Katholizismus im Umbruch
eBook - ePub

Katholizismus im Umbruch

Diskurse der Elite im (Erz-)Bistum Trier zwischen Aufklärung und französischer Herrschaft

  1. 580 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub

Katholizismus im Umbruch

Diskurse der Elite im (Erz-)Bistum Trier zwischen Aufklärung und französischer Herrschaft

Angaben zum Buch
Buchvorschau
Inhaltsverzeichnis
Quellenangaben

Über dieses Buch

Die sogenannte Sattelzeit gilt in der Geschichtswissenschaft als Phase vielfältiger Herausforderungen und Umbrüche, denen sich die Menschen des Alten Reichs und seiner Nachfolgestaaten stellen mussten. Obwohl diese Aussage insbesondere auf linksrheinische Territorien wie das Kurfürstentum Trier zutrifft, existiert zur Wahrnehmung dieser Umbrüche durch Teile der Bevölkerung bislang keine Untersuchung. Dabei wirkten sich Aufklärung, französische Besetzung und Herrschaft sowie die Säkularisation gerade auf das religiös-kirchliche Leben massiv aus. Gleichzeitig blieb Religion als Sozialform und Sinnstruktur für die Bewältigung der Umbrüche zentral. Die Untersuchung fragt darum nach den Wahrnehmungen und Reaktionen der katholischen Elite des Erzbistums Trier auf diese Bedrohungen. Im Fokus stehen ihre Diskurse und die darin verhandelten Ideen und Argumente. Exemplarisch kann so nachvollzogen werden, wie im religiösen Feld des Katholizismus am Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert unterschiedliche Strömungen und Akteure miteinander rangen, ihn letztlich widerstandsfähiger machten und dazu beitrugen, dass der Katholizismus als Sozialform langfristig gestärkt aus dieser Zeit hervorging.

Häufig gestellte Fragen

Gehe einfach zum Kontobereich in den Einstellungen und klicke auf „Abo kündigen“ – ganz einfach. Nachdem du gekündigt hast, bleibt deine Mitgliedschaft für den verbleibenden Abozeitraum, den du bereits bezahlt hast, aktiv. Mehr Informationen hier.
Derzeit stehen all unsere auf Mobilgeräte reagierenden ePub-Bücher zum Download über die App zur Verfügung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die übrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Mit beiden Aboplänen erhältst du vollen Zugang zur Bibliothek und allen Funktionen von Perlego. Die einzigen Unterschiede bestehen im Preis und dem Abozeitraum: Mit dem Jahresabo sparst du auf 12 Monate gerechnet im Vergleich zum Monatsabo rund 30 %.
Wir sind ein Online-Abodienst für Lehrbücher, bei dem du für weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhältst. Mit über 1 Million Büchern zu über 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nächsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja, du hast Zugang zu Katholizismus im Umbruch von Anna Kallabis im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten Büchern aus Histoire & Histoire moderne. Aus unserem Katalog stehen dir über 1 Million Bücher zur Verfügung.

Information

Jahr
2020
ISBN
9783110674569
Auflage
1

1Einleitung

Im Jahr 1799 veröffentlichte Johann Nikolaus Becker (1773–1809), der als freier Schriftsteller in Koblenz lebte, eine Beschreibung seiner Reise durch die vier neuen rheinischen Departements, deren Entwicklung er in den folgenden, polemischen Worten zusammenfasste:
Der Verfasser dieser Briefe ist in dem Lande gebohren, durch welches diese Reise geht. Er bekennt sich schon seit der Zeit, da er selbstständig denken gelernt hat, zu der Parthei, deren Sache er in diesen Briefen führt. Mit dem Ablaufe dieses Jahrhunderts hat sein Vaterland eine Revolution erlitten, die jetzt schon alle geistliche und weltliche Despotie verschlingt, und künftige Dinge erwarten lässt, die der kühnste Geist noch vor 9 Jahren nicht ein Mahl ahnen konnte. Der Katolizismus und seine Diener sind dahin, Ungeheuer, die seit Jahrhunderte an dem Mark der wackern Menschen nagten, die die Ufer des Rheins bewohnen, – Beförderer des Betrugs, des Aberglaubens, der Falschheit, des Meuchelmords und der Giftmischerei […]. Drei Ober-Mönche liegen im Staube und ihnen stürzt das ganze Gebäude nach […].1
Als überzeugtem Anhänger der Revolution mangelt es Beckers Bericht zwar an Objektivität, doch seine Worte lassen erkennen, wie ereignisreich sich die Zeit im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert für ihn und seine Zeitgenossen darstellte.2 Nicht umsonst gilt die Zeitspanne zwischen 1750 und 1850 – die sogenannte Sattelzeit3 – in der Geschichtswissenschaft als Phase vielfältiger Herausforderungen und Umbrüche, denen sich die Menschen des Heiligen Römischen Reiches und seiner Nachfolgestaaten stellen mussten. Obwohl diese Aussage insbesondere auf die linksrheinischen Territorien wie das Kurfürstentum Trier zutrifft, existiert bislang zur Wahrnehmung dieser Umbrüche durch Teile der Bevölkerung keine Untersuchung.
Dabei blieb gerade für diese Gebiete die Französische Revolution nicht folgenlos, worauf Becker im obigen Zitat anspielt: Vielmehr wirkten sich die ab 1792 einsetzenden Revolutionskriege auf den „gesamte[n] nordwesteuropäische[n] Raum“4 aus. Doch schon vor diesen Kriegshandlungen war es in verschiedenen Städten zu Unruhen gekommen und insbesondere das Kurfürstentum Trier war durch die hohe Zahl französischer Emigranten, die sich in Koblenz und Trier niederließen, von der Revolution betroffen.5 Zwar erzielten die Koalitionstruppen anfangs noch einige Erfolge – die Stadt Mainz konnte etwa 1793 durch die Preußen wieder rückerobert werden, was das Ende der Mainzer Republik bedeutete –, aber davon abgesehen, war ab Herbst 1794 der gesamte linksrheinische Raum französisch besetzt. Die nun folgende Phase der Okkupation war durch Chaos, Korruption und Willkür geprägt.6
Einen Einschnitt stellte das Jahr 1798 dar: Nach Abschluss des Friedens von Campo Formio organisierten die Besatzer die linksrheinische Verwaltung sowie das Justizwesen nach französischem Vorbild und teilten das Gebiet in vier Departements ein: Es entstanden das Saar-, das Rhein-Mosel-, das Rur- und das Donnersberg-Departement mit den jeweiligen Hauptstädten Trier, Koblenz, Aachen und Mainz. Auch wenn die Annexion völkerrechtlich erst 1801 durch den Frieden von Lunéville anerkannt wurde, führte sie faktisch zur Aufhebung der zahlreichen alten Herrschaften.7 Linksrheinisch kam damit das Ende für die geistlichen Staaten bereits vor dem Reichsdeputationshauptschluss (1803) und der einhergehenden Säkularisation8 im Rechtsrheinischen. Auf diesen Umbruch verweist Becker, wenn er 1799 den Sturz der „[d]rei Ober-Mönche“ bejubelt. Grundlage für die Säkularisation sowie die folgende Umgestaltung der Diözesanstruktur bildete im Rheinland das 1801 zwischen Papst Pius VII. und Napoleon geschlossene Konkordat. Doch schon in den Jahren zuvor griffen die Franzosen mit verschiedenen Maßnahmen in das gewohnte kirchlich-religiöse Leben der Bevölkerung ein.9
Beckers Freude über die vermeintliche Abschaffung des „Katolizismus und seiner Diener“, die Überwindung des „Aberglaubens“ sowie die Betonung des selbstständigen Denkens verweisen indirekt auf einen weiteren, ideellen Umbruch: die Aufklärung. Dieser Prozess beschränkte sich keineswegs nur auf die protestantischen Territorien des Alten Reiches, was lange Zeit die dominierende Forschungsmeinung darstellte.10 Vielmehr gab es auch in den katholischen Ländern zahlreiche Rezipienten aufklärerischer Ideen. Gemeinsam war den Vertretern der Aufklärung die Bereitschaft, Traditionen und althergebrachte, religiöse Welterklärungsmodell in Zweifel zu ziehen. Die bestehenden Verhältnisse sahen sie nicht mehr zwangsläufig als gottgegeben, sondern als veränderbar an. Gerade die katholische Kirche wurde nun oft mit dem Vorwurf des Dogmatismus und der Rückständigkeit konfrontiert. Unter dem Einfluss der Aufklärung und aufgrund wachsender Bildung verloren Kirche und Religion daher zusehends ihren alleinigen Anspruch auf vermeintlich letztgültige Wahrheiten. Für sie stellte der Prozess der Aufklärung potentiell eine Herausforderung dar.11 Auch unter dem Eindruck von Revolution und Säkularisation unterlag die traditionelle (kirchliche) Religiosität einem Wandel; ihr Stellenwert in der entstehenden bürgerlichen Gesellschaft veränderte sich.12
Lange Zeit dominierte in der historischen Forschung die Annahme, gesellschaftliche Modernisierung ginge zwangsläufig mit dem Prozess einer stetig fortschreitenden Säkularisierung einher. Das Weiterbestehen bzw. die Intensivierung religiöser Vorstellungen wurde zwar ebenfalls wahrgenommen, Kirche und Religion erschienen aber oft als „rückwärtsgewandte Kräfte im gesellschaftlichen Entwicklungsprozess“13. Der Wandel, dem Kirche und Religion am Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert unterlagen, bedeutete jedoch nicht ihren Niedergang. Zwar geriet die Konfessionszugehörigkeit immer mehr zur individuellen, freiwilligen Entscheidung und beruhte nicht mehr automatisch auf „Tradition und Herrschaftsverhältnissen“14. Religiöse Ereignisse sollten diese Entscheidung jedoch erleichtern, was sich bereits bei der Trierer Rock-Wallfahrt 1810 abzuzeichnen begann. Dabei knüpfte die kirchliche Elite an Muster barocker Frömmigkeit an und schuf gleichzeitig etwas Neues. Insbesondere der Katholizismus als Sozialform ging aus den vielfältigen Umbrüchen dieser Zeit gestärkt hervor, sodass er – anders strukturiert – im Verlauf des 19. Jahrhunderts an Einfluss gewinnen konnte.

1.1Fragestellung und methodisches Vorgehen

Diese knapp skizzierten Ereignisse und Entwicklungen, die zwischen 1770 und 1815 insbesondere die linksrheinischen, katholischen Gebiete des Reiches betrafen, wirkten sich auf das politische, aber auch auf das religiös-kirchliche Leben der Zeitgenossen aus. Für das Erzbistum Trier und seine Elite waren diese Umbrüche potenziell bestands- und existenzgefährdender als für die restliche Bevölkerung, da sie nicht nur die Stellung einzelner Akteure, sondern auch bisherige Glaubensvorstellungen sowie kirchliche Institutionen und Strukturen bedrohten.
Gleichwohl spielte Religion als Sinnstruktur und Sozialform15 für die Bewältigung der Umbrüche weiterhin eine wesentliche Rolle, war sie doch noch immer zentraler Bestandteil des Alltags und Denkens vieler Menschen. Auch wenn Johann Nikolaus Becker in seinem Reisebericht schon den Untergang des Katholizismus feiert, verwiesen andere Zeitgenossen auf die „fortdauernde[…] Vitalität“16 der christlichen Religion während der Revolutionszeit im Rheinland.
Vor diesem Hintergrund wird in der vorliegenden Untersuchung der Frage nachgegangen, wie die katholische Elite im (Erz-)Bistum Trier die Umbrüche und Herausforderungen der Jahre zwischen 1770 und 1815 wahrnahm und wie sie auf diese reagierte. Ausgehend von der Wahrnehmung der Akteure werden ihre Deutungsmuster sowie ihre Selbst- und Fremdbeschreibungen, die angesichts der Umbrüche von Aufklärung und französischer Herrschaft zum Tragen kamen und sprachlich artikuliert wurden, untersucht. Die Fragestellung lässt sich daher weiter spezifizieren:
Welche Ideen und Vorstellungen von Bedrohung, Herausforderung, aber auch Bestandserhaltung existierten und wurden innerhalb der katholischen Elite des (Erz-)Bistums Trier verhandelt? Was wurde als Umbruch wahrgenommen?
Welche Diskurse spielten sich als Reaktion auf die Umbrüche ab? Wie wirkte sich das Spannungsfeld von Aufklärung und französischer Herrschaft, in dem sich die katholische Elite befand, auf diese Debatten aus? Was waren dabei die zentralen Ideen und Argumente, die die Auseinandersetzungen bestimmten?
Die dabei ermittelten Vorstellungen, Argumente und Schlagworte werden im Sinne einer neuen Ideen- und Kulturgeschichte sowohl an den sozialgeschichtlichen Kontext, in dem sie verhaftet waren, als auch an die jeweiligen Akteure rückgebunden.17 Sie werden mithin auf ihren Bedeutungsgehalt im Kontext der Zeit untersucht. An dieser Stelle geht es daher auch darum zu fragen, was zu einem bestimmten Zeitpunkt für die Vertreter der katholischen Elite sagbar war und was nicht, über welchen kommunikativen Spielraum sie also verfügten.18 Untersucht werden auch die kommunikativen Strategien der Akteure und die damit verbundenen Machtverhältnisse, was sich etwa anhand von Begriffszuschreibungen, -umdeutungen oder Begriffsaneignungen darstellen lässt.
Dem Begriff der katholischen Elite liegt in der vorliegenden Arbeit eine weit gefasste Definition zugrunde: Zur Elite werden sowohl kirchliche als auch öffentliche Funktionsträger gezählt, aber auch gebildete Privatpersonen, sofern sie Stellung zu den Umbrüchen nahmen.19 So fallen unter die kirchlichen Funktionsträger auch ‚einfache‘, aber gebildete Pfarrer. Die öffentlichen Funktionsträger standen meist in kurfürstlichen oder später in französischen Diensten. In dem konfessionell weitgehend homogenen Gebiet meldeten sie sich gleichermaßen zu Wort, um beispielsweise die Auswirkungen der Umbrüche auf den Katholizismus oder Reformvorhaben zu diskutieren.20 Hinsichtlich der Bewältigung der Umbrüche stellt sich daher auch die Frage, ob und inwiefern Stellung und Funktion der Vertreter der katholischen Elite Auswirkungen auf die geäußerten Meinungen hatten.
Durch die Wahl des (Erz-)Bistums Trier als räumlichen Bezugspunkt der Untersuchung steht dezidiert die religiös-kirchliche Perspektive auf die Umbrüche im Vordergrund. Das Erzbistum Trier, das im Vergleich zum weltlichen Herrschaftsbereich des Erzstifts wesentlich größer war, erstreckte sich im Südwesten bis in französischsprachige Gebiete und reichte rechtsrheinisch bis Wetzlar. Zur Kirchenprovinz zählten ebenfalls die drei Suffraganbistümer Metz, Toul und Verdun.21 Nach Abschluss des Konkordats von 1801 wurden jedoch die Erz- und Bistümer im Linksrheinischen neu organisiert. Dies hatte zur Folge, dass das frühere Erzbistum Trier nun ein Bistum war, das – stark verkleinert – weitgehend dem Gebiet des Saardepartements entsprach. Zumindest für einen Teil der Katholiken blieb dad...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Danksagung
  5. Inhalt
  6. 1 Einleitung
  7. 2 Historischer Überblick: Das (Erz-)Bistum Trier in der Übergangszeit
  8. 3 Aufklärung und Katholizismus: Ein Umbruch bahnt sich an
  9. 4 Umbruch Franzosenzeit – Durchbruch für die Aufklärung?
  10. 5 Schlussbemerkung
  11. Anhang: Kurzbiografischer Überblick
  12. Quellen- und Literaturverzeichnis
  13. Personenverzeichnis