1.1 Lebensstationen Feuerbachs
Ludwig Andreas Feuerbach wurde am 28. Juli 1804 in Landshut geboren, wo sein Vater Paul Johann Anselm Feuerbach eine Professur fĂŒr Zivil- und Kriminalrecht innehatte. 1806 zog die Familie nach MĂŒnchen, wo der Vater als Geheimer Rat im Justizministerium maĂgebend an einer liberalen Reform des Strafrechts arbeitete und dafĂŒr 1808 als âRitter von Feuerbachâ geadelt wurde. Ludwigs GroĂvater Johann Anselm Feuerbach (1755 â 1827) war ebenfalls ein bedeutender Jurist und auch seine drei BrĂŒder traten als ArchĂ€ologe, Mathematiker und Philologe hervor; der Maler Anselm Feuerbach war ein Neffe Ludwigs. Inzwischen von der Reaktion immer stĂ€rker verfolgt und bedrĂ€ngt, wurde Paul Johann Anselm Feuerbach 1814 faktisch nach Ansbach strafversetzt, wo Ludwig Feuerbach von 1817 bis 1822 das Gymnasium absolvierte. 1823 bezog er die Heidelberger UniversitĂ€t, um evangelische Theologie zu studieren. Dort hörte er bei dem Hegelianer Karl Daub und wechselte 1824 nach Berlin, um Hegel selbst zu hören. Nachdem er â wie auch seine BrĂŒder â kurzzeitig in den Verdacht demagogischer Umtriebe geraten war, besuchte er Hegels Vorlesungen ĂŒber Logik und Metaphysik, Religionsphilosophie, Philosophie der Weltgeschichte, Geschichte der Philosophie und Naturphilosophie, wĂ€hrend er das theologische Studium vernachlĂ€ssigte und 1825 â gegen den Willen des Vaters â ganz aufgab. 1826 wechselte Ludwig Feuerbach an die UniversitĂ€t Erlangen, wo er 1828 promovierte und von 1829 bis 1831 als Privatdozent der Philosophie auftrat. Mit seiner anonymen Publikation Gedanken ĂŒber Tod und Unsterblichkeit (1830), die als Angriff auf die Religion sofort verboten wurde, zerschlugen sich Feuerbachs Hoffnungen auf eine akademische Karriere und er zog sich auf die Existenz eines Privatgelehrten zurĂŒck, wobei er von 1833 bis 1838 in rascher Folge bedeutende philosophiehistorische Werke zu Bacon und Spinoza, Leibniz und Pierre Bayle vorlegte.
1837 heiratete Feuerbach Berta Löw und siedelte nach Schloss Bruckberg bei Ansbach ĂŒber, wo die Familie Löw bis 1860 eine Porzellanmanufaktur betrieb; Feuerbach verfasste dort seine bedeutenden religionstheoretischen Schriften und entwarf dort in Auseinandersetzung mit Hegel seine Philosophie der Zukunft.1 Im Verlauf der Revolution 1848 drĂ€ngten Studenten in Heidelberg und Jena vergeblich darauf, Feuerbach an ihre UniversitĂ€ten zu berufen; im Heidelberger Rathaus hielt er 1848/49 Vorlesungen ĂŒber das Wesen der Religion. PlĂ€ne zu einer Emigration in die USA wurden immer wieder erwogen, aber nie realisiert. Der Bankrott der Bruckberger Porzellanmanufaktur zwang Feuerbach zum Umzug auf den Rechenberg bei NĂŒrnberg, wo er zum Leben auf die UnterstĂŒtzung von Freunden angewiesen war. Trotz zunehmender ErmĂŒdung und KrĂ€nklichkeit arbeitete Feuerbach an einer Ethik und verfasste eine Schrift zum Problem der Willensfreiheit. Seit seinem sechzigsten Geburtstag nĂ€herte er sich immer mehr der politischen Arbeiterbewegung an, studierte Marxâ Kapital und wurde 1870 auch Mitglied der sozialdemokratischen Arbeiterpartei. Nach mehreren, 1867 und 1870 erlittenen SchlaganfĂ€llen starb Ludwig Feuerbach am 13. September 1872 in Rechenberg. Unter groĂer Anteilnahme vor allem der Arbeiterbewegung wurde er in NĂŒrnberg zu Grabe getragen.
Ludwig Feuerbachs Werk markiert, mit Friedrich Engels zu sprechen, den âAusgang der klassischen deutschen Philosophieâ. Selbst ein ĂŒberaus kundiger und philosophiehistorisch gebildeter Hegelianer, inszenierte er in der bedrĂŒckenden Reaktionszeit des VormĂ€rz einen Bruch mit Hegel, der einen Neuanfang in der Philosophie ermöglichen und von dort aus helfen sollte, auch die gesellschaftlichen und politischen VerhĂ€ltnisse zu verĂ€ndern. In die Zeit des aus philosophieexternen GrĂŒnden mehr und mehr gewollten Bruchs fĂ€llt auch die Ausarbeitung und Veröffentlichung von Das Wesen des Christentums. Im RĂŒckblick auf die bewegte Epoche der nachhegelschen Philosophie erschien es daher vielfach als Fanal der junghegelianischen Hegel- und Religionskritik, obwohl Feuerbachs expliziter Bruch mit Hegel erst spĂ€ter erfolgte und seine Absicht nicht so sehr eine Religionskritik, sondern eine Kritik der Theologie war. Solche Fehldeutung ist insofern symptomatisch, als Feuerbach meist nur als Initiator eines Diskurses gesehen wurde, der sehr schnell ĂŒber seine Positionen hinausging und in der Marxschen Theorie seinen Abschluss fand. Die eigenstĂ€ndige Bedeutung Feuerbachs als Interpret Hegels, Philosophiehistoriker, Religionstheoretiker, Erneuerer einer Philosophie der Sinnlichkeit und als Ethiker ist lange Zeit gar nicht und bis heute noch kaum umfassend gewĂŒrdigt worden.
1.2 Zur Entstehung von Das Wesen des Christentums
Das Wesen des Christentums hat eine lĂ€ngere Vorgeschichte, die im weitesten Sinne bis 1824 zurĂŒckreicht, als Feuerbach Hegels Vorlesungen ĂŒber die Philosophie der Religion besuchte. Im Vorwort zur ersten Auflage seines Buches weist Feuerbach darauf hin, dass hier die âin verschiedenen Arbeiten zerstreuten, meist nur gelegentlichen, aphoristischen und polemischen Gedanken des Verfassers ĂŒber Religion und Christentum, und spekulative Religionsphilosophieâ konzentriert seien (GW 5, 3). Dies betrifft neben den 1830 anonym publizierten Gedanken ĂŒber Tod und Unsterblichkeit (GW 1, 175 â 515) vor allem mehrere kleinere Arbeiten, mit denen Feuerbach gegen Ende der 1830er Jahre in den Streit um Hegels Religionsphilosophie eingriff (vgl. GW 8, 181 â 340).
Einen entscheidenden AnstoĂ zur systematischen Ausarbeitung der religionsphilosophischen Thematik erhielt Feuerbach dann im Zuge der Ausarbeitung seiner Monographie ĂŒber Pierre Bayle, die wohl Anfang 1839 mit der Jahresangabe 1838 erschienen war. Der âwesentlichste und interessanteste Widerspruchâ bei Bayle und zugleich âder charakteristische Widerspruch der christlichen Welt ĂŒberhauptâ sei der âzwischen Glaube und Vernunftâ, und âes wĂ€re daher ebenso interessant als nĂŒtzlich, diesen Widerspruch durch die ganze Geschichte des Christentums hindurch zu verfolgenâ (GW 4, 4). Feuerbach erklĂ€rte, er habe der âDarstellung und Entwicklung dieses Widerspruchs von allgemeiner Bedeutungâ die spezielleren Fragen untergeordnet, wobei er diese Fragen âkeineswegs erschöpfenâ konnte und diese âebensowohl aufwĂ€rts in die Region der Ideen, der Prinzipien, als abwĂ€rts in das Gebiet der Konsequenzen und seitwĂ€rts in die Breite des MiĂverstands hinein noch weiteren BegrĂŒndungen, ErlĂ€uterungen und Entwicklungen entgegensehen, die hoffentlich auch nicht ausbleiben werden.â (GW 4, 5) Ende November 1839 berichtete Feuerbach dann an Arnold Ruge, dass er ein solches Werk in Angriff genommen habe. Er habe âeine Arbeit vor, welche tief in die Lebensfragen der Zeit eingreift und diesen Winter wenigstens den Hauptpartien nach vollendet werden muĂ. â Was ist der letzte Grund unserer geistigen und politischen Unfreiheit? Die Illusionen der Theologie. Ich weiĂ das aus meinem eigenen frĂŒheren Leben, wo dieser Teufel in Engelsgestalt mich in seinen Krallen gehabt hat. [âŠ] Es ist unglaublich, welche Illusionen die arme Menschheit beherrschen, noch heute beherrschen, und wie uns die spekulative Philosophie in ihrer letzten Richtung, statt von diesen Illusionen befreit, nur darin bestĂ€rkt hat.â (GW 17, 383)
Die zitierte Passage des Briefes ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. ZunĂ€chst wird deutlich, dass die Kritik der Theologie fĂŒr Feuerbach nicht in erster Linie philosophisch motiviert ist, sondern lebenspraktisch, indem er in dieser Kritik den SchlĂŒssel fĂŒr eine geistige und politische Befreiung sieht. Zweitens geht es offenkundig in erster Linie um eine Kritik der Theologie und der theologischen Illusionen, nicht um eine Kritik der Religion als solcher. Und schlieĂlich wird die letzte Richtung der spekulativen Philosophie, also Hegel und die Hegelsche Schule, dafĂŒr kritisiert, dass sie die theologischen Illusionen nicht als solche entlarvt, d. h. die Grenzziehung zwischen Philosophie und Theologie versĂ€umt hat. Damit ist bereits die argumentative Linie des Wesen des Christentums skizziert; es geht in der Konsequenz darum, Philosophie und Theologie zu entmischen und dadurch einen neuen Zugang zum PhĂ€nomen der Religion zu gewinnen. Mit diesem Programm sieht Feuerbach sich in einer Parallele zum Kantischen Unternehmen einer Kritik der reinen Vernunft: âSi parva magnis componere fas est [Wenn Kleines mit groĂem verglichen werden darf]: Kant schrieb eine âKritik der reinen Vernunftâ; meine ParvitĂ€t [Wenigkeit] schreibt an einer Kritik der unreinen Vernunft.â (GW 17, 383 f.; Ăbersetzungen in Klammern dort) Arnold Ruge machte in den Hallischen JahrbĂŒchern Mitte Januar 1840 Teile dieses Briefes öffentlich und berichtete von einem jungen Gelehrten, der an einer âKritik der unreinen Vernunftâ arbeite (GW 9, 80 f.). TatsĂ€...