Populäre Prediger im deutschen Salafismus
Hassan Dabbagh, Pierre Vogel, Sven Lau und Ibrahim Abou Nagie
Nina Wiedl und Carmen Becker
Die Salafiyya in Deutschland entwickelte sich seit Ende der 1990er Jahre aus lokalen Netzwerken von Predigern mit Migrationshintergrund aus dem Nahen Osten und Nordafrika zu einer deutschlandweiten und missionarisch äußerst aktiven religiös-sozialen Bewegung meist junger Muslime verschiedenster Herkunft, darunter viele deutsche Konvertiten. Der Verfassungsschutz schätzt die Zahl ihrer Anhänger auf 6.000 (Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen 2014: 4). Damit sind sie eine kleine Minderheit von ungefähr 0,15 Prozent der Muslime in Deutschland, ihre Bewegung gilt aber als die am schnellsten wachsende islamistische Bewegung in Deutschland (BMI o.D.).
In diesem Beitrag werden vier bekannte und einflussreiche Prediger vorgestellt, die als Vertreter des Mainstream-Salafismus gelten und damit der zahlenmäßig größten Strömung der deutschen Salafiyya angehören. In der folgenden Darstellung stehen der Werdegang der Prediger, ihre Arbeit und Strategie sowie ihre Positionen zu – auch politisch – zentralen Themen wie etwa der Rolle von Gewalt und ihrer religiösen Legitimation, den Bedingungen für den Ausschluss von muslimischen Staats- und Regierungschefs aus dem Islam oder dem Umgang mit Nichtmuslimen im Mittelpunkt. Es wird aufgezeigt, dass Prediger trotz aller Gemeinsamkeiten als Anhänger der Salafiyya jeweils unterschiedliche Schwerpunkte in ihren Predigten und ihrem Aktivismus setzen. Unter ihnen bestehen Meinungsverschiedenheiten in religiösen, strategischen und politischen Fragen. Darüber hinaus reagieren sie jeweils anders auf Herausforderungen aus der nichtmuslimischen Mehrheitsgesellschaft. Dies zeigt, dass ihre Ideologie und ihr Aktivismus nicht allein religiöse Wurzeln haben, sondern dass sie sich auch in Interaktion mit dem sozio-politischen Kontext der deutschen Gesellschaft und internationalen Entwicklungen entfalten.
Hassan Dabbagh: Vater der deutschen Da’wa-Prediger
Hassan Dabbagh alias Scheich Abul Hussain ist ein deutsch-syrischer Imam, der in Leipzig wohnt und mit einer deutschen Muslima verheiratet ist. Er wurde 1972 in Syrien geboren und studierte eigenen Angaben zufolge zunächst in seinem Heimatland Bautechnik, bevor er 1992 nach Leipzig zog und ein Medizinstudium begann (Dabbagh 2009). Gemeinsam mit anderen Studenten gründete er eine kleine Gebetsgruppe, aus der schließlich die Gemeinde der Leipziger Rahman-Moschee hervorging, der er bis heute als Imam vorsteht. In den frühen 2000er Jahren wurde Dabbagh dank einer groß angelegten Da’wa-Kampagne (Da’wa = Ruf, Einladung zum Islam) zu einer der Schlüsselfiguren und religiösen Autoritäten des Mainstream-Salafismus in Deutschland. Er gilt bis heute als einer der einflussreichsten Prediger dieser Strömung. Gemeinsam mit dem in Bonn lebenden Prediger Mohamed Benhsain alias Abu Jamal und anderen Aktivisten begann er etwa 2001 damit, in verschiedenen Städten in Deutschland »Lerne-den-Islam«-Seminare zu organisieren, Vorträge in Moscheen zu halten und deutschsprachige salafistische Websites zu gründen wie salaf.de. Sie wurde 2001 von einem Anhänger Dabbaghs und Benhsains ins Netz gestellt. Al-tamhid.net besteht seit 2002 und wird von Benhsain selbst verwaltet. Zu seinen vielfältigen Tätigkeiten als Imam und Islamlehrer gehör(t)en auch die Arbeit als Seelsorger in einer sächsischen Justizvollzugsanstalt, die religionsrechtliche Beratung deutscher Muslime mittels übersetzter Rechtsgutachten (fatâwâ) arabischer Gelehrter (vgl. »Kontakt« o.D.) und der Islamunterricht in einem Chatraum des Chatservices Paltalk.
Dabbagh gilt als Anhänger des bekannten Hadith-Gelehrten Nâsir al-Dîn al-Albânî (1914-1999). Er gibt an, von dessen ehemaligem Studenten, dem syrischen und in Saudi-Arabien lebenden Gelehrten Adnân Ibn Muhammad al-Ar’ûr islamisches Wissen vermittelt bekommen zu haben (Dabbagh 2012d). al-Ar’ûr (geb. 1948) emigrierte 1982 nach der brutalen Niederschlagung eines Aufstandes der syrischen Muslimbruderschaft (MB) nach Saudi-Arabien. Er kombiniert eine puristisch-salafistische Ideologie mit einer politischen Strategie im Kampf gegen das syrische Regime, die er mit religiöser Polemik gegen Schiiten und Alawiten unterstützt. Neben al-Ar’ûr lernte Dabbagh eigenen Angaben nach auch vom Rektor der Umm al-Qurâ-Universität in Mekka (Dabbagh 2012d). Dabbagh teilt die Ansicht al-Albânîs, Muslime müssten zunächst einmal mit Hilfe von tasfiyya und tarbiyya (Reinigung [der Glaubenslehre] und [religiöse] Bildung) zum »authentischen Islam« geführt werden, bevor sie sich politisch vereinen und organisieren sollten (al-Albânî 1421 n.H.: 30f.). Dabbagh zufolge bedeutet dies jedoch nicht, dass sich Prediger nicht zu politischen Themen äußern dürfen. Auch wenn er noch 2011 erklärte, »es ist nicht in meinem Bereich, über politische Themen zu sprechen« (Dabbagh 2011) und sich ein Großteil seiner Vorträge der Vermittlung »authentischen« religiösen Wissens an Muslime und der Da’wa an Nichtmuslime widmet, so nimmt er doch regelmäßig öffentlich zur Lage der Muslime Stellung und kritisiert »islamfeindliche« Handlungen und Äußerungen deutscher Politiker.
Dabbagh ist in die Strukturen eines europaweiten salafistischen Da’wa-Netzwerkes eingebunden, das sich an den Positionen von Adnân al-Ar’ûr und dem ebenfalls aus Syrien stammenden und in Tilburg (Niederlande) lebenden Prediger Ahmad Salâm alias Abu Suhayb orientiert, der ebenfalls ein ehemaliger Student von al-Albânî ist (Hummel 2009: 8). Niederländischen Sicherheitsbehörden zufolge stand Salâm in Syrien mit der Muslimbruderschaft in Kontakt und floh 1989 in die Niederlande, um politischer Verfolgung in seinem Heimatland zu entgehen (The National Coordinator 2008: 30f.). Bereits in den 1990er Jahren besuchte Dabbagh die von Salâm geleitete »Islamische Stiftung für Bildung und Übermittlung von Wissen« (Islamitische Stichting voor Opvoeding en Overdracht van Kennis) in Tilburg (vgl. »Service/Unterricht« o.D), die Weiterbildungen für europäische Prediger anbietet und Sicherheitsbehörden zufolge mit Unterstützung Saudi-Arabiens aufgebaut wurde (The National Coordinator 2008: 3f.). Experten beschreiben diese Stiftung als Zentrum eines paneuropäischen Netzwerkes (Hummel 2009: 8), das ideologisch dem gewaltfreien, missionarischen Salafismus mit politischer Orientierung, also dem Mainstream-Salafismus, zugeordnet werden kann (The National Coordinator 2008: 4, 30; de Koning 2009: 409f.).
In Deutschland unterrichtete Dabbagh andere Prediger und kooperiert(e) auf informeller Basis mit Predigern marokkanischer (z.B. Mohamed Benhsain, Abdul Adhim Kamouss), türkisch-deutscher (z.B. Muhamed Çiftçi) und palästinensischer (z.B. Mohamed Gintasi alias Abu Jibril, Ahmad Armih alias Ahmad Abu al-Baraa) Herkunft. Bis vor einigen Jahren arbeitete er auch mit Pierre Vogel zusammen. Er sieht sich selbst als »Vater« der neuen deutschsprachigen Predigergeneration und spricht gerne von »meinen Jungs« (Interview von Carmen Becker Februar 2010).
Effektive Da’wa statt Dschihad
Hassan Dabbagh stellt sich als Verfechter einer gewaltfreien und am Vorbild der mekkanischen Periode orientierten Da’wa-Strategie dar, die sich auf das Lehren und Predigen des Islams konzentriert. Den Traditionen zufolge nutzte der Prophet allein diese Methode für seine Da’wa, als die Muslime während der Anfangszeit in Mekka als Minderheit inmitten einer heidnischen Gesellschaft lebten und weder einen Staat noch eine Armee besaßen (Ibn Ishâq 2013: 109f.). Dabbagh betont, der Prophet habe in Mekka »generell tauhîd gelehrt« (die islamische Doktrin des strengen Monotheismus, Glaube an die Einheit Gottes; Dabbagh 2007). Er distanziert sich deutlich von dschihadistischen Argumenten und religiös motivierter politischer Gewalt wie Anschläge dschihadistischer Gruppen auf muslimische Politiker im Irak (Dabbagh 2012c) und Angriffe auf Polizeibeamte bei salafistischen Protestkundgebungen gegen die Zurschaustellung von Mohammed-Karikaturen (Dabbagh 2012a). Gewalt, so Dabbagh, verstärke staatliche Repressionen, schrecke Nichtmuslime ab und verhindere damit effektive Da’wa. Dschihad-Salafisten wie Mohamed Mahmoud alias Abu Usama al-Gharib von der 2012 verbotenen Vereinigung Millatu-Ibrahim (MI) wirft er vor, sich an medinensischen Suren zu orientieren, die Gewalt als Mittel zur Verteidigung und zur Verbreitung des Islams unter gewissen Bedingungen legitimieren. Seiner Ansicht nach sind diese Suren aber unter den heutigen Bedingungen muslimischen Lebens in Deutschland nicht anwendbar. Bezüglich des Bürgerkriegs in Syrien stellt sich Dabbagh auf die Seite der Freien Syrischen Armee (FSA) und ruft deutsche Muslime zu Spenden, Demonstrationen und Bittgebeten auf. Zudem spricht er sich wie führende puristische Gelehrte aus Saudi-Arabien und wie Adnân al-Ar’ûr gegen eine Teilnahme ausländischer Muslime am dortigen Dschihad aus (Dabbagh 2012b; al-Hakîm 2012; Khouri 2012; The Economist 2012).
Umgang mit Nichtmuslimen: Höflichkeit und innere Abgrenzung
Obgleich Dabbagh wie alle salafistischen Prediger Nichtmuslimen ein zukünftiges Leben in der Hölle prophezeit (Dabbagh 2013c), ermahnt er Muslime zu einem freundlichen und höflichen Umgang mit ihnen. Er betrachtet sie als wichtige Zielgruppe der Da’wa und empfiehlt seinen Anhängern, sie als »Menschen, die nicht Muslime sind« anzusprechen (siehe auch Dabbagh 2008). In Vorträgen an ein muslimisches Publikum verwendet er allerdings den oft pejorativ wahrgenommenen Ausdruck »kuffâr« (Ungläubige) (vgl. Dabbagh o.D.). Seine Vorträge enthalten zahlreiche Aufrufe an Muslime, sich ihrer eigenständigen islamischen Identität bewusst zu werden und sich in ihrem Denken und Handeln von Nichtmuslimen und nicht praktizierenden Muslimen abzugrenzen (Dabbagh 2013b). Er fordert aber keine generelle Lossagung (al-barâʼ) von Nichtmuslim oder gar einen Hass auf jeden einzelnen. In seinen Lehrvorträgen (durûs) und Predigten findet sich kein generalisiertes Feindbild »Nichtmuslim« oder »Christ«, das ein typisches Element der Propaganda radikalerer deutscher Prediger aus dem Umfeld der Gruppen »Die Wahre Religion« (DWR) und »DawaFFM« (ein 2013 verbotener salafistischer Verein aus Frankfurt a.M.) ist (Wiedl i.E.: insb. 204ff.).
Glaube, Unglaube und takfîr al-hâkim – im Zweifel für die (muslimischen) Staatsführer
Dabbagh vertritt die für Salafisten charakteristische theologische Grundannahme, dass der Glaube (îmân) eines Muslims aus Wort (qaul), Tat (amal) und »Verinnerlichung« (i’tiqâd bi-l-qalb, wörtl.: Glaube im Herzen) besteht. Glaube könne durch gute oder schlechte Taten zu- oder abnehmen und auch gänzlich schwinden, so dass ein Muslim, auch wenn er sich äußerlich zum Islam bekennt, zum Ungläubigen werden könne (Dabbagh 2013d). Er folgt in diesem Aspekt der theologischen Schule der Athariyya und des islamischen Gelehrten Ahmad Ibn Hanbal (780-855), dem zufolge der »Glauben aus Worten, Taten, der richtigen Absicht (niyya) und einem Festhalten an der Sunna besteht« (Gardet 2006). Damit grenzt er sich deutlich von der Schule der Murji’a ab, der zufolge Taten kein Bestandteil des Glaubens sind und nur Gott über den Glauben eines Muslims richten kann (Givony 1977: 149f.).
In der Tradition quietistischer Gelehrter wie al-Albânî und Abd al-Azîz Ibn Bâz (1910-1999) (Wiktorowicz 2006: 217ff.) verurteilt Hassan Dabbagh einen automatischen Ausschluss muslimischer Staats- und Regierungschefs aus dem Islam (takfîr al-hâkim) aufgrund der Tatsache, dass diese die Scharia nicht oder nicht vollständig anwenden (Dabbagh 2011). Der Koranvers »Wer nicht nach dem waltet, was Allah (als Offenbarung) herabgesandt hat, das sind die Ungläubigen« (5:44), den Befürworter eines revolutionären Dschihad häufig als Beweis anführen, um Regenten muslimischer Länder zu Ungläubigen zu erklären und ihren Kampf gegen diese als defensiven Dschihad zu legitimieren (al-Ghurabaa 2014), ist Dabbagh zufolge kein speziell auf Herrscher bezogener Vers. Jeder Muslim sei generell dazu verpflichtet, »nach Koran und Sunna zu urteilen« (Dabbagh 2007). Aber wenn er dies nicht tut, nicht die fünf tägliche...