Globaler lokaler Islam
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Zur Politisierung der Islamforschung in Europa

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Globaler lokaler Islam

Zur Politisierung der Islamforschung in Europa

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Über dieses Buch

Muslime in Europa stehen im Fokus. Sie werden beäugt, beforscht und vermessen. Von diesem geballten öffentlichen und politischen Interesse ist auch die akademische Forschung nicht ausgenommen. Der Band hält hier inne und fragt: Wer wird auf welche Weise als Muslim in den Blick genommen? Von wem und warum? Welche Fragen sind prägend und welche erkenntnistheoretischen und normativen Annahmen liegen ihnen zugrunde?Die Beiträge des Bandes beleuchten (selbst-)kritisch die Zusammenhänge von akademischem Wissen und politischem Eingriff. Denn nicht ein Mehr an Wissen über Muslime führt zu einer wirksamen Kritik an ihrer vermehrten Diskursivierung, sondern eine kritische Reflexion über die Voraussetzungen der Wissensproduktion.

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Information

Jahr
2018
ISBN
9783732836758

Säkularismus als Praxis und Herrschaft:
Zur Kategorisierung von Juden und Muslimen im Kontext säkularer Wissensproduktion

Sultan Doughan und Hannah Tzuberi

EINLEITUNG

Das Wissen über Muslime1 und muslimische Körperpraktiken wird in der Regel isoliert von anderen, nichtmuslimischen Körperpraktiken produziert. Zudem wird der diskursive Rahmen, innerhalb dessen Muslime thematisiert werden, durch Ereignisse abgesteckt, die bereits bestehende Prämissen und Grundregeln der Meinungs- und der persönlichen Freiheit wiederholt bestätigen. Die inhärenten Widersprüchlichkeiten und die normativen Mehrheitsannahmen dieser Freiheiten werden dabei kaum thematisiert: Im öffentlichen Diskurs entsteht ein muslimisches Subjekt, das die säkulare Ordnung der liberalen Demokratie angeblich auf bisher ungekannte Weise fundamental auf die Probe stellt.
In diesem Beitrag möchten wir den isolierten Blick auf »den Muslim« aufbrechen. Anhand einer Analyse des Karikaturenstreits und der Beschneidungsdebatte, in deren Verlauf muslimische und jüdische Körper aufeinandertrafen, möchten wir verdeutlichen, welche unterschiedlichen Logiken und Befindlichkeiten auf die Wissensproduktion zu jüdischen und muslimischen Körpern einwirken. Unser Beitrag stellt die zwei in der Regel epistemologisch getrennten Körper also in ihrer praktischen Ähnlichkeit auf, um die unterschiedlichen Interpretationslogiken, die muslimische und jüdische Körper erfahren, zu beleuchten.
Unsere Kernthese ist, dass die unterschiedlichen Linsen, durch die muslimische und jüdische Körperpraktiken inspiziert werden, nicht mit kompatiblen jüdischen oder devianten muslimischen Praktiken zu erklären sind, sondern mit der europäischen historischen Schuld und Verantwortung gegenüber dem jüdischen Körper zusammenhängen. Eine unserer Prämissen in diesem Artikel ist dementsprechend, dass die Verantwortung gegenüber den ermordeten Juden Europas den politischen Säkularismus des deutschen Staates affektiv trägt2 und diese affektive Ordnung in die rechtliche Ordnung des säkularen Staates bereits übersetzt und durch Gesetze gestützt worden ist.3 Dass der jüdische Körper während der Beschneidungsdebatte gemeinsam mit dem muslimischen Körper inspiziert, problematisiert und reproduziert wurde, liegt also nicht so sehr daran, dass das Post-Holocaust-Gewissen der Bundesrepublik an Wirkmächtigkeit eingebüßt hätte, sondern eher daran, dass sich muslimische und jüdische Körperpraktiken überschnitten. Der jüdische Körper war in gewisser Weise mitgefangen, während der muslimische bereits in Untersuchungshaft saß und über seine Freilassung politisch, rechtlich und medizinisch verhandelt wurde und wird.4
In diesem Beitrag möchten wir diese epistemologische Trennlinie problematisieren. Wir argumentieren, dass diese Trennlinie den Blick auf die Genealogien der gegenwärtigen Regulierung religiöser Minderheiten erschwert und eine grundlegende Auseinandersetzung mit einer säkularistischen Wissensproduktion verhindert. Die Zusammenhänge zwischen der Entstehung säkularen Wissens – einschließlich Rassentheorien, Religionswissenschaft und Philologie – und der Trennung europäischer Christen von Nichtchristen in Europa werden nicht reflektiert: Dass der jüdische Körper erst durch die Eingliederung in eine säkular-liberale Matrix zu einem staatsbürgerlichen Paradox und einem politischen Problem für die Verfasstheit des säkularen Staates erklärt wurde, ist zwar unter Historikern bekannt, jedoch werden das Wissen darum und die öffentliche Auseinandersetzung damit von den Verbrechen des Nationalsozialismus überschattet (Benz 2011).
Als eine Folge dieser Lesart stützt sich die Schutzbedürftigkeit von Juden in der Gegenwart nicht auf Juden als eine religiöse Minderheit in Deutschland und Europa, sondern auf die Erinnerung an den Holocaust. Die Erinnerung an den Holocaust kann zwar eine Art politische Gnade herbeiführen und die rechtliche Absicherung einer religiösen Praxis bewirken – jedoch impliziert diese Erinnerung eben noch keine Aufarbeitung der Frage, wie religiöse Minderheiten in Deutschland und Europa durch mehrheitlich geformte säkular-liberale Normen dominiert werden. Durch die Trennung der Wissensproduktionen zu Muslimen und Juden wird eine Hinterfragung ihrer säkularen Prämissen verhindert, so dass historisch ältere Epistemologien in der Figur des muslimischen Subjekts erneut zum Aufflammen gebracht werden können.
Dabei ist bezeichnend, dass die wissenschaftlichen Debatten zur religiösen Praxis von Minderheiten nicht immer im Einklang mit den politischen Entscheidungen des Staates stehen. Die wissenschaftlichen Diskurse werden zwar genauso vom Gedächtnis an den Holocaust getragen und beschäftigen sich zum Teil auch eingängig damit. Dennoch scheint es hier eine noch stärkere Verpflichtung zu einer mehrheitlich geformten Säkularität und zu einem wissenschaftlichen Säkularismus zu geben, für deren Erhalt leidenschaftlich argumentiert wird. Dies wird u.a. daran deutlich, dass die wissenschaftlichen Debatten zu muslimischen und jüdischen Körpern auch dann entfacht werden, wenn und obwohl politische Entscheidungen bereits getroffen wurden. Eine politische Entscheidung, die säkularen Rationalitäten nicht entspricht oder diese zu Gunsten der Religionsfreiheit einschränkt, zieht die kontinuierliche Aufmerksamkeit der Wissenschaft auf sich, als sei hier eine Wunde entstanden, die immer weiter behandelt werden muss.
Im ersten Teil beschäftigen wir uns mit einer versehentlich abgedruckten, antisemitischen Karikatur in der Berliner Zeitung. Die Karikatur sollte sich, so die Redaktion, mit der französischen Satirezeitschrift Charlie Hebdo nach dem Terroranschlag auf ihre Redaktion in Paris am 7. Januar 2015 solidarisieren und unbeugsame europäische Meinungsfreiheit ausdrücken. Nachdem sich jedoch herausgestellt hatte, dass es sich bei der Karikatur nicht um eine aus der Feder von Charlie Hebdo stammende Verunglimpfung eines Rabbiners handelte, dies also keine freiheitlich-satirische Religionskritik war, sondern um eine antisemitische Darstellung, veröffentlichte die Redaktion eine Entschuldigung und löschte das Bild aus ihrer Internetpräsenz und dem Archiv.
Im zweiten Teil werden wir auf die Beschneidungsdebatte eingehen und diese als Unterbrechung eines säkularen Status quo thematisieren. Der politische Ausgang der Beschneidungsdebatte unterscheidet sich von den vielen anderen Debatten zu isoliert behandelten muslimischen Körperpraktiken: die Debatte zog kein Verbot nach sich. Jedoch zeigte sich auch hier, dass einer säkularistischen Lesart Deutungshoheit zugestanden wurde, die von Vertretern jüdischer Organisationen und Gemeinden zum Teil auch unterstützt wurde. Trotz vieler Appelle an das Versprechen des Staates, jüdisches Leben in Deutschland wieder gedeihen zu lassen, kann der beschnittene jüdische Körper nur innerhalb dieser säkular-liberalen Matrix5 greifbar gemacht werden – eben jener Matrix, in der auch der muslimische Körper verhandelt wird.
In beiden Teilen dieses Artikels wollen wir den »Blick von nirgendwo« um den säkularen Blick erweitern. Donna Haraway hat bereits in den 1980er-Jahren für eine situierte Wissenschaft plädiert, die die Vorstellung von Objektivität in der Wissensproduktion überdenkt und hin zu einer verkörperten Wissensproduktion verschiebt. Hierbei sind Forschungsobjekt und forschendes Subjekt durch den situierten Blick des Forschenden verbunden, wodurch das Forschungsobjekt grundlegend definiert wird (Haraway 1988). Wir möchten den säkular-liberalen Blick in seiner politischen Situiertheit und historischen Partikularität sichtbar machen. Unser Fokus liegt in diesem Zusammenhang auf dem Verhältnis, das zwischen den beiden Positionen des Inspizierten und Inspizierenden und zwischen den beiden ungleich inspizierten Körpern durch den »Blick von nirgendwo« geschaffen wird: Welche Art von verbaler Verletzung und welche Art von Körpern können in einer säkularen liberalen Demokratie les- und sichtbar gemacht werden? Was passiert in Momenten, in denen der sonst als neutral und freiheitlich geltende säkulare Blick auf den Minderheitenkörper als verletzend eingestuft wird? Wie hängt die Wissensproduktion zu Minderheitenkörpern mit dem Gedächtnis an den Holocaust zusammen?

BEGRIFFE UND KONZEPTE DER KRITISCHEN SÄKULARISMUSFORSCHUNG

Die Begriffe »säkular«, »politischer und wissenschaftlicher Säkularismus« und »Säkularität« sind analytische Bausteine unseres Arguments. Wir möchten diese Begriffe hier kurz anreißen und reflektieren. Der politische Säkularismus ist ein Resultat der europäischen Kriege des 17. Jahrhunderts und somit an diesen spezifischen Entstehungskontext gebunden. Dennoch hat Säkularismus eine unbestreitbare globale Dimension erlangt und wird speziell unter Wissenschaftlern als universales Gut betrachtet. Grundlegend für das Säkularismusverständnis in diesem Artikel ist, dass hier ein Rahmen vorgegeben wird, der die Beziehung zwischen Säkularem und Religiösem neu sortiert und in ein ungleiches Verhältnis zueinander setzt. Das Säkulare verstehen wir im Sinne des Anthropologen Talal Asad als eine epistemische Kategorie, die dem Diesseitigen und Weltlichen Vorrang gibt, da es diese in einem zeitlichen Fortschritt begreift. Dadurch wird eine Zeitlichkeit erschaffen, in der sich Subjekte, Beziehungen, Befindlichkeiten (sensibilities) und Praktiken zeitlich neu ordnen in »zeitgemäß und modern« versus »überkommen, veraltet und traditionell«. Säkularismus verstehen wir in diesem Sinne als eine politische Doktrin, die nicht eine Trennung von Politik und Religion herbeiführte, sondern ein neues Verhältnis zwischen dem Staat und dem Religiösen generierte (Asad 2003).
Dieses neue Verhältnis beruht auf dem Vorrecht des Staates, Religion an sich und den Handlungsradius religiöser Institutionen zu definieren. Somit wird Religion auf einen bestimmten Platz in der säkularen Ordnung verwiesen und nicht etwa aus der Öffentlichkeit verbannt oder vom Staat getrennt. Der politische Säkularismus ist damit eine Form der Regierung, die nicht nur Religion und religiöse Fragen reguliert, sondern auch eine Neuartikulation von Religion und des Religiösen anstößt und dadurch gleichsam das Säkulare mitstrukturiert.6 Der Staat ist in Bezug auf die Religionen, die er regiert, also weder eindeutig neutral noch von den Institutionen und der Sphäre des Religiösen gänzlich getrennt: In einer säkularen Ordnung wird das Religiöse nicht einfach in das Private verbannt und damit unsichtbar, sondern bestimmte Phänomene werden als religiös verstanden, verhandelt und konstruiert, um dann wieder diszipliniert, kontrolliert und gouvernemental gezähmt zu werden.
Den Begriff der Säkularität entnehmen wir den Arbeiten der Anthropologin Saba Mahmood, die ihn als die normative Verfasstheit des Individuums und der Gesellschaft bezeichnet. Sie beschreibt, wie Säkularität durch ein bestimmtes Set an Begriffen, Normen, Befindlichkeiten und Dispositionen konstituiert wird, zu denen sich das Subjekt verhält. Säkularität ist demnach eine Art Urteil und Verständnis dafür, was Religion in einer modernen Welt sein sollte. Im Gegensatz zu politischem Säkularismus ist Säkularität ein soziales Phänomen, das sich durch generelle kulturelle Praktiken verbreitet, reproduziert und in Form von Befindlichkeiten einverleibt und ausgedrückt wird. Säkularität lauert in Hintergrundannahmen, Haltungen und Dispositionen, die die Gesellschaft und Subjektivitäten durchtränken (Mahmood 2015).
Die kritische Auseinandersetzung mit Säkularismus ist bislang vorrangig in der US-amerikanischen Anthropologie vorangetrieben worden. Die Begrifflichkeiten aus diesen Forschungen haben zwar auch in den europäischen Sozialwissenschaften Niederschlag gefunden, jedoch haftet diesen in der Regel noch eine sehr normative Definition an. Kritischere Ansätze wurden an den Rändern einiger Disziplinen wie etwa der Islamwissenschaft, der Anthropologie oder der Religionswissenschaft rezipiert und weiterentwickelt, haben jedoch den Kanon der Religionssoziologie nicht erreicht, geschweige denn den politischen Diskurs in irgendeiner Form geprägt oder informiert.7 Somit ist dieser Beitrag auch ein Versuch, die Ansätze der kritischen Säkularismusforschung für den deutschsprachigen Kontext sichtbarer zu machen.

DER GESPALTENE BLICK AUS DER SÄKULAR-LIBERALEN MATRIX

Am 8. Januar 2015 veröffentlichte die Berliner Zeitung eine Titelseite mit mehreren Karikaturen des französischen Satiremagazins Charlie Hebdo. Auslöser dafür war der Anschlag auf die Pariser Redaktion am Vortag, bei dem elf Mitarbeiter und, auf der Flucht der beiden Täter, ein Polizist ermordet wurden. Eine Vielzahl von Tageszeitungen in Deutschland, darunter auch die Berliner Zeitung, veröffentlichte daraufhin ursprüngliche Charlie Hebdo-Titelseiten, auf denen Religion oder religiöse Autoritäten karikiert und diffamiert wurden. Die Titelbilder wurden als Zeichen der Solidarität veröffentlicht und sollten sowohl Ausdruck der Trauer als auch des Trotzes sein. Speziell mit dem erneuten Abdruck der Muhammad-Karikaturen soll...

Inhaltsverzeichnis

  1. Cover
  2. Titelseite
  3. Impressum
  4. Inhalt
  5. Vorwort
  6. Einleitung
  7. Welche Religion gilt als modern?
  8. »Vom Standpunkt des Deutschtums«: Eine postkoloniale Kritik an Webers Theorie von Rasse und Ethnizität
  9. Epistemologien der »muslimischen Frage« in Europa
  10. Die Vermessung der Muslime
  11. Jenseits des wohlgeordneten Säkularismus: Islam und Laizität in Frankreich
  12. Sicherheitswissen und Extremismus
  13. Sexualitätsdispositiv Revisited
  14. »Ist das Kopftuch unterdrückend oder emanzipatorisch?«
  15. Säkularismus als Praxis und Herrschaft: Zur Kategorisierung von Juden und Muslimen im Kontext säkularer Wissensproduktion
  16. Verfremdungen: Muslim_innen als pädagogische Zielgruppe
  17. Ethnographie und der Sicherheitsblick: Akademische Forschung mit »salafistischen« Muslimen in den Niederlanden
  18. Autor_innen