildauer im Kiefer eher hingenommen wird als ein Misserfolg innerhalb eines Zeitraums von 2 bis 3 Jahren nach der Implantation oder noch früher.
Die Folgen eines Implantatverlustes können weitreichend sein und neben finanziellem Schaden Schmerzen und längeren Arbeitsausfall verursachen, was weiteren materiellen Schaden nach sich ziehen kann. Nicht selten kann daraus ein (bisweilen umfangreicher) Nachbehandlungs- und Neuversorgungsaufwand entstehen, dessen Kosten der Patient nicht immer bereit ist, selbst zu tragen.
Im Falle von Dauerschäden, z. B. einer Anästhesie des N. alveolaris inferior, muss der Behandler nachweisen, dass die Nervschädigung unvermeidbar war und keine Verletzung der Sorgfaltspflicht darstellt. In jedem Fall haftet der behandelnde Zahnarzt auch für sein Team und für alle an der Komplikation beteiligten Personen und deren Mitwirkung.
Forensische Kategorien (zahn)medizinischer Komplikationen und Fehler
• schicksalhafte Misserfolge (z. B. durch Tumorentstehung oder Unfall)
• Therapiemisserfolg durch Fehler des Behandlers (Kunstfehler)
• Patientenfehler (fehlende Compliance)
• Schnittstellenfehler (Fehler von an der Therapie beteiligten Dritten)
Tab. 2-3 Forensische Einordnung von (zahn)medizinischen Komplikationen und Fehlern.
Der Jurist unterscheidet bei der Analyse von Misserfolgen d...